Osterode (Ostpreußen)
Die ostpreußische Kleinstadt Osterode im Kreis Allenstein ist das heutige polnische Ostróda mit derzeit ca. 34.000 Einwohnern (Ausschnitte aus hist. Karten, aus: genwiki-genealogy.net und 'Kreis Osterode', aus: commons.wikimedia.org Bild-PD-alt und Kartenskizze 'Polen' mit Ostróda rot markiert, Y. 2006, aus: commons.wikimedia.org CC BY-SA 3.0).
Zu Beginn des 18.Jahrhunderts ließen sich erstmals jüdische Familien in Osterode nieder. Die zunächst kleine jüdische Gemeinschaft verfügte über einen 1735 angelegten Friedhof und einen Betraum. 1893 konnte die seinerzeit in ihrem Zenit stehende Gemeinde in der Gartenstraße eine neue, größere Synagoge einweihen; als architektonisches Vorbild diente dabei die Bromberger Synagoge.
Synagoge in Osterode (hist. Aufn. um 1905) Innenansicht der Synagoge (um 1905)
Juden in Osterode (Ostpr.):
--- 1812 .......................... 15 Juden,
--- 1831 .......................... 23 " ,
--- um 1845 ................... ca. 110 “ ,
--- 1860 .......................... 160 “ (ca. 5% d. Bevölk.),
--- 1880 .......................... 222 “ (ca. 3% d. Bevölk.),
--- 1890 .......................... 203 " ,
--- 1900 .......................... 242 " ,
--- 1895 .......................... 214 “ ,
--- 1913 ...................... ca. 200 “ ,
--- 1933 ...................... ca. 150 “ ,
--- 1937 .......................... 75 “ ,
--- 1939 (Mai) .................... 7 " .
Angaben aus: Ronny Kabus, Juden in Ostpreußen
und The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 2), S. 949
Neuer Markt Osterode (hist. Postkarte, um 1895, aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Die Juden Osterodes verdienten ihren Lebensunterhalt vornehmlich im Einzelhandel, waren aber auch als Viehhändler und Fabrikanten tätig. Als Stadtverordnete und Magistratsmitglieder engagierten sie sich in der Kleinstadt, bis die Nationalsozialisten sie aus dem öffentlichen und wirtschaftlichen Leben und zur Auswanderung drängten. Zu einem ersten antisemitisch motivierten Anschlag war es in Osterode bereits 1932 gekommen: Ein Sprengkörper war vor einem jüdischen Geschäft deponiert worden, explodierte aber nicht. Im Laufe des Jahres 1935 kam es mehrfach zu Boykott-Aktionen jüdischer Geschäfte.
Im November 1938 wurde die Osteroder Synagoge zerstört, obwohl das Gebäude inzwischen veräußert worden war. Auch der jüdische Friedhof wurde eingeebnet. Im Frühjahr 1939 gab es keine jüdische Gemeinde in Osterode mehr.
Die Erinnerung an die jüdische Geschichte Osterodes ist fast gänzlich getilgt. Nur das Gelände des ehemaligen israelitischen Friedhofs – markiert noch durch das freistehende Eingangsportal – weist heute nur noch zwei Grabsteine auf.
ehem. Eingangstor zum Friedhof und einer der beiden noch vorhandenen Grabsteine (Aufn. Uwe Schweda, 2013)
Ca. 35 Kilometer westlich von Osterode liegt die Kleinstadt Deutsch Eylau (poln. Ilawa, derzeit ca. 33.000 Einw.); bereits zu Beginn des 18.Jahrhunderts war hier eine kleine jüdische Gemeinde existent, die um die Mitte des 19.Jahrhunderts mit ca. 160 Angehörigen ihre Blütezeit erreichte.
Seit ca. 1815 (andere Angabe: seit 1828) verfügte die Gemeinde über ein eigenes Beerdigungsareal; es lag auf einem Hügel nahe der Ortschaft.
Am Rande der Altstadt (in der Magazinstraße) ließ die Gemeinde um 1840 eine Synagoge erbauen.
Juden in Deutsch-Eylau:
--- 1722 ........................ 15 jüdische Familien (?),
--- 1794 ........................ eine Familie,
--- 1816 ........................ 74 Juden,
--- 1834 ........................ 118 " (ca. 6% d. Bevölk.),
--- 1852 ........................ 164 " (ca. 7% d. Bevölk.)
