Ottenstein (Niedersachsen)
Der Flecken Ottenstein mit seinen derzeit ca. 1.200 Bewohnern gehört heute der Gesamtgemeinde Bodenwerder-Polle im Landkreis Holzminden an – ca. 20 Kilometer nördlich von Höxter/Weser gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte mit Ottenstein am rechten Kartenrand, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Holzminden', Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Ansicht von Ottenstein - Stich M. Merian, um 1655 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Im abseits der Verkehrswege westlich der Mittelweser gelegenen Ottenstein sind seit Mitte des 18.Jahrhunderts jüdische Familien urkundlich nachgewiesen; es waren aber auch in den folgenden Jahrzehnten nur sehr wenige Juden, denen durch Schutzbriefe ihre Ansiedlung erlaubt worden war. Ihren kargen Lebensunterhalt verdienten sie zumeist vom Schlachten und vom Handel mit Fellen. Erst im Laufe des 19.Jahrhunderts besserte sich ihre ökonomische Situation deutlich: Viehhandel und Schlachtgewerbe, aber auch der Handel mit Manufakturwaren waren nun die wichtigsten Erwerbszweige.
Eine Gemeinde, deren Kern drei Familien bildeten, gründete sich in Ottenstein zu Beginn des 19.Jahrhunderts. Zu gottesdienstlichen Zusammenkünften versammelten sich die Gemeindeangehörigen in einem Betraum eines Privathauses (in der Dunklen Straße); als die Zahl der Gemeindemitglieder stark zurückging, suchten die wenigen Juden zu hohen Feiertagen die Synagoge in Hameln auf. Die kleine Gemeinde verfügte über einen Kantor und Lehrer, der den jüdischen Kindern in Privaträumen Religionsunterricht erteilte; ansonsten besuchten die Kinder die christliche Dorfschule.
Die erste nachweisbare Beerdigung auf dem Ottensteiner Judenfriedhof - das Gelände „An der Domäne“ in Richtung Glesse gehörte der wohlhabenden Familie Rothschild - fand 1855 statt.
Juden in Ottenstein:
--- um 1750 ....................... 3 jüdische Familien,* *im Amt Ottenstein
--- 1831 ...................... ca. 60 Juden,
--- 1873 .......................... 47 “ (in 8 Familien),
--- 1907 .......................... 17 “ ,
--- 1925 .......................... 12 “ ,
--- 1933 .......................... 14 “ (in 5 Haushalten),
--- 1939 .......................... 12 “ ,
--- 1942 (März) ................... 12 “ ,
(April) .................. 6 “ ,
(Juli) ................... keine.
Angaben aus: Bernhard Gelderblom, Jüdisches Leben im mittleren Weserraum zwischen Hehlen und Polle, S. 98
Die jüdische Minderheit soll mit der christlichen Bevölkerungsmehrheit in Ottenstein nicht immer konfliktfrei zusammengelebt haben. Ende des 19.Jahrhunderts wanderten vermehrt jüdische Familien aus dem dörflichen Ottenstein ab, um sich in umliegenden verkehrsgünstigeren Städten wie Hameln oder Holzminden eine neue Existenz aufzubauen.
1924 wurde die israelitische Gemeinde Ottenstein offiziell aufgelöst; die verbliebenen, zumeist älteren jüdischen Bewohner gehörten von nun an der Synagogengemeinde Holzminden an.
Ob es in Ottenstein nach der NS-Machtübernahme 1933 zu organisierten antijüdischen Ausschreitungen gekommen ist, kann nicht belegt werden. Im Zuge der Vorgänge der „Kristallnacht“ im November 1938 wurden zwei jüdische Männer aus Ottenstein einem Transport in das KZ Buchenwald zugeordnet. Sechs jüdische Bewohner mussten ihren Heimatort Ottenstein Ende März 1942 verlassen; mit einem offenen Leiterwagen wurden sie zum Bahnhof gefahren. Über Holzminden und Hildesheim gelangten sie dann in die Gartenbauschule Ahlem, von wo sie ins Ghetto Warschau verfrachtet wurden.
[vgl. Hannover (Niedersachsen)]
Die letzten noch verbliebenen Ottensteiner Juden wurden im Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert; von ihnen hat kein einziger überlebt.
An die einstige kleine jüdische Gemeinde Ottensteins erinnert heute nur noch ihr Friedhof "An der Domäne" am Ortsrausgang (Richtung Glesse); zahlreiche Grabsteine auf dem ca. 1.000 m² großen Gelände sind aber "verschwunden", es verblieben hier nur 24 Grabmale.
Jüdischer Friedhof (Aufn. B. Gelderblom, um 2010)
2017 wurde - dank privater Initiative - außerhalb des Ortes (in Richtung Lüntorf bzw. Glesse) ein Denkmal (Inschriftentafel) eingeweiht, das namentlich alle aus Ottenstein deportierten Jüdinnen/Juden nennt.
Weitere Informationen:
Karl Heinrich Rose, Chronik von Ottenstein und Glesse, Ottenstein 1927
Werner Freist, Chronik von Ottenstein, o.O. 1987
Berndt Schaller, Dokumentation des jüdischen Friedhofs mit Abschriften aller Steine, 1987
Bernhard Gelderblom, Jüdisches Leben im mittleren Weserraum zwischen Hehlen und Polle. Von den Anfängen im 14.Jahrhundert bis zu seiner Vernichtung in der nationalsozialistischen Zeit - Ein Gedenkbuch, Hrg. Heimat- und Geschichtsverein für Landkreis und Stadt Holzminden, Holzminden 2003, S. 31 - 103
Bernhard Gelderblom (Bearb.), Ottenstein, in: Herbert Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Band 2, S. 1232 – 1235
Bernhard Gelderblom, Der jüdische Friedhof in Ottenstein (online abrufbar: gelderblom-hameln.de)
Niedersächsisches Amt für Denkmalpflege (Hrg.), Jüdischer Friedhof Ottenstein, online abrufbar unter: denkmalatlas.niedersachsen.de (mit Abbildungen)