Obornik (Posen)
Ca. 30 Kilometer wartheabwärts von Posen liegt die Kleinstadt Obornik (poln. Oborniki) mit derzeit ca. 18.000 Einwohnern. Mit der 2. Teilung Polens (1793) kam die Stadt zu Preußen, ab 1807 gehörte sie zum Herzogtum Warschau, ab 1815 wieder zu Preußen (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: europe1900.eu und Kartenskizze 'Polen' mit Oborniki markiert, aus: Mapa Polski).
In Obornik (auch Obernik) sind Ansiedlungen von Juden seit Mitte des 16.Jahrhunderts nachweisbar. Anderen Angaben zufolge sollen bereits nach 1485 jüdische Familien hierher gelangt sein, nachdem dem Ort - dieser hatte durch einen Großbrand schwer gelitten - die Aufnahme von Juden erlaubt worden war. Die hier lebenden Juden - ihre Wohnungen befanden sich in einem Straßenzug (der 'Judenstraße') - bestritten ihren Lebensunterhalt zum einen als Holz- und Salzhändler, zum anderen auch als Handwerker. Gegen Zahlung verschiedener ‚Gebühren‘ (bzw. Steuern) erhielten die Juden völlige Handelsfreiheit und das Recht, ihren Rabbiner zu bestimmen, ohne dass die Ortsherrschaft Einfluss nahm. Auch im Zusammenleben mit den christlichen Bewohnern waren Juden gleichgestellt.
Ein Bethaus soll in Obornik bereits um 1600 eingerichtet worden sein. Auch eine eigene Begräbnisstätte stammte aus dieser Epoche.
Synagoge in Obornik (Abb. aus: obornickiszlaktajemnic.pl)
Nach der preußischen Annexion (1793) wuchs die jüdische Gemeinde im Laufe des 19.Jahrhunderts weiter an; um 1850/1860 machte der jüdische Bevölkerungsteil etwa ein Drittel der Gesamtbevölkerung aus. Um 1880 erreichte die jüdische Gemeinde ca. 400 Angehörige; darunter sollen sich etwa 50 Schneider befunden haben, die in der ländlichen Region umherzogen und den dortigen Bauern ihre Dienste anboten.
Synagoge links auf einer hist. Postkarte (Abb. aus: sztetl.org.pl)
Nach Ende des Ersten Weltkrieges verließen die allermeisten jüdischen Familien die nun zum neuen polnischen Staat gehörende Kleinstadt in Richtung Deutschland (vor allem nach Berlin); 1920/1921 zählte man in Oborniki nur noch etwa 140 Personen mosaischen Glaubens (etwa 3% der Gesamtbevölkerung).
Im Jahre 1939 lebten hier nur noch ca. 60 Juden, die von den deutschen Besatzungsbehörden noch im gleichen Jahre ins „Generalgouvernement“ abgeschoben wurden; dort verloren sich ihre Spuren; sie sind vermutlich Opfer der Shoa geworden.
Ab 1940 befand sich in der Stadt ein Arbeitslager, in dem Juden aus dem weiteren Umland zur Zwangsarbeit herangezogen wurden.
Während der deutschen Besatzung wurde die Synagoge abgerissen; neben jüdischen Zwangsarbeitern aus dem Ghetto Lodz sollen hier auch britische Kriegsgefangene hier eingesetzt worden sein. An dem ehemaligen Synagogenstandort befindet sich heute ein Wohngebäude.
Vom alten jüdischen Friedhof, der während des Zweiten Weltkrieges verwüstet/zerstört worden war, sind heute keine Überreste mehr vorhanden; auf einem Teil des Geländes befindet sich heute eine Schwimmhalle.
siehe auch: Ritschenwalde (Posen)
Weitere Informationen:
Bernhard Breslauer, Die Abwanderung der Juden aus der Provinz Posen, Berlin 1909
A.Heppner/J.Herzberg, Aus Vergangenheit und Gegenwart der Juden und der jüdischen Gemeinden in den Posener Landen, Koschmin - Bromberg 1909 (1912)
Sophia Kemlein, Die Emanzipation der Juden im Großherzogtum Posen 1815 - 1848, Magisterarbeit an der Christian-Albrechts-Universität Kiel 1987
The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust, New York University Press, Washington Square, New York 2001, Vol. 2, S. 923
Michael Alberti, Die Verfolgung und Vernichtung der Juden im Reichsgau Wartheland 1939 - 1945, hrg. vom Deutschen Historischen Institut Warschau, Quellen und Studien, Band 17, Wiesbaden 2006
Robert Zimny, Społeczność żydowska Ryczywołu od XVI do XX wieku, in: "Gazeta Powiatowa Ziemia Obornicka", 2009 (Ritschenwalde, poln. Ryczywol)
Kommune Oborniki (Hrg.), Die Synagoge in der Czarnowska-Straße, online abrufbar unter: obornickiszlaktajemnic.pl/mc/nieistniejaca-synagoga/