Rheinbischofsheim (Baden-Württemberg)
Rheinbischofsheim ist heute ein Ortsteil der Stadt Rheinau im Ortenaukreis - ca. 15 Kilometer nordöstlich von Kehl/Rhein gelegen (Kartenskizze 'Ortenaukreis', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0 und Ortsteilkarte 'Rheinau', D. 2015, aus: commons.wikimedia.org CC BY-SA 4.0).
Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts gehörte jeder zehnte Ortsbewohner dem mosaischen Glauben an.
Nach Ende des Dreißigjährigen Krieges siedelten sich die ersten jüdischen Familien in der damaligen Residenzstadt an; der Landesherr gestattete ‚seinen’ Juden, „offene Kramläden" zu führen. Bis 1736 stand Rheinbischofsheim unter der Herrschaft der Grafen von Hanau-Lichtenberg, später fiel die Stadt an Hessen-Darmstadt. Die jüdische Gemeinde Rheinbischofsheim, die seit ca. 1830 dem Bezirksrabbinat Bühl unterstand, verfügte über eine im 19.Jahrhundert errichtete Synagoge. Im Gebäude befanden sich neben dem Bet- auch ein Schulraum, sowie die Wohnung des jüdischen Lehrers; vermutlich war in einem Nebengebäude auch ein rituelles Bad untergebracht.
Synagogengebäude in Rheinbischofsheim, hist. Aufn. (aus: Hundsnurscher/Taddey)
aus: "Großherzoglich Badisches Anzeige-Blatt für den See-Kreis" vom 25.12.1852
Der mehr als drei Jahrzehnte in Rheinbischofsheim tätige Lehrer/Kantor Daniel Levy brachte in seinem Hause auch Schüler unter, die die hiesige Realschule besuchen wollten (oben: Anzeige von 1903).
Die verstorbenen Gemeindemitglieder beerdigte man zunächst auf dem jüdischen Friedhof in Kuppenheim, danach auf dem Friedhof in Freistett.
Jüdischer Friedhof in Freistett (Aufn. F. C. Müller, 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0 und aus: baden-online)
Überlegungen, ein Beerdigungsareal am Orte anzulegen, wurden von der Gemeinde verworfen; allerdings legte die Familie Löw Simson eine eigene kleine Begräbnisstätte im Gewann „Schießrain“ an. Dieser jüdische Friedhof - der kleinste in Baden-Württemberg - mit seinem noch einzigen erhaltenen Grabstein von 1819 besteht immer noch.
Der „Judenstein“ im Gewann 'Schießrain', Rheinbischofsheim (Aufn. Frank C. Müller, 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Juden in Rheinbischofsheim:
--- 1736 ........................... 4 jüdische Familien,
--- 1790 ........................... 9 “ “ ,
--- 1825 ........................... 102 Juden,
--- 1875 ........................... 155 “ (ca. 10% d. Bevölk.),
--- 1895 ........................... 105 " (ca. 7% d. Bevölk.),
--- 1900 ........................... 95 “ ,
--- 1910 ........................... 72 " (ca. 5% d. Bevölk.),
--- 1925 ........................... 69 “ (ca. 5% d. Bevölk.),
--- 1933 ........................... 57 “ ,
--- 1940 ....................... ca. 15 “ ,
(Dez.) .................... keine.
Angaben aus: F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden - Denkmale, ..., S. 247
1935 wurden die beiden jüdischen Gemeinden von Rheinbischofsheim und Freistett zur „Israelitischen Religionsgemeinde Rheinbischofsheim“ vereinigt; beide Gemeinden waren wegen ihrer geringen Mitgliederzahl nicht mehr in der Lage, ihre Gemeindeaufgaben jeweils allein zu erfüllen.
Die hiesigen Juden waren bei der Ortsbevölkerung allgemein anerkannt und voll integriert; sie gehörten lokalen Vereinen an und waren im Gemeinderat tätig. Mehrere Textilgeschäfte, eine Branntweinbrennerei, drei Viehhandlungen und einige andere Betriebe befanden sich Anfang der 1930er Jahre in jüdischem Besitz.
