Schrimm (Posen)

File:Poznan Mapa1.png - Wikimedia Commons Schrimm (poln. Śrem) - etwa 40 Kilometer südlich der Großstadt Posen (Poznan) - ist heute eine Kreisstadt mit derzeit ca. 30.000 Einwohnern in der Woiwodschaft Poznan (Ausschnitt aus hist. Landkarte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Polen' mit Poznan/Śrem rot markiert, R. 2005, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Bis um die Wende zum 20.Jahrhundert wies Schrimm eine große Zahl jüdischer Bewohner auf; zeitweise war jeder dritte Einwohner mosaischen Glaubens.

Bereits im 14. Jahrhundert siedelten sich vermutlich Juden in Schrimm an. Dies lag wohl daran, dass der Ort einer der Hauptorte der Zollstraße nach Schlesien war. Während des schwedisch-polnischen Krieges wurden in den 1650er Jahren die hier lebenden Juden verfolgt, ein Teil konnte die Stadt verlassen und so überleben. Bereits zwei Jahrzehnte später ließen sich jüdische Familien erneut in Schrimm nieder und bildeten eine neue Gemeinde.

Über jüdisches Leben in Schrimm liegen kaum schriftliche Belege vor; in noch vorhandenen Magistratsunterlagen aus dem 17. und 18.Jahrhundert finden sich mehrfach Beschlüsse, die den wirtschaftlichen Spielraum der Juden zu Gunsten der christlicher Bewohner einengten. Ihren Lebensunterhalt bestritten die Juden Schrimms als Handwerker (Schneider, Schuhmacher) und als Händler regionaler landwirtschaftlicher Erzeugnisse.

Ein Betraum soll 1762 durch russische Truppen zerstört worden sein. Mit Beginn der preußischen Herrschaft nach dem Wiener Kongress (1815) erfolgte ein bemerkenswerter Zuzug jüdischer Familien nach Schrimm. Zu den Gemeindeeinrichtungen der relativ großen Gemeinde gehörten eine Synagoge, ein Friedhof und eine Mikwe.

                          Synagoge in Schrimm (hist. Aufn.)

Eine jüdische Elementarschule - zunächst nur einklassig geführt - entstand in Schrimm in den 1820/1830er Jahren.

Der Friedhof der Juden Schrimms lag etwa einen halben Kilometer außerhalb der Stadt (an der Stelle einer einstigen Festung) an der Landstraße nach Posen; dessen Anlage erfolgte wahrscheinlich gegen Ende des 18.Jahrhunderts. Bereits im Spätmittelalter soll es in Schrimm einen jüdischen Begräbnisplatz gegeben haben, der gegen Ende des 18.Jahrhunderts geschlossen wurde (später wurde das Areal überbaut).

                        Jüdischer Friedhof in Schrimm (Aufn. 1939)

Juden in Schrimm:

         --- 1765 ..........................   327 Juden,

--- 1794 ..........................   368   “   (ca. 30% d. Bevölk.),

    --- 1803 ..........................   293   “ ,

    --- 1816 ..........................   441   "  ,

    --- 1840 ..........................   950   “  ,

    --- 1847 .......................... 1.081   “  ,

    --- 1871 .......................... 1.127   “   (ca. 19% d. Bevölk.),

    --- 1880 ..........................   989   “  ,

    --- 1899 ...................... ca.   600   “   (ca. 11% d. Bevölk.),

    --- 1913 ..........................   318   “   (ca. 5% d. Bevölk.),

    --- 1921 ..........................   103   “   (1,5% d. Bevölk.),

--- 1939 ...................... ca.    30   “  .

Angaben aus: A.Heppner/J.Herzberg, Aus Vergangenheit u. Gegenwart der Juden und der jüdischen Gemeinden, S. 953

und                 International Association of Jewish Genealogical Societies - Cemetery Project

Widoki dawnego Śremu - Kultura u Podstaw Marktplatz in Schrimm - hist. Ansicht (aus: kulturaupodstaw.pl/)

 

Ab Ende der 1870er Jahren setzte eine starke Abwanderung der jüdischen Familien aus Schrimm ein; vornehmlich Posen und andere Großstädte (besonders Berlin) waren Ziele der Schrimmer Juden. Gegen Ende des Ersten Weltkrieges verlor dann die jüdische Gemeinde wegen Wegzug ihrer Angehörigen fast jede Bedeutung. Bei Kriegsausbruch (1939) hielten sich nur noch 26 Personen mosaischen Glaubens in der Stadt auf; über Posen wurden sie alsbald ins "Generalgouvernement" deportiert.

