Saalfeld (Thüringen)
Saalfeld ist eine Kreisstadt des thüringischen Landkreises Saalfeld-Rudolstadt mit derzeit etwa 29.000 Einwohnern – ca. 45 Kilometer südwestlich von Jena bzw. ca. 50 Kilometer südöstlich von Erfurt gelegen (aktuelle Kartenskizze 'Thüringen', aus: kussler.net und Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei).
Eine selbstständige jüdische Gemeinde hat es in Saalfeld in der Neuzeit nicht gegeben.
Einzelne jüdische Bewohner von Saalfeld lassen sich schon Ende des 13.Jahrhunderts nachweisen; sie bestritten vornehmlich ihren Lebenserwerb vom Geldhandel und waren den dortigen Grafen von Schwarzburg abgabenpflichtig. Im Zuge der Pestpogrome von 1348/1349 wurden sie von hier vertrieben, einige gelangten aber Jahrzehnte später wieder nach Saalfeld; fortan standen sie unter dem Schutz der wettinischen Markgrafen. Ob die jüdischen Familien in der Folgezeit abermals vertrieben wurden, ist nicht bekannt.
Anm.: Drei Juden aus Saalfeld zählten 1357 zu den Mitbegründern der neuen Erfurter Gemeinde.
Erst zu Beginn des 18.Jahrhunderts sollen sich zeitweilig wieder Juden in der Stadt aufgehalten haben. Eine Gemeinde bildete sich jedoch hier nicht. Ein Betraum befand sich in einem der jüdischen Privathäuser, vermutlich in der Saalstraße.
Verstorbene wurden auf dem jüdischen Friedhof in Erfurt beerdigt.
Juden in Saalfeld:
--- 1418 ........................ ca. 10 jüdische Familien,
--- um 1500 ......................... ?
--- 1895 ............................ 31 Juden,
--- 1910 ............................ 60 " ,* *andere Angabe: 33 Pers.
--- um 1925/30 .................. ca. 35 " (in ca. 15 Familien),
--- 1933 ............................ 33 " ,
--- 1939 (Mai) ...................... 14 " .
Angaben aus: Germania Judaica, Band III/2, S. 1283
und M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg, Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland ..., S. 589
Ansicht von Saalfeld um 1900 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Anfang der 1930er Jahre lebten in Saalfeld etwa 15 jüdische Familien, die ihren Lebensunterhalt zumeist als Geschäftsleute verdienten.
Stellenanzeige des Haushaltswarengeschäftes S. Becker (von 1916)
Schuhhaus Katz am Markt (hist. Aufn., aus: Sammlung P.K.Müller)
In der „Kristallnacht“ vom November 1938 wurden neun jüdische Männer inhaftiert.
Während zwei Familien noch rechtzeitig die lebensrettende Emigration gelang, wurden die noch verbliebenen vier Familien deportiert.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden nachweislich mindestens acht jüdische Bürger aus Saalfeld Opfer der Shoa (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/saalfeld_juedgeschichte.htm).
Im Jahre 2008 wurden sog. „Stolpersteine“ für sieben Angehörige der Familie Friedmann (Lange Gasse) sowie drei für Mitglieder der Familie Katz (Wielandstraße) verlegt. In den Jahren danach folgten noch weitere fünf Steine.
Sieben "Stolpersteine" für Familie Friedmann (Aufn. TL 2009, aus: wiki-de.genealogy.net/Datei:Saalfeld_Stolperstein_LangeGasse29.jpg).
in der Wielandstraße (Aufn. N.R., 2015, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Die südlich des Marktes/Rathauses gelegene „Judengasse“ in Saalfeld erinnert heute noch an die mittelalterliche jüdische Geschichte der Stadt.
Anmerkung: Ob allerdings die Bezeichnung „Judengasse“ auf die im 14/15.Jahrhundert erwähnten in der Stadt ansässigen Juden zurückgeht, ist nicht nachweisbar, doch höchst wahrscheinlich.
Hinweis: In Oberloquitz, unweit von Saalfeld gelegen, soll es in der NS-Zeit ein Lager für jüdische Häftlinge gegeben haben, die in den hiesigen Schiefergruben zur Zwangsarbeit eingesetzt wurden.
