Ottensoos (Mittelfranken/Bayern)
Ottensoos ist eine kleine Kommune mit derzeit ca. 2.000 Einwohnern im mittelfränkischen Landkreis Nürnberger Land – knapp 25 Kilometer nordöstlich von Nürnberg gelegen (Kartenskizze 'Landkreis Nürnberger Land', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Die Ortschaft gehört zu den urkundlich ältesten genannten Orten im östlichen Mittelfranken.
Im 18. und in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts machten die Angehörigen der jüdische Gemeinde mit zeitweilig ca. 35 Familien etwa ein Drittel der Ortsbevölkerung aus. Die jüdische Historie von Ottensoos ist eng mit der Ortsgeschichte von Schnaittach verbunden.
Ansicht von Ottensoos – Kupferstich um 1760 (Abb. aus: commons.wikimedia.org, gemeinfrei)
Im Dorfe Ottensoos entwickelte sich ab Anfang des 16.Jahrhunderts eine kleine jüdische Gemeinschaft, die sich im Laufe der Jahrhunderte immer mehr vergrößerte und deren Angehörige zeitweise mehr als ein Drittel der Dorfbevölkerung ausmachten. Die Ansiedlung von Juden in den mittelfränkischen Dörfern, so auch in Ottensoos, stand wohl in engem Zusammenhang mit der Vertreibung bzw. Ausweisung der Juden aus der Reichsstadt Nürnberg 1498/1499. Die Ganerben in der Herrschaft Rothenberg boten den meist vom Kleinhandel und von der Hausiererei lebenden Familien in ihren Dörfern Forth, Hüttenbach, Ottensoos und Schnaittach eine Bleibe an, forderten aber für die Erlaubnis zur Ansiedlung beträchtliche Schutzgebühren; zudem beanspruchte mancher Grundherr auch die Kreditfähigkeit „seiner“ Juden. Die Schutzbriefe mussten in der Regel alle 15 Jahre erneuert werden. Die Juden aus Ottensoos bildeten im 17.Jahrhundert zusammen mit den Juden aus Schnaittach eine Gemeinde; für die Verstorbenen stand in Schnaittach ein Friedhofsgelände zur Verfügung, für dessen Inanspruchnahme die Ottensooser Juden Gebühren zu zahlen hatten.
Eine um 1710 unter den Ottensooser Juden grassierende Krankheit führte vorübergehend zu einer Separierung von den christlichen Bewohnern.
Um 1810 gab es im Dorfe Ottensoos einen sehr hohen jüdischen Bevölkerungsanteil; laut der „Juden-Matrikel“ von 1813 wurden für Ottensoos 26 Familien festgelegt. Die Wohnplätze der Juden lagen in zentraler Ortslage. Ihre Lebenssituation stellte sich recht schwierig dar, wie ein Bericht aus dem Jahre 1823 zeigt: „Die Judenfamilien in Ottensoos sind mit Rücksicht auf das Edict ... in Ottensoos übersezt, denn die wenigsten von ihnen koennen in der Gemeinde solche gesezliche Handthierung treiben wovon sie sich allein ernaehren. In Ottensoos fehlt es an Baustellen und an andre zu cultivirten Landes. Aus dieser Ursache koennen die Judenfamilien auch nicht Haeuser allein bewohnen, und eine solche Landwirthschaft betreiben wie sie der Bauersmann treibt, und müssen daher mehrere Judenfamilien in einem Hause beisammen wohnen, und die Hauptnahrung in fremden andern entfernten Orten nachgehen.“
Nach einem Großbrand 1871, bei dem auch die alte aus dem Jahre 1686 stammende Synagoge vernichtet wurde, ließ die jüdische Gemeinde am gleichen Standort einen Neubau errichten. Ihm waren das Schulgebäude und eine Mikwe angeschlossen; mitfinanziert wurde der 1872 eingeweihte Synagogenbau durch Kollekten in den Synagogengemeinden Mittelfrankens.
Anm.: Im Erdgeschoss befand sich der große Betsaal, im Obergeschoss gab es eine für die Frauen bestimmte Empore; der Anbau an der Westseite beherbergte die Religionsschule und darüber lag die Wohnung des Lehrers.
