Rodheim v. d. Höhe (Hessen)
Rodheim vor der Höhe ist heute mit knapp 5.000 Einwohnern der größte Ortsteil der Gemeinde Rosbach vor der Höhe im Westen des hessischen Wetteraukreises - ca. 35 Kilometer nördlich von Frankfurt/M. gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905 ohne Eintrag von R., aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Wetteraukreis', aus: ortsdienst.de/hessen/wetteraukreis).
Seit dem 18.Jahrhundert lebten stets einige jüdische Familien am Ort, die als Schutzjuden der Hanauer Grafen diesen abgabenpflichtig waren; ein erster Quellenbeleg über in Rodheim ansässige Juden stammt aus dem Jahr 1640 bzw. 1662. Eine eigene Gemeinde bildete sich aber erst gegen 1830 heraus; ab 1810 gehörte der Ort zu Hessen.
Die Judenschaft weihte im Frühjahr 1863 eine Synagoge in der Wethgasse ein; der Bau war durch Spenden finanziert worden. In den Jahrzehnten zuvor hatten gottesdienstliche Zusammenkünfte in einem Privathaus stattgefunden. Über die Einweihung des jüdischen Gotteshauses berichtet die Pfarrchronik wie folgt:
„ Am 17.April Nachmittags drei Uhr fand die Einweihung der neuerbauten Synagoge statt ... Die ... Predigt hielt der Rabbiner Dr.Levy aus Gießen. Die Theilnahme an der Feierlichkeit, welche vom Wetter begünstigt war, kann als eine sehr lebhafte bezeichnet werden. - Vorher hatte die hiesige israelitische Religionsgemeinde ein sehr enges und unwürdiges Local zu ihren gottesdienstlichen Versammlungen und zwar in dem in der Hauptstraße gelegenen Hause des Isaak Strauß im oberen Stock. Vor einer Reihe von Jahren hatte die Gemeinde schon einmal die Absicht gehabt, ein neues Gotteshaus sich zu erbauen; man hatte zu besagtem Zweck schon einigen Fonds beisammen, allein Streitigkeiten unter den einzelnen Gemeindemitgliedern waren hauptsächlich die Ursache, daß man nicht zur Ausführung schritt, ... Unter der Vorstandschaft des hiesigen Schutzjuden und Metzgermeisters Abraham Cassel wurde aber die Sache von Neuem und energisch in Angriff genommen und nach Überwindung mancher Schwierigkeiten glücklich zum Ziele geführt ... Die Mittel wurden auf die Weise beschafft, daß die israelitische Gemeinde auf Schuldschein ein Kapital von 2700 Gulden entlieh und kamen außerdem an milden Beiträgen aus andern Ländern wie z.B. aus Dänemark, der Schweiz, Baden pp. etwa 500 Gulden zusammen. ... Die israelitische Religionsgesellschaft dahier, zu welcher auch die in Petterweil, Holzhausen und Ober-Rosbach wohnenden Juden gehören, zählt dermalen im Ganzen 96 Seelen ... Nach beendigter Einweihungsfeier fand im Gasthaus zum Löwen ... ein Festessen statt.“
Relief der Synagoge auf der Gedenktafel (Aufn. J. Hahn, 2008)
Die Besetzung der Lehrerstelle in Rodheim war - wie die zahlreichen Ausschreibungen dokumentieren - einem ständigen Wechsel unterzogen; fast alljährlich wurde die Stelle wieder neu besetzt.
Anzeigen aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 24.Mai 1876, vom 28.Okt. 1891 und vom 9.Febr. 1903
Verstorbene der Rodheimer Kultusgemeinde, zu der zeitweilig auch die Familien aus Köppern, Ober-Erlenbach, Ober-Rosbach, Ober- u. Nieder-Eschbach und Petterweil zählten, wurden auf ihrem jüdischen Friedhof in Burgholzhausen auf einem Gelände nahe der „Alten Burg“ beerdigt; durch mehrmalige Grundstückszukäufe wurde das vermutlich um 1800 angelegte Begräbnisareal vergrößert.
