Nauheim (Hessen)

Datei:Rheinhessen 1905.png – Wikipedia Datei:Municipalities in GG.svg Die Kleinstadt Nauheim mit derzeit ca. 11.000 Einwohnern liegt nordwestlich der südhessischen Kreisstadt Groß-Gerau bzw. südlich von Rüsselsheim (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905 ohne Eintrag von Nauheim, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Groß-Gerau', Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Im Dorf Nauheim - bei Groß-Gerau gelegen - lebten nachweislich bereits um 1730 jüdische Bewohner; allerdings waren es stets – auch in der Folgezeit - nur wenige Familien, die hier zumeist ihren Lebenserwerb mit Vieh- und Getreidehandel bestritten. Seit der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts besaßen sie einige Gewerbebetriebe und Textilgeschäfte.

Bis gegen Mitte des 19.Jahrhunderts suchten die wenigen jüdischen Familien – mangels Zustandekommen eines eigenen Minjan - die Gottesdienste in Groß-Gerau auf; später kam man in einem Raume eines Gemeindemitglieds zusammen. Ab 1907 war dann im Obergeschoss des Privathauses des Vieh- u. Getreidehändlers Levi Haas in der Hintergasse der Betsaal untergebracht.

in der Hintergasse 25 befand sich der Betraum (Aufn. H.-J. Brugger, um 2010)

Für religiös-rituelle Aufgaben der Gemeinde war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeitweise ein Lehrer angestellt. Obwohl nur sehr wenige Kinder zu unterrichten waren, wurde die Lehrerstelle immer wieder ausgeschrieben.

Anzeigen aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 6.April 1864 und 13.März 1878

Ihre höchste Zahl erreichte die Gemeinde im Jahre 1861 mit ca. 35 Angehörigen. Zur jüdischen Gemeinde Nauheim gehörten – spätestens seit den 1920er Jahren - auch die im nahen Königstädten lebenden Juden.*

*Anm.: Seit 1856 bestand in Königstädten eine eigene jüdische Gemeinde, die wenige Jahre später am Ort eine Synagoge errichten ließ. Auf Grund von Abwanderung der meisten hiesigen jüdischen Familien wurde das Bethaus aber nur wenige Jahrzehnte benutzt.

Verstorbene bestattete man auf dem Friedhof in Groß-Gerau.

Die Gemeinde gehörte zum orthodoxen Rabbinat Darmstadt II.

Juden in Nauheim:

--- 1770 ........................  3 jüdische Familien,

--- 1815 ........................  3     “        “   ,

--- 1828 ........................ 16 Juden,

--- 1861 ........................ 34   “   (ca. 4% d. Bevölk.),

--- 1880 ........................ 26   “  ,

--- 1900 ........................ 20   “  ,

--- 1910 ........................ 20   “   (ca. 1% d. Bevölk.),

--- 1925 ........................ 22   “  ,

--- 1933 ........................ 19   “  ,

--- 1940 (Mai) .................. keine.

Angaben aus: Angelika Schleindl, Verschwundene Nachbarn - Jüdische Gemeinden und Synagogen ..., S. 190

 

Anfang der 1930er Jahre lebten in Nauheim noch knapp 20 jüdische Bewohner. Da der Betsaal nicht mehr genutzt wurde, verbrachte man die Ritualien nach Groß-Gerau (Anm. Vermutlich wurden sie beim Brand der Synagoge 1938 zerstört).

Während der Novembertage 1938 wurden einige Nauheimer Juden misshandelt. Die letzten noch verbliebenen wurden nach Mainz abgeschoben; von hier wurden sie vermutlich deportiert. Am 10.Mai 1940 berichtete die „Hessische Landeszeitung“, dass mit der Familie Bernhard Israel Marx der letzte Jude aus Nauheim "verschwunden" und Nauheim nun „judenfrei“ sei.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20388/Nauheim%20KK%20MZ%20Marx%20Bernhard.jpghttp://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20388/Obergimpern%20KK%20MZ%20Marx%20Berta.jpg 

zwei J-Kennkarten von Nauheimer jüdischen Einwohnern - ausgestellt in Groß-Gerau, Januar 1939

Zwölf gebürtige Nauheimer und fünf aus Königstädten stammende Personen mosaischen Glaubens wurden nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." Opfer der Shoa (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/nauheim_gg_synagoge.htm).

 

An der Hofmauer des Historischen Rathauses in der Hintergasse erinnert seit 2008 eine Gedenktafel an die während des NS-Regimes ermordeten jüdischen Bürger Nauheims.

Gedenktafel mit den Namen der jüdischen NS-Opfer (Aufn. H.-J. Brugger)

Auf Initiative des Heimat- u. Museumsvereins wurden 2014 die ersten sog. „Stolpersteine“ in das Gehwegpflaster in der Hintergasse und der Vorderstraße in Nauheim eingefügt; die dritte und damit auch letzte Verlegung für vier Angehörige der Familie Ludwig u. Auguste Strauss erfolgte 2017; die meisten Steine sind Angehörigen der jüdischen Familie Marx (Vorderstraße und Waldstraße) gewidmet.Derzeit findet man in den Gehwegen der Nauheimer Altstadt insgesamt 18 messingfarbene Steinquader (2024).

 Stolpersteine in Nauheim © Heimat- und Museumsverein Nauheim e.V.

           ... und in der Hintergasse

Aufn. Heimat- u. Museumsverein Nauheim e.V.  -  Alfons Tewes, 2020, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0

 

Bei Sanierungsmaßnahmen eines Gebäudes in der Vorderstraße fanden sich Anfang der 1990er Jahre Reste einer einstigen Laubhütte.

 

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 2, S. 111/112

Angelika Schleindl, Verschwundene Nachbarn - Jüdische Gemeinden und Synagogen im Kreis Groß-Gerau, Hrg. Kreisausschuß des Kreises Groß-Gerau, Groß-Gerau 1990

Angelika Schleindl, Der Jüdische Friedhof in Groß-Gerau. Ein Beitrag zur Geschichte der Landjuden in Südhessen, Justus von Liebig Verlag, Darmstadt 1993

Thea Altaras, Das jüdische Rituelle Tauchbad und: Synagogen in Hessen. Was geschah seit 1945? Teil II, Königstein i. Ts. 1994, S. 117/118

Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945, Hessen I: Regierungsbezirk Darmstadt, VAS-Verlag, Frankfurt/M. 1995, S. 168/169

Veronika Garmeister/Erika Huslik/Hedwig Rohde (Bearb.), 100 Jahre Frankfurter Straße 103. 1899-1999 - Festschrift aus Anlass der 100jährigen Nutzung des Gebäudes Frankfurter Straße 103: Kinderheilstätte, Berufsschule, Sonderschule, Waldorfschule ... Grundschule.", 1999

Karl-Heinz Pilz, Das Schicksal der jüdischen Nauheimer zwischen 1933 und 1945. Dokumentation (50seitige bebilderte Broschüre), o.O. o.J.

Jüdische Mitbürger in Nauheim, online abrufbar unter: heimatmuseum-nauheim.de

Nauheim mit Königstädten, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Detlef Volk (Red.), Stolpersteine in Nauheim: Das Schicksal der Familie Marx, in: „Main-Spitze“ vom 29.1.2015

Rainer Beutel (Red.), Künstler verlegt weitere Stolpersteine in Nauheim, in: „Rüsselsheimer Echo“ vom 11.11.2017

Auflistung der in Nauheim verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Nauheim

Rainer Beutel (Red.), „Eine Gedenkstätte als Parkplatz gehört sich nicht.“, in: „Frankfurter Neue Presse“ vom 9.7.2021