Das Synagogengebäude, das zunächst als Baustofflager diente und nach 1945 als Möbellager genutzt wurde, wurde später im Rahmen von Straßenbauarbeiten abgerissen.

Vom jüdischen Friedhof sind heute kaum noch Spuren zu finden, denn während der NS-Zeit war er zerstört worden. Auf dem als Grünfläche hergerichteten ehemaligen Begräbnisareal erinnert seit 2011 ein kleiner Gedenkstein an die ehemalige israelitische Gemeinde, dessen in polnischer und hebräischer Sprache abgefasster Inschriftentext lautet: „Zum Gedenken an die auf diesem Friedhof ruhenden Juden. Lassen Sie ihre Seelen in einen Kranz des ewigen Lebens gebunden sein. Śrem 2011".

   Śrem - cmentarz żydowski Gedenkstein (Aufn. Barbara Bajarka, aus: mentarze-zydowskie.pl/srem.htm)

 

Hermann Schreiber (geb. 1882 in Schrimm) – sein Vater war am lokalen Gymnasium Religionslehrer - blieb nach seinem Studium am konservativen Jüdisch-Theologischen Seminar in Breslau – hier wurde er zum Rabbiner geweiht - zunächst an der Universität Breslau. In den Jahren 1912–1938 lebte Schreiber in Potsdam und amtierte dort viele Jahre als Rabbiner. Er verfasste zahlreiche Artikel in jüdischen Zeitschriften; zudem übersetzte er den Pentateuch aus dem Hebräischen ins Deutsche. Als Vorsitzender des Jüdischen Liberalen Jugendvereins von Potsdam war er maßgeblich an der Emigration Schrimmer Juden nach Berlin beteiligt. 1927 verausgabte er seine „Schrimmer Jugenderinnerungen“, die später eine wertvolle Quelle für die Forschungen über die Geschichte der Juden in der Provinz Posen werden sollten. Schreiber berichtete darin über das tägliche Leben seiner Familie und anderer Juden Schrimms, aber auch über das Miteinander von Deutschen und Polen in der Stadt. 1939 gelang ihm und seiner Familie die Emigration nach Großbritannien. Während eines Berlin-Besuches (1954) verstarb er.

Sein Grab befindet sich auf dem jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee (Aufn. Z.T., 2016, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0).

 

 

 

In Tschempin (poln. Czempin) – nordwestlich von Schrimm gelegen – gab es bis in die Zeit des Ersten Weltkrieges eine jüdische Gemeinde, die um die Mitte des 19.Jahrhundert mit ca. 300 Angehörigen ihren zahlenmäßigen Höchststand besaß. Anfang der 1860er Jahre ließ die größer gewordene Gemeinde einen Synagogenneubau erstellen, der bis in die Gegenwart baulich erhalten ist.

                       Ehem. Synagogengebäude (Aufn. aus: sztetl.org.pl)

Die Anlage eines jüdischen Friedhofs muss bereits gegen Ende des 18.Jahrhunderts erfolgt sein.

Juden in Tschempin:

         --- 1793 ...................... ca. 160 Juden,

    --- 1834 .......................... 257   “  ,

    --- 1848 .......................... 301   “  ,

    --- 1875 .......................... 230   “  ,

    --- 1890 .......................... 153   “  ,

    --- 1905 ..........................  92   “  ,

    --- 1923 ..........................  18   “  ,

--- 1935 ...................... ca.  10   “  .

Angaben aus: Czempin, in: sztetl.org.pl

Anm.: Während der deutschen Okkupationszeit (1939-1945) wurde der Ortsname in „Karlshausen“ abgeändert.

vgl. Tschempin Posen)

 

 

 

In Gostyn (poln. Gostyn) – südlich von Schrimm - begann ständige jüdische Ansässigkeit erst zu Beginn des 19.Jahrhunderts. Da in den Zeiten zuvor deren Ansiedlung hier untersagt war, lebten jüdische Familien ganz in der Nähe, nämlich im Dorf Sandberg (poln. Piaski); zeitweilig stellten sie dort fast 50% der Bewohner. In den 1830er Jahren zählte die jüdische Gemeinde in Gostyn bereits etwa 35 Familien; sie wuchs bis in die 1870er Jahre noch weiter an. Auf dem Grundstück einer jüdischen Familie wurde 1840 eine Synagoge errichtet; drei Jahre später ging das Synagogengrundstück in gemeindlichen Besitz über. Einen Synagogenneubau konnte die bereits zahlenmäßig kleiner gewordene Gemeinde im Jahre 1898 einweihen; die feierliche Zeremonie nahmen die beiden Rabbiner Samuel Baeck aus Lissa und Moses Loebel Bamberger aus Schildberg vor.