Im saaleabwärts gelegenen Rudolstadt lebten nach den Erfurter Steuerlisten erstmals 1357 zwei Juden. Ab der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts lassen sich erneut einzelne jüdische Bewohner nachweisen; zu den Gründungsfamilien der jüdischen Gemeinde in Rudolstadt zählten drei aus Dessau stammende Juden: Marcus Aron, David Hirsch Schwabe und Isaak Callmann. Diese erhielten um 1785 von der fürstlichen Kammer Handelskonzessionen. Weitere Zuzüge von Juden scheiterten mehrfach am Widerstand einheimischer Kaufleute. 1796 anerkannte Fürst Ludwig Friedrich II. von Schwarzburg-Rudolstadt - einer der fortschrittlichsten Regenten des kleinen Fürstentums - sie als gleichberechtigte Religionsgemeinschaft an. Die nur aus wenigen Familien bestehende Gemeinschaft - um 1800 waren es fünf Familien - versammelte sich seit 1796 in einem Betraum in einem Privathause am Markt. Fürst Ludwig Friedrich hatte zuvor die Erlaubnis zur Abhaltung gottesdienstlicher Zusammenkünfte erteilt. Der Betraum wurde folgendermaßen beschrieben: „... Am meisten fallen in das Auge vier Decken aus kostbarem Stoff ... mit aufgenähten hebräischen Schriftzeichen, umgeben von prächtigen Spitzen, eine mit Einsätzen wunderschöne Stickerei. Diese Vorhänge sind mit je einer Reihe silberner Kugeln besetzt. Sie dienen als äußere Verhüllung der Gesetzesrollen. Über den Vorhängen befinden sich 4 Tafeln mit Gebeten, von denen die in deutscher Sprache wie die danebenhängende in hebräischer Segenswünsche für den Fürsten Ludwig Friedrich enthält. Die Wand links ist ebenso wie der darunter befindliche Teppich mit Decken aus verschiedenem Stoff mit eingewirkten oder aufgenähten Mustern bedeckt, die reichlich Spuren ihres rituellen Gebrauches ... aufweisen. Auf dem Tische liegen die größten Heiligtümer der Synagoge, die Thora-Rollen, auf je eine 30 - 40 m lange Bahn aneinander genähte Pergamentblätter fein säuberlich geschrieben und die Bücher Mosis enthaltend. Die Rollen lassen sich um je zwei Stäbe aufrollen. Sie stellen eine Fülle kalligraphischer Arbeit vor, auch das verwendete Material repräsentiert schon an sich einen erheblichen Wert ...“ (aus: Rudolf Ohse, Die Städtische Altertumssammlung zu Rudolstadt, Rudolstadt 1913, S. 30 f.)
Ein kleines Beerdigungsgelände wurde um 1800 an der Debrastraße angelegt; die letzte Beerdigung fand hier 1911 statt. 1935 wurde der Friedhof eingeebnet.
Die jüdische Gemeinde in Rudolstadt blieb stets klein; sie löste sich 1874 wegen Mitgliedermangels auf. Um 1910 lebten in Rudolfstadt knapp 40 Juden; 1933 waren es nur noch ca. 20 Personen. Im Sommer 1938 gab es hier drei Geschäfte mit jüdischen Inhabern; Anfang 1939 mussten diese im Zuge der „Arisierung“ aufgegeben werden.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ wurden nachweislich zehn aus Rudolstadt stammende bzw. hier länger ansässig gewesene jüdische Bewohner Opfer der „Endlösung“ (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/rudolstadt_synagoge.htm).
Das Thüringer Landesmuseum Heidecksburg verfügt über einen wertvollen Bestand von Judaica, die aus der kleinen Rudolstädter Gemeinde stammen; bei den mehr als 30 Objekten handelt es sich um zwei Thorarollen, vier Gebetstafeln, Thoramäntel, -wimpel und -vorhänge aus dem späten 18. Jahrhundert – eine in ganz Thüringen unvergleichbare Sammlung.
Nach der Auflösung der Rudolstädter Gemeinde im Jahre 1911 übergab die Familie Callmann die Sammlung dem städtischen Altertumsmuseum, dessen Bestände nach dem Ersten Weltkrieg zur Heidecksburg gelangten. Während der Zeit des Nationalsozialismus konnten die Judaica-Bestände durch das Engagement der Direktoren geschützt und bewahrt werden.