--- 1864 ........................ 184 “ ,
--- 1871 ........................ 198 “ (ca. Bevölk.)
--- 1885 ........................ 140 “ (ca. 3% d. Bevölk.),
--- 1895 .................... ca. 60 “ ,
--- 1905 ........................ 100 “ (ca. 1% d. Bevölk.),
--- 1925 ........................ 110 “ ,
--- 1933 ........................ 84 “ ,
--- 1936 .................... ca. 40 “ ,
--- 1939 ........................ 8 “ .
Angaben aus: Gerhard Salinger, Deutsch Eylau, in: Die einstigen jüdischen Gemeinden Westpreußens, Bd. 3, New York 2009
* In anderen Publikationen werden teilweise abweichende demographische Angaben gemacht.
Nach Abwanderung eines Großteils seiner jüdischen Bewohner zogen nach dem Ersten Weltkrieg polnische Juden nach Deutsch Eylau; um 1930 lebten in der Kleinstadt mehr als 100 Juden. Als Mitte der 1930er Jahre fast die gesamte jüdische Bevölkerung abgewandert war, wurde das Synagogengebäude veräußert; trotzdem ging es 1938 in Flammen auf. Ein Jahr zuvor (1937) war die jüdische Gemeinde aufgelöst worden und die Inneneinrichtung der Synagoge in den niedersächsischen Ort Zeven verbracht; während der „Kristallnacht“ brannte die Synagoge in Zeven zusammen mit ihrer Einrichtung ab. Unter den Opfern der Shoa waren auch ca. 40 in Deutsch-Eylau gebürtige jüdische Bürger. Der während der NS-Zeit teilzerstörte Friedhof wurde in den 1970er Jahren völlig eingeebnet.
vgl. Deutsch-Eylau (Westpreußen)
In der zum Landkreis Osterode zählenden Kleinstadt Hohenstein (poln. Olsztynek, derzeit ca. 7.500 Einw.) gab es eine jüdische Kultusgemeinde, deren Anfänge vermutlich in den 1830er Jahren liegen. Um 1880 erreichte diese mit mehr als 100 Angehörigen ihren zahlenmäßigen Höchststand; danach ging deren Zahl infolge Aus- bzw. Abwanderung deutlich zurück. Aus der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts stammten der Friedhof und die Synagoge. Zu Beginn der NS-Herrschaft hielten sich noch ca. 35 Juden in Hohenstein auf; die Synagoge wurde 1935 aufgegeben. Über das weitere Schicksal der jüdischen Bewohner liegen keine gesicherten Angaben vor. Auf Grund von Zerstörungen sind heute auch keine Spuren der jüdischen Begräbnisstätte mehr zu finden.
In Gilgenburg (poln. Dabrówno, derzeit ca. 1.000 Einw.), einem Landstädtchen im ehem. Kreise Osterode, hat es auch eine israelitische Gemeinschaft gegeben; ihre Angehörigen verdienten ihren Lebensunterhalt vornehmlich im Landhandel. - Bereits vor 1933 gerieten einige Juden Gilgenburgs in die Schusslinie der Nationalsozialisten; in der Folge wanderten viele Juden ab; die verbliebenen wurden 1941 deportiert. An die einstige jüdische Gemeinde erinnern heute das Synagogengebäude, dessen Inneneinrichtung im November 1938 völlig ausbrannte, und Reste ihres Friedhofs.
Ehem. Synagoge in Dabrówno (Aufn. ciekawemazury.pl, um 1990 und Igor Hryvnia, um 2010)
Seit 2002 erinnert eine unscheinbare Tafel am ehemaligen Synagogengebäude an dessen einstige Nutzung. Nach 1945 hatte es jahrzehntelang als Lagerraum gedient und verfiel zusehends. Seit 2010 ist man bemüht, das Gebäude zu erhalten.
vgl. Gilgenburg (Ostpreußen)
In Neumark/Westpreußen (poln. Nowe Miasto Lubawskie, derzeit ca. 11.000 Einw.) - ca. 40 Kilometer südwestlich von Osterode gelegen - bestand nach 1815 eine jüdische Gemeinde, die in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts mit mehr als 400 Angehörigen ihren zahlenmäßigen Zenit erreichte und damit fast ein Fünftel der Ortsbevölkerung ausmachte.
