Ruhrort-Duisburg (Nordrhein-Westfalen)

 Ruhrort mit derzeit mehr als 5.000 Einwohnern ist heute ein rechtsrheinischer Stadtteil von Duisburg - unmittelbar nördlich der Mündung der Ruhr in den Rhein gelegen (hist. Karte um 1805, aus: genwiki.genealogy.net/Duisburg).

DuisburgHafenGesamtansicht1845.jpg

Duisburg-Ruhrort, Stahlstich um 1850 (Quelle unbekannt, aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

In Ruhrort existierte eine jüdische Gemeinde seit Ende des 18.Jahrhunderts; diese erreichte in den 1920er Jahren ihren personellen Höchststand. Bis Ende des 18.Jahrhunderts finden sich nur sehr wenige urkundliche Belege für jüdisches Leben in Ruhrort; stets waren es nur einzelne Juden, die sich vorübergehend in Ruhrort aufhielten bzw. wohnten; erst danach siedelten sich Juden dauerhaft hier an. Zu gottesdienstlichen Zusammenkünften nutzten die Ruhrorter Juden gegen Ende des 18.Jahrhunderts einen Betraum in einem Privathause am Alten Markt; ab 1825 diente der jüdischen Gemeinde ein Wohnhaus neben der Altstädter Kirche als Synagoge. Etwa 15 Jahre später erwarb die Kultusgemeinde ein Grundstück in der Landwehrstraße, auf dem im August 1841 die neue Synagoge eingeweiht wurde; sie lag im hinteren Bereich des Grundstücks; der Synagoge waren eine Schule und die Lehrerwohnung angeschlossen.

                         Frontansicht Synagoge in Ruhrort, (um 1910)

                 Über das 50jährige Jubiläum der Synagoge berichtet die „Ruhrorter Zeitung” Ende August 1891:

... Eine Synagogen-Feier hat stattgefunden. Das ... gefeierte fünfzigjährige Jubiläum der Erbauung des israelitischen Gotteshauses hat eine große Anzahl Festtheilnehmer, fremde wie auswärtige, vereint, auch Andersgläubige waren nicht wenig zu bemerken. Am Freitagabend begann das Fest mit einem Gottesdienst in der prächtig dekorirten Synagoge, die auf das geschmackvollste ... mit neuen Wandmalereien versehen war. Am Samstagmorgen fand der eigentliche Festgottesdienst unter Mitwirkung des Synagogenchores statt, bei welchem Herr Oberrabbiner Dr.Horowicz-Crefeld die Predigt hielt ... Zwischen Concert und dem Festbankett, an welchem sich Theater und Ball anschloß, lag nur eine kurze Pause, gesangliche und musikalische Leistungen boten in Verbindung mit zwei Theaterstücken des Unterhaltenden genug, ehe der Ball seinen Anfang nahm. Bis früh zum kommenden Morgen währte derselbe, dem in jeder Hinsicht auf das würdigste verlaufenen Fest einen guten Abschluß geben. ...

Eine jüdische Elementarschule gab es in Ruhrort ab etwa 1825/1830; diese war - mit kurzzeitigen Unterbrechungen - etwa 100 Jahre in Betrieb.

Über ein eigenes Friedhofsgelände verfügte die Ruhrorter Judenschaft bereits um 1710; allerdings musste bei jeder Beerdigung eine Gebühr an die Kommune bezahlt werden. Eine Erweiterung erfuhr die Begräbnisfläche gegen Mitte des 18. und zu Beginn des 19.Jahrhunderts. Als das Gelände (zwischen Rheinbrückenstraße und Rheinallee) Ende des 19.Jahrhunderts belegt war, erwarb man einen neuen Begräbnisplatz in Beeck-Stockum.

Ab Mitte der 1850er Jahre gehörte Ruhrort - bis zu dessen Auflösung 1877 - dem Synagogenbezirk Duisburg an. Zur Synagogengemeinde Ruhrort zählten ab 1879 auch die Ortschaften Meiderich, Laar, Stockum, Beeck, Beeckerwertk und Knipp. Jüdische Zuwanderer aus Osteuropa fanden erst nach 1905 in Ruhrort eine Bleibe.

