Salzgitter (Niedersachsen)

General map of Lower Saxony undefined Die heutige Stadt Salzgitter entstand während der NS-Zeit auf Grund des Zusammenschlusses von zahlreichen kleinen Ortschaften. Mit derzeit mehr als 100.000 Einwohnern bildet das nördlich des Harzes gelegene Salzgitter zusammen mit Braunschweig und Wolfsburg ein industrielles Zentrum im östlichen Niedersachsen (Niedersachsen-Karte, aus: niedersachsen.de und Stadtteile von Salzgitter, A. 2006, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Nur wenige Juden waren seit Ende des 18.Jahrhunderts in bzw. um Salzgitter ansässig; zu den ersten zählte der Händler/Lotterieeinehmer Samuel Culemann (aus Kassel). Ihm folgten - meist aus weiter entfernteren Regionen - mehrere Familien in den ersten beiden Jahrzehnten des 19.Jahrhunderts nach. Die stets kleine jüdische Gemeinschaft erreichte um 1850 ihren personellen Höchststand mit zehn Familien (ca. 35 Pers.). Ihren Lebensunterhalt verdienten sie anfänglich im Trödelhandel, oft verbunden mit dem Lotteriegeschäft. Ab den 1830/1840er Jahren gab es dann in Salzgitter mehrere jüdische Manufakturwarengeschäfte.

Zwischen den Gemeindemitgliedern, die sich nach Herkunft und sozialem Status erheblich unterschieden, herrschten häufig Streitigkeiten; dabei ging es sowohl um religiöse als auch um wirtschaftliche Fragen. Von den um die Mitte des 19.Jahrhunderts hier lebenden zehn jüdischen Familien galten drei als wohlhabend.

Seit 1809 existierte im Hause der jüdischen Familie Levi Bornheim ein Betraum; etwa 30 Jahre später bezog die Gemeinde einen neuen, größeren Raum in der Kuhstraße (Gutenbergstraße). Seit ca. 1820 gab es in Salzgitter einen jüdischen Lehrer, der auch die Aufgaben eines Vorsängers und Schächters übernahm. Er wohnte zunächst abwechselnd bei einzelnen jüdischen Familien und unterrichtete dort deren Kinder. Zeitweilig wurde den jüdischen Kindern in der Religionsschule auch Unterricht in den Elementarfächern erteilt. Die Besetzung der schlecht dotierten Lehrerstelle war einem häufigen Wechsel unterworfen; ab Mitte der 1850er Jahre blieb die Stelle unbesetzt.

Etwa 1870 wurde auch der Religionsunterricht eingestellt.

Als Begräbnisplatz wurde den jüdischen Familien im Jahre 1825/26 ein kleinflächiger Teil der öffentlichen Gemeindeweide als Erbpacht-Grundstück zugewiesen.

Juden in Salzgitter:

         --- 1814 .......................... 25 Juden (in 8 Familien),

    --- 1839 .......................... 33   “  ,

    --- 1847 .......................... 35   “    (in 10 Familien),

    --- 1855 .......................... 30   “  ,

    --- 1871 .......................... 25   "  ,

    --- 1880 .......................... 18   “  ,

    --- 1920 .......................... 10   “  ,

    --- 1925 ..........................  5   "  ,

    --- 1933 ..........................  2   “  ,

    --- 1936 ..........................  keine.

Angaben aus: A.Baumert/M.Buchholz (Bearb.), Salzgitter, in: H. Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen ..., Bd. 2, S. 1331

 

Gegen Ende des 19.Jahrhunderts war die kleine Synagogengemeinde Salzgitter in Auflösung begriffen. Ein von auswärts kommender Lehrer hielt noch einige Zeit Gottesdienste in der Synagoge ab. Als dann kein Minjan mehr zustande kam, suchten die wenigen Juden die Synagoge in Hildesheim auf. 1921 erfolgte die letzte Beerdigung auf dem jüdischen Friedhof und der Begräbnisplatz wurde geschlossen. Die letzten beiden Jüdinnen, die in den ersten Jahren der NS-Herrschaft noch in Salzgitter lebten, zogen im Jahre 1935 in ein Altersheim nach Hannover; die Lokalpresse „würdigte“ dieses „Ereignis“ mit der Schlagzeile: „Salzgitter wird judenfrei!”.

