Poppelsdorf (Nordrhein-Westfalen)

Bonn 1812 (Tranchot) Datei:Bonn Ortsteil Poppelsdorf.svg Poppelsdorf ist seit 1904 ein Stadtteil von Bonn (Bonn u. Poppelsdorf auf hist. Karte, um 1812, aus: Förderverein Poppeldorfer Geschichte  und  Kartenskizze 'Stadtteile von Bonn', TUBS 2016, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Erste urkundliche Hinweise auf Ansiedlungen von jüdischen Familien in Poppelsdorf und Umgebung stammen aus dem ausgehenden 17.Jahrhundert.

Ihren ersten Betsaal richtete die Poppeldorfer Gemeinde in einem Hause in der Clemens-August-Straße ein. Um die Mitte des 19.Jahrhunderts wurde ein Fabrikgebäude angekauft, das zu einer Synagoge mit Frauenempore umgebaut wurde. Um die Jahrhundertwende ließ die größer gewordene Synagogengemeinde an der Ecke Bennauerstraße/Jagdweg eine neue Synagoge errichten. Dieser nach den Plänen des Bonner Architekten Wilhelm Weinreis im maurischen Stile gestaltete Neubau wurde im Mai 1902 feierlich eingeweiht; in diesem fanden ca. 100 Männer und 65 Frauen auf der Empore Platz. Im Gegensatz zu seinem recht auffälligen Äußerem war der Innenraum relativ schlicht eingerichtet.

   Synagoge in Poppelsdorf (Bildpostkarte um 1905 und hist. Aufn.)

Anfänglich zählten die Poppelsdorfer Juden zur Synagogengemeinde Bonn; wegen der nicht mitgetragenen Reformbestrebungen trennten sie sich von der Hauptgemeinde und bildeten ab 1875 eine selbstständige Kultusgemeinde. Das galt auch für bis dato zur Bonner Gemeinde zählende Judenschaft aus Beuel und Godesberg. Zur Poppelsdorfer Gemeinde zählten auch die jüdischen Bewohner von Dottendorf, Duisdorf, Endenich, Ippendorf, Kessenich und Lengsdorf. Zeitweilig hatten sich die Endenicher Juden abgespalten, mussten dann aber wieder in die Gemeinde Poppelsdorf zurückkehren.

Seit den 1860er Jahren verfügte die Poppelsdorfer Synagogengemeinde an der Hainstraße in Endenich auch über einen eigenen Begräbnisplatz. Dieser Friedhof wurde mehrfach geschändet; bereits 1896 soll das Gelände teilzerstört worden sein; in der NS-Zeit folgten weitere Zerstörungen.

Juden in Poppelsdorf:

         --- 1815 ........................ wenige Familien,

    --- 1831 ........................  20 Juden,

    --- 1843 ........................ 124   “  ,*

    --- 1880 .................... ca.  55   "  ,

    --- 1890 .................... ca. 230   “  ,*       * Synagogenverband

    --- 1930/35 .....................   ?   “  .

Angaben aus: Herbert Weffer, Die jüdischen Gemeinden im Bereich des heutigen Stadtkreises Bonn vor 1945, S. 362

 

Größter in jüdischen Händen bestehender Betrieb in Poppelsdorf war die seit 1891 am Grünen Weg (heute Königsstraße) befindliche Bonner Dampf-Kaffeebrennerei; das hierher verlegte Unternehmen ging auf eine Gründung der strenggläubigen Jüdin Rachel Zuntz (aus der Bonner Händlerfamilie Hess stammend) zurück. Unter der Firmenbezeichnung „A. Zuntz Seel. Witwe“ begann sie um 1840 mit der Aufbau einer Kaffeerösterei, die unter ihren Nachfolgern dann zu einer der größten in Deutschland aufstieg. Bis 1930 gehörten elf Filialen und mehr als 1.900 Läden mit 17 Kaffeestuben zum Unternehmen.

Am 10.November 1938 setzten nationalsozialistische Gewalttäter die Poppelsdorfer Synagoge in Brand; nachdem sie sich mit Äxten Zugang verschafft hatten, wurde die Inneneinrichtung mit Benzin übergossen und angezündet. Das Gebäude brannte völlig aus; die Ruine wurde ein halbes Jahr später abgetragen.

http://www.museumoffamilyhistory.com/s/syn-germany-bonn-poppelsdorf-ausgebrannte.jpg Ausgebrannte Poppelsdorfer Synagoge (hist Aufn., aus: museumoffamilyhistory.com)

Anfang April 1941 mussten die Nonnen auf Befehl der Gestapo ihr Benediktiner-Kloster „Zur Ewigen Anbetung” innerhalb weniger Stunden räumen. In diesem wurde ein provisorisches Sammellager für Juden aus Bonn und Umgebung eingerichtet; über das "Zwischenlager" Köln wurden die Juden in die Ghettos/Lager im besetzten Osteuropa deportiert. Im Juli 1942 wurde das Bonner Sammellager aufgelöst; der letzte Transport verließ Bonn am 27.Juli 1942 in Richtung Theresienstadt.