Juden in Rodheim:
--- um 1730 ........................ 5 jüdische Familien,
--- um 1755 ........................ 16 Juden,
--- um 1830 ........................ 28 “ ,
--- 1863 ........................... 45 “ ,
........................... 98 “ ,* * gesamte Kultusgemeinde
--- 1871 ........................... 64 “ ,
--- 1885 ........................... 91 “ ,
--- 1900 ........................... 88 “ ,** ** incl. Holzhausen
--- 1910 ........................... 72 “ ,
--- um 1920 .................... ca. 20 jüdische Familien,
--- 1925 ........................... 55 Juden,
--- 1933 ........................... 59 “ (in 12 Familien),
--- 1936 (Apr.) ................ ca. 50 “ ,
--- 1937 (Febr.) ................... 27 “ ,
--- 1938 (Nov.) .................... 10 “ ,
--- 1940 ........................... keine.
Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 2, S. 228
und Rodheimer Geschichts- u. Heimatverein e.V. (Hrg.), 300 Jahre jüdisches Leben in Rodheim v. d. Höhe, S. 75/76
Zwischen den christlichen und jüdischen Familien Rodheims soll ab der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts eine „ausgesprochen liberale Stimmung“ geherrscht haben; so gehörte der Vorstand der Israelitischen Gemeinde zu den Honoratioren des Dorfes und jüdische Bewohner waren Mitglieder hiesiger Vereine. Anders als in anderen Landgemeinden setzte hier die Abwanderung jüdischer Familien in größere städtische Zentren erst nach dem Ersten Weltkrieg.
Um 1920/1930 verdienten die meisten hier lebenden jüdischen Familien ihren Lebensunterhalt im Vieh-, Textil- und Landesproduktenhandel; als Nebenerwerb betrieben einige eine kleine Landwirtschaft.
Geschäftsanzeigen
und zwei Stellenangebote von 1901 und 1906
Anfang der 1930er Jahre lebten noch zwölf jüdische Familien im Ort. Auch in Rodheim trug die antisemitische Politik der hiesigen Ortsbehörden bald Früchte, wie sog. „Lageberichte“ belegen; dort hieß es u.a.:
„ Betr. der hiesigen Juden kann gesagt werden, daß diese Volksschädlinge zu andauernder Mißstimmung, die zur Verächtlichmachung der Bewegung führen Veranlassung geben. Durch Einfluß auf die Wirtschaft geben diese durch ihre schmarotzerische Betätigung ... Erregung öffentlichen Ärgernisses.” (August 1936)
„ Juden werden hier in Rodheim immer weniger. In nächster Zeit ziehen zwei Familien von derselben Rasse nach Frankfurt a.M.” (August 1937)
„ Der Handel mit Juden hat fast ganz nachgelassen, während aber immer noch vereinzelt Judenfreundschaft durch verschiedene Volksverräter gepflegt wird.”(März 1938)
„ Die noch vorhandenen Juden üben keinerlei Einfluß auf die hiesige Wirtschaft aus.” (Juli 1938)
In den ersten Jahren der NS-Zeit gelang es sechs jüdischen Familien zu emigrieren; die anderen verließen nach 1938 ihren Heimatort, nachdem ihnen die Wirtschaftsgrundlage entzogen worden war. Während des Novemberpogroms von 1938 fiel die Rodheimer Synagoge - unter den Augen einer vielköpfigen Menschenmenge - NS-Brandstiftern zum Opfer; der Synagogeninnenraum brannte völlig aus, nur die Außenmauern blieben stehen; wenig später wurden diese niedergelegt. „Judenhäuser“ wurden geplündert, ihre Bewohner festgenommen und die Männer ins KZ Buchenwald verschleppt. Fast alle jüdischen Dorfbewohner mussten nun ihren Heimatort verlassen.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ sind nachweislich 31 aus Rodheim v.d.H. stammende bzw. hier längere Zeit ansässig gewesene Juden Opfer der „Endlösung“ geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/rodheim_synagoge.htm).
