Oberlangenstadt (Oberfranken/Bayern)
Oberlangenstadt ist heute ein Ortsteil des Marktes Küps - ca. acht Kilometer südwestlich der Kreisstadt Kronach gelegen (Kartenskizze 'Landkreis Kronach', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Gegen Ende des 17.Jahrhunderts war in dem nahe Kronach gelegenen Dorfe Oberlangenstadt eine relativ große jüdische Gemeinde beheimatet; deren Angehörige waren vermutlich bereits im ausgehenden 16.Jahrhunderts von den Herren von Redwitz hier angesiedelt worden. Im Laufe des 18.Jahrhunderts schmolz die Gemeinde bis auf sehr wenige Familien zusammen, um dann nach 1800 wieder anzuwachsen.
In den 1750er Jahren erhielt die Judenschaft vom Ortsherrn, dem Baron Künsberg zu Oberlangenstadt, die Genehmigung zum Bau einer zweiten Synagoge*; das Grundstück hatte dieser der Gemeinde unentgeltlich zur Verfügung gestellt. *Bereits im ausgehenden 17.Jahrhundert soll es in Oberlangenstadt eine „Schul“ (=Betstube) gegeben haben.
Im Synagogengebäude waren auch die Lehrerwohnung und eine Mikwe untergebracht. Über der Eingangspforte der Synagoge befand sich ein steinernes Wappen mit dem Jahr der Fertigstellung 1760.
Synagoge Oberlangenstadt, Alte Poststraße (hist. Aufn.) - Synagogeninnenraum (hist. Aufn., 1928)
1823 wurde die Synagoge geschlossen, da kein „geprüfter und bestätigter“ Ortsrabbiner vorhanden war; nur an hohen Feiertagen durften die Juden das Bethaus kurzfristig öffnen. An Stelle der Synagoge wurden Gottesdienste in einem Betraum in einem jüdischen Privathaus abgehalten. 1865 wurde die Synagoge auf Veranlassung der Freiherrn von Künsberg renoviert.
In der Zeitschrift „Der Israelit” wurde am 13. September 1865 folgendermaßen darüber berichtet:
Mitwitz (Oberfranken), den 23. Aug. 1865: Daß wir noch zu jeder Zeit liberale und edeldenkenden Menschen finden, möge folgende Thatsache bezeugen. In Oberlangenstadt k.B. Kronach in Oberfranken besuchte vor einigen Tagen der dortige Frhr. von Künsberg die Synagoge. Der isr. Lehrer begleitete ihn, und zeigte ihm auf ausdrückliches Verlangen die Gesetzrollen und verschiedene alte Bücher. Unter letzteren befand sich auch eine alte Pergamentrolle, worauf ein Gebet für den verstorbenen Frhr. v. K., den Großvater des jetzigen Herrn Barons, geschrieben stand. Darüber höchst verwundert erklärte ihm H. L. K., daß dieses Gebet wöchentlich in der Synagoge verrichtet werde, da sich der verstorbene Herr Baron bei der isr. Gemeinde dadurch unvergeßlich gemacht, daß er den Platz, worauf die jetzige Synagoge gebaut ist, nicht nur unentgeltlich hergegeben, sondern dieselbe auch in jeder Beziehung unterstützt hätte. Auf dieses hin äußerte sich der Herr Baron mit folgenden Worten: hat mein Großvater dies Alles getan, so will auch ich Etwas für die Synagoge thun. Sofort wurde auf dessen Befehl der Maurermeister herbeigerufen, der Riß aufgezeichnet und die Synagoge, die ohnehin in mangelhaftem Zustande war, ist jetzt in dem Stadium, neu restaurirt zu werden. Möge der Herr diesem edlen Menschenfreunde, sowie seinem ganzen hohen Hause seinen Segen tausendfach verleihen und seine humane That vergelten; und mögen sich die Finsterlinge daran ein Beispiel nehmen, dann wird jeder confessionelle Unterschied und jeder confessionelle Haß in unserem gel. Bayernlande schwinden.
Maier Grünblatt, israel. Lehrer in Mitwitz.
Nach der Renovierung der Synagoge diente das Gebäude wieder gottesdienstlichen Zusammenkünften; ab 1910 wurde das Gotteshaus aber nur noch selten genutzt (fehlender Minjan).
Die Erledigung ritueller Aufgaben nahm ein im Dienste der Gemeinde stehende Lehrer wahr; zeitweise wurde der Lehrer gemeinsam von Oberlangenstadt und Küps angestellt. Religionsunterricht für die Kinder wurde dann abwechselnd an beiden Orten erteilt.
Ausschreibung der Lehrerstelle 1868 und 1885
Verstorbene Gemeindeangehörige fanden bis 1831 auf dem jüdischen Friedhof in Küps ihre letzte Ruhe; danach nutzte man die Begräbnisstätte in Burgkunstadt.