 

Eine Gedenktafel erinnert heute an dieses Sammellager:

Nach Vertreibung der Benediktinerinnen durch das NS-Regime diente dieses Haus 1941/42 als Sammellager für 474 jüdische Mitbürger aus Bonn und Umgebung. Von hier aus traten sie den Gang in die Vernichtungslager an. Nur sieben sind als überlebend bezeugt.

Am 9.11.1988 wurde am einstigen Standort der Synagoge - neben einem schon älteren, unscheinbaren Gedenkstein – ein Mahnmal in Form einer stählernen Menora errichtet. Die Inschrift des 1963 aufgestellten Gedenksteins lautet:

An dieser Stelle stand die Poppelsdorfer Synagoge.

Sie wurde im Jahre 1902 erbaut und bei den nationalsozialistischen Gewalttaten gegen unsere Bürger am 9.November 1938 zerstört.

Jüngst wurde von einer Privatperson ein papiernes Modell der Synagoge angefertigt (2022).

 erstellt von Christoph Meixner, Jülich-Koslar 450D_35_0083 Fx 450D_35_0082 frei Fx

Auf dem jüdischen Friedhofsgelände an der Hainstraße in Endenich – belegt von 1861 bis 1936 und seit 1950 noch einzelne Beerdigungen - sind heute ca. 90 Grabstätten vorhanden.

 

Jüdischer Friedhof in Endenich, jüngerer Teil (Aufn. Reinhard Hauke, 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Bonn-Endenich Jüdischer Friedhof203.JPGBonn-Endenich Jüdischer Friedhof204.JPGBonn-Endenich Jüdischer Friedhof205.JPGBonn-Endenich Jüdischer Friedhof201.JPG

Grabsteine aus der Zeit des Beginns der Belegung (alle Aufn. R. Hauke)

[vgl. Bonn (Nordrhein-Westfalen)]

 

 

 

Weitere Informationen:

Otto Neugebauer, Der Pogrom vom 10.November 1938, in: "Bonner Geschichtsblätter 1965", S. 200 f.

Zur Geschichte der Synagoge in Poppelsdorf, in: "‘Signal’ - Gemeindebrief der St.Sebastian-Kirchengemeinde", 1981

Herbert Weffer, Die jüdischen Gemeinden im Bereich des heutigen Stadtkreises Bonn vor 1945, in: Heinrich Linn/ u.a., Juden an Rhein u. Sieg, Hrg. Rhein-Sieg-Kreis, Verlag Franz Schmitt, Siegburg 1983, S. 358 ff.

Michael J. Wieseler, Die Reform der Synagogengemeinde Bonn im ersten Jahrzehnt der Kaiserzeit, in: D.Höroldt/M.v. Rey (Hrg.), Bonn in der Kaiserzeit 1871 - 1914. Festschrift zum 100jährigen Jubiläum des Bonner Heimat- und Geschichtsvereins, Bonn 1986

Manfred von Rey, Die Vernichtung der Juden in Bonn, in: E. Eichhorn/E.J.Thiele (Hrg.), Vorlesungen zum Gedenken an Felix Hausdorff, Heldermann Verlag Berlin 1994, S. 227 - 251

Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Teil 1: Regierungsbezirk Köln, J.P.Bachem Verlag, Köln 1997, S. 482 - 485

Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 Nordrhein-Westfalen, Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag, Bochum 1999, S. 432/433

Manfred van Rey, Zum Schicksal der jüdischen Bürger des Amtes Duisdorf unter nationalsozialistischer Gewaltherrschaft, in: "Bonner Geschichtsblätter", Band 51/52 (2001/2002), S. 177 - 196

Heute erinnert eine Menora an die Synagoge - Vor 100 Jahren weihte die jüdische Gemeinde in Poppelsdorf ihre Gebetsstätte ein, in: "General-Anzeiger Bonn" vom 24.5.2002

Severine Delhougne (Red.), Zuntz (1837-1976), jüdische Unternehmerfamilie, in: "Portal Rheinische Geschichte", Aufsatz vom 30.9.2010

Kaffeeröster-Dynastie Zuntz sorgte einst für frische Bohnen, in: „General-Anzeiger Bonn“ vom 22.10.2013

Josef Niesen (Bearb.), Geschichte der Kaffeerösterei Zuntz, in „Historisches Bonn“ vom 21.1.2015 (online abrufbar unter: http://historischesbonn.blogspot.de/2015/01/geschichte-der-kaffeerosterei-zuntz_)

Christoph Meixner, Modelle alter Kirchen (Synagogen), online abrufbar unter: modelle-alter-kirchen.de/index.php (Stand 2022)