Pappenheim/Altmühl (Mittelfranken/Bayern)

Weißenburg Pappenheim 1740.jpg Datei:Pappenheim in WUG.svg Pappenheim ist eine Kleinstadt im mittelfränkischen Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen mit derzeit ca. 4.000 Einwohnern – etwa 70 Kilometer südlich von Nürnberg gelegen (hist. Karte um 1740 mit Eintrag von Pappenheim am unteren Kartenrand, L. 2014, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0  und Kartenskizze 'Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Ihre Blütezeit besaß die jüdische Gemeinde Pappenheims in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts, als hier zeitweise mehr als 50 Familien mosaischen Glaubens lebten.

Eine jüdische Gemeinde entstand in Pappenheim im Laufe des 14.Jahrhunderts (mit Synagoge und eigenem Friedhof). Die Marschälle zu Pappenheim hatten 1330 vom Kaiser Ludwig von Bayern das „Judenprivileg“ erhalten und forcierten die Ansiedlungen von Juden. Der erste sichere Beleg für jüdische Ansässigkeit in Pappenheim datiert aus dem Jahre 1381. Die in Pappenheim im Spätmittelalter lebenden Juden waren zumeist im Geldverleih tätig. Vermutlich gehörten sie zu den wenigen, die nicht von den Verfolgungen in der Pestzeit betroffen waren. Allerdings sollen sich in den folgenden Jahrhunderten nur vereinzelt jüdische Familien in Pappenheim aufgehalten haben.

Auf dem Platz des ehemaligen ersten jüdischen Bethauses wurde in den 1470er Jahren der Neubau der Marienkirche (heutige evang. Stadtpfarrkirche) erstellt.

Burg Pappenheim, Historische Ansicht09.JPG

Burg und Stadt Pappenheim, Lithographie C. Grünwedel, um 1835 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

Eine neuzeitliche israelitische Gemeinde entstand im Laufe des 17.Jahrhunderts; um 1745/1750 setzte sich diese aus ca. 20 Familien zusammen; knapp ein Jahrhundert später erreichte die Gemeinde ihren zahlenmäßigen Höchststand mit ca. 250 Angehörigen. Die Juden der Kleinstadt wohnten über viele Jahrzehnte hinweg in der „Judengasse“, der heutigen Deisinger Straße, und umliegenden Straßen. Ihren Lebenserwerb bestritten die Juden Pappenheims fast ausschließlich vom Handel mit Tuchen, Metallen, Pferden. Im 19.Jahrhundert kam noch der Landesproduktenhandel dazu.

                 „Privatbekanntmachungen“ aus dem „Königlich Bairische(n) Intelligenzblatt von Ingolstadt” von 1824:

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Eine ältere Synagoge, die um 1715 eingerichtet und in einem zweigeschossigen Gebäude untergebracht war, wurde 1811 durch eine neue in der Herrngasse ersetzt. Im Erdgeschoss befand sich der Männerbetraum, im Obergeschoss die sog. „Weiberschul“. Die Einweihungsansprache hielt Benedikt Mainzer, jüdischer Privatlehrer in Pappenheim.

Synagoge Pappenheim, Bildmitte (Vergrößerung aus Postkarte, um 1915)

            

                       Die Synagoge zu Pappenheim (hist. Aufn., 1926)            Innenansicht des Betraums (hist. Aufn., aus Th. Harburger)

Weitere Einrichtungen der Kultusgemeinde Pappenheim waren ein Gemeinde- und Schulhaus, eine Mikwe und zwei Friedhöfe.

Die rituell-religiösen Belange waren einem seitens der Gemeinde angestellten Lehrer zur Verrichtung aufgetragen.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2077/Pappenheim%20Israelit%2007021866.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20129/Pappenheim%20Israelit%2008031876.jpg

 Anzeigen aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 7.Febr. 1866 und vom 8.März 1876

Die am Ort seit 1829 bestehende jüdische Elementarschule wurde Anfang der 1860er Jahre aufgelöst; die Kinder besuchten anschließend die evangelische Ortsschule.

