Schirrhofen (Elsass)

Bildergebnis für hagenau elsass landkarte Am Rande der Rheinaue – ca. 15 Kilometer östlich von Hagenau – liegt die kleine Ortschaft Schirrhofen (frz. Schirrhoffen) mit derzeit ca. 700 Einwohnern (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905 ohne Eintrag von Schirrhofen, aus: wikipedia.org, gemeinfrei).

 

In den Jahrzehnten um die Mitte des 19.Jahrhunderts erreichte die israelitische Gemeinde von Schirrhofen ihren personellen Höchststand und stellte zeitweise mehr als die Hälfte der gesamten Dorfeinwohnerschaft.

Als Anfang des 18.Jahrhunderts die Ansiedlung von Juden erlaubt wurde, ließen sich die ersten Familien im Dorf Schirrhofen nieder und bildeten alsbald eine Gemeinde, die in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts zu einer der größten im Unterelsass heranwuchs. Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts erreichte der jüdische Bevölkerungsanteil im Ort mehr als 60% (!); auf Grund dessen kamen aus den Reihen der jüdischen Einwohnerschaft des Ortes während der Zeit von ca. 1845 bis 1907 auch die Bürgermeister Schirrhofens.

Die erste Synagoge wurde um 1730 errichtet, die aber bald den Ansprüchen der stark angewachsenen Gemeinde nicht mehr entsprach. So ließ die Gemeinde 1817/1818 einen Neubau errichten. Bei dessen Einweihung kam es zu antijüdischen Protesten von Teilen der christlichen Bevölkerung.

        Synagoge in Schirrhofen - eingeweiht 1818 (colorierte hist. Abb.) 

Als sich bereits die Gemeinde durch Abwanderung arg dezimiert hatte, wurde das Synagogengebäude noch grundlegend renoviert und 1899 erneut eingeweiht.

                 In einem Artikel der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 28. September 1899 hieß es dazu:

Schirrhofen. Vor einigen Tagen konnte die israelitische Gemeinde ein Doppelfest feiern, nämlich die Wieder-Einweihung der neu restaurierten Synagoge, sowie die Amtseinführung des Herrn Dr. Wolf, des bewährten Leiters der eingegangenen Präparandenschule zu Kolmar. Von Nah und Fern waren Neugierige zu dieser Feier herbeigeeilt. Unter den Anwesenden bemerkten wir die Herren Rabbiner aus Zabern, Hagenau, Weißenburg, Buchsweiler, Lauterburg und Saarunion, welche fast alle ehemalige Schüler des Dr. Wolf sind. Als Vertreter der Regierung war anwesend Kreisdirektor Freiherr von Gagern aus Hagenau. Rabbiner Levy - Hagenau führte unsern neuen Rabbiner mit einem herzlichen Willkommen in sein Amt ein; er möchte Glück, Segen und Freude in seinem neuen Wirkungskreis finden. Mehrere Psalmen wurden von Kantor Weill abwechselnd mit dem Synagogenchor in schönster Weise vorgetragen. Darauf hielt Dr. Wolf seine Antrittsrede. Die Synagoge bildet jetzt eine Zierde der Gemeinde.

Bis in die 1880er Jahre fanden die verstorbenen Juden Schirrhofens - gegen Entrichtung einer Gebühr - ihre letzte Ruhe auf dem Friedhof in Hagenau (franz. Haguenau); erst danach stand ein eigenes Beerdigungsareal am östlichen Ortsrand zur Verfügung.

                 Über die Einweihung des Friedhofs berichtete die Zeitschrift „Der Israelit” in ihrer Ausgabe am 5.Oktober 1881:

Schirrhofen (Elsaß), 21. Sept. Eine höchst seltene Feier fand heute dahier statt. Die isr. Gemeinde, welche bisher keinen eigenen Friedhof besaß, weihte ihren neuerbauten Begräbnißplatz ein. An der Feier nahmen die höchsten Behörden Theil, Banquier Schwartz als Vertreter des isr. Konsistoriums von Straßburg, ferner Herr Scheidt, Präsident der isr. Gemeinde von Hagenau und noch viele Herren aus allen Konfessionen; ebenso verdient die Betheiligung der christlichen Bevölkerung aus den naheliegenden Ortschaften besonders erwähnt zu werden. Auf dem Friedhofe wurden, nachdem die üblichen Psalmen zitiert worden waren, von den Herren Oberrabbiner Aron aus Strassburg und Rabbiner Simon Levi von hier Reden gehalten, welche allgemeinen Beifall ernteten, so daß die ganze Versammlung von den inhaltsreichen und der Feier entsprechenden Worten gerührt war.

