Rieneck (Unterfranken/Bayern)

https://de-academic.com/pictures/dewiki/75/Kreis_Salm%C3%BCnster.jpg Datei:Burgsinn in MSP.svg Rieneck ist eine kleine Kommune mit derzeit ca. 2.000 Bewohnern im unterfränkischen Landkreis Main-Spessart – zwischen Aschaffenburg und Schweinfurt gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: de-academic.com und Kartenskizze ‚Landkreis Main-Spessart‘, Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Vor 1300 sollen in der von den Grafen von Rieneck gegründeten Stadt gleichen Namens bereits jüdische Familien gelebt haben; ihre Vertreibung bzw. Ermordung soll im Zusammenhang der „Rintfleisch-Verfolgungen“ geschehen sein (Nürnberger Memorbuch). Dauerhafte jüdische Ansässigkeit blieb für die Folgejahrhunderte aus; doch war der an einer wichtigen Handelsstraße liegende Ort für durchreisende jüdische Händler eine Art Zwischenstation.

Erst in der zweiten Hälfte des 17.Jahrhunderts wurden die Wurzeln der neuzeitlichen jüdischen Gemeinde in Rieneck gelegt; nachdem die adligen Grundherren von Nostitz die Ansiedlung jüdischer Familien in der Stadt gegen Entrichtung von Schutzgeldern erlaubt hatten. Um 1720 waren ca. fünf jüdische Haushaltungen.

Die Kultusgemeinde von Rieneck erreichte um 1840 mit knapp 100 Personen ihren zahlenmäßigen Höchststand.

Die hiesige Judenschaft verfügte über einen Ende des 17.Jahrhunderts eingerichteten Betraum mit Frauenempore; dieser befand sich in einem einfachen Fachwerkbau am Schlossberg. Auch ein Gemeindehaus mit Schulräumen besaßen die Rienecker Juden; in diesem war eine Mikwe untergebracht.

Luftaufnahme 1937 (Abb. von Bruno Schneider zur Verfügung gestellt)

Für die Durchführung religiöser Aufgaben hatte die Gemeinde einen Religionslehrer angestellt, der seit 1872 auch von den Juden aus Burgsinn mitgetragen wurde.

      aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 8.1.1873 und 23.6.1898

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20254/Rieneck%20Dok%20171.jpg Auflistung der acht jüdischen Schüler/innen von 1874

Da kein eigener Begräbnisplatz für die jüdischen Einwohner Rienecks zur Verfügung stand, wurden die Verstorbenen auf dem israelitischen Friedhof in Altengronau beerdigt. Dort fanden auch Juden aus Burgsinn und Mittelsinn ihre letzte Ruhe.

jüdischer Friedhof in Altengronau (Aufn. Emmaus, aus: commons.wikimedia.org, gemeinfrei)  Jüdischer Friedhof Altengronau 2.JPG

Seit der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts war Rieneck Filialgemeinde von Burgsinn.

Juden in Rieneck:

         --- um 1670 ......................  2 jüdische Familien,

    --- 1720 ...................... ca. 5     "       "    ,

    --- 1740 .........................  3     “       “    ,

    --- 1790 ......................... 10     “       “    ,

    --- um 1815 ...................... 83 Juden (ca. 7% d. Bevölk.),

    --- 1826 ......................... 15 jüdische Haushalte,

    --- 1837 ......................... 96 Juden,

    --- 1848 ......................... 83   "  ,

    --- 1871 ......................... 64   “  ,

    --- 1880 ......................... 48   "  ,

    --- 1900 ......................... 28   “   (ca. 2% d. Bevölk.),

    --- 1910 ......................... 24   "  ,

    --- 1925 ......................... 12   “  ,

    --- 1933 ......................... 19   “  ,

    --- 1937 ......................... 19   "  ,

    --- 1939 (Febr.) ................. 13   “  ,

         (April) ................. keine.

Angaben aus: Leonard Scherg, Jüdisches Leben im Main-Spessart-Kreis. Orte, Schauplätze, Spuren ..., S. 37

und                 Synagogen-Gedenkband Bayern (Unterfranken), Band III/1, Mehr als Steine , S. 304

 

  aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 27.10.1932

Anfang der 1930er Jahre lebten in Rieneck noch ca. 20 Personen jüdischen Glaubens. Als Folge des wirtschaftlichen Boykotts galten die meisten bald als unterstützungsbedürftig; trotzdem blieben sie bis Anfang 1938 hier wohnen. Der im Mai 1937 geschändete Synagogenraum wurde wenige Monate später renoviert. Doch während des Novemberpogroms von 1938 zerstörten Nationalsozialisten erneut das Inventar samt der Ritualgegenstände. Auch der Besitz jüdischer Einwohner wurde erheblich beschädigt (u.a. das Textilgeschäft Julius Köstrich). Unter den Augen von Schaulustigen wurden Wohnungen jüdischer Familien überfallen, ausgeraubt und demoliert; dann schleppte man die ‚erbeuteten‘ Gegenstände ans Sinnufer und verbrannte sie dort. Einger jüdische Männer wurden in „Schutzhaft‘ genommen.

