Ostrowo (Posen)

 https://upload.wikimedia.org/wikipedia/de/b/bc/Kreis_Ostrowo_1905.jpgPolski: Położenie Ostrowa Wielkopolskiego na mapie Polski English: Location of Ostrów Wielkopolski on the map of Poland Français : Localisation de la ville sur une carte de la Pologne Ostrowo - südöstlich der Stadt Posen und etwa 20 Kilometer südwestlich von Kalisch entfernt - war ursprünglich Adelssitz; die Anfänge einer Stadtentwicklung sind nach 1700 zu verzeichnen; seit der 2.Teilung Polens (1793) gehörte die Stadt zu Preußen. Heute ist Ostrów-Wielkopolski eine Stadt mit derzeit ca. 72.000 Einwohnern in der polnischen Woiwodschaft Poznan (Ausschnitt aus hist. Landkarte, wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Polen' mit Ostrów-Wielkopolski rot markiert, K. 2006, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

In der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts erreichte die Zahl der Angehörigen der israelitischen Gemeinde von Ostrowo ihren personellen Zenit.

Zu Beginn des 18.Jahrhunderts erhielt der Marktflecken Ostrowo die Stadtrechte; zu dieser Zeit wohnten vermutlich bereits jüdische Familien in der Ortschaft. Der Zuzug nach Ostrowo verstärkte sich, als der Stadtherr den Juden, „welche sich jetzt schon in Ostrowo befinden” und „auch anderen, welche künftig noch nach Ostrowo ziehen möchten” ein Privileg zugestand, das ihnen vor allem wirtschaftliche Vorteile einräumte. Gleichzeitig musste sich die damals aus zwölf Familien bestehende Judenschaft aber zu jährlichen Abgaben verpflichten. Die Juden durften ihren Wohnort innerhalb der neuen Stadt nicht selbst wählen; ihnen wurde eine Gasse zugewiesen. Ganz in der Nähe durfte die Gemeinde eine Synagoge bauen; ihr waren ein primitives Schulgebäude und ein Rabbinerhaus angeschlossen.

Auch ein eigener Friedhof wurde in dieser Zeit angelegt. Nach etwa 50jähriger Nutzung durfte dieser innerhalb der Stadt gelegene Begräbnisplatz aber nicht mehr benutzt werden (... weil er den Christen bei ihren Bauten hinderlich wäre”); so legte man weit vor der Stadt im Jahre 1780 ein neues Beerdigungsgelände an. Die Juden Ostrowos lebten im 18.Jahrhundert vor allem vom Handel und Handwerk. Zu Beginn des 19.Jahrhunderts war die Judenschaft verarmt, was u.a. auch in den beengten Wohnverhältnissen zum Ausdruck kam; in 40 Häusern lebten etwa 120 Familien.

Eine zweiklassige Elementarschule gab es in Ostrowo seit 1835; daneben war auch eine Religionsschule vorhanden, deren Anfänge in die 1760er Jahre zurückreichen. Als die 1724 erbaute hölzerne Synagoge baufällig geworden war, sah sich die jüdische Gemeinde genötigt, einen Neubau zu errichten; dieser wurde nach dreijähriger Bauzeit 1860 eingeweiht; die Einweihungsfeierlichkeiten leitete der Rabbiner Moses Stössel aus Kepno. Um 1900 wurde der von zwei Kuppeltürmen flankierte Synagogenbau grundlegend renoviert.

                   Synagoge von Ostrowo (hist. Bildpostkarte)

Einer der in Ostrowo amtierenden Rabbiner war Israel Meir Freimann, der 1830 in Krakau als Sohn eines jüdischen Lehrers geboren wurde. Nach dem Studium der Philosophie und orientalischer Sprachen wurde er vom schlesischen Landesrabbiner 1860 zum Rabbiner ordiniert. Zunächst war er in Filehne (Prov. Posen), ab 1871 in Ostrowo tätig, wo er bis zu seinem Tode (1884) das Rabbinat inne hatte. Seit 1900 trägt eine Straße in Ostrowo seinen Namen.