Synagoge von Ottensoos (3-D-Rekonstruktion, Thomas Schlick, aus: juden-im-nuernberger-land.de)
Modell der Synagoge (Gemeinde Ottensoos)
Ab Ende der 1820er Jahren existierte im Dorf eine jüdische Religionsschule; Elementarunterricht erhielten die jüdischen Kinder in der evangelischen Volksschule. Mit der Abwanderung jüngerer Familien sanken die Schülerzahlen kontinuierlich; 1924 wurde die Religionsschule aufgegeben; ein aus Schnaittach kommender Lehrer unterrichtete nun die wenigen jüdischen Kinder.
zwei Anzeigen aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 20. Dez. 1871 und vom 22.Okt. 1908
Die Gemeinde gehörte zunächst zum Rabbinatsbezirk Schnaittach, bis 1932 dem Bezirksrabbinat Schwabach an, danach wurde sie dem Bezirksrabbinat Ansbach zugeordnet.
Juden in Ottensoos:
--- 1577 ........................... eine jüdische Familie,
--- 1630 ........................... 11 " n,
--- um 1645 ........................ eine “ “ ,
--- um 1670 .................... ca. 10 jüdische Haushalte,* *mit Schnaittach
--- um 1700 ........................ 14 jüdische Haushalte,
--- 1732 ........................... 24 “ “ ,
--- 1761 ........................... 34 jüdische Familien (113 Pers.),
--- 1813 ........................... 26 “ “ (ca. 25% d. Bevölk.),
--- 1832/33 ........................ 157 Juden,
--- 1866/67 ........................ 120 “ (in 31 Familien),
--- 1871 ........................... 26 jüdische Familien,
--- 1890 ........................... 80 Juden (ca. 11% d. Bevölk.)
--- 1910 ........................... 73 " * (ca. 9% d. Bevölk.), * andere Angabe: 85 Pers.
--- 1925 ........................... 38 “ ,
--- 1933 ........................... 25 “ ,
--- 1937 (Jan.) .................... 17 “ ,
--- 1939 (Jan.) .................... 13 “ ,
(Juni) .................... keine.
Angaben aus: Baruch Z.Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945, S. 217
und W.Tausendpfund/G.Ph.Wolf, Aus der Geschichte der Juden von Ottensoos
Die jüdischen Bewohner von Ottensoos, die bis ins 20.Jahrhundert hinein ihren „Sabbath peinlich genau heiligten”, sollen in dem überwiegend evangelischen Ort weitestgehend integriert und toleriert gewesen sein. Haupterwerbszweige der Ottensooser Juden waren vor allem der Hopfen-, Vieh- und Schnittwarenhandel; daneben gab es auch einige kleine Handwerker. Die jüdischen Gewerbetreibenden spielten nicht nur für Ottensoos, sondern auch für die Dörfer der Umgebung eine wichtige Rolle.
Infolge der Abwanderung vor allem jüngerer Familien gehörten um 1925/1930 der jüdischen Gemeinde fast nur noch ältere Angehörige an. Unmittelbar nach der NS-Machtübernahme 1933 sahen sich die hiesigen jüdischen Dorfbewohner antisemitisch-motivierten Gewalttaten ausgesetzt; so wurden 1934 zahlreiche Fenster von Privathäusern eingeschlagen, 1936 auch die Fenster der Synagoge. Schilder mit der Aufschrift „Juden unerwünscht!” waren am Dorfeingang angebracht worden. Infolge des Wirtschaftsboykotts verarmten die Juden von Ottensoos zusehends, sodass sie durch die jüdische Gemeinde Nürnberg finanziell unterstützt werden mussten.
Beim Novemberpogrom von 1938 wurde die Inneneinrichtung der damals schon nicht mehr genutzten Synagoge völlig zerstört, das Gebäude selbst blieb von einer Inbrandsetzung verschont und nahezu unbeschädigt. Kurze Zeit danach gingen das Synagogengrundstück und anderer jüdischer Grundbesitz in kommunale bzw. private Hände über.