Im Februar 1939 wurde die Gemeinde aufgelöst; alle bis dahin noch verbliebenen jüdischen Bewohner verzogen nach Frankfurt/Main.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden..." wurden nachweislich 13 aus Rieneck stammende Juden in den NS-Vernichtungslagern ermordet (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/rieneck_synagoge.htm).

 

Das gegen die potentiellen Gewalttäter des Novemberpogroms in Rieneck angestrengte Verfahren vor dem Landgericht Würzburg wurde nach jahrelanger Verschleppung aufgrund mangelnder Beweise schließlich 1951 eingestellt.

 

Am Standort der ehemaligen Synagoge in der Judengasse befindet sich heute ein neues Wohnhaus. Am Kriegerdenkmal erinnert eine angebrachte Gedenktafel an die einst hier lebenden jüdischen Bewohner der Kleinstadt:

Die Stadt Rieneck gedenkt ihrer ehemaligen jüdischen Mitbürger

und den Opfern des Nationalsozialismus.

ZUR ERINNERUNG UND MAHNUNG

2019 wurde auf Initiative des Geschichtskreises Rieneck ein Gedenkstein an die in der NS-Zeit vernichtete jüdische Gemeinde Rienecks gesetzt. Die Sandsteintafel trägt die Inschrift: „In diesem Umfeld befand sich einst die Synagoge der Juden von Rieneck. - Die sich der Vergangenheit nicht erinnern, sind dazu verurteilt, es noch einmal zu erleben! (G.Santayana)"

Neben zahlreichen anderen unterfränkischen Kommunen beteiligt sich auch die Stadt Rieneck mit einer Erinnerungstafel und zwei -stücken am Projekt „DenkOrt Deportationen 1941-1944“: so sollen eine Deckenrolle sowie ein Rucksack aus Lärchenholz an die deportierten und ermordeten jüdischen Bewohner Rienecks erinnern, die neben vielen anderen unterfränkischen Juden zwischen 1941 und 1944 am Güterbahnhof Aumühle in Würzburg bzw. am Güterbahnhof Großmarkthalle in Frankfurt/Main in Züge verladen und in die Vernichtungslager verschleppt wurden. (vgl. dazu Würzburg)

                            Rieneck Aufn. N.N., aus: denkort-deportationen.de

 

                         vgl. Burgsinn (Bayern)

 

 

 

Weitere Informationen:

Richard Elzenbeck, Rieneck. Aufzeichnungen zur Geschichte der Stadt, ihrer Pfarrei und der Burg, Gemünden/Main o.J. (Anm.: kaum Erwähnung der jüdischen Geschichte des Ortes)

Gerhard Wilhelm Daniel Mühlinghaus, Der Synagogenbau des 17. u. 18.Jahrhunderts im aschkenasischen Raum, Dissertation, Philosophische Fakultät Marburg/Lahn, 1986, Band 2, S. 292 - 298

Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern - eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 115

Leonard Scherg, Jüdisches Leben im Main-Spessart-Kreis. Orte, Schauplätze, Spuren, Hrg. Förderkreis Synagoge Urspringen e.V., Haigerloch 2000, S. 36/37

Rieneck, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Text- u. Bilddokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Benedikt Nientied, Kinder, Kader, Kranke: Die Judenburg Rieneck in den Jahren 1930 – 1959, in: Verband Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder (Hrg.), Burg Rieneck, o.O. 2009

Hans Schlumberger/Hans-Christof Haas (Bearb.), Rieneck, in: W.Kraus/H.-Chr.Dittscheid/G.Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine ... Synagogen-Gedenkband Bayern, Band III/1 (Unterfranken), Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2015, S. 294 - 308

Helmut Hussong (Red.), Rieneck beteiligt sich am Denkmal für ermordete Juden, in: “Main-Post” vom 26.11.2017

Michael Fillies (Red.), Erinnerung an Rienecks Synagoge, in: “Main-Post” vom 16.5.2019

Helmut Hussong (Red.), Rieneck. Wo soll die Gedenktafel hin?, in: “Main-Post” vom 24.7.2019

Björn Kohlhepp (Red.), Gedenkstein für die deportierten jüdischen Rienecker, in: “Main-Post” vom 28.1.2020