Rogasen (Posen)
Rogasen (poln. Rogozno, nördlich von Posen/Poznan gelegen) war seit Ende des 13.Jahrhunderts mit Stadtrechten ausgestattet und stand unter der Herrschaft einer adligen Familie; um 1750 entstand die Neustadt, die vor allem von Tuchmachern bewohnt wurde. Nach der 2.Teilung Polens (1793) gehörte Rogasen zu Preußen. Heute ist Rogozno (derzeit ca. 11.000 Einw.) eine Kleinstadt in der polnischen Woiwodschaft Poznan (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Polen' mit Rogozno markiert, aus: mapa.livecity.pl).
Über das Alter der jüdischen Gemeinde können keine eindeutigen Angaben gemacht werden, da zwei Großbrände Anfang des 18.Jahrhunderts alle schriftlichen Unterlagen vernichtet haben. Der erste Hinweis auf einen Juden in Rogasen stammt aus dem Jahre 1569; als ältestes urkundliches Zeugnis liegt ein königliches Privileg aus dem Jahre 1778 vor. Doch möglicherweise datiert jüdische Ansiedlung bereits wesentlich früher, nämlich im 14.Jahrhundert. Als der Ort Rogasen im Zuge der zweiten polnischen Teilung 1793 an Preußen fiel, lebten dort etwa 1.000 jüdische Bewohner; die allermeisten wohnten in der Altstadt. Ihren Lebensunterhalt verdienten sie als Händler, aber auch als Handwerker wie Schneider, Mützenmacher, Posamentiers oder Bäcker; so besaßen die zahlreichen in Rogasen lebenden Schneider sogar eine eigene Innung.
Kleines jüdisches Geschäft in Rogasen (hist. Aufn.)
Die mit kunstvollen Holzschnitzereien ausgestattete Synagoge aus dem Jahre 1792 stand inmitten der Altstadt; 1861 wurde ein Neubau eingeweiht. Seit 1840 übte der berühmte Moses Feilchenfeld aus Santomischel das Amt des Rabbiners in Rogasen aus; ihm folgte 1873 Salomon Plessner nach. Seit 1866 verfügte die Gemeinde über eine differenzierte Synagogenordnung.
Als 1808 der alte Friedhof am „Judenberge“ belegt war - dessen Ursprung lag vermutlich im ausgehenden 16.Jahrhundert - und deshalb geschlossen wurde, legte man eine neue Beerdigungsstätte an.
Als die jüdischen Kinder 1835 aus den städtischen Schulen verwiesen wurden, rief die Gemeinde eine eigene Schule ins Leben; sie wurde zunächst dreiklassig geführt.
Juden in Rogasen:
--- 1793 ....................... ca. 1.000 Juden,
--- 1836 ....................... ca. 1.500 “ (ca. 40% d. Bevölk.),
--- 1840 ........................... 1.350 “ ,
--- 1858 ....................... ca. 1.500 “ ,* * incl. zweier Dörfer
--- 1887 ........................... 1.318 “ ,
--- 1895 ........................... 834 “ ,
--- 1905 ........................... 666 “ ,
--- 1913 ........................... 516 “ (ca. 9% d. Bevölk.),
--- 1921 ....................... ca. 250 “ ,
--- 1939 ....................... ca. 40 “ .
Angaben aus: Heppner/J.Herzberg, Aus Vergangenheit u. Gegenwart der Juden u. der jüdischen Gemeinden, S. 898
Unter den Stadtverordneten Rogasens waren zeitweilig mehr als die Hälfte Juden. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts nahm die Zahl der jüdischer Einwohner stetig ab; kurz vor dem Ersten Weltkrieg lebten nur noch etwa 500 Juden in der Kleinstadt. In den Jahren danach beschleunigte sich zusehends der Niedergang der Gemeinde.
Hauptstraße in Rogasen (hist. Aufn.)
