Scharmbeck (Niedersachsen)

undefined Datei:Osterholz-Scharmbeck in OHZ.svg Scharmbeck ist seit 1927 Teil der Kreisstadt Osterholz-Scharmbeck, die derzeit ca. 30.000 Einwohner besitzt und ca. 15 Kilometer nördlich von Bremen liegt (Kartenskizzen 'Nördliches Niedersachsen' , U. Lamm 2006, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 2.0 de und  'Landkreis Osterholz', Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Im 19. Jahrhundert waren Osterholz und Scharmbeck eine Hochburg jüdischer Ansiedlung im Elbe-Weser-Dreieck.

In Scharmbeck war erstmals 1731/1732 eine jüdische Familie (Levy Hertz) ansässig geworden; weitere zwei mit Schutzbriefen ausgestattete Familien zogen zwei Jahrzehnte später zu. Im Jahr 1762 (andere Angabe: 1768) schlossen sich die fünf hier lebenden jüdischen Familien offiziell zu einer Synagogengemeinde zusammen. Zur Zeit der napoleonischer Besatzung wuchs die Zahl der im Amt Osterholz lebenden Juden an; die Angehörigen der nun knapp 50 Personen zählenden jüdischen Gemeinschaft bestritten ihren Lebensunterhalt mit Vieh- Klein- und Gewürzhandel; fast alle lebten in recht bescheidenen Verhältnissen.

1804 ist erstmals ein Betraum in Scharmbeck aktenkundig. Anfang der 1830er Jahre erbaute die jüdische Gemeinde ein kleines Synagogen- und Schulgebäude in der Teichstraße, das 1864 - zusammen mit Nachbargebäuden - abbrannte; möglicherweise lag Brandstiftung vor. Die Gemeinde beschloss noch im gleichen Jahr den Bau einer neuen, größeren Synagoge. Über den Standort eines Neubaus gab es zunächst Streit zwischen den Gemeindemitgliedern aus Scharmbeck und Osterholz; schließlich kam man überein, das neue Gebäude am „Weißen Sand“, der späteren Bahnhofstraße, zu errichten; es wurde bereits im Jahre 1865 eingeweiht. Neben 150 Sitzplätzen für Männer verfügte der Betraum über eine Galerie für Frauen. Im Gebäude waren auch die Schule und die Lehrerwohnung untergebracht. damit war es der größte und bedeutendste Synagogenbau in der Drostei Stade.

  

Synagogengebäude - hist. Aufn.von 1939 (Kreisarchiv Osterholz) und Skizze (H. Goergens, aus: haGalil.com)

Anm.: Im linken Gebäudeteil befand sich der Synagogenraum, im rechten Teil unten die Schule, oben die Lehrerwohnung.

Seit etwa 1830 existierte eine jüdische Schule am Ort, die als Elementar- und Religionsschule geführt wurde. Trotz stark rückläufiger Schülerzahl blieb die Religionsschule bis in die Zeit des Ersten Weltkrieges bestehen; nach mehrjähriger Lehrervakanz setzte man den Religionsunterricht bis 1938 fort.

Zu den Gemeindeeinrichtungen gehörte der Mitte des 18.Jahrhunderts errichtete kleine Friedhof, auf dem 1757 die erste Bestattung erfolgte; das winzige Areal "Auf dem Kamp" war von dem ersten in Scharmbeck ansässigen Juden erworben und später durch weitere private Ankäufe erweitert worden.

Zur Synagogengemeinde Scharmbeck zählten ab 1851 auch die Orte Osterholz und Worpswede; 1866 kamen noch Burgdamm, Ritterhude und Lesum dazu.

Juden in Scharmbeck (mit Osterholz):

         --- um 1770 ....................   4 jüdische Familien,

    --- 1816 .......................  47 Juden (in 7 Familien),*   * Amt Osterholz

    --- 1830 .......................  10 jüdische Familien,*

    --- 1845 ....................... 101 Juden (ca. 3% d. Bevölk.),

    --- 1861 .......................  96   “  ,

    --- 1871 ....................... 127   “  ,

    --- 1873 ....................... 177   "  ,**         ** gesamte Synagogengemeinde

    --- 1895 .......................  99   “  ,

    --- 1897 ....................... 145   “  ,**                  

    --- 1905 .......................  62   “  ,

    --- 1913 .......................  73   "  ,**

    --- 1925 .......................  47   “  ,

    --- 1933 .......................  45   “  ,

    --- 1939 .......................  27   “  ,

    --- 1941 (Dez.) ................  keine.