                                         Synagogenfront (Ausschnitt einer Bildpostkarte, 1901)

Bereits um 1815/1820 war ein jüdischer Friedhof angelegt worden; das Areal wurde in den 1890er Jahren vergrößert.

Juden in Gostyn:

    --- 1840 .........................  176 Juden (ca. 8% d. Bevölk.),

    --- 1871 .........................  311   “   (ca. 10% d. Bevölk.),

    --- 1895 .........................  190   “   (ca. 5% d. Bevölk.),

    --- 1905 .........................  146   “   (ca. 3% d. Bevölk.),

    --- 1910 .........................  126   “  ,

--- 1927 .........................    6   “  .

Angaben aus: Gostyn, in: sztetl.org.pl

Wenige Jahre nach dem Ersten Weltkrieg wurde die jüdische Glaubensgemeinschaft kraft des Entscheids der Posener Behörden aufgelöst. Die Ritualien der Synagoge gingen an die jüdische Gemeinde Lissa über, das übrige Vermögen verfiel dem Staat. Während des Zweiten Weltkrieges wurde die Synagoge zerstört. Auch der jüdische Friedhof fiel der Zerstörung anheim, die abgeräumten Grabsteine wurden anderweitig verbaut. Das Areal ist heute eine Grünfläche. 

vgl. Gostyn (Posen)

 

 

In Xions (poln. Książ Wielkopolski, derzeit ca. 2.700 Einw.) – ca. 15 Kilometer südöstlich von Schrimm gelegen – gab es eine jüdische Gemeinde, die gegen Mitte des 19.Jahrhunderts mehr als 200 Angehörige besaß und etwa 20% der gesamten Bevölkerung ausmachte. Zu welchem Zeitpuinkt die ersten jüdischen Familien nach Xions kamen, ist nicht bekannt. Eine erste urkundliche Erwähnung fanden sie in einem Schutzprivileg von 1788, das ihnen gestattete „allerlei Handel“ zu treiben und das Schlachtgewerbe auszuüben. Eine Betstube soll bereits schon 1771 bestanden haben. Auch ein im Walde gelegener jüdischer Friedhof datiert aus dem letzten Virtel des 18.Jahrhunderts; einer Chewra Kadischa oblag die Verrichtungen bei Beerdigungen

Juden in Xions:

--- 1797 .................. ca.  70 Juden,

--- 1840 ...................... 219   “  ,

--- 1849 ...................... 200   “  ,

--- 1857 ...................... 200   “  (in ca. 50 Familien),

--- 1871 ...................... 182   “  ,

--- 1880 ...................... 153   “  ,

--- 1901 ....................... 100   "  ,

--- 1913 .................. ca.  45   “  .

Angaben aus: Historia gminy żydowskiej w Książu

Die Juden in Xions bestritten im 19.Jahrhundert ihren Lebensunterhalt mit verschiedenen handwerklichen Tätigkeiten. Infolge der polnischen Erhebung (1848) soll fast die gesamte Kleinstadt ein Opfer eines Großbrandes gewesen sein, der auch fast alle jüdischen Familien obdachlos machte. Ebenso wurden die Synagoge und das jüdische Schulhaus mitsamt der Archivalien vernichtet. Doch bereits ein Jahr später ließ die Gemeinde ein neues Synagogengebäude errichten.

Synagoge in Xions (Skizze aus: cmentarz-zydowski.gminaksiaz.pl)

Zu Beginn des 20 Jahrhunderts war die Zahl der Gemeindeangehörigen stark zurückgegangen. Eine Folge war auch ie Schließung der jüdischen Schule. Anfang der 1920er Jahre löste sich die Gemeinde auf. Das Synagogengebäude wurde von der Kommune erworben; aus dem Abrissmaterial wurde ein Gebäude für die hiesige Feuerwehr errichtet.

Jüngst wurden in Książ nahezu 100 Grabsteinfragmente wieder aufgefunden; diese sollen künftig zu einem