Juden in Ostrowo:

         --- um 1740 ..........................    79 Juden,

    --- 1776 .............................   156   “  ,

    --- 1794 .............................   381   “  ,

    --- 1819 .............................    40 jüdische Familien,

    --- um 1825 ..........................   120     “       “    ,

    --- 1833 ............................. 1.205 Juden,

    --- 1858 ............................. 1.616   “  ,

    --- 1871 ......................... ca. 1.600   “   (ca. 20% d. Bevölk.),

    --- 1890 ............................. 1.870   “  , 

    --- 1903 ......................... ca.   800   “  ,

    --- 1911 .............................   840   “  ,

    --- 1921 .............................   170   “   (ca. 1% d. Bevölk.),

    --- 1930 ......................... ca.    50   “  ,

    --- 1939 .............................    66   “  .

Angaben aus: Heppner/J.Herzberg, Aus Vergangenheit und Gegenwart der Juden und der jüdischen ..., S. 669/670

http://kehilalinks.jewishgen.org/Ostrow_Wielkopolski/Home_files/original.jpgOstrowo mit Synagoge rechts (Abb. um 1910, Tomasz Wisniewski)

 

Schon frühzeitig hatten sich in der jüdischen Gemeinde Vereine gebildet, u.a. ein Kranken- und Beerdigungsverein, ein Mildtätigkeitsverein, ein Frauenverein und ein jüdischer Jugendverein. Auch an der städtischen Verwaltung waren Juden beteiligt; so stellten sie einige Magistratsmitglieder. Ende des 19.Jahrhunderts erreichte die Zahl der in Ostrowo lebenden Juden ihren Höchststand; von den 12.000 Einwohnern, die die Stadt damals besaß, waren etwa 60% Polen, 30% Deutsche und 10% Juden. Etwa 25 Jahre später hatte sich – besonders aber als Folge des Ersten Weltkrieges - die Zahl der Juden Ostrowos durch Aus- und Abwanderung in größere deutsche Städte (vor allem Berlin und Breslau) um fast 90% reduziert. In der Zeit zwischen den beiden Kriegen lebte nur eine recht überschaubare Zahl jüdischer Familien in der Stadt; es waren kleine Handwerker und Händler, die ihre Wohnsitze in Straßen nahe der Synagoge hatten.

Anfang der 1930er Jahre war dann die Gemeinde in Auflösung begriffen.

Nach der deutschen Okkupation wurde die Inneneinrichtung der Synagoge zerstört, das Gebäude in ein Warenhaus umgewandelt. Die wenigen noch verbliebenen jüdischen Bewohner wurden 1940 ins Ghetto Lodz deportiert.

 

Das Synagogengebäude, das während des Krieges durch Inbrandsetzung schwere Schäden davon trug, ist in seiner Bausubstanz erhalten geblieben; es diente jahrzehntelang als Möbellager. In den letzten Jahren wurde das Gebäude aufwändig restauriert.

                     

                  restauriertes Synagogengebäude (Aufn. M.Wygocki u. T., 2010, aus: commons.wikimedia.org, gemeinfrei)

Seit 2007 erinnern Denkmäler an die ehemaligen Standorte der beiden zerstörten jüdischen Friedhöfe der Stadt; nur Grabsteinrelikte haben sich erhalten.

In einer das Friedhofsgelände umgebenden Mauer sind etliche Grabsteinrelikte eingelassen (Aufn. aus: ESJF European Jewish Cemeteries Initiative, 2021)

 

In Mixstadt (poln. Mikstat, derzeit knapp 2.000 Einw.) – etwa 15 Kilometer südöstlich von Ostrowo – bildete sich in den ersten Jahrzehnten des 19.Jahrhunderts eine jüdische Landgemeinde. Um 1870 erreichte diese ihren zahlenmäßigen Höchststand mit ca. 150 Personen (etwa 12% d. Bevölkerung); in den 1920er Jahren waren es kaum mehr als 60. Ein Synagogengebäude stammte aus der Zeit um 1905.              

                    Synagoge rechts im Bild (hist. Aufn. um 1920)

Die wenigen jüdischen Bewohner, die bei Kriegsbeginn noch in Mixstadt lebten, wurden ins "Generalgouvernement" deportiert.