Während der NS-Herrschaft geschah der völlige Untergang der jüdischen Gemeinde in Rogasen. Deren Synagoge wurde im ersten Kriegsjahr zerstört. Die letzten 20 jüdischen Bewohner wurden im November 1939 ins „Generalgouvernement umgesiedelt“.
Die Grabsteine des alten jüdischen Friedhofs aus dem 17. Jahrhundert wurden entfernt und zum Wegebau benutzt.
Vom einstigen (jüngeren) jüdischen Friedhof sind heute nur einige steinerne Relikte des ehemaligen Taharahauses vorhanden; ansonsten ist das Areal fast völlig von der Vegetation überwuchert und kaum als ehemals genutztes Begräbnisgelände auszumachen.
1829 wurde Marcus Jastrow in Rogasen geboren. Nach seiner Ausbildung in Posen und Berlin war er in verschiedenen Städten als Rabbiner tätig, so in Warschau, Worms und seit 1866 in Philadelphia. Dort hatte er einen Lehrstuhl für religiöse Philosophie und jüdische Geschichte inne. Zahlreiche Publikationen machten ihn bekannt. 1903 starb Marcus Jastrow in Germantown/Philadelphia.
Der 1854 in Rogasen geborene Cossmann Werner, dessen Vater der Talmudist und Hebräist Philipp Werner war, besuchte zunächst das Rabbinerseminar in Breslau; gleichzeitig betrieb er ein Studium, das er 1877 in Leipzig mit seiner Promotion beendete. Kurz danach erhielt er aus Danzig eine Berufung zum Rabbiner. 1894 wählte ihn die Münchner Kultusgemeinde zu ihrem neuen Gemeinderabbiner. Neben seinen seelsorgerischen Aufgaben engagierte er sich als Vorsitzender der Bayerischen Rabbinerkonferenz; auch war er Berater der bayerischen Regierung in jüdischen Angelegenheiten und Mitbegründer des Rabbinerverbandes in Deutschland. 1906 stiftete er seine wertvolle Bibliothek der Kultusgemeinde, die sie als „Cossmann-Werner-Bibliothek" der Öffentlichkeit zugänglich machte. Cossmann Werner verstarb 1918 in München.
Heinrich Weyl (Jg. 1866) war in Rogasen gebürtig. Nach dem Besuch des Gymnasiums Altona studierte er in den 1890er Jahren an der Universität in Berlin und besuchte zugleich das dortige Rabbinerseminar, wo er 1897 seine Ordination erhielt. Nach der Promotion (Univ. Bern) wirkte er von 1901 bis 1919 als Rabbiner und Leiter der Religionsschule in Czarnikau/Posen. Unter seiner Ägide wurden Ortsgruppen des „Hilfsvereins der deutschen Juden“ ins Leben gerufen, die sich während des Ersten Weltkrieges für Flüchtlinge aus Osteuropa einsetzten. Von 1920 bis 1938 wirkte Dr. Heinrich Weyl als Rabbiner der Israelitischen Religionsgesellschaft in Düsseldorf. 1939 emigrierte er in die Niederlande. Über Westerbork führte 1943 sein Weg in das KZ Auschwitz-Birkenau, wo er ermordet wurde.
Weitere Informationen:
A.Heppner/J.Herzberg, Aus Vergangenheit und Gegenwart der Juden und der jüdischen Gemeinden in den Posener Landen, Koschmin - Bromberg 1909, S. 897 – 901
Jacob Jacobson, Zur Geschichte der Juden Rogasen, Berlin 1935
A. Genest/S. Marquardt (Bearb.), Quellen zur Geschichte der Juden in polnischen Archiven, Band 1: Ehemalige preußische Provinzen: Pommern, Westpreußen, Ostpreußen ..., hrg. von S. Jersch-Wenzel im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, K.G.Saur, München 2003, S. 410
Rogozno, in: sztetl.org.pl
K. Bielawski (Red.), Rogozno, in: kirkuty.xip.pl