Juden in Ruhrort:

    --- um 1750 .........................   2 jüdische Familien,

    --- 1790 ............................   5     “       “    ,

    --- 1816 ............................  56 Juden,

    --- 1840 ............................  87   “  ,

    --- um 1850 ..................... ca. 100   “  ,*            * einschl. Meiderich, Laar u. Beeck

    --- um 1865 ..................... ca. 135   “  ,*

    --- 1877 ........................ ca. 170   “  (in 35 Familien),*

    --- 1885 ............................ 187   "  ,

    --- 1895 ............................ 216   “  ,*

    --- 1905 ............................ 301   “  ,*

    --- 1925 ............................ 487   “  ,*

    --- 1932 ........................ ca. 150   "  ,

             ............................ 400   “  ,*

    --- 1937 (Juli) ..................... 185   “  ,*

             (Nov.) ..................... 155   “  .

Angaben aus: Günter von Roden, Geschichte der Duisburger Juden, Teil 1, S. 456 und S. 489

und                 Elfi Pracht-Jörns, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Teil II, Reg.bez. Düsseldorf, S. 92

 

Mit Beginn der NS-Herrschaft wurden auch die Angehörigen der Ruhrorter Gemeinde öffentlich bedroht und verleumdet, letztendlich ganz aus Wirtschaft und Gesellschaft verdrängt. 1937 schlossen sich die drei Synagogengemeinden Duisburg, Ruhrort und Hamborn zur Kultusgemeinde Duisburg zusammen. In dem Zusammenhang wurde der Friedhof in Beeck geschlossen, Gebeine und Grabsteine auf das Begräbnisareal in Hamborn überführt.

Die Synagoge in der Landwehrstraße wurde am 10. November 1938 von NS-Angehörigen in Brand gesetzt und zerstört.

                                             Ausgebrannte Synagogenruine (Aufn. Karl Abel) 

Im Bericht des 8. Duisburger Polizeireviers ist ff. Eintragung festgehalten: „ In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 wurde die Wohnungseinrichtung des jüdischen Rabbiners und Lehrers Friedrich Kaiser, wohnhaft Landwehrstr. 21, demoliert. Die hinter dem Wohnhaus liegende Synagoge brannte vollständig aus. Die Feuerlöschpolizei der Stadt Duisburg und die freiwillige Feuerlöschpolizei Ruhrort waren am Brandherd anwesend und schützten die anliegenden Wohnhäuser.“ Wenige Monate später wurde die Brandruine abgerissen; das jüdische Gemeindehaus überstand hingegen die NS-Zeit.

Nachweislich sind 59 jüdische Bewohner aus Ruhrort Opfer der NS-Gewaltherrschaft geworden.

 

Von dem im frühen 18. Jahrhundert angelegten und bis 1894 genutzten jüdischen Friedhof (zwischen Rheinbrückenstraße u. Rheinallee) sind heute keine Grabsteine mehr erhalten; einzig noch die Friedhofsmauer erinnert an das ehemalige Begräbnisgelände.

Friedhofsmauer ehemaliger jüdischer Friedhof Ruhrort.jpg Reste der Friedhofsmauer (Aufn. CfBolz, 2017, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)

Anm.: Der Friedhof in Beek-Stockum - angrenzend an den katholischen Friedhof der Kirchengemeinde Laar – wurde 1890 als Nachfolgerfriedhof für den alten Ruhrorter Friedhof angelegt; 1905 wurde eine Leichenhalle gebaut. Der Friedhof diente auch den Meidericher Juden als Bestattungsort. 1942 fanden hier die letzten Urnenbeisetzungen statt.

Bildergebnis für ruhrort juden gedenktafel Im Jahre 1983 wurde am früheren Standort der Synagoge in der Landwehrstraße 21 eine Gedenktafel mit folgendem Wortlaut angebracht:

Bis 1938 stand hier die Ruhrorter Synagoge.

Das Versammlungshaus der jüdischen Gemeindewurde durch Judenhaß und politischen Terror zerstört.