Werbeanzeige von 1901 und Briefkopf der Eisenehandlung Isidor Kaufmann
Während des Novemberpogroms von 1938 wurde die Inneneinrichtung der Synagoge und Religionsschule vollständig demoliert und das zerschlagene Inventar verbrannt. Die verängstigten Juden wurden unter dem Gespött von Schulkindern und anderen Ortsbewohnern durch den Ort geführt. Die jüdischen Männer verschleppte man danach ins KZ Dachau. Bis 1940 gelang den allermeisten jüdischen Bewohnern noch ihre Emigration. Die acht am Ort verbliebenen Juden mussten sich Ende Oktober 1940 den Deportationstransporten nach Gurs anschließen; keiner von ihnen soll die NS-Zeit überlebt haben
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 23 aus Rheinbischofsheim stammende bzw. längere Zeit hier ansässig gewesene jüdische Bewohner Opfer der "Endlösung" (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/rhienbischofsheim_synagoge.htm).
Ein Anfang der 1950er Jahre angestrengtes Verfahren gegen zwei Männer, die am Pogrom vom Nov. 1938 in Rheinbischofsheim aktiv beteiligt gewesen sein sollen, wurde wegen mangels an Beweisen eingestellt.
Einige Jahre nach Kriegsende wurde das ehemalige Synagogengebäude wegen Baufälligkeit abgebrochen.
Im Rahmen des landesweiten Mahnmal-Projektes zur Erinnerung an die Deportationen badischer Juden vom Okt.1940 haben eine Konfirmandengruppe der Evang. Gemeinde und Schüler/innen des Anne-Frank-Gymnasiums Rheinbischofsheim ein Objekt – einen Glaskasten mit Steinen angefüllt – erstellt. Die Kieselsteine im Mahnmal „sollen ein Sinnbild sein für das Haus einer neuen Menschlichkeit, die Fremde und Fremdes nicht ausschließt, sondern integriert und bejaht.“ (Abb. aus: mahnmal-neckarzimmern.de)
In Rheinbischofsheim wurden 2024 an drei Standorten die ersten sog. „Stolpersteine“ verlegt, so in der Hauptstraße zwei Steine für das Ehepaar Hugo und Hermine Kaufmann; am Schlossplatz erinnern zwei weitere an Berta und Hermann Kahnheimer und in der Altrheinstraße drei für Angehörige der jüdischen Familie Bloch.
Abb. aus: baden-online.de
Auch in dem zu Rheinau zählenden Ortsteil Neufreistett existierte bis 1935 eine winzige jüdische Gemeinde.
[vgl. Freistett (Baden-Württemberg)]
Weitere Informationen:
F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden - Denkmale, Geschichte, Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1968, S. 247/248
Nikolaus Honold, Der Rheinbischofsheimer Judenstein. Der Begräbnisplatz des Löw Simon von Bischofsheim, in: "Die Ortenau", No.75/1985, S. 360 f.
Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 414 f.
Friedrich Peter (Hrg.), Als in Deutschland die Synagogen brannten. Eine Dokumentation zu den Ereignissen in der "Reichskristallnacht" in den Gemeinden des Hanauerlandes, 2. Aufl., 1989
Rheinbischofsheim, in: alemannia-judaica.de (mit diversen, zumeist personenbezogenen Dokumenten zur jüdischen Lokalhistorie)
Gerd Hirschberg, Von Rheinau über Gurs nach Auschwitz. Stationen der Vernichtung der jüdischen Gemeinden Neufreistett und Rheinbischofsheim, in: "DieOrtenau", No.80/2000 S. 237 - 250
Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 396 – 398
Die Friedhofe von Freistett und Rheinbischofsheim (Stadt Rheinau) und Lichtenau (Baden), in: juedische-friedhoefe.info
Gerd Hirschberg, Die Geschichte der jüdischen Gemeinden Neufreistett und Rheinbischofsheim. Ein Erinnerungs- u. Materialbuch, Freistett 2015
Ellen Matzat-Sauter (Red.), Von den Nazis ermordet: Die Geschichte von Hugo und Hermine Kaufmann aus Rheinbischofsheim, in: „Badische Neueste Nachrichten“ vom 29.5.2024
Ellen Matzat-Sauter (Red.), Rheinbischofsheim. „Stolpersteine“ erinnern an jüdische Familie Bloch, in: baden-online vom 15.6.2024
Ellen Matzat-Sauter (Red.), Rheienbischofsheim gedenkt der Familie Kahnheimer mit Stolpersteinen, in: „Badische Neueste Nachrichten“ vom 27.6.2024 bzw. online unter: bo.de/lokales/achern-oberkirch/ vom 30.8.2024