Rheinbrohl (Rheinland-Pfalz)
Rheinbrohl mit derzeit ca. 4.000 Einwohnern gehört heute zur Verbandsgemeinde Bad Hönningen (Kreis Neuwied) – ca. 15 Kilometer rheinabwärts von Neuwied gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Neuwied', aus: ortsdienst.de/rheinland-pfalz/neuwied).
Zu welchem Zeitpunkt sich die ersten jüdischen Familien in Rheinbrohl ansiedelten, ist nicht bekannt; erste schriftliche Belege von Ansässigkeit von Juden stammen erst aus dem 18.Jahrhundert. Doch haben vermutlich seit dem 13./14.Jahrhundert Juden im Ort gelebt, wenn auch nicht dauerhaft. In kurtrierischer Zeit soll in Rheinbrohl die größte jüdische Gemeinde im Amt Hammerstein beheimatet gewesen sein. 1864 ließ die Judenschaft des Ortes ihre alte „Judenschule“ an der Kirchstraße durch eine neue Synagoge in der Hauptstraße ersetzen; der schlichte Bau war aus heimischen Bruchsteinen gefertigt. Spenden und Kollekten in anderen Gemeinden hatten den kleinen Synagogenbau erst ermöglicht.
Synagoge in Rheinbrohl (links: Ausschnitt aus einem Luftbild von 1929, rechts: Skizze von Hansfried Schaefer)
Die folgende Begebenheit soll sich am Tage der Einweihung der Synagoge zugetragen haben: „ ... Als der Tag der feierlichen Einweihung gekommen war, hatte sich eine festlich gekleidete Abordnung der Juden auf dem Wege nach Hammerstein versammelt, um den Rabbiner aus Koblenz zu empfangen. Es war fast gegen Mittag, aber der Rabbiner war noch nicht erschienen. Da kam der damalige katholische Pfarrer von Leutesdorf des Weges und sah die Gruppe Juden stehen. Er kannte einige von ihnen, und so fragte Pfarrer Wörsdorf sie nach dem Grund ihres Wartens. Das wurde ihm bereitwillig erklärt. Gut gelaunt, meinte der Pfarrer, da könne er ja helfen. Er könne ja statt des Rabbiners die Synagoge eröffnen. Die Juden, des langen Wartens müde, nahmen Pfarrer Wörsdorf beim Wort und zogen mit ihm zur Synagoge. Der schlagfertige Geistliche ... hielt nun den Söhnen Israels eine gewaltige Predigt über die Gesetzestafeln Moses und ging besonders auf die Arten des Betruges im Handel und Wandel ein. Sichtlich beeindruckt, bedankten sich anschließend die Ältesten der Gemeinde herzlich bei dem hilfreichen Pfarrer. ...” (aus: Hansfried Schaefer, Broele Trans Rhenum - Rheinbrohl im Wandel der Zeiten, S. 82/83)
Ihre verstorbenen Gemeindeangehörigen begruben die Rheinbrohler Juden auf einem östlich des Ortes gelegenen, stark abschüssigen Areal im Lampental. Dass dieser Friedhof relativ alt ist (vermutlich seit dem 17.Jahrhundert benutzt), scheinen Grabsteine mit hebräischen Inschriften zu belegen; zum Teil sind diese aber nicht mehr lesbar. Auf dem Gelände wurden auch verstorbene Juden aus Hönningen beerdigt.
Juden in Rheinbrohl:
--- 1822 ......................... 26 Juden,
--- 1858 ......................... 43 “ ,
--- 1895 ......................... 19 “ ,
--- 1925 ......................... 26 “ ,
--- 1938 ......................... 25 “ ,
--- 1942 (Aug.) .................. keine.
Angaben aus: Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “, S. 320/321
Zu Beginn der 1930er Jahre lebten in Rheinbrohl noch etwa 30 Juden. 1935 untersagte der Gemeinderat Juden in Zukunft den Zuzug, den Erwerb von Grund und Boden sowie die Errichtung neuer Gebäude. Auch allen Rheinbrohlern, die weiterhin mit jüdischen Bewohnern private oder geschäftliche Kontakte unterhielten, wurden Sanktionen angedroht.
Während des Novemberpogroms von 1938 wurde das Synagogengebäude in Brand gesteckt; anschließend riss man es bis auf die Grundmauern nieder. Fensterscheiben an jüdischen Häusern gingen zu Bruch. Auch der Friedhof wurde geschändet.
Einige jüdische Familie konnten in den folgenden Jahren noch emigrieren. Die letzten im Ort verbliebenen Juden wurden im Sommer 1942 nach Theresienstadt deportiert; sie wurden Opfer der Shoa.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden insgesamt 13 aus Rheinbrohl stammende jüdische Bewohner Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/rheinbrohl_synagoge.htm).
Heute erinnert nur noch der Friedhof im Lampental mit seinen alten, teils im Boden versunkenen Grabsteinen an die jüdische Vergangenheit von Rheinbrohl.
Blick auf das Friedhofsgelände und ein Doppelgrabstein (Aufn. J. Hahn, 2009)
Seit Anfang der 1980er Jahre ist eine Gedenktafel am Aufgang zur evangelischen Kirche angebracht.
Aufn. J. Hahn, 2009
Hier in der Nähe stand bis zu ihrer Zerstörung durch die Nationalsozialisten am 9.11.1938
die Synagoge der Jüdischen Gemeinde Rheinbrohl.
ERINNERUNG - MAHNUNG
Auf der Tafel ist auch eine stilisierte Abbildung der Rheinbrohler Synagoge zu sehen.