Angaben aus: J. Bohmbach (Bearb.), Scharmbeck, in: H. Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen ..., Bd. 2, S. 1351

 

Ab den 1920er Jahren befand sich die kleiner gewordene Gemeinde in argen finanziellen Schwierigkeiten, die sich nach der NS-Machtübernahme noch vergrößerten. Da in der Synagoge schon seit Jahren keine regelmäßigen Gottesdienste mehr abgehalten wurden, vermietete man die Räumlichkeit. Auch die Schule musste 1924 schließen, da es hier nicht mehr genug Kinder gab.

Das erste Opfer, das in Osterholz-Scharmbeck auf das Konto der hiesigen SA ging, war Moritz Maibergen (geb. 1875); er war zu Tode misshandelt worden.

Eine Meldung aus dem Osterholzer Kreisblatt vom 21.8.1935: Juden sind hier unerwünscht. Ein nachahmenswertes Beispiel hat jetzt unsere Kreishauptstadt Osterholz-Scharmbeck gegeben: Seit einigen Tagen sind in sämtlichen Geschäften und Handwerksbetrieben, bis auf eine unrühmliche Ausnahme, Schilder sichtbar angebracht, die die Aufschrift tragen: Juden sind hier unerwünscht. Einige wenige Geschäftsleute und Handwerker, die bisher ‚Bedenken‘ hatten, das Plakat auszuhängen, haben sich zuletzt doch noch eines Besseren besonnen … Erfreulich ist der Gemeinschaftsgedanke … Wer beim Juden kauft, ist ein Volksverräter!“

In der Pogromnacht im November 1938 wurde das Synagogengebäude von SA-Angehörigen aus Bremen aufgebrochen, der Innenraum verwüstet und die Stühle herausgerissen. Zahlreiche jüdische Bewohner wurden im Amtsgerichtsgefängnis Lesum „in Schutzhaft“ genommen; während die Frauen bald wieder auf freiem Fuß waren, wurden die Männer in ein Konzentrationslager verschleppt. In Burgdamm - der Ort gehörte seit 1866 zur Scharmbecker Gemeinde - wurden während des Pogroms der jüdische Arzt Dr. Adolph Goldberg und seine Ehefrau von SA-Männern ermordet. Bis Ende des Jahres 1940 hatten fast alle jüdischen Bewohner Osterholz-Scharmbeck verlassen; ein Teil musste nach Bremen umsiedeln. Wem nicht mehr die Emigration gelang, wurde deportiert. Auch der letzte Rabbiner der jüdischen Gemeinde von Osterholz-Scharmbeck, Leo Löwenstein, wurde 1941 in ein Konzentrationslager eingewiesen und später ermordet.

13 Osterholz-Scharmbecker Juden befanden sich mit 570 anderen in dem Reichsbahntransport, der am 18. November 1941 von Bremen über Hamburg ins Ghetto von Minsk (Weißrussland) führte. Nachweislich sind insgesamt 23 Angehörige der jüdischen Gemeinde Opfer der Shoa worden.

In den Kriegsjahren diente das umgebaute Synagogengebäude als Ausbildungsort für den Luftschutz. Von den etwa 40 Juden, die Anfang der 1930er Jahre hier lebten, gab es nach den Jahren der NS-Herrschaft nur noch drei in der Stadt.

 

1948 verurteilte das Bremer Schwurgericht etliche Männer, die sich für Gewalttaten (auch Morde) gegenüber jüdischen Bewohnern zu verantworten hatten. Die z.T. erheblichen Haftstrafen wurden Jahre später reduziert und die Verurteilten bald wieder auf freien Fuß gesetzt.