Gebetstafeln vom Rudolstädter Betraum, um 1795
Thora-Wimpel
In Pößneck, östlich von Saalfeld gelegen, sollen im 14./15.Jahrhundert vereinzelt Juden gelebt haben. Erst ab Mitte des 19.Jahrhunderts lassen sich wieder einige Familien nachweisen; in den 1890er Jahren haben etwa 50 Personen mosaischen Glaubens hier gelebt, die Einzelhandelsgeschäfte betrieben. Das größte Geschäft war das Kaufhaus Binder in der Breiten Straße.
Kaufhaus David Binder (hist. Postkarte, aus: Ph. Gliesing)
Eine jüdische Gemeinde gab es hier aber zu keiner Zeit; vermutlich war aber ein Betraum vorhanden. Anfang der 1930er Jahre lebten in Pößneck ca. 15 jüdische Bewohner.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ wurden zwölf aus Pößneck stammende bzw. hier ansässig gewesene jüdische Bewohner Opfer der „Endlösung“ (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/poessneck_juedgeschichte.htm).
Seit 2008 erinnern ca. zehn sog. „Stolpersteine“ an ehemalige jüdische Einwohner.
"Stolpersteine" für Fam. Binder, Breite Straße (Aufn. 2008)
Auf Initiative des Vereins "Pößneck Alternativer Freiraum" und der evangelisch-lutherischen Kirchgemeinde wurden 2014 noch weitere acht Steine verlegt. Im Gehweg der Friedrich-Engels-Straße erinnern nun auch "Stolpersteine" an Alexander Benjamin, seine Frau Sophie und seine Tochter Ilse sowie an die ebenfalls im Haus lebende Gerda Abraham (geb. Benjamin). Vor einem Haus der Tuchmacherstraße erinnern zwei Steine an den Rohprodukten- und Fellhändler Harry Falkenstein und seine Frau Esther, deren Spuren sich in Auschwitz verlieren.
vgl. Pößneck (Thüringen)
Im Jahre 2010 wurde in Bad Blankenburg ein sog. „Stolperstein“ verlegt; dieser erinnert in der Georgstraße an den Fabrikanten Max Henschel (Abb. N.R., 2015, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0), der auf Grund seiner jüdischen Herkunft verfolgt und nach Theresienstadt verschleppt wurde; er überlebte die NS-Zeit und verstarb 1956.
In Gräfenthal – einem Landstädtchen mit derzeit ca. 1.900 Einwohnern – sind zu Beginn des 15.Jahrhunderts vier Juden bezeugt. Inwieweit in den Folgejahrhunderten jüdisches Leben hier vorhanden war, lässt sich nicht eindeutig nachweisen. Erst nach 1870 sind einzelne jüdische Familien in Gräfenthal ansässig gewesen.
Weitere Informationen:
Gerhard Buchmann, Rudolstädter Judengeschichte, Weimar 1939
Germania Judaica, Band II/2, Tübingen 1968, S. 725 und Band III/2, Tübingen 1995, S. 1283/1284
Heinz Deubler, Die jüdische Gemeinde des 18. und 19.Jahrhunderts zu Rudolstadt, in: "Rudolstädter Heimathefte", 35/1989, S. 203 f.
M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg, Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), in: Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum, Hrg. Peter v.d.Osten-Sacken, Band 22, Berlin 1994, S. 589
Karl-Heinz Swirszczuk (Bearb.), Juden in Rudolstadt, Hrg. Gymnasium ‘Friedericianum’, Rudolstadt 1997
Philipp Gliesing/Dennis Günthel, Die Reichspogromnacht in Deutschland am Beispiel des Gaues Thüringen und die Folgen für die Juden in Pößneck, Seminarfacharbeit Staatliches Gymnasium „Am Weißen Turm“, Pößneck 2002, S. 15 – 26 (Pößneck)
Peter Lange, Die „Arisierung“ der Saalfelder Maschinenfabrik Auerbach und Scheibe, in: "Rudolstädter Heimathefte. Beiträge aus dem Landkreis Saalfeld- Rudolstadt und seiner Umgebung", No. 48 (2002), Heft 7/8, S. 210
Studienkreis Deutscher Widerstand (Hrg.), Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945, Band 8 Thüringen, Frankfurt/M. 2003, S. 242 (Saalfeld) und S. 239 - 241 (Rudolstadt)
Monika Gibas (Hrg.), Quellen zur Geschichte Thüringens: ‘Arisierung’ in Thüringen (1.Halbband). Entrechtung, Enteignung und Vernichtung der jüdischen Bürger Thüringens 1933 - 1945, Hrg. Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Erfurt 2006, S. 26 f.
