Poppenlauer (Unterfranken/Bayern)

Reichsstadt Schweinfurt umgeben vom Hochstift Würzburg, 18. Jh.Datei:Maßbach in KG.svg Das Pfarrdorf Poppenlauer ist seit 1972 ein Ortsteil der Marktgemeinde Maßbach im Landkreis Bad Kissingen - ca. 20 Kilometer südlich von Neustadt/Saale bzw. nördlich von Schweinfurt gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte aus dem 18.Jahrh., Lubiesque 2014, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0  und  Kartenskizze 'Landkreis Bad Kissingen', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Vermutlich siedelten sich jüdische Familien nach dem Dreißigjährigen Kriege in Poppenlauer an; erstmals wird ein jüdischer Bewohner in einem Protokollbuch des hiesigen Dorfgerichts aus dem Jahre 1700 erwähnt („Den 7. Tag Monats Juny 1700 beim Walburgisgericht sind vors Gericht zitiert und abgestraft worden: Weil auch der Jud Seeligman den Anfang mit dem Geishüten gemacht hat, soll er 1 Pfund zur Straff erlegen".)

Die im Dorf lebenden jüdischen Familien waren als „ Schutzjuden“ zum einen dem Fürstbischof und zum anderen dem Rosenbacher Adel abgabenpflichtig. Bereits im 18.Jahrhundert waren die in recht ärmlichen Verhältnissen lebenden jüdischen Dorfwohner Poppenlauers in ihrer christlichen Umgebung nicht wohl gelitten; so wurden massive Übergriffe auf Eigentum und Leben verzeichnet.

Zu Beginn des 19.Jahrhunderts lebten mehr als 100 Juden im Dorfe; die meisten galten als „Schutzjuden“, sechs Familien besaßen keinen „Schutz“. Laut der Matrikellisten waren 1817 hier 21 jüdische Familien zugelassen. Ihren Lebensunterhalt verdienten sie in der Regel als Händler; doch gab es auch einige wenige Handwerker und Landwirte und sog. Schmuser, Vermittler beim Viehhandel. Ihre Behausungen befanden sich meist in der Hauptstraße.

Zu den gemeindlichen Einrichtungen der Poppenlauer Kultusgemeinde zählte eine 1867 in der Geißgasse, der heutigen Geringsgasse, erbaute Synagoge mit Schulräumen, die einen in einem Privathause untergebrachten Betraum ersetzte; dazu kamen eine Mikwe und ein jüdisches Gemeindehaus. Die jüdische Elementarschule bestand von 1879 bis ins Jahr 1923.

Ihre Verstorbenen begruben die Gemeindeangehörigen zunächst auf dem israelitischen Friedhof in Kleinbardorf, später dann auf dem von Maßbach. 

Die Gemeinde Poppenlauer unterstand Anfang der 1930er Jahre dem Bezirksrabbinat Kissingen.

Juden in Poppenlauer:

         --- 1699 .........................   6 jüdische Familien,

    --- 1731 .........................  11    "        "    ,

    --- 1763 .........................  11    "        "    (unter dem Schutz des Hochstifts)     

    --- 1816/17 ...................... 114 Juden (in 23 Familien),

    --- 1837 ......................... 120   “   (ca. 10% d. Bevölk.),

    --- 1867 .........................  97   “   (ca. 7% d. Bevölk.),

    --- 1880 ......................... 111   “  ,

    --- 1900 .........................  59   “   (ca. 4% d. Bevölk.),

    --- 1910 .........................  75   “  ,

    --- 1925 .........................  54   “  ,

    --- 1933 .........................  45   “  ,

    --- 1935 (Juni) ..................  41   “  ,

    --- 1937 (Mai) ...................  34   “  ,

    --- 1939 .........................  26   “  ,

    --- 1942 (Febr.) .................  22   “  ,

             (Nov.) ..................   3   “  .