 

 

 

In Adelnau (poln. Odolanów, derzeit ca. 5.000 Einw.) – wenige Kilometer südwestlich von Ostrowo – tauchen erste Hinweise auf jüdisches Leben gegen Ende des 18.Jahrhunderts auf. Eine Gemeinde bildete sich nach 1800 heraus. Ende der 1820er/Anfang der 1830er Jahre wurde im Ort eine Synagoge errichtet, die einige wohlhabende Juden finanziert hatten. Bereits Anfang des Jahrhunderts war auch ein jüdischer Friedhof angelegt worden; eines neues Begräbnisgelände wurde dann gegen Ende des 19.Jahrhunderts geschaffen.

Juden in Adelnau:

    --- 1794 ............................  34 Juden,

    --- 1816 ............................  92   “  ,

    --- 1830 ............................ 129   “  ,

    --- 1840 ............................ 200   “  ,

    --- 1850 ............................ 227   “  ,

    --- 1861 ............................ 239   “  ,

    --- 1871 ............................ 227   “  ,

    --- 1885 ............................ 199   “  ,

    --- 1900 ............................ 166   “  ,

    --- 1910 ............................ 104   “  ,

    --- 1921 ............................  50   “  ,

    --- 1930 ............................  15   “  .

                          Angaben aus: Odolanów, in: sztetl.org.pl

Nach Ende des Ersten Weltkrieges verzogen die meisten der noch im Ort lebenden jüdischen Familien in Richtung Deutschland. Während des Zweiten Weltkrieges wurde der jüdische Friedhof zerstört; das Synagogengebäude wurde verwüstet und diente nach 1945 längere Zeit als Wohn- und Lagerhaus; gegenwärtig ist es eine Ruine.

                             

Ehem. Synagogengebäude in Odolanów (Aufn. Krotoszyńska, aus: fotopolska.eu, um 2000)

vgl. dazu: Adelnau (Posen)

 

 

 

In Raschkow, von 1939–1945 auch Raschkau (poln. Raszków, derzeit ca. 2.000 Einw.) – knapp zehn Kilometer nordwestlich von Ostrowo - sollen seit dem späten 17.Jahrhundert jüdische Familien gelebt haben; bis zu Beginn des 19.Jahrhunderts waren es aber stets nur wenige. Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts wuchs deren Zahl relativ schnell bis auf ca. 300 Personen (ca. 60 Familien) an, um danach wieder deutlich abzusinken. Um 1910 waren es dann nur noch ca. 30 Gemeindeangehörige, die sich der nahen größeren Gemeinde Ostrowo angeschlossen hatten.

Ihren ersten Betsaal, der sich in einem Gebäude im Besitz des Grafen Skórzewski befand, ersetzte die Gemeinde im Jahre 1868 durch eine neue Synagoge; diese war auf dem inzwischen angekauften Grundstück nach Abriss des alten Betsaals errichtet worden. Das Gebäude ist erhalten geblieben und dient gegenwärtig als Wohnhaus.

Die jüdischen Kindert besuchten zunächst die katholische Ortsschule, danach die neu geschaffene evangelisch-jüdische Gemeinschaftsschule. Religionsunterricht erteilte der hiesige Gemeindevorsteher.

Nach der deutschen Okkupation wurden die wenigen verbliebenen jüdischen Einwohner deportiert; ihr Friedhof wurde zerstört. 

vgl. dazu:  Raschkow (Posen)

 

 

 

Weitere Informationen:

Aron Freimann, Geschichte der israelitischen Gemeinde Ostrowo, Ostrowo 1896

A.Heppner/J.Herzberg, Aus Vergangenheit und Gegenwart der Juden und der jüdischen Gemeinden in den Posener Landen, Koschmin - Bromberg 1909, S. 666 - 679

Sophia Kemlein, Die Emanzipation der Juden im Großherzogtum Posen 1815 - 1848, Magisterarbeit an der Christian-Albrechts-Universität Kiel 1987

Stanisław Nawrocki (Hrg.), Ostrów Wielkopolski - Dzieje miasta i regionu [Ostrowo - Geschichte der Stadt und der Region]. Poznań 1990

The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 2), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 953/954 und S. 822

Bogdan Rachuta, Synagoga w Ostrowie Wielkopolskim (Manuskript 2005)

Ostrów Wielkopolski, in: sztetl.org.pl

Ostrów Wielkopolski, in: kirkuty.xip.pl