Stefan Litt, Die Juden der Schwarzburgischen Territorien im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Beiträge zur Geschichte der Juden Schwarzburgs - Juden in Schwarzburg Band 1. Festschrift zu Ehren Prof. Philipp Heidenheims (1814 - 1906) - Rabbiner in Sondershausen - anlässlich seines 100.Todestages, Sondershausen 2006, S. 8 - 18
Israel Schwierz, Zeugnisse jüdischer Vergangenheit in Thüringen. Eine Dokumentation, hrg. von der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Sömmerda 2007, S. 146 (Gräfenthal), S. 207/208 (Pössneck), S. 211/212 /Rudolstadt) und S. 215 (Saalfeld)
Marius Koity, Freude trotz aller Trauer (Verlegung von Stolpersteinen in Pösneck), aus: „Ostthüringische Zeitung“ vom 9.5. 2008
Frank Wagner, Juden als Händler im Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt, in: "Rudolstädter Heimathefte", No. 55/2009, Heft 11/12, S. 282 ff.
Lutz Unbehaun, Rudolstädter Judaica: Zeugnisse jüdischen Lebens aus dem 18. und 19.Jahrhundert, hrg. vom Thüringer Landesmuseum Heidecksburg, Rudolstadt 2009
Saalfeld/Thüringen, in: alemannia-judaica.de
Rudolstadt, in: alemannia-judaica.de
Pösneck, in: alemannia-judaica.de
Residenzschloss Heidecksburg – die Judaica-Sammlung, online unter: heidecksburg.de
Auflistung der Stolpersteine in Saalfeld, in: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Saalfeld
Roberto Burian (Red.), „Stolpersteine“ erinnern an jüdische Mitbürger, in: „Ostthüringer Zeitung“ vom 3.6.2010
Philipp Gliesing, Jüdisches Leben in Pößmeck. Ein Wegweiser für Erinnerung, Verständigung und Zivilcourage. Ein Kooperationsprojekt des Kulturamtes der Stadt Pößneck und der ABC-Geschichtswerkstatt von Pößneck Alternativer Freiraum e.V., Backnang 2013
Peter Cissek (Red.), Acht „Stolpersteine“ mehr in Pößneck, in: „Ostthüringer Zeitung“ vom 20.3.2014
Sabrina Lüderitz, Jüdisches Leben in der Residenzstadt Rudolstadt, in: „Heimat Thüringen“, Band 27/2020, S. 15 - 17
Lutz Unbehaun, Jewish Life in Rudolstadt: on the cultural history of a small residence town, in: „Ritual objects in ritual contexts“, 2020, S. 104 - 109
Lars Krauße, The mikvaoth and the cemetery of the jewish community in Rudolstadt, in: „Ritual objects in ritual contexts“, 2020, S. 118 - 123
Judith Frishman, A mysterious mizrach from Rudolstadt, in: „Ritual objects in ritual contexts“, 2020, S. 152 – 160
Martha Stellmacher, Prayers of the jewish community in Rudolstadt for the local gentile rulers, in: „Ritual objects in ritual contexts“, 2020, S. 162 - 171
Lars Krauße, Die Ausstattung des Betraumes der ehemaligen jüdischen Gemeinde Rudolstadt, in: „Thüringer Museumshefte“, Band 30/2021, S. 35 - 38
Guido Berg (Red.), Stolperstein für Werner John in Rudolstadt verlegt, in: „Ostthüringer Zeitung“ vom 8.5.2024 (W.John war ein politisch Verfolgter)
Wolfgang Wehr (Bearb.), Jüdisches Leben in Gräfenthal, in: „Rudolstädter Heimathefte: Beiträge aus dem Landkreis Saalfeld-Rudolstadt“, Band 70/2024, S. 133 - 145