Angaben aus: Baruch Z.Ophir/F.Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945, S. 384

und                 W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine … - Synagogengedenkband Bayern, Teilband III/2.1: Unterfranken, S. 269

Geschichte der evangelischen Kirchengemeinde Poppenlauer Am 23. Oktober 999  schenkte Kaiser Otto III. auf Fürsprache von Papst Sylvester seinem Kaplan  Siggo sein eigenes königliches Hofgut in Poppenlurum im Grabfeldgau. Mit  der Schenkung ...Poppenlauer mit alter Brücke (Abb. aus: lauertal-evangelisch.de)

 

Abwanderung – vor allem jüngerer Juden – ließ die Kultusgemeinde seit dem ausgehenden 19.Jahrhundert deutlich schrumpfen; so konnte die Unterhaltung der Kultuseinrichtungen nicht mehr aus eigenen Mitteln bestritten werden, so dass Zuwendungen von außen erforderlich waren.

Auch unter der NS-Herrschaft hielt die Poppenlauer Judenschaft im allgemeinen am religiösen Leben fest. Die antijüdischen Maßnahmen des NS-Staates wurden von der Landbevölkerung im allgemeinen nicht gebilligt; die wirtschaftlichen Beziehungen der jüdischen Viehhändler des Dorfes zu den Bauern der Umgebung blieben so relativ lange intakt; noch im Oktober 1938 betrieben in Poppenlauer fünf jüdische Viehhändler ihr Geschäft.

Während des Novemberpogroms von 1938 führten etwa 60 SA-Angehörige aus Maßbach zusammen mit Dorfbewohnern Gewaltakte gegen die neun noch in Poppenlauer lebenden jüdischen Familien durch: sie drangen in Wohnungen ein und zerschlugen Mobiliar. Anschließend wurde die Inneneinrichtung der Synagoge - mitsamt der Ritualgegenstände - zertrümmert. Trotz dieser Gewalttaten blieben die meisten jüdischen Familien weiterhin am Ort wohnen. Ende April 1942 wurden 14 jüdische Bewohner - via Würzburg - nach Izbica bei Lublin deportiert; Monate später wurden die restlichen Poppenlauer Juden - außer drei „in Mischehe” lebende - nach Theresienstadt abtransportiert.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sollen 38 gebürtige bzw. längere Zeit in Poppenlauer ansässig gewesene Juden der „Endlösungzum Opfer gefallen sein; von den 1933 im Ort lebenden jüdischen Einwohnern waren es 18 Personen (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/poppenlauer _synagoge.htm).

Im Herbst 1949 fand vor dem Schweinfurter Landgericht ein Prozess gegen 22 Beteiligte der Ausschreitungen vom November 1938 statt; 14 von ihnen wurden zu kurzzeitigen Freiheitsstrafen verurteilt, die übrigen freigesprochen. Bereits zwei Jahre zuvor waren in einem Spruchkammerverfahren Männer aus Maßbach, Poppenlauer u. Umgebung angeklagt worden.

 

Das einstige Synagogengebäude wurde im Krieges als Gefangenenlager und nach 1945 als Werkstatt genutzt. Es ist baulich erhalten geblieben und dient heute teilweise als Wohnhaus. Seit 1995 erinnert ein Gedenkstein an die verfolgten Poppenlauer Juden.

Seit 2020 erinnern 21 sog. „Stolpersteine“ an ehemals in Poppenlauer beheimatete Menschen jüdischen Glaubens, die in der Zeit des NS-Zeit verfolgt, vertrieben, deportiert oder in den Suizid getrieben wurden.

Stolperstein für Johanna Eberhardt (Maßbach).jpgStolperstein für Marianne Eberhardt (Maßbach).jpgStolperstein für Simon Max Eberhardt (Maßbach).jpg  Stolperstein für Hannchen Frank (Maßbach).jpgStolperstein für Bianka Frank (Maßbach).jpgStolperstein für David Frank (Maßbach).jpg

verlegt am Marktplatz und in der Wirthsgasse (Aufn. Chr. Michelides, 2020, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Wie zahlreiche andere unterfränkische Kommunen beteiligt sich auch Poppenlauer mit einer "Gepäck-Skulptur" am "DenkOrt Deportationen 1941-1944" in Würzburg (siehe: Würzburg).

