Plettenberg (Nordrhein-Westfalen)

Datei:Allgemeiner historischer Handatlas - Herzogtum Westfalen im 15. Jahrhundert.pngDatei:Plettenberg in MK.svg Plettenberg - derzeit ca. 25.000 Einwohner zählend - liegt im Westen des Sauerlandes (im Märkischen Kreis) zwischen Lennegebirge im Norden und Ebbegebirge im Süden (Ausschnitt aus hist. Karte von 1886 ohne Eintrag von Plettenberg, aus: wikipedia.org, gemeinfrei  und Kartenskizze 'Märkischer Kreis', TUBS 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

Ansicht von Plettenberg, Zeichnung um 1870 (Abb. aus: wikipedia.org, PD-alt)

 

Die ersten Ansiedlungen von Juden in der Region Plettenberg sind nicht exakt datierbar; erste (relativ unsichere) Hinweise auf Juden finden sich in Dokumenten aus den Jahren 1596 und 1649; 1704 ist in einem Bericht zu lesen:

„ Allhier [in Anröchte] ist auch beym christen im hause ein frömbder armer jude mit weib und 4 kinder. Es ist auch bey diesem juden zu notiren, dass derselbe von Plettenberg aus dem Märkischen lande vorhin vertrieben (ist)” .

Der älteste (sichere) Beleg, der eine jüdische Ansiedlung dokumentiert, stammt aus einem 1725 erstellten Verzeichnis der während eines Stadtbrandes vernichteten Gebäude. Die Ansässigkeit von jüdischen Familien in Plettenberg blieb in der Folgezeit aber sporadisch; erst nach 1800 stieg deren Zahl langsam an. Bis in die erste Hälfte des 19.Jahrhunderts lebten die meisten jüdischen Familien Plettenbergs als Händler, Metzger und Hausierer am Rande des Existenzminimums. Eine kleine jüdische Gemeinde bildete sich in Plettenberg erst im Laufe des 19.Jahrhunderts, als die hier lebenden Juden die Bildung eines Minjan zuließ.

Ab 1853 gehörten Stadt und das Amt Plettenberg als Untergemeinde der 1853 gegründeten Synagogengemeinde Altena an.

[vgl.  Altena (Nordrhein-Westfalen)]

Um 1900 richtete die kleine jüdische Gemeinschaft einen neuen Betraum in einem Privathause am Lindengraben ein; allererste Hinweise auf eine „Winkelsynagoge“ stammen aus den 1820er Jahren. Eine jüdische Schule hat es in Plettenberg zu keiner Zeit gegeben, da die Gemeinde keinen Lehrer bezahlen konnte. Die religiöse Unterweisung der Kindern war somit den Eltern vorbehalten; Elementarunterricht erhielten die jüdischen Kinder in der evangelischen Volksschule.

Ein jüdischer Friedhof ("Juden-Kirchhof") wurde gegen Ende des 18.Jahrhunderts außerhalb der Stadt angelegt.

Juden in Plettenberg:

         --- 1728 ......................... eine jüdische Familie,

    --- um 1740 ......................    3    “        "  n,

    --- 1770 ......................... eine    “        "   ,

    --- 1819 .........................   20 Juden,

    --- 1832 .........................   31   "  ,

    --- 1849 .........................   35   “  ,

    --- 1858 .........................   51   “  ,

    --- 1871 .........................   45   “  (ca. 2% d. Bevölk.),

    --- 1900 .........................   54   “  ,

    --- 1910 .........................   43   “  ,

    --- 1925 .........................   35   “  ,

    --- 1931 .........................   30   “  ,

    --- 1936 .........................   37   “  , 

    --- 1939 .........................   24   ”  (?).

Angaben aus: Angaben Stadtarchiv Plettenberg (Martina Wittkopp-Beine), 2004/2005

 

Mit dem Bevölkerungszuwachs der jüdischen Minderheit in Plettenberg ging auch ein ökonomischer und gesellschaftlicher Aufstieg einher. Juden gründeten Unternehmungen und Geschäfte; so wurden fast zeitgleich in der Stadt die Kaufhäuser für Manufakturwaren von Julius Bachrach, Hugo Neufeld und Sally Sternberg eröffnet. Die zunehmenden Akzeptanz der Juden Plettenbergs bei der christlichen Kleinstadtbevölkerung ist wohl auch deren sozialen Engagement geschuldet gewesen.