Eine private israelitische Schule - untergebracht im Hause des hiesigen Rabbiners - bestand in Schirrhofen seit dem Ende des 18.Jahrhunderts. Die steigende Schülerzahl veranlasste die Gemeinde in den 1840er Jahren, ein neues Schulgebäude zu errichten.

                        Stellenangebot aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 17.Jan. 1872

Schirrhofen war zwischen 1815 und 1905/1910 Sitz eines Rabbinats; danach wurde dieses nach Bischweiler verlegt.

Juden in Schirrhofen:

    --- 1784 ....................  27 jüdische Familien (ca. 130 Pers.),

    --- 1807 .................... 184 Juden,

    --- 1846 .................... 454   “   (ca. 60% d. Bevölk.),

    --- 1861 .................... 402   “  ,

    --- 1870 .................... 427   “  ,

    --- 1880 .................... 342   "  ,

    --- 1900 .................... 188   “  ,

    --- 1905 .................... 140   “  ,

    --- 1910 ....................  85   “  ,

    --- 1936 ....................  33   “  ,

    --- 1953 ....................  ein  “ ().

Angaben aus: Michel Rothé/Max Warschawski, Les synagogues d’Alsace et lieur histoire, S. 38

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20280/Schirrhofen%20AZJ%2010031905.jpg aus: “Allgemeine Zeitung des Judentums" vom 10. März 1905

Infolge der starken Abwanderung der Schirrhofener Juden in die Städte und nach Übersee (Nordamerika) konnten bereits in den 1920er Jahren nicht mehr regelmäßig Gottesdienste abgehalten werden; deshalb sollte das Synagogengebäude eigentlich verkauft werden, was aber zunächst unterblieb. Nach der Auflösung der israelitischen Kultusgemeinde blieben nur noch wenige Juden im Ort zurück, die dann in der NS-Zeit von hier deportiert wurden. Namentlich ist eine aus Schirrhofen stammende Jüdin bekannt, die der „Endlösung“ zum Opfer gefallen ist (vgl dazu: alemannia-judaica.de/schirrhofen_synagogue.htm).

Gegen Kriegsende wurde das Synagogengebäude infolge von Kampfhandlungen zerstört, Ende der 1950er Jahre die Ruine abgebrochen.

         Synagogenruine (Aufn. M. Rothé, um 1950)  

 

Heute erinnert die „Rue de Juifs“ ("Judenstraße") in Schirrhoffen an die ehemaligen jüdischen Ortsbewohner; allerdings lassen sich hier keine Spuren jüdischer Geschichte mehr finden. Der mit einer Ziegelsteinmauer umgebene Friedhof der jüdischen Gemeinde (am östlichen Ortsrand) blieb erhalten; er besitzt heute noch etwa 150 Grabsteine, die - in Reihen geordnet - sich hier befinden.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Alsace%201/Schirrhofen%20Cimetiere%20100.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Alsace%201/Schirrhofen%20Cimetiere%20106.jpg

Ansichten des jüdischen Friedhofs in Schirrhoffen (Aufn. J. Hahn, 2004)

Alexandre Weill Der Publizist und Schriftsteller Alexandre Weill wurde 1811 in Schirrhofen geboren. In seinen Erinnerungen schilderte er u.a. auch die Schulverhältnisse im Dorf, als dort sechs vermögendere jüdische Familien einen Lehrer anstellten, der die Schulkinder in Deutsch und Französisch unterrichtete. Weill starb 1899 in Paris.

 

 

 

Weitere Informationen:

Alexandre Weill, Sittengemälde aus dem elsässischen Volksleben. Novellen. Mit einem Vorwort von Heinrich Heine, Stuttgart 1847

Michel Rothé/Max Warschawski, Les synagogues d’Alsace et lieur histoire, Jerusalem 1992

Rose-Marie Vetter, À La Lisiére de la Forêt: Schirrheim/Schirrhofen, Straßbourg 1995

Schirrhoffen, in: alemannia-judaica.de

Daniel Gerson, Die Kehrseite der Emanzipation in Frankreich. Judenfeindschaft im Elsass 1778 bis 1848, hrg. vom Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin, Klartext-Verlag, Essen 2006, S. 156