 

Seit 1985 erinnert in Burgdamm ein Gedenkstein an das im November 1938 ermordete Ehepaar Goldberg. An die während der NS-Zeit ausgegrenzten, vertriebenen und ermordeten jüdischen Bewohner weist eine Gedenktafel hin, die 2004 nach Abriss des ehemaligen Synagogengebäudes neben dem Friedhof angebracht wurde. Das jüdische Mahnmal an der Bahnhofstraße besteht aus 19 grauen granitenen Stelen und einem großen Gedenkstein im Zentrum. Der Name der Deportierten, ihr Alter, der Tag und Ort ihrer Ermordung sind auf der Messingplatte eingraviert.

                     Jüdisches Mahnmal (Aufn. aus: teufelsmoor.eu) 

Ein erster Versuch, sog. „Stolpersteine“ zu verlegen, die an Opfer des NS-Regimes erinnern, war 2011 gescheitert, 2020 hat dann der Stadtrat - auf Grund privater Initiative -  mit seinem Beschluss den Weg freigemacht, künftig im öffentlichen Raum in Osterholz-Scharmbeck zu verlegen. Mit der Realisierung dieses Vorhabens - Erstverlegung von ca. 15 Steinen - wurde im Jahr 2021 begonnen; auch an ehemalige ausländische Zwangsarbeiter wird erinnert.


verlegt in der Bahnhofstraße für Angehörige der Fam. Davidsohn und Fam. Rosenhoff in der Bördestraße (Aufn. Ch., 2022, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Weitere acht Steine wurden 2022 in der Findorffstraße für Angehörige der jüdischen Familie Heidemann verlegt; während einigen Familienmitgliedern die lebensrettende Flucht aus Deutschland gelang, wurden fünf von den NS-Behörden deportiert und ermordet.

Der jüdische Friedhof in der Straße „Klosterkamp“ - er wurde in den Nachkriegsjahren (so gut es eben ging) wieder hergerichtet - weist heute ca. 75 Grabsteine auf; ob allerdings diese Grabmale jeweils an ihren angestammten Plätzen stehen, gilt nicht als sicher.

Jüdische Gemeinde - Scharmbeck (Niedersachsen)

Gräber auf dem jüdischen Friedhof in Scharmbeck (Aufn. K. Kessler, 2004, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0  und  Aufn. aus: flipboard.com)

 

 

In Schwanewede (Landkreis Osterholz) gibt es einen jüdischen Friedhof, der im Ortsteil Koppelsberg (Am Spreeken) gelegen ist. Dessen Entstehung muss vermutlich gegen Ende des 18. bzw. zu Beginn des 19.Jahrhunderts erfolgt sein; er diente der jüdischen Gemeinde Blumenthal und umliegenden Orten (Uthlede, Aumund) als Begräbnisstätte. Etwa 110 Grabsteine sind heute noch vorhanden; der älteste stammt aus dem Jahre 1815, der jüngste von 1924. Die Pforte zum Friedhof ist mit religiösen Symbolen (Menora, Davidstern u.a.) verziert.

Jüdischer Friedhof (Schwanewede) – Wikipediajüdischer Friedhof Schwanewede (Aufn. P.F., 2023, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

 

 

In Lilienthal (südöstlich von Scharmbeck) sind in der Hauptstraße zwei "Stolpersteine" verlegt, die an die Gebrüder der jüdischen "Fotografen-Familie" Ludwig und Julius Frank erinnern; eine in der Nähe befindliche Hinweistafel informiert zudem über das Schicksal der beiden Brüder, denen eine Emigration nach Übersee gelang, so dass sie die NS-Zeit überlebten.

Die Stolpersteine vor dem Haus an der Hauptstraße 44 in Lilienthal erinnern an die jüdische Fotografenfamilie Frank. Am Haus befindet sich eine Tafel, die nur schwer lesbar ist. Aufn. L. Rode, 2024, aus: "Weser-Kurier" vom 25.1.2024

 

 

Weitere Informationen:

Ursula Siebert, Steinerne Zeugen unserer Kultur. Die alten Grabsteine in den Gemeinden des Landkreises Osterholz, Osterholz-Scharmbeck 1986

Horst Zientz, Der jüdische Friedhof und Familie Ries, in: Heimatverein Schwanewede e. V. (Hrg.): Schwanewede – ein Dorf im Herzogtum Bremen auf der Geest, Schwanewede 1991

Jürgen Lodemann, November 1938. Auch im Landkreis brannten Synagogen. Erinnerungen an die jüdischen Gotteshäuser in Aumund und Osterholz-Scharmbeck, in: "Heimat-Rundblick. Geschichte, Kultur, Natur", 6/1993, S. 5

Jürgen Lodemann, Die drei Judenfriedhöfe im Landkreis Osterholz, in: "Heimat-Rundblick. Geschichte, Kultur, Natur", 6/1993, S. 6 f.

