Pohrlitz (Mähren)
Die südmährische Ortschaft Pohrlitz - südlich von Brünn (Brno) gelegen - ist das tschechische Pohořelice mit derzeit fast 5.000 Einwohnern (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0 und Kartenskizze mit Pohořelice rot beschriftet, aus: holocaust.cz).
Im ausgehenden 18. und in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts war jeder dritte Ortsbewohner jüdischen Glaubens.
Der Sage nach soll die Pohrlitzer Judengemeinde die älteste in Mähren sein; demnach sollen drei Juden den römischen Legionen nach Mähren gefolgt und hier geblieben sein. Erstmals urkundlich erwähnt wurden Pohrlitzer Juden aber erst 1490 - zu einer Zeit, als die Grafen von Pernstein als Schutzherren der Juden fungierten.
Während des Dreißigjährigen Krieges hatte die jüdische wie die christliche Bevölkerung schwer unter den Kriegsfolgen schwer zu leiden; mehr als die Hälfte der Behausungen war verwaist. Im 18.Jahrhundert vergrößerte sich die Zahl der Juden in Pohrlitz erheblich; doch die Wohnverhältnisse hielten mit der Bevölkerungszunahme nicht Schritt; in manchen Häusern mussten bis zu neun Familien unter miserablen hygienischen Bedingungen zusammenleben. Handel und Geldverleih waren die wirtschaftlichen Grundlagen der hiesigen Judenschaft.
Da die alte Synagoge der wachsenden Zahl der Gemeindeangehörigen nicht mehr entsprach, entschloss sich die Gemeinde zu einem Neubau, der 1856 vom Proßnitzer Rabbiner Dr. A. Schmiedl eingeweiht wurde. - Bis 1835 wurden die jüdischen Kinder von Privatlehrer unterrichtet; danach besuchten sie die neu erbaute Gemeindeschule und erhielten dort ihre religiöse Unterweisung; dagegen wurde Elementarunterricht in der christlichen Schule erteilt, teilweise getrennt von den nichtjüdischen Schülern. Seit Ende der 1840er Jahre existierte in Pohrlitz eine ‚deutsch-jüdische Trivialschule’, die weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt wurde; sie bestand bis um 1920.
Der jüdische Friedhof in Pohrlitz war im ausgehenden 17.Jahrhundert angelegt worden; die ältesten Gräber datieren aus dem Jahre 1676.
Teilansicht des jüdischen Friedhofs und fast versunkener alter Grabstein (Aufn. Touristik-Region Südmähren, um 2010)
Zur Pohrlitzer jüdischen Gemeinde zählten auch Ortschaften des Pohrlitzer und des Groß-Seelowitzer Gerichtsbezirks.
Juden in Pohrlitz:
--- 1673 ............................. 21 jüdische Haushalte,
--- um 1750 .......................... 35 “ “ (mit zahlreichen Großfamilien),
--- um 1790 ...................... ca. 450 Juden (ca. 34% d. Bevölk.),
--- 1857 ......................... ca. 770 “ (ca. 29% d. Bevölk.),
--- 1900 ............................. 498 “ (ca. 13% d. Bevölk.),
--- um 1925 ...................... ca. 400 “ ,
--- 1930 ......................... ca. 235 “ (ca. 5% d. Bevölk.).
Angaben aus: Hugo Gold, Die Juden und Judengemeinden Mährens in Vergangenheit und Gegenwart, S. 477 f.
Pohrlitz - Postkarte um 1900 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Die jüdische Gemeinde von Pohrlitz hatte ab ca. 1850 auch eine politische Einheit gebildet; so war der Vorsteher des Kultusgemeinde zugleich auch Bürgermeister; 1919 verlor sie ihre Autonomie und wurde mit der „Christenstadt“ politisch vereinigt. Die Synagoge wurde unter der deutschen Okkupation teilzerstört, der jüdische Friedhof schwer geschändet. Der Großteil der in Pohrlitz verbliebenen Juden wurde während des Zweiten Weltkrieges deportiert; die allermeisten wurden Opfer der Shoa.
In den letzten Kriegsjahren existierte in Pohrlitz (Pohořelice) ein Transitlager für jüdische Häftlinge aus Ungarn, die von hier nach Theresienstadt und Bergen-Belsen verschleppt wurden.
Nach Kriegsende bildete sich am Ort keine neue jüdische Gemeinde. Nur der jüdische Friedhof mit seinen ca. 250 Grabsteinen weist heute noch sichtbar darauf hin, dass im Ort eine größere jüdische Gemeinde beheimatet war.
Jüdischer Friedhof in Pohořelice (beide Aufn. Fet'our, 2011, aus: wikipedia.org, CCO)
Dort, wo einst die Synagoge stand, befindet sich heute eine Freifläche.
Im Jahre 1875 wurde in Pohrlitz der Zionist und Schriftsteller Berthold Feiwel geboren. Als zunächst enger Vertrauter von Th. Herzl nahm er am 1.Zionistenkongress in Basel teil (1897) und war ab 1901 kurzzeitig auch Chefredakteur des Zentralorgans „Die Welt“. Feiwel veröffentlichte unter einem Pseudonym sein Buch „Die Judenmassacres in Kischinew“, das die Öffentlichkeit schockierte. Zusammen mit anderen Gleichgesinnten (u.a. Martin Buber, Chaim Weizmann) gründete er den „Jüdischen Verlag“.
Die Begründer des „Jüdischen Verlags“, vorn links sitzend: B. Feiwel
1933 übersiedelte Berthold Feiwel nach Jerusalem; dort verstarb er vier Jahre später.
In der näheren Umgebung von Pohrlitz gab es weitere jüdische Gemeinden, so in Auspitz (Hustopece), in Groß-Seelowitz (Zidlochovice), in Irritz (Jirice u Miroslavi) und in Misslitz (Miroslav).
Weitere Informationen:
Heinrich Flesch, Das Pohrlitzer Memorbuch. Das Gedächtnis vieler „Heiligen“ der Wiener Gesera von 1421, in: "Jahrbuch der jüdischen literarischen Gesellschaft", 19/1928, S. 99 - 111
Heinrich Gescheit (Bearb.), Geschichte der Juden in Pohrlitz, in: Hugo Gold (Hrg.), Die Juden und Judengemeinden Mährens in Vergangenheit und Gegenwart, Jüdischer Buch- und Kunstverlag, Brünn 1929, S. 477 - 486
Hugo Gold, Gedenkbuch der untergegangenen Judengemeinden Mährens, Olamenu-Verlag, Tel Aviv 1974, S. 101 f.
P.Ehl/A.Parík/Jirí Fiedler, Alte Judenfriedhöfe Böhmens und Mährens, Paseka-Verlag, Prag 1991, S. 164
The Jewish Community of Pohorelice (Pohrlitz), Hrg. Beit Hatfutsot – The Museum of the Jewish People, online abrufbar unter: dbs.bh.org.il/place/pohorelice
Gerhard Hanak (Bearb.), Juden in Mähren - Judengemeinden in Südmähren, o.O. 2002, S. 47 - 49