Obernbreit (Unterfranken/Bayern)

Datei:Obernbreit in KT.svg Obernbreit ist heute ein Markt mit derzeit ca. 1.700 Einwohnern im Süden des unterfränkischen Landkreises Kitzingen und Mitglied der Verwaltungsgemeinschaft Marktbreit - ca. 25 Kilometer südlich von Würzburg gelegen (Kartenskizze 'Landkreis Kitzingen', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

In der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts erreichte die jüdische Gemeinde Obernbreit ihren personellen Zenit; jeder 10. Dorfbewohner gehörte damals dem mosaischen Glauben an.

Ansiedlungen von Juden in Obernbreit gab es vermutlich seit der ersten Hälfte des 16.Jahrhunderts; darauf deuten von der Ortsherrschaft ausgestellte Schutzbriefe aus den 1530er Jahren hin. Nach zwischenzeitlicher Vertreibung konnte sich der erste Jude hier 1688 wieder ansässig machen; weitere Familien folgten bald nach; sie waren mit Schutzbriefen des Markgrafen von Brandenburg-Ansbach - später der Fürsten von Schwarzenberg -  ausgestattet. Bereits in der ersten Hälfte des 18.Jahrhunderts bildete sich eine Gemeinde, deren Angehörigenzahl bis ins 19.Jahrhunderts hinein langsam, aber stetig anwuchs.

Neben einem Schulhaus gehörte eine 1748 erbaute schlichte Synagoge in der früheren Judengasse, der heutigen Kirchgasse, zu den gemeindlichen Einrichtungen; zudem eine vom Grundwasser gespeiste Mikwe, die sich etwa zehn Meter unterhalb des Gebäudes befand.

  Ehem. Synagoge (älteste bekannte Abb. aus dem Jahre 1927)

Bei der Erstellung der Matrikel (1817) sind für Obernbreit insgesamt 27 jüdische Familienvorstände genannt. Viehhandel bzw. „Viehschmusen“ und Ellenwarenhandel waren damals die Haupterwerbsquellen der Obernbreiter Juden. Zu den wirtschaftlich bedeutendsten jüdischen Familien in Obernbreit zählte die der Benarios; die Familie hatte sich 1817 im Dorf niedergelassen (Spezerei- u. Ellenwarenhandel); die Jahrzehnte später eröffnete Eisen und Metall-Waren-Handlung von Aron Benario“ dokumentierte den ökonomischen Aufstieg der Benarios.

In den ersten Jahrzehnten des 19.Jahrhunderts erreichte die israelitische Gemeinde in Obernbreit ihren zahlenmäßig personellen Höchststand. Mit der Abwanderung in verkehrsmäßig günstiger gelegene Orte, die bessere ökonomische Möglichkeiten boten, begann ab den 1860er Jahren der allmähliche Niedergang der Gemeinde.

Religiös-rituelle Aufgaben der Gemeinde besorgte ein angestellter Religionslehrer. Prägende Persönlichkeit unter den Lehrern im 19. Jahrhundert war Raphael Fränkel, der fast sechs (!) Jahrzehnte in Obernbreit tätig war.

      Anzeigen aus der Zeitschrift "Der Israelit" von 1894/1901

Verstorbene Juden aus Obernbreit wurden auf dem großen jüdischen Verbandsfriedhof in Rödelsee bzw. in Allersheim beerdigt, der auch von zahlreichen anderen Ortschaften genutzt wurde. [vgl. Allersheim (Bayern)]

Die Gemeinde Obernbreit gehörte zum Distriktrabbinat Kitzingen.

Juden in Obernbreit:

         --- um 1690 .................... eine jüdische Familie,

    --- 1714 .......................   6     “        “   n,

    --- 1747 .......................  11     "        "    ,

    --- 1796 .......................   6     “        “    ,

    --- 1813 ....................... 122 Juden (ca. 11% d. Bevölk.)

    --- 1832 ....................... 157   “   (ca. 12% d. Bevölk.),

    --- 1867 ....................... 126   “   (ca. 9% d. Bevölk.),

    --- 1875 .......................  98   “   (ca. 7% d. Bevölk.),

    --- 1890 .......................  52   “  ,

    --- 1900 .......................  28   “  ,

    --- 1910 .......................  20   “  ,

    --- 1925 .......................  12   “  ,

--- 1933 .......................   9   “  ,

--- 1942 (Mai) .................   4   “  .