1937 wurden im Gebiet um Salzgitter die ‘Reichswerke AG Hermann Göring’ gegründet, deren Rohstoffgrundlage die dortigen Eisenerzlager bildeten. In der Produktion wurden auch Häftlinge der KZ-Außenlager Leinde, Salzgitter und Drütte eingesetzt; darunter befanden sich zahlreiche polnische Juden. Die in den KZ-Außenlagern umgekommenen jüdischen Häftlinge sind auf dem Friedhof ‘Im Jammertal’ in Salzgitter-Lebenstadt beerdigt; dort befinden sich ca. 180 Gräber.

 

Der kleine jüdische Friedhof am Rande der Altstadt Salzgitter-Bad, an der Tilly-Straße/Hinter dem Salze, blieb während der NS-Zeit unzerstört. Planungen der Stadt Salzgitter, das Beerdigungsgelände wegen Straßenbaumaßnahmen aufzulassen, scheiterten in den 1970er Jahren. Auf dem ca. 700 m² großen Friedhofsgelände findet man heute 23 Grabsteine; die älteste Grabstätte datiert von 1823, das jüngste Grab stammt aus dem Jahr 1921. 

Salzgitter-Bad - Jüdischer Friedhof - Eingangsbereich 2015-11.jpg Salzgitter-Bad - Jüdischer Friedhof - Grab 6 (Hebräische Inschrift) 2015-11.jpg

  Jüdischer Friedhof Salzgitter-Bad - ein Grabstein mit dt. + hebr.Inschrift (Aufn. Johamar, 2015, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)

 

Ende 2021 wurden die ersten sog. „Stolpersteine“ in Salzgitter-Salder in das Gehwegpflaster der Straße "Gänsebleek" eingefügt; die hier verlegten sieben messingfarbenen Steinquader sollen an die Angehörigen der jüdischen Familie Kleeblatt/Hirsch erinnern, die hier bis 1936 ein Textilgeschäft betrieben hatte.

Aufn. Kreisverband Bündnis 90/Die Grünen, 2021

 

2023 wurden fünf sog. „Stolpersteine“ im Stadtteil Engelnstedt verlegt, die an Angehörige der jüdischen Familie Traube erinnern; bis zur Zwangsenteignung ihres Hofes (1943) war die Familie hier wohnhaft.

 

 

 

Weitere Informationen:

Gerd Wysocki, Zwangsarbeit im Stahlkonzern - Salzgitter und die Reichswerke “Hermann Göring”, Magni-Buchladen GmbH, Braunschweig 1982, S. 19 ff.

Horst-Günther Lange, Geschichte der Juden in Salzgitter (Bad) von 1800 bis nach dem Ersten Weltkrieg, in: "Salzgitter-Jahrbuch", No. 7/1985, S. 31 - 65

Bernhild Vögel, Antisemitismus und Verfolgung der Juden im Salzgittergebiet, in: ‘Kristallnacht’ und Antisemitismus im Braunschweiger Land - Vortragsreihe (Nov. 1988). Arbeiten zur Geschichte der braunschweigischen ev.-luth. Landeskirche im 19. u. 20.Jahrhundert, Blomberg 1988, S. 51 - 68

Horst-Günther Lange, Juden in Salzgitter, in: W.Benz/u.a., Salzgitter. Geschichte und Gegenwart einer Stadt 1942 - 1992, München 1992, S. 662 f.

Gudrun Pischke, "Europa arbeitet bei den Reichswerken", Hrg. Archiv der Stadt Salzgitter, Salzgitter 1995, S. 295 ff.

Andrea Baumert/Marlis Buchholz (Bearb.), Salzgitter, in: Herbert Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Bd. 2, S. 1331 - 1336

N.N. (Red.), Zeugnis jüdischen Lebens in Salzgitter-Bad, in: „Wolfenbütteler Zeitung“ vom 22.4.2021  und  online abrufbar unter: salzgitter.de/pressemeldungen/2021/juedischer-friedhof-in-sz-bad.php

Verena Mai (Red.), Zeugnis des Lebens Salzgitteraner Juden, in: „Salzgitter Zeitung“ vom 15.8.2021

Kreisverband Bündnis 90/Die Grünen Salzgitter (Red.), Die ersten „Stolpersteine“ in Salzgitter, Kreisverband Salzgitter vom 15.11.2021

Heike Heine-Laucke (Red.), An diese NS-Opfer erinnern die Stolpersteine in Engelnstedt, in: „Salzgitter Zeitung“ vom 29.9.2023