Die jüdische Gemeinde in Oberlangenstadt war bis 1825 dem Bezirksrabbinat Burgkunstadt untergeordnet, danach bis 1862 dem Bezirksrabbinat Redwitz; anschließend war sie wieder dem in Burgkunstadt zugeteilt.
Juden in Oberlangenstadt:
--- um 1695 ..................... 24 jüdische Familien,
--- 1810 ........................ 65 Juden,
--- 1824 ........................ 79 “ ,
--- 1840 ........................ 96 “ (ca. 22% d. Dorfbev.),
--- 1852 ........................ 69 “ (ca. 16% d. Dorfbev.),
--- 1875 ........................ 46 “ (ca. 7% d. Dorfbev.),
--- 1890 ........................ 34 “ ,
--- 1900 ........................ 37 “ ,
--- 1910 ........................ 19 “ (in 5 Familien),
--- 1925 ........................ 18 “ ,
--- 1933 ........................ ? “ .
Angaben aus: Klaus Guth (Hrg.), Jüdische Landgemeinden in Oberfranken (1800 - 1942), S. 266
In der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts lebten die allermeisten jüdischen Familien vom Hausier- und Schnittwarenhandel; Viehhändler gab es hier nicht. Ab Mitte des 19.Jahrhunderts zogen jüdische Familien vermehrt aus Oberlangenstadt weg. Das Zusammenleben mit der christlichen Bevölkerungsmehrheit soll ohne Spannungen verlaufen sein; denn zumeist waren die Juden Oberlangenstadts in die dörfliche Gemeinschaft integriert, z.B. als Mitglieder verschiedener lokaler Vereine. 1929 wurde die jüdische Gemeinde aufgelöst; die wenigen im Ort verbliebenen jüdischen Bewohner wurden der Lichtenfelser Kultusgemeinde zugewiesen.
In den 1930er Jahren verließen die allerletzten jüdischen Familien ihren Heimatort. Bevor aber die letzten jüdischen Bewohner dem Ort den Rücken kehrten, verkaufte die auf wenige Angehörige zusammengeschrumpfte Gemeinschaft das Synagogengebäude.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." fielen 16 gebürtige bzw. längere Zeit in Oberlangenstadt ansässig gewesene jüdische Bewohner der "Endlösung" zum Opfer (namentliche Nennung der Opfer, in: alemannia-judaica.de/oberlangenstadt_synagoge.htm).
Nach einem Totalumbau des ehemaligen Synagogengebäudes erinnert heute nichts mehr an dessen einstige Nutzung.
In Oberlangenstadt wurde 1926 der Pianist/Komponist Adolph Kurt Böhm als Sohn des jüdischen Fabrikanten Josef Böhm und dessen Ehefrau Maria geboren. Seiner von Verfolgung betroffenen Familie gelang während der NS-Zeit die Flucht nach Paris; dort begann A.K. Böhm seine künstlerische (malerische/musische) Ausbildung. Während der deutschen Besatzung verhalf er jüdischen Personen mit Hilfe gefälschter Papiere zu überleben. Nach dem Krieg wirkte er als gefragter Pianist und Komponist. In den 1990er Jahren erhielt er vom Staat Israel die Auszeichnung „Gerechter unter den Völkern“; 2006 wurde ihm der Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland zu teil. Adolph Kurt Böhm verstarb 2020 im oberbayrischen Murnau/Staffelsee. Heute erinnert an seinem Geburtshaus in der Poststraße eine Gedenktafel an sein Wirken (Aufn. M. Freese-Spott, 2004, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).
[vgl. Küps (Bayern)]
Weitere Informationen:
Gerhard Wilhelm Daniel Mühlinghaus, Der Synagogenbau des 17. u. 18.Jahrhunderts im aschkenasischen Raum, Dissertation, Philosophische Fakultät Marburg/Lahn, 1986, Band 2, S. 280/281
Klaus Guth (Hrg.), Jüdische Landgemeinden in Oberfranken (1800 - 1942). Ein historisch-topographisches Handbuch, Bayrische Verlagsanstalt Bamberg, Bamberg 1988, S. 263 - 270
Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern - Eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 231
Eva Groiss-Lau, Jüdisches Kulturgut auf dem Land. Synagogen, Realien und Tauchbäder in Oberfranken, Hrg. Klaus Guth, Deutscher Kunstverlag, München/Berlin 1995, S. 43 und S. 211/212
Günter Bitala (Red.), Der Maler, Pianist und Komponist Adolph Kurt Böhm – ein Leben mit Zivilcourage, in: "Wiener Zeitung“ vom 2.5.2003
Oberlangenstadt, in: alemannia-judaica.de
Christian Porzelt (Bearb.), Die Familie May. Geschichte und Schicksal einer jüdisch-fränkischen Familie, in: „Heimatkundliches Jahrbuch des Landkreises Kronach“, No. 29/2019, S. 85 - 92
Andrea Hänel (Red.), Einer, der die Welt besser machte, in: „Neue Presse“ vom 23.9.2020 (betr. Gedenktafel für Adolph Kurt Böhm)