An dieser Tatsache kam auch die Anfang der 1930er Jahren einsetzende NS-Propaganda nicht vorbei; antijüdische Hetze wurde damals in der Stadt noch mehrheitlich abgelehnt; daran konnte auch der Boykott von Anfang April 1933 zunächst nichts Entscheidendes ändern.

Anzeige aus der Lokalzeitung vom Juli 1933:

In seinem politischen Lagebericht vom November 1933 musste der Plettenberger Amtsbürgermeister feststellen:

„ ... Die Forderungen des Nationalsozialismus in Hinsicht auf rassisches Bekenntnis werden gesellschaftlich bezeichnenderweise vielfach ignoriert und Juden, Judenmischlinge, jüdische Versippte noch wie vor zur Gesellschaft gerechnet, sofern sie nur Geld, Besitz oder Titel haben.”

 

Mit dem „Fall Alfred Lennhoff“ begannen dann aber die Diskriminierungen und Verfolgungen, denen auch immer mehr Plettenberger bereitwillig folgten. Nach einer NS-Kundgebung aus Anlass der Aufstellung eines sog. „Stürmer-Kastens“ 1935 hatte sich die aufgeputschte Menge von Alfred Lennhoff, dem Bruder des jüdischen Metzgers, provoziert gefühlt und ging unter der Parole: „Schneidet den Juden die krumme Nase ab!“ gegen ihn vor. Polizeibeamte nahmen Alfred Lennhoff schließlich fest; wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt wurde er zu einer halbjährigen Haftstrafe verurteilt.

Welche drastische Auswirkungen der Pogrom von 1938 hatte, kann der Mitteilung des damaligen Bürgermeisters an den Landrat entnommen werden: In der Nacht vom 9. zum 10.November wurden die Fensterscheiben der jüdischen Geschäfte in Plettenberg und außerdem zum größten Teil auch die Wohnungseinrichtungen der hier wohnenden Juden zerstört. Auf Grund der gegebenen Anordnung wurden dann am frühen Morgen des 10.November die ... männlichen Juden festgenommen. ... Geschäfte und Wohnungen von Juden wurden lediglich zerstört, nicht geplündert. ... Brände wurden nicht gelegt. ... Das in dem Geschäftsraum der hiesigen Kultusgemeinde vorhandene Archivmaterial wurde polizeilich beschlagnahmt und ... sichergestellt. ... Besondere Aktionen gegen Juden oder antisemitische Kundgebungen haben in der Stadt und Amt Plettenberg seit gestern Morgen nicht mehr stattgefunden. Es wurden in der vergangenen Nacht lediglich noch die Bretterverschläge der Schaufenster zu den jüdischen Geschäften mit Aufschriften wie Z.B. 'Raus nach Palästina' usw. beschmiert. Täter konnten nicht ermittelt werden”.  Die meisten inhaftierten Männer (etwa 20 Pers.) wurden über Dortmund dem KZ Sachsenhausen überstellt. Über eine Verwüstung des Betraumes liegen keine Angaben vor; vermutlich wurde er seinerzeit schon nicht mehr genutzt.

In den folgenden Monaten wurde die „Arisierung“ der jüdischen Geschäfte abgeschlossen; die meisten Juden konnten noch ihren Besitz verkaufen - allerdings weit unter Preis. Damit sollte die Auswanderung finanziert werden; doch nur einem Teil gelang noch die Emigration.

vgl. dazu: "Arisierung" in Plettenberg, in: Detlef Vollmecke (Bearb.), Plettenberg, in: Ge-Denk-Zellen Altes Rathaus Lüdenscheid e.V. (Hrg.), Jüdische Nachbarn im heutigen Märkischen Kreis ca. 1235 – 2021, Lüdenscheid 2021, S. 64/65

Die Zahl der durch die NS-Verfolgung deportierten und ermordeten jüdischen Bewohner Plettenbergs lässt sich nicht eindeutig festmachen; vermutlich fielen etwa 30 Juden dem Holocaust zum Opfer.

 

Eine Gedenktafel erinnert heute an das Gebäude des einstigen jüdischen Betsaals.

Auch am jüdischen Friedhof an der Freiligrathstraße/Ecke Grünestraße erläutert eine Inschriftentafel die Geschichte dieser Stätte, auf der sich heute ca. 35 Grabsteine befinden, die aus den Jahren 1847 bis 1942 stammen.