Am Standort der ehemaligen Synagoge wurde ein Gedenkstein errichtet; auf einem granitenen Block trägt eine schwarze Marmorplatte die Inschrift:
Gedenktafel (Aufn. Karsten Ratzke, 2011, aus: wikipedia.org, CCO)
In Burgholzhausen v.d.Höhe (heute Ortsteil von Friedrichsdorf/Hochtaunuskreis) erinnert noch heute das ca. 2.100 m² große Begräbnisareal mit seinen nur noch wenigen Grabsteinen – die meisten Steine wurden in der NS-Zeit zerstört - daran, dass hier Verstorbene aus Rodheim v.d.Höhe, Burgholzhausen, Petterweil und Ober-Rosbach ihre letzte Ruhe fanden; zeitweise diente das Gelände auch als Beerdigungsstätte für Juden aus Köppern, Ober-Erlenbach und Nieder- u. Ober-Eschbach.
(Aufn. K. Ratzke, 2014, aus: wikipedia.org, CCO und J. Hahn, 2008)
Auf dem in der NS-Zeit fast völlig zerstörten und später wieder hergerichteten Friedhof in Burgholzhausen erinnert heute ein Gedenkstein mit folgenden Worten:
Dem Andenken derer, die auf diesem Friedhof beerdigt sind
und deren Namen nicht festgestellt werden konnten
ist diese Tafel zur ewigen Erinnerung gewidmet.
Hinweis: Im hessischen Rodheim-Bieber (im Kreis Gießen) existierte auch eine kleine israelitische Gemeinde. vgl. unter: Wetzlar (Hessen)
In Ober-Erlenbach gab es im 19.Jahrhundert eine sehr kleine jüdische Gemeinde, der auch die wenigen Familien aus Nieder- und Ober-Eschbach angehörten. In einem Gebäude in der Bornstraße befand sich ein Betraum und ein rituelles Bad. Verstorbene wurden auf dem Friedhof in Burgholzhausen bestattet. Nach dem Ersten Weltkrieg löste sich die Gemeinde auf; verbliebene Juden schlossen sich der Gemeinde Rodheim an. - Am Gebäude der ehemaligen Synagoge ist seit 1988 eine Tafel angebracht.
vgl. Bad Homburg v.d.Höhe (Hessen)
Die Bildung einer winzigen Gemeinde in Petterweil geht ins 17.Jahrhundert zurück. Nahe des Schlosses gab es eine „Judengasse“. Im 19. Jahrhundert suchten die jüdischen Einwohner von Petterweil die Synagoge in Rodheim bzw. auch in Groß Karben auf. Bis in die 1870er Jahre hatten alle jüdischen Bewohner dem Dorf den Rücken gekehrt.
Weitere Informationen:
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 2, S. 228 f.
Thea Altaras, Synagogen in Hessen - Was geschah seit 1945?, Königstein 1988
Stephan Roscher, Ober-Rosbach, Nieder-Rosbach und Rodheim v.d.Höhe. Drei Wetteraugemeinden zwischen Alltag und NS-Ideologie, Friedberg (Hessen) 1994, S. 103 - 126
Rodheim v.d.Höhe, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Ober-Erlenbach, in: alemannia-judaica.de
Petterweil, in: alemannia-judaica.de
Marianne Pfeilstöcker, Jüdischer Friedhof in Friedrichsdorf-Burgholzhausen, Selbstverlag, Friedrichsdorf-Burgholzhausen 2002
Rodheimer Geschichts- u. Heimatverein e.V. (Hrg.), 300 Jahre jüdisches Leben in Rodheim vor der Höhe, in: Beiträge zur Geschichte von Rodheim vor der Höhe, "Rodheimer Hefte", No. 4/2003 (mehrere längere Aufsätze)
Susanne Gerschlauer, Katalog der Synagogen, in: Ulrich Schütte (Hrg.), Kirchen und Synagogen in den Dörfern der Wetterau, "Wetterauer Geschichtsblätter - Beiträge zur Geschichte u. Landeskunde", Band 53, Friedberg (Hessen) 2004, S. 577