Über die Ausschreitungen in Ottensoos ist 1948 in der Anklageschrift gegen die vermutlichen Rädelsführer zu lesen: „... Die Juden wurden aus ihren Wohnungen geholt, zunächst am Dorfbrunnen zusammengetrieben und dann ins Schulhaus gebracht, wo sie nach mehreren Stunden wieder freigelassen wurden. In der Synagoge wurden nach gewaltsamen Eindringen die Kronleuchter herabgerissen, die Fensterscheiben zerschlagen sowie Gebetsstühle und andere Einrichtungsgegenstände demoliert. An den Ausschreitungen waren in erster Linie auswärtige, aber auch ortsansässige SA-Leute und Parteiangehörige beteiligt. Die beabsichtigte Inbrandsetzung der Synagoge wurde allerdings von letzteren verhindert. ...” 1939 hatten alle jüdischen Bewohner - offensichtlich unter massiven Druck gesetzt - das Dorf verlassen und waren in nahe Städte abgewandert.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem wurden 30 gebürtige bzw. länger im Ort ansässig gewesene jüdische Bewohner von Ottensoos Opfer des Holocaust (namentliche Nennung der Opfer siehe: alemannia-judaica.de/ottensoos_synagoge.htm).
Seit 1988 erinnert eine Gedenktafel am einstigen Synagogengebäude an die untergegangene Gemeinde; die Inschrift lautet:
Ehemalige Synagoge
der seit 1531 ansässigen jüdischen Gemeinde
1698 urkundlich erwähnt, 1867 nach Brand aufgebaut, am 9.11.1938 geschändet
Die Gemeinde Ottensoos gedenkt ihrer jüdischen Mitbürger
1988
Seit 2003 dient das bis dahin als Wohnhaus genutzte Gebäude dem Gedenken an die Ottensooser Gemeinde. Nach der mit hohem Kostenaufwand 2011/2012 erfolgten Außensanierung des Gebäudes soll nach dessen endgültiger Fertigstellung (2015) der ehemalige Betraum im Erdgeschoss als "öffentlicher Raum" genutzt werden: Mit der Schaffung eines Kulturzentrums durch den „Freundeskreis Ehemalige Synagoge Ottensoos“ hat nun das Synagogengebäude eine neue Nutzung erfahren.
Synagogengebäude vor der Sanierung (Aufn. M. Ohmsen, 2004) - nach der Sanierung (Aufn. M., 2017, aus: commons.wikimedia, CC BY 3.0)
Ein Türsturz eines „Judenhauses“ - ein Relikt aus dem Jahre 1723 - ist dem Jüdischen Museum Schnaittach als Dauerleihgabe übereignet worden. Zudem befindet sich ein 1863 der Ottensooser Synagoge gestifteter Thora-Vorhang im gleichen Museum.
Thora-Vorhang aus Ottensoos (Jüdisches Museum Schnaittach)
Auf dem Schnaittacher jüdischen Friedhof wurde 1952 zum Gedächtnis an die Verstorbenen aus Schnaittach, Hüttenbach, Ottensoos und Forth ein Gedenkstein errichtet. Die Grabstätten waren in der NS-Zeit zerstört worden.
[vgl. Forth - Hüttenbach - Schnaittach (Bayern)]
In der Stadt Lauf a. d. Pegnitz - ca. zwölf Kilometer östlich von Nürnberg (Abb. aus: ortsdienst.de/bayern/nuernberger-land) - sollen im ausgehenden Mittelalter einige jüdische Familien gelebt haben; einziger Hinweis auf deren Anwesenheit ist der sog. „Judenturm“ in der Höllgasse. Ob es hier jemals zur Ausbildung einer Gemeinde kam, ist ungewiss.
sog. „Judenturm“ in Lauf (hist. Postkarte)
Im 19./20.Jahrhundert waren nur sehr wenige Juden in Lauf wohnhaft; sie gehörten der Kultusgemeinde Ottensoos an.
Viehmarkt auf dem Marktplatz von Lauf (hist. Aufn. aus: Stefanie Fischer, Ökonomisches Vertrauen ...)
Seit 2014 erinnern in der Luitpoldstraße zwei sog. „Stolpersteine“ an die beiden ehemals in Lauf tätigen jüdischen Unternehmer Hans und Martin Thurnauer, die enteignet und zur Emigration gezwungen worden waren.
Aufn. Chr. Michelides, 2020, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0
In Hersbruck haben im Laufe der Jahrhunderte nur vereinzelt jüdische Familien gelebt. Ob es im Spätmittelalter hier eine jüdische Gemeinde gegeben hat, ist nicht bekannt. In den 1920er Jahren waren in der Kleinstadt drei jüdische Familien wohnhaft; sie gehörten der Synagogengemeinde Ottensoos an.
"Hinweistafel der Stadt Hersbruck (Abb. aus: encyclopedia.ushmm.org)
Hinweis: Seit Mitte 1944 bestand in Hersbruck das größte Außenlager des KZ Flossenbürg.