2005 wurden an zwei Standorten in der Kirchstraße vier „Stolpersteine“ verlegt, die an Angehörige der jüdischen Familie Baer erinnern, die 1942 nach Theresienstadt deportiert wurde und deren Schicksal ungeklärt ist.
Abb. G., 2023, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0
Johanna Loewenherz (geb.1857 in Rheinbrohl) stammte aus einer wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie. Ihrer musischen Begabung folgend wurde ihr eine Ausbildung am Konservatorium in Stuttgart zuteil. Als sie sich in den 1890er Jahren in Berlin aufhielt, kam sie mit den Ideen der Sozialdemokratie wie auch der Frauenemanzipation in Kontakt. Daraufhin verfasste Johanna Loewenherz u.a. eine umfangreiche Studie zur Frauenbewegung; bekannt wurde sie auch als Rednerin bei Veranstaltungen und Parteitagen der Sozialdemokratie. Doch schon bald zog sie sich aus der öffentlichen Politik zurück. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges kehrte sie wieder in ihre Heimatstadt zurück. 1933 kam sie kurzzeitig in "Schutzhaft", danach musste sie sich regelmäßig bei der Polizei melden. 1937 verstarb Johann Loewenherz; ihr Nachlass wurde von den Nationalsozialisten vernichtet.
Ende der 1980er Jahre wurde vom Kreis Neuwied die Johanna-Loewenherz-Stiftung ins Leben gerufen; zu den Preisträgerinnen gehört auch Simone Veil, Überlebende des Holocaust und ehem. Präsidentin des EU-Parlaments. Die Integrierte Gesamtschule in Neuwied trägt heute den Namen von Johanna Loewenherz.
Bereits im 13./14.Jahrhundert lassen sich vereinzelt jüdische Bewohner in (Bad) Hönningen nachweisen. Die Wurzeln einer neuzeitlichen israelitischen Gemeinde wurden in der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg gelegt. Als sich zu Anfang des 18.Jahrhundert mehrere jüdische Familien dauerhaft niederlassen wollten, beschwerten sich die Hönninger beim Landesherrn und erreichten deren Ausweisung; nur vier Familien durften bleiben. In der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts erreichte die Zahl der Gemeindeangehörigen mit bis zu 45 Personen ihren Höchststand; in den 1920er Jahren hatte sich ihre Zahl mehr als halbiert. Der in einem Privathaus untergebrachte Betraum wurde bis Herbst 1938 benutzt. Am 10. November 1938 wurde er von mehreren Hönninger Einwohnern völlig verwüstet. 1940 lebten noch 15 jüdische Bewohner im Ort; die letzten wurden im Juli 1942 von hier deportiert.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem sind sieben aus Hönningen stammende Juden bekannt, die Opfer der „Endlösung“ geworden sind (namentliche Nennung der betreffenden Personen siehe: alemannia-judaica.de/bad_hoenningen_synagoge.htm).
2024 wurden in zwei Aktionen in den Gehwegen von Bad Hönningen insgesamt 22 sog. „Stolpersteine“ verlegt, die auf ehemals hier lebende jüdische Bewohner aufmerksam machen, die der NS-Herrschaft zum Opfer gefallen sind.
Abb. aus: "NR-Kurier"
Weitere Informationen:
Hansfried Schaefer, Broele Trans Rhenum - Rheinbrohl im Wandel der Zeiten, Hrg. Gemeinde Rheinbrohl, Neuwied 1972
Hansfried Schaefer, Rheinbrohl. Ein Blick in die Vergangenheit, o.J.
Wolfgang Dietz, Johanna Löwenherz. Eine Biographie, Hrg. Kreisverwaltung Neuwied, Neuwied 1987
Jakob Weiler, Die Verhältnisse der Juden in Hönningen und Rheinbrohl und ihr Leidensweg im ‘Dritten Reich’, in: "Beiträge zur Heimatkunde und Heimatgeschichte", No. 3, Bad Hönningen 1997
Werner Schönhofen, Johanna Loewenherz - Eine Sozialistin und Jüdin kämpfte für die Sache der Frauen, in: "SACHOR. Beiträge zur Jüdischen Geschichte und zur Gedenkstättenarbeit in Rheinland-Pfalz", 8.Jg., Ausgabe 2/1998, Heft Nr. 16
Rheinbrohl, in: alemannia-judaica.de
Hansfried Schaefer, Die jüdischen Gotteshäuser, Gebets- und Andachtsstätten in Rheinbrohl, Teil 7, Rheinbrohl 1999
Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “. Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 87 (Bad Hönningen) und S. 320/321 (Rheinbrohl)
(Bad) Hönningen, in: alemannia-judaica,de
Hansfried Schaefer, Die ehemaligen Gotteshäuser der jüdischen Gemeinde Rheinbrohl und ihr Friedhof, in: "Heimatjahrbuch des Landkreises Neuwied 2005", S. 141 - 147
Auflistung der Stolpersteine in Rheinbrohl, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Rheinbrohl
Hildegard Brog (Red.), Biografie von Johanna Loewenherz – Johanna-Loewenherz-Stiftung, online abrufbar unter: in: kreis-neuwied.de
Simone Wittig (Red.), Bad Hönningen bringt Stolpersteine auf den Weg; Stadt erinnert an jüdische Mitbürger, in: „Rhein-Zeitung“ vom 15.6.2020
Wolfgang Tischler (Red.), Elf Stolpersteine in Bad Hönningen verlegt, in: „NR-Kurier“ vom 25.6.2024
Andreas Kossmann (Red.), Gedenken an jüdische Opfer der Badestadt: Elf neue Stolpersteine in Bad Hönningen, in: "Rhein-Zeitung“ vom 15.9.2024