Obige Abb. Heiner Heseding, in: localkompass.de vom 17.10.2016

Bauliche Relikte der ehemaligen Synagoge sind nicht vorhanden; heute befindet sich hier ein Gebäude, das ein Zentrum des Katastrophenschutzes der Landes NRW und eine Bereitschaft des DRK beherbergt.

In den Straßen von Duisburg-Ruhrort findet man mittlerweile mehr als 30 sog. „Stolpersteine“, die an Opfer der NS-Herrschaft erinnern; die letzten sechs Steine wurden 2018 vor einem Hause in der Landwehrstraße, in dem die jüdische Familie Hillmann gewohnt hatte, verlegt.

File:Stolperstein Duisburg 400 Ruhrort Fabrikstraße 21 Leo Häusler.jpg File:Stolperstein Duisburg 400 Ruhrort Landwehrstraße 21 Adolf Heymann.jpg File:Stolperstein Duisburg 400 Ruhrort Fabrikstraße 26 Selma Benjamin.jpg

Stolperstein Duisburg 400 Ruhrort Fabrikstraße 21 4 Stolpersteine.jpg Stolperstein Duisburg 400 Ruhrort Dr-Hammacher-Straße 13 3 Stolpersteine.jpg

alle Aufn. Harald Malte Schwarz, 2017, aus: commons.wikimedia.org, CCO)

[vgl. Duisburg und Hamborn (Nordrhein-Westfalen)]             

 

 

 

Weitere Informationen:

Günter von Roden, Geschichte der Duisburger Juden, in: "Duisburger Forschungen", Bd. 34, Walter Braun Verlag, Duisburg 1986, Teil 1, S. 439 - 520

Michael Zimmermann (Hrg.), Geschichte der Juden im Rheinland und in Westfalen, in: "Schriften zur politischen Landeskunde", Band 11, Hrg. Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen, Kohlhammer Verlag GmbH, Köln/Stuttgart/Berlin 1998

Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 in Nordrhein-Westfalen, Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag, Bochum 1999, S. 143/144

Elfi Pracht-Jörns, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Teil II: Regierungsbezirk Düsseldorf, J.P. Bachem Verlag, Köln 2000, S. 92 ff.

Evang. Kirchenkreis/Evang. Familienbildungswerk Duisburg (Hrg.), Stolpersteine in Duisburg. Wir erinnern an Naziopfer und zwei Täter, Duisburg 2005, S. 45 - 52

Nathanja Hüttenmeister (Bearb.), Der jüdische Friedhof in Duisburg-Beek, in: steinheim-institut.de

Kurt Walter, Jüdisches Leben in Ruihrort, hrg. von kulturwerft-ruhrort.de 2011 (als PDF-Datei abrufbar)

Ludger J. Heid (Red.), Schulklassen sahen zu, als die Duisburger Syagogen brannten, in: „WAZ - Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ vom 9.11.2013

Noch viele Jahre lang habe ich nachts von Duisburg geträumt“ - Ausstellung 2015/2016 (Anm.: zeigt jüdische Schicksale in Duisburg zwischen 1918 und 1945)

Thomas Warnecke (Red.), Weitere Stolpersteine verlegt. Shalom für die Zukunft, in: „Stadt-Panorama Duisburg“ vom 15.9.2016

Petra Grünendahl (Red.), Zentrum für Erinnerungskultur. Neue „Denkstätte“ in Duisburg, in: "Duisburg am Rhein – Betrachtungen. Ein Magazin für Duisburg", Ausg. vom 5.5.2016 (online abrufbar unter: duisburgamrhein.wordpress.com)

Heiner Heseding (Red.), Schweigend erinnern – Gedenkminute für die ermordeten Ruhrorter Juden, in: "Wochenanzeiger Duisburg" vom 17.10.2016 (lokalkompasse.de)

Auflistung der in Duisburg (incl. Ruhrort) verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Duisburg

Thomas Richter (Red.), Fünf Stolpersteine in Gedenken an eine Ruhrorter Familie, in: "WAZ - Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ vom 13.9.2018