   Koffer-Skulptur von Poppenlauer (Aufn. aus: denkort-deportationen.de)

 

Ein bekannter Sohn der jüdischen Gemeinde Poppenlauer war Abraham Hirsch, der 1839 als Sohn eines Metzgers geboren wurde. Nach seiner religiösen Ausbildung zum Rabbiner (in Haßfurt, Würzburg und Berlin) eröffnete er 1864 in Miltenberg eine „Erziehungs- und Unterrichtsanstalt“, die als Vorbereitung für den Besuch der Israelitischen Lehrerbildungsanstalt dienen sollte; doch bereits zwei Jahre wurde die Anstalt in Miltenberg geschlossen und nach Mainstockheim verlegt. Seit 1875 übte Abraham Hirsch - in Nachfolge seines Schwiegervaters - das Rabbinatsamt in Burgpreppach aus und eröffnete hier eine Talmud-Thora-Schule, die er bis zu seinem Tode 1885 geleitet hat.

 

 

In Kützberg - heute zur Kommune Poppenhausen gehörend - waren im 18./19.Jahrhundert nur wenige jüdische Familien ansässig. Bei der Erstellung der Matrikellisten (1817) waren sechs jüdische Haushaltsvorstände verzeichnet, deren Lebenserwerb im Viehhandel/Schmusen bestand. Gottesdienstliche Zusammenkünfte fanden im ‚Bethzimmer‘ in einem Privathaus statt. Verstorbene wurden auf dem israelitischen Friedhof in Euerbach begraben. Im Verlauf des 19.Jahrhunderts hatten alle jüdischen Familien das Dorf verlassen.

 

 

Auch in Maßbach existierte eine jüdische Gemeinde. Zu Beginn des 19.Jahrhunderts lebten hier knapp 200 Juden, die damit ca. ein Fünftel der Ortsbevölkerung stellten.

[vgl.  Maßbach (Bayern)]

 

 

 

Weitere Informationen:

Werner Eberth, Die sogenannte Reichskristallnacht vom 9./10.Nov. 1938 in Bad Kissingen, Steinach, Maßbach und Poppenlauer, in: „Quellenblätter Heimatkundliche Beilage der Saale-Zeitung für den Landkreis Bad Kissingen", No. 36 und No. 37 (Nov./Dez. 1978)

Baruch Z.Ophir/F.Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag, München 1979, S. 384/385

Herbert Schultheis, Juden in Mainfranken 1933 - 1945 unter besonderer Berücksichtigung der Deportationen Würzburger Juden, in: "Bad Neustädter Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde Frankens", Band 1, Verlag Max Rötter, Bad Neustadt a.d.Saale 1980, S. 348 und S. 357 - 359

Israel Schwierz, Steinerne Zeugen jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation, Hrg. Landeszentrale für politische Bildungsarbeit Bayern, München 1992, S. 113

Reinhard Klopf, Juden in Poppenlauer und Maßbach, o.O. o.J.

Reinhard Klopf, Aus der Geschichte des Dorfes Poppenlauer. Eine chronologische Darstellung historischer Daten, in: "Heimatkundliche Schriftenreihe", Arbeitsheft 1, Maßbach 1999

Poppenlauer, in: alemannia-judaica.de (mit einigen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Kützberg, in: alemannia-judaica.de

Dirk Rosenstock (Bearb.), Die unterfränkischen Judenmatrikeln von 1817. Eine namenskundliche und sozialgeschichtliche Quelle, in: "Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg", Band 1, Würzburg, 2008, S. 207/208

mel (Red.), Poppenlauer. Spendenaktion: 19 neue Stolpersteine, online abrufbar unter: infranken.de vom 27.11.2019

Dieter Britz (Red.), In Poppenlauer: Stolpersteine gegen das Vergessen, in: „Main-Post“ vom 30.9.2020

Cornelia Berger-Dittscheid (Bearb.), Poppenlauer, in: W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine … - Synagogengedenkband Bayern, Teilband III/2.1: Unterfranken, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2021, S. 254 - 273