Zu ihren Einrichtungen zählten ein in den 1850er Jahren errichtetes Synagogengebäude und ein Friedhof, der bereits gegen Ende des 18.Jahrhunderts nahe des Burggrabens angelegt worden war. Um 1880/1885 nahm die Gemeinde dann ein neues Beerdigungsgelände in Nutzung; auf dem auch ein Taharahaus erstellt wurde.
Anfang der 1840er Jahre wurde eine Gemeindeschule gegründet, die etwa drei Jahrzehnte Bestand hatte; danach besuchten die jüdischen Kinder die zweiklassige evangelische Elementarschule.
Juden in Neumark:
--- 1812 ........................ 33 Juden,
--- 1816 ........................ 44 " ,
--- 1834 ........................ 201 “ ,
--- 1852 ........................ 308 “ ,
--- 1871 ........................ 391 “ (ca. 18% d. Bevölk.),
--- 1890 ........................ 328 “ (ca. 12% d. Bevölk.),
--- 1905 ........................ 297 " ,
--- 1910 ........................ 238 “ (ca. 6% d. Bevölk.),
--- 1921 ........................ 70 “ ,
--- 1930 ........................ 30 “ .
Angaben aus: Gerhard Salinger, Zur Erinnerung und zum Gedenken. Die einstigen jüdischen Gemeinden Westpreußens, Teilband 2, S. 529
und Nowe Miasto Lubawskie, in: sztetl.org.pl
Marktplatz in Neumark - hist. Postkarte (aus: akpool.de)
Im letzten Viertel des 19.Jahrhunderts begann die Abwanderung der Juden in größere Städte. Nach Ende des Ersten Weltkrieges verließen dann die allermeisten hier noch lebenden jüdischen Familien die Kleinstadt. Im Jahre 1930 lebten nur noch 30 Personen mosaischen Glaubens im Ort.
1938 musste der jüdische Friedhof auf behördliche Anweisung auf ein Gelände außerhalb der Stadt verlegt werden; die Gebeine der hier Begrabenen wurden exhumiert und auf das neue Gelände verbracht.
Vermutlich erst in nachnapoleonischer Zeit ließen sich in der Kleinstadt Liebemühl (poln. Miłomłyn, derzeit ca. 4.900 Einw.) – ca. zehn Kilometer nordwestlich von Osterode – die ersten jüdischen Familien nieder. Die kleine jüdische Gemeinschaft, die im Laufe des 19.Jahrhunderts kaum mehr als 50 Angehörige zählte, nutzte die religiösen Einrichtungen der Osteroder Kultusgemeinde. Ein kleiner Friedhof befand sich nahe der Ortschaft; dieser existiert heute aber nicht mehr.
Um 1900 waren in Liebemühl nur noch 25 Einwohner mosaischen Glaubens wohnhaft. Zehn gebürtige Juden aus Liebemühl wurden Opfer Shoa.
Weitere Informationen:
J. Müller, Zur Geschichte der Juden in Osterode/Ostpr. in: "Oberländisches Geschichte-Blatt", Heft 5/1903
Ronny Kabus, Juden in Ostpreußen, Husum 1998, S. 86
The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust, New York University Press, Washington Square, New York 2001, Vol.1, S. 307 (Deutsch Eylau), S. 431 (Gilgenburg) und S. Vol.2, S. 949
A. Wolosz, Die Juden in den Städten Ostpreußen, in: "Studien Angerburgica", Bd. VII/2002
Gerhard Salinger, Deutsch Eylau, in: Die einstigen jüdischen Gemeinden Westpreußens, Bd. 3, New York 2009, S. 569 – 573
Gerhard Salinger, Zur Erinnerung und zum Gedenken. Die einstigen jüdischen Gemeinden Westpreußens, Teilband 2, New York 2009, S. 529 f. (Neumark)
diverse Angaben der oben aufgeführten Orte, aus: sztetl.org.pl
Seweryn Szczepański (Bearb.), Friedhof Ostróda – Osterode, Hrg. Jews in East Prussia – History and Culture Society, online abrufbar unter: jewsineastprussia.de/de/cemetery--ostroda-osterode/
K. Bielawski (Red.), Friedhof Olsztynek – Hohenstein, Hrg. Jews in East Prussia – History and Culture Society, online abrufbar unter: jewsineastprussia.de/de/cemetery--olsztynek-hohenstein/