B.Ernst-Goergens/Harald Goergens, Die Geschichte der Juden in Osterholz Scharmbeck. Eine kurzgefaßte Übersicht unter besonderer Berücksichtigung der Zeit von 1933 - 1945, Osterholz-Scharmbeck 1999 (veröffentlicht in: Die Geschichte der Juden in Osterholz-Scharmbeck, in: haGalil.com (2005)

Harald Goergens, Entschädigunslos: Die Synagoge von Osterholz-Scharmbeck von 1865, in: haGalil.com vom 29.9.2005

Harald Kühn/Peter Richter, „Als die Hoffnung starb …" -  Das Schicksal der jüdischen Fotografen-Familie Frank aus Lilienthal, Hrg. Lilienthaler Heimatverein, Lilienthal 2005

Materialsammlung von Klaus-Peter Schulz (Leiter des Heimatmuseums in Osterholz-Scharmbeck)

Jürgen Bohmbach (Bearb.), Scharmbeck, in: Herbert Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Bd. 2, S. 1351 – 1360

Lutz Peter Kaubisch (Red.), Einstimmig gegen Stolpersteine, in: „Osterholzer Kreisblatt“ vom 18.2.2011

Herbert Scholz/Günter Schmidt-Bollmann, Haus der Ewigkeit – Der jüdische Friedhof in Schwanewede, in: "Blätter der 'Maus'“, hrg. von der Gesellschaft für Familienforschung, Heft 37, Bremen 2013

Jürgen Heuser (Bearb.), Juden in OHZ (Osterholz-Scharmbeck), online abrufbar unter: teufelsmoor.eu (von 2015)

I.Schröder/u.a. (Bearb.), Jüdische Bürgerinnen und Bürger in Osterholz-Scharmbeck. Schicksale in der Zeit des Nationalsozialismus 1933 – 1945. Eine Dokumentation, Osterholz-Scharmbeck 2015

Janine Bergemann (Red.), OSTERHOLZ-SCHARMBECK – Novemberpogrome 1938 in Niedersachsen, Hrg. Stiftung niedersächsischer Gedenkstätten, online abrufbar unter: pogrome1938-niedersachsen.de/osterholz-scharmbeck/

N.N. (Red.), Gute Chancen für Stolpersteine in Osterholz-Scharmbeck, in: „Bremervörder Anzeiger – Osterholzer Anzeiger“ vom 9.6.202

N.N. (Red.), Stolpersteine in der Stadt: Paten für Projekt gesucht, in: "Bremervörder Anzeiger – Osterholzer Anzeiger“ vom 15.7.2020

N.N. (Red.), Stolpersteine: Erste Verlegungen für 2021 geplant, in: "Bremervörder Anzeiger – Osterholzer Anzeiger“ vom 17.8.2020

N.N. (Red.), Verlegung der ersten Stolpersteine in OHZ, in: „Anzeiger“ vom 27.1.2021

N.N. (Red.), Stolpersteine in Osterjolz-Scharmbeck, online abrufbar unter: teufelsmoor.eu vom 24.6.2021 (Anm. mit namentlcher Nennung von NS-Opfern, denen jeweils ein Stolperstein gewidmet werden soll)

Karin Walter, Ein Turnhemd als Zeugnis schmerzhafter Erinnerung - Objekt aus dem Nachlass des jüdischen Fotografen Julius Frank, Hrg. Fockemuseum – Bremer Landesmuseum für Kunst und Kultusgesachichte, 2021 (betr. Lilienthal)

Jasmin Johannsen (Red.), Osterholz-Scharmbeck. Ein Ort der Erinnerung, in: „Hamme Report – Wümme Report“ vom 12.11.2022

Lutz Rode (Red.), Neue Tafel für das Frank-Haus? in: „Weser-Kurier“ vom 25.1.2024 (betr. Lilienthal)