Angaben aus: Werner Steinhauser, Juden in und um Prichsenstadt, Selbstverlag, Prichsenstadt 2002, S. 1

und                  W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine Synagogengedenkband Bayern, Unterfranken, Teilband III/2.2, S. 1221

 

Um 1900/1905 war die Landflucht schon so weit fortgeschritten, dass kein Minjan mehr zustande kam. Wenige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg löste sich die jüdische Gemeinde in Obernbreit offiziell auf; das Synagogengebäude wurde verkauft und dann als Werkstatt/Lager genutzt.

                                                   Anzeige aus der Zeitschrift „Der Israelit“ (April 1911) 

Im Dorf verblieben nur noch sehr wenige Juden, die nun der Kultusgemeinde Marktbreit angeschlossen waren. Die letzten drei Gemeindemitglieder verbrachten die NS-Behörden im Sommer 1942 nach Würzburg; von hier aus erfolgte ihre Deportation nach Theresienstadt.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind nachweislich 17 aus Obernbreit stammende jüdische Bürger Opfer der "Endlösung" geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/obernbreit_synagoge.htm).

 

Die ehemaligen Synagogen- und Schulgebäude sind heute noch erhalten und wurden jahrzehntelang zu Wohn- und Gewerbezwecken genutzt. 2005 gründete sich der „Träger- & Förderverein ehemalige Synagoge Obernbreit“, der das Synagogengebäude erwerben, rekonstruieren und für Begegnungen nutzen wollte; 2013 wurden die umfangreichen Restaurierungsarbeiten abgeschlossen und das Synagogengebäude als „Ort des Erinnerns, des Gedenkens und der Begegnung“ wieder eingeweiht. Ein Jahr später erhielt der Träger- & Förderverein für seine vorbildliche Arbeit die Bayrische Denkmalschutzmedaille verliehen.

 

restauriertes Synagogengebäude (Aufn. Friedrich Heidecker, 2013)

An der Außenwand des ehemaligen Synagogengebäudes erinnert heute noch ein Hochzeitsstein an die einstige Nutzung des Hauses.

  Chuppastein (Aufn. Tilman, 2014, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)

* Text der Inschrift: „Stimme des Jubels und Stimme der Freude - Stimme des Bräutigams und Stimme der Braut“ sowie die Jahreszahl (5)508 = 1747/1748 und im Zentrum des Steins „Masel Tow“ („Gut Glück“).

Auf Initiative des Träger- & Fördervereins „Ehemalige Synagoge Obernbreit e.V.“ wurde 2022 gegenüber dem ehemaligen Synagogengebäudes ein Gedenkstein enthüllt, der „Vergangenes in das Gedächtnis rufen“ und damit an die jüdischen Einwohner des Ortes die Erinnerung wachhalten soll. Eine gläserne Tafel auf dem Stein trägt die Inschrift: "Zum Gedenken an die 1942 deportierten jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger Elisabeth Gallinger, Leopold Sänger, Rudolf Sänger, Sofie Zimmern".

Das rituelle Bad (Mikwe) - es war unter der Synagoge in knapp zehn Meter Tiefe verschüttet - wurde erst bei einer Bauaufnahme entdeckt und freigelegt (2006/2007); über ca. 40 Stufen erreicht man das Wasserniveau der Mikwenanlage.

 Abgang zur Mikwe (Aufn. Bjs, 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

In einer Chronik (1925) hieß es zur MIKWE: „An der Ostseite ist das Höfchen. Von diesem aus führte eine Treppe zur Mikweh die gut eingerichtet war und auch einen Brunnen hatte. Die Einrichtung selbst habe ich noch nie gesehen, nur weiß ich, daß die Mikweh im Jahre 1895 neu renoviert wurde. Benutzt wurde sie nur selten. Heute liegt sie vergessen da und ich glaube, daß der jetzige Besitzer der Synagoge den Weg zu ihr noch nicht gefunden hat".