Weitere Informationen:
Emilie Seifert, Ein tausendjähriges Dorfjubiläum. Ottensoos bei Hersbruck, Nürnberg 1903
Magnus Weinberg, Geschichte der Juden in der Oberpfalz, Teil III: Der Bezirk Rothenberg, Selbstverlag, Sulzbürg 1909
F. Schnelbögl, Aus der Geschichte von Ottensoos , in: 1050 Jahre Ottensoos. Festschrift zum Heimatfest, Ottensoos 1953
Günter Huber, Ottensoos, Landkreis Lauf an der Pegnitz, kulturgeschichtliche Entwicklung einer mittelfränkischen Gemeinde. Bevölkerung, Siedlung, Wirtschaft, soziale Ordnung, Zulassungsarbeit an der Universität Erlangen-Nürnberg, 1969
Baruch Z.Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, München/Wien 1979, S. 217/218
Konrad Bär, Die Juden von Ottensoos. 1531 – 1941, Maschinenmanuskript 1981
W.Tausendpfund/G.Ph.Wolf, Aus der Geschichte der Juden von Ottensoos, in: "Altnürnberger Landschaft e.V. - Mitteilungen", Teil 1, 31. Jg/1982, Heft 3, S. 45 - 59 und Teil 2, 32. Jg./1983, Heft 1/2, S. 10 - 19
Wilhelm Schwemmer, Ottensoos. Aus der Geschichte eines Dorfes im Nürnberger Land. Sonderheft der "Altnürnberger Landschaft", 1983/1, Nürnberg 1983
Birgit Albersdörfer, Die Geschichte der Judengemeinden in Ottensoos und Forth, Zulassungsarbeit Universität Erlangen-Nürnberg 1991
Israel Schwierz, Steinerne Zeugen jüdischen Lebens in Bayern - eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S.184
Arnuf Elhardt, Ein jüdischer Türsturz für das Schnaittacher Museum, in: "Fundgrube" - Beilage der Pegnitz-Zeitung für Heimatkunde und Lokalgeschichte, Heft 3/1996
Arbeitskreis Heimatkunde im Fränkische-Schweiz-Verein (Hrg.), Jüdisches Leben in der Fränkischen Schweiz , in: "Schriftenreihe des Fränkische-Schweiz Vereins", Band 11, Palm & Enke, Erlangen 1997, S. 103
Ottensoos, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Ottensoos – Jüdisches Leben in Bayern. hrg. vom Haus der Bayrischen Geschichte, online abrufbar unter: hdbg.eu/juedisches_leben/gemeinde/ottensoos
Gemeinde Ottenoos (Hrg.), Ottensoos – 1100 Jahre Geschichte eines Fränkischen Dorfes, online abrufbar unter: ottensoos.de/seite/de/gemeinde/030:35/-/Geschichte.html
Hersbruck, in: alemannia-judaica.de
Martin Schieber, Ottensoos - ein Streifzug durch elf Jahrhunderte Geschichte (Ortschronik), Nürnberg 2003, S. 79 - 103 (‘Jahrhundertelang eine Heimat - Die jüdische Gemeinde’)
B. Eberhardt/C. Berger-Dittscheid, Ottensoos, in: Mehr als Steine ... Synagogen-Gedenkband Bayern, Band II: Mittelfranken, Kunst Verlag Josef Fink, Lindenberg 2010, S. 506 - 521
Stefanie Fischer, Ökonomisches Vertrauen und antisemitische Gewalt. Jüdische Viehhändler in Mittelfranken 1919 – 1939, in: A.Brämer/M.Rürup (Hrg.), Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden, Band XLII, Wallstein Verlag Göttingen 2014
Andreas Kirchmayer (Red.), Lauf. Zwei Stolpersteine erinnern an düstere Vergangenheit …, in: "Pegnitz-Zeitung“ vom 25.9.2014
Andreas Kirchmayer (Red.), Ottensoos will Synagoge mit Leben erfüllen, in: n-land.de vom 27.5.2015
Andreas Kirchmayer (Red.), Ein feierlicher Neuanfang – Sanierte Ottensooser Synagoge wird nun als Kulturzentrum genutzt, in: „Hersbrucker Zeitung“ vom 11.6.2015
Andreas Sichelstiel (Red.), Vor 85 Jahren brannten die Synagogen, in: „Pegnitz-Zeitung“ vom 8.11.2023