Bis ca. 1850 besaß die Pappenheimer Gemeinde ein eigenes Rabbinat, nach dem Tode des letzten Rabbiners (Heymann Joseph Emden) schloss sie sich dem Bezirksrabbinat Treuchtlingen, später dem Rabbinat Schwabach an (bis 1932).

Eine jüdische Begräbnisstätte wurde in Pappenheim angeblich schon Ende des 11./Anfang des 12. Jahrhunderts auf dem linken Altmühlufer angelegt; 1594 erwarb die Gemeinde ein anderes Areal, das im Laufe der Jahrhunderte mehrfach erweitert wurde; der älteste noch lesbare Grabstein datiert aus dem Jahre 1687. Neben Verstorbenen aus Pappenheim fanden auch Juden aus Berolzheim, Ellingen, Gundelsheim, Treuchtlingen und Regensburg (bis ca. 1825) hier ihre letzte Ruhe.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2078/Pappenheim%20Friedhof%20054.jpg alte Grabmale (hist. Aufn., Th. Harburger, 1928)

Im alten Teil des „Judenbegräbnisses“ stand das Tahara-Haus, das 1857 wegen Baufälligkeit abgebrochen und ein Jahr später neu erstellt wurde.

Juden in Pappenheim:

        --- um 1550 .....................   3 jüdische Familien,

--- um 1665 .....................   5 jüdische Haushaltungen,

--- 1718 ........................   9 jüdische Familien,

    --- 1743 ........................  18 steuerpflichtige jüdische Familien,

    --- um 1810 ..................... 180 Juden (ca. 10% d. Bevölk.),

    --- 1833 ........................ 245   “   (in ca. 50 Familien, ca. 12% d. Bevölk.),

    --- 1853 ........................  52 jüdische Familien,

    --- 1867 ........................ 101 Juden (ca. 4% d. Bevölk.)

    --- 1871 ........................  61   “   (ca. 3% d. Bevölk.),

    --- 1890 ........................  55   “  ,

    --- 1900/10 .....................  22   “  ,

    --- 1925 ........................  10   “  ,

    --- 1933 ........................   7   “  ,

    --- 1936 (Aug.) .................   keine.

Angaben aus: Wilhelm Kraft, Zur Geschichte der Juden in Pappenheim

und                 Till Strobel, Die jüdische Gemeinde Pappenheim 1650 - 1806

 

Die nach 1850/1860 einsetzende starke Abwanderung der jüdischen Bevölkerung aus Pappenheim ließ die Gemeinde innerhalb weniger Jahrzehnte ausbluten. Schließlich konnten Gottesdienste nur noch an hohen Feiertagen abgehalten werden.

Anzeige aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 6. Aug. 1908  http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20129/Pappenheim%20Israelit%2006081908.jpg

Anfang/Mitte der 1930er Jahre löste sich die jüdische Kultusgemeinde auf; die wenigen verbliebenen jüdischen Bewohner schlossen sich der Kultusgemeinde Treuchtlingen an. Das Synagogengebäude wurde alsbald veräußert, die Ritualgegenstände der Gemeinde in Treuchtlingen übereignet.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20151/Pappenheim%20Israelit%2030071936.jpgKurznotiz in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 30.7.1936

Die letzte jüdische Familie verließ im Frühsommer 1936 Pappenheim und emigrierte nach Palästina. Am 1.7.1936 meldeten die Behörden den Ort als „judenfrei”.

1938 wurde der Friedhof geschändet, indem man über das Beerdigungsareal verlaufend eine Straße ausbaute; dabei wurde der untere (neue) Teil des jüdischen Friedhofs fast völlig zerstört; Grabsteine wurden abgeräumt und von den Einheimischen als Baumaterial verwendet. Auch das ungenutzte Synagogengebäude soll während der Novembertage 1938 von Jugendlichen und von SA-Angehörigen im Innern demoliert, das noch vorhandene Inventar herausgeschleppt und dann angezündet worden sein.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind nachweislich 29 gebürtige bzw. länger in Pappenheim ansässig gewesene jüdische Bürger Opfer der „Endlösung“ geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/pappenheim_synagoge.htm).