 

vgl.  Marktbreit (Unterfranken/Bayern)

 

 

 

Weitere Informationen:

Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag, München/Wien 1979, S. 380

Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 110

Michael Schneeberger (Bearb.), „Denn das Sterben des Menschen hört nie auf …“: Das Leben des Aron Benario von Obernbreit (Aufsatz von 1997)

Hans-Peter Baum (Red.), „Denn das Sterben des Menschen hört nie auf …“: die Aspekte jüdischen Lebens in Vergangenheit und Gegenwart, in: "Schriften des Stadtarchivs Würzburg", No. 11/1997

Webseite des Träger- und Fördervereines ehemalige Synagoge Obernbreit (2008)

N.N. (Red.), Neues Leben in der Synagoge - Das 260 Jahre alte Gebäude soll ein Raum für kulturelle Begegnungen werden, in: "Main-Post" vom 15.6.2008

Dirk Rosenstock (Bearb.), Die unterfränkischen Judenmatrikeln von 1817. Eine namenkundliche und sozialgeschichtliche Quelle, in: "Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg", Band 13, Würzburg 2008, S. 198  

Obernbreit, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Hans-Peter Süss, Jüdische Archäologie im nördlichen Bayern. Franken und Oberfranken, in: "Arbeiten zur Archäologie Süddeutschlands", Bd. 25, Verlag Dr. Faustus, Büchenbach 2010, S. 102 - 104 

Robert Haaß (Red.), Obernbreit. 300.000 Euro für die Sanierung der Synagoge, in: „Main-Post“, Febr. 2012

Robert Haaß (Red.), Ehemalige Synagoge wird zum Ort des Erinnerns, in: „Main-Post“ vom 23.9.2013

Die ehemalige Synagoge Obernbreit - ein Ort des Erinnern und der Begegnung, hrg. vom Markt Obernbreit und Träger- und Förderverein ehemalige Synagoge Obernbreit e.V., Obernbreit 2013 (verschiedene Aufsätze)

Kathrin Keßler (Bearb.), Die Mikwe in Obernbreit - rituelle Bedeutung und typologische Einordnung, in: Marktgemeinde Obernbreit/Förderverein ehemalige Synagoge Obernbreit eV. (Hrg.), Die ehemalige Synagoge Obernbreit, ein Ort des Erinnerns und der Begegnung, Obernbreit 2013, S. 22 - 27

Israel Schwierz, Begegnungen in Obernbreit. Ehemalige Synagoge wird Ort des Erinnerns, in: „Jüdische Allgemeine“ vom 17.10.2013

Träger- und Förderverein Ehemalige Synagoge Obernbreit e.V. (Hrg.), Geschichtliches und aktuelle Informationen, in: synagoge-obernbreit.de

Hans-Christof Haas/Friedrich Heidecker (Bearb.), Die ehemalige Synagoge in Obernbreit, in: „Jahrbuch für den Landkreis Kitzingen“, 2013, S. 175 - 184

Robert Haaß (Red.), Ganz Obernbreit ist stolz (Denkmalschutzmedaille für Friedrich Heidecker), in: franken.de vom 22.5.2014

Hartmut Hess (Red.), Obernbreit: Geduldet, verachtet und verjagt, in: „Main-Post“ vom 1.6.2014

Haus der Bayrischen Geschichte (Bearb.), Jüdisches Leben in Bayern: Obernbreit, online abrufbar unter: hdbg.eu/juedisches_leben/gemeinde/obernbreit/

Robert Haaß (Red.), 270 Jahre ehemalige Synagoge Obernbreit, in: infranken.de vom 18.6.2018

Hans Schlumberger/Hans-Christof Haas (Bearb.), Marktbreit mit Gnodstadt, Marktsteft, Obernbreit und Segnitz in: W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine Synagogengedenkband Bayern, Unterfranken, Teilband III/2.2, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2021, S. 1158 - 1240

Gerhard Krämer (Red.), Obernbreit. Ein Stein, der Vergangenes ins Gedächtnis ruft, in: „Fränkischer Tag“ vom 27.10.2022 

Träger- und Förderverein Ehemalige Synagoge Obernbreit e.V. (Hrg.), Vom Bauernknecht zum Firmengründer und Gemeinderat, online abrufbar unter. .synagoge-obernbreit.de/aktuelles/ (betr. Aron Benario)