Plettenberg-JuedischerFriedhof1-Bubo.JPG Plettenberg-JuedischerFriedhof3-Bubo.JPG

Jüdischer Friedhof in Plettenberg (Aufn. Bubo, 2014, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0) 

Im Jahre 2001 wurde hier die stählerne Skulptur „Diaspora“ des Künstlers Dan Richter-Levin aufgestellt.

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/32/Plettenberg-Diaspora1-Bubo.JPGSkulptur „Diaspora“ (Aufn. Bubo, 2014, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Seit 2000 trägt die Hugo-Neufeld-Straße den Namen eines ehemaligen jüdischen Bewohners.

2008 wurden in Plettenberg erstmals sechs sog. „Stolpersteine“ in der Innenstadt (Wilhelmstraße) verlegt; damit erinnert die Kommune an ehemalige Bürger der Stadt, die Opfer des Nationalsozialismus wurden. Inzwischen sind weitere Steine in die Gehwege eingelassen worden, so dass es inzwischen ca. 40 sind (Stand 2023).

Fünf sog. "Stolpersteine" in der Wilhelmstraße (Aufn. aus: plettenberg-lexikon.de)

                         ... und verlegt am Alten Markt, 2015 http://stadtmarketing-plettenberg.de/wp-content/uploads/2015/12/stolper_3.jpg aus: stadtmarketing-plettenberg.de

 

 

 

Weitere Informationen:

Ausstellung “Erinnerungen an jüdische Mitbürger der Stadt Plettenberg” - eine Dokumentation des Stadtarchivs, Plettenberg 1988

Martin Zimmer, Dokumentation zur jüdischen Bevölkerung Plettenbergs (Manuskript)

Detlef Völlmecke (Bearb.), Von Menschen, Mitläufern u. Machthabern. Plettenberg in der Zeit des Nationalsozialismus, in: Stadt Plettenberg (Hrg.), Plettenberger Stadtgeschichte, Band 6, Plettenberg 1997

Günter Birkmann/Hartmut Stratmann, Bedenke vor wem du stehst. 300 Synagogen und ihre Geschichte in Westfalen und Lippe, Essen 1998, S. 103

Michael Brocke (Hrg.), Feuer an Dein Heiligtum gelegt. Zerstörte Synagogen 1938 Nordrhein-Westfalen, Salomon Ludwig Steinheim-Institut für deutsch-jüdische Geschichte, Bochum 1999, S. 429

Elfi Pracht-Jörns, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen - Regierungsbezirk Arnsberg, J.P.Bachem Verlag, Köln 2005, S. 435 - 437

Angaben des Stadtarchivs Plettenberg (Martina Wittkopp-Beine), Plettenberg

Martina Wittkopp-Beine (Red.), Plettenberg und der Pogrom vom 9.Noember 1938, in: „Westfälische Rundschau“ vom 8.11.2008

Ralf Piorr (Hrg.), Ohne Rückkehr. Die Deportation der Juden aus dem Regierungsbezirk Arnsberg nach Zamosc im April 1942, Essen 2012, S. 78

Martina Wittkop-Beine (Red.), Verlegung von sieben neuen Stolpersteinen in Plettenberg, in: „Südwestfalen-Nachrichten“ vom 4.12.2015

Auflistung der in Plettenberg verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Plettenberg

Martina Wittkopp-Beine (Bearb.), Plettenberg, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe – Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Arnsberg, Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen, Ardey-Verlag Münster 2016, S. 667 - 674

Martina Wittkopp-Beine, Jüdisches Leben in Plettenberg, hrg. von der Stadt Plettenberg, in: Beiträge zur Plettenberger Stadtgeschichte, Plettenberg 2017

Stolpersteine in Plettenberg, private Internetseite: uli-nichtvondieserwelt.blogspot.com

Detlef Vollmecke (Bearb.), Plettenberg, in: Ge-Denk-Zellen Altes Rathaus Lüdenscheid e.V. (Hrg.), Jüdische Nachbarn im heutigen Märkischen Kreis ca. 1235 – 2021, Lüdenscheid 2021, S. 61 - 65

Bernhard Schlütter (Red.), Stolpersteine erinnern an NS-Opfer in Plettenberg, in: “Lokal direkt” vom 1.6.2023

Dörte Kaul-Hentschel (Red.), Mahnung in der Innenstadt: Neun neue Stolpersteine verlegt, in: come-on.de vom 5.6.2023