Jüdischer Friedhof in Pappenheim (beide Aufn. Jan Eric Loebe, 2011, aus: wikipedia.org, CC-BY 3.0)

Auf dem aufgelassenen und teils wiederhergestellten jüdischen Friedhof in Pappenheim (mit seinen ca. 300 Grabsteinen) steht heute ein Denkmal; es weist darauf hin, dass hier die alte Begräbnisstätte der einstigen Judengemeinde sich befand; dessen Beschriftung lautet:

GOTTES ACKER

DEINE FRUCHT HEISSE FRIEDE

Israelitischer Friedhof aus dem 11.Jahrhundert

Die Grabmale hat man während des Dritten Reiches entfernt.

Noch vorhandene Denkmale wurden bei Instandsetzung des neueren Friedhofs

durch die Bayrische Staatsregierung im Jahre 1950 dort wiedererrichtet.

Jüngst wurde damit begonnen, eine Dokumentation der ca. 300 Grabstein-Inschriften des Pappenheimer Friedhof zu erstellen; nach Fertigstellung der Forschungsarbeit wird dann der Friedhof in den Forschungskatalog „epidat" des Salomon Ludwig Steinheim-Instituts aufgenommen (Stand 2020).

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2078/Pappenheim%20Synagoge%20201.jpg Das einstige Synagogengebäude wird seit Mitte der 1950er Jahre von der Freiwilligen Feuerwehr als Betriebsgebäude genutzt (Aufn. J. Hahn, 2006). An der Außenwand erinnert eine Inschrift:

                        Zum ewigen Gedenken an unsere jüdischen Mitbürger                                

Wer unter Euch ist noch übrig, der dieses Haus in seiner Herrlichkeit gesehen hat

An dieser Stelle stand die Synagoge der jüdischen Kultusgemeinde von Pappenheim.

Eingeweiht 1811 – profaniert Okt. 1935 – verkauft 1937

Pappenheim, im September 1988

 

Lebendige Geschichte, Kultur und Lebensart wird bei den jüdischen Tagen in Pappenheim zu erleben sein“ - so hieß es in einer Ankündigung für die Veranstaltung der „Jüdischen Tage in Pappenheim“. Die vom Heimat- u. Geschichtsverein Pappenheim & Ortsteile e.V. getragenen Veranstaltungen wurden bereits mehrfach durchgeführt.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20326/Pappenheim%20JuedTage%202012a.jpg Ankündigung einer Veranstaltung von 2012

 

vgl. Treuchtlingen (Bayern)]

 

 

 

Weitere Informationen:

J.M. Fuchs (Ansbach),„Über die ersten Niederlassungen der Juden in Mittelfranken“, in: „Allgemeine Zeitung des Judentums“, 1842 (erstmals veröffentlicht im 9.Jahresbericht des Historischen Vereins für Mittelfranken 1839)

Georg Fleischmann, Chronik der Stadt Pappenheim für das XIX.Jahrhundert - Ein Beitrag zur Geschichte der Stadt Diessen 1900, S. 95/96

Wilhelm Kraft, Zur Geschichte der Juden in Pappenheim, in: "Monatszeitschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums", No. 70/1926, S. 277 f.

Germania Judaica, Band II/2, Tübingen 1968, S. 644 und Band III/2, Tübingen 1995, S. 1084 - 1086

Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag, München/Wien 1979, S. 219

1000jährige Geschichte der Juden von Pappenheim, maschinenschriftliches Manuskript (innerhalb der Ausstellung im Evangelischen Gemeindehaus Sept./Okt. 1988)

Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern - Eine Dokumentation, Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, 2.Aufl., München 1992, S. 184/185

Mario und Ruth Jacoby, Jüdischer Friedhof Pappenheim, 1997 (unveröffentlichte Dokumentation, Stadtverwaltung Pappenheim)

Theodor Harburger, Die Inventarisation jüdischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Bayern, Band 3: Markt Berolzheim - Zeckendorf, Hrg. Jüdisches Museum Franken - Fürth & Schnaiitach, Fürth 1998, S. 642 - 656

Thomas Michael Karl, Die Stadt Pappenheim in Bayern zur Zeit des Dritten Reiches 1933 - 1945, in: pappenheimaktiv.com

Ruth und Aaron Bruck, Dokumentation der hebräischen Inschriften der Grabsteine (unveröffentlicht), Jerusalem 2008/2009

Pappenheim, in: alemannia-judaica.de (detaillierte, zumeist personenbezogene Informationen mit diversen Dokumenten und Querverweisen, u.a. von Rolf Hofmann im „Harburg Project“ zu den jüdischen Familien Pappenheims)

Nathanja Hüttenmeister (Bearb.), Alltägliches Miteinander oder getrennte Gemeinden: Das Leben im Dorf am Beispoiel der pappenheimischen Herrschaften, in: R.Kießling/P. Rauscher/S. Rohrbacher/B.Staudinger (Hrg.), Räume und Wege. Jüdische Geschichte im Alten Reich 1300-1800, „Colloquia Augustana“, Band 25, Berlin 2007, S. 107-120

Till Strobel, Jüdisches Leben unter dem Schutz der Reichserbmarschälle von Pappenheim (1650 - 1806), Dissertationsprojekt, Univ. Augsburg 2006 (veröffentlicht in: "Schwäbische Forschungsgemeinschaft - Reihe 11 - Quellen und Darstellungen zur jüdischen Geschichte Schwabens", Band 3, 2009)

C.Berger-Dittscheid/A. Hager/H.-Chr. Haas, Pappenheim, in: Mehr als Steine ... Synagogen-Gedenkband Bayern, Band II: Mittelfranken, Kunst Verlag Josef Fink, Lindenberg 2010, S. 522 – 534

Jüdisch Historischer Verein Augsburg (Hrg.), Die jüdischen Friedhöfe von Pappenheim, 2012 (online abrufbar unter: jhva.wordpress.com/2012/05/11/die-judischen-friedhofe-von-pappenheim/)

Stephan Reuthner/Hans Navratil, Die Spuren der Pappenheim Juden, 1. Teil, in: Heimat- und Geschichtsverein (Hrg.), "Schriften zur Literatur und Geschichte der Stadt Pappenheim", Band 5/2013

Stephan Reuthner (Hrg.), Wenn Steine sprechen ... die Spuren der Pappenheimer Juden, 2. Teil, in: Heimat- und Geschichtsverein (Hrg.), "Schriften zur Literatur und Geschichte der Stadt Pappenheim", Band 6/2014

Anke Geißler (Bearb.), Inschriften auf Grabsteinen als Zeugender Geschichte, Teil 2, in: Heimat- und Geschichtsverein (Hrg.), "Schriften zur Literatur und Geschichte der Stadt Pappenheim", Band 6/2014

Miriam Zöllich (Red.), Lang ersehntes Projekt läuft bald an - Jüdische Gräber in Pappenheim werden erforscht, in: "Weißenburger Tageblatt" vom 13.6.2020  bzw.  nordbayern.de vom 15.6.2020

Miriam Zöllich (Red.), Die Broschüre „Tachles“ ist fertig – Das jüdische Leben in der Region auf 80 Seiten, in: nordbayern.de vom 1.8.2021

Kommunen Pappenheim, Thalmässing u. Georgensgmünd (Bearb.), Tachles – Spuren jüdischen Lebens im südlichen Mittelfranken (Broschüre), 2021, online abrufbar unter: thalmaessing.de/fileadmin/Dateien/ERLRO_Tachles_A5_Web.pdf  (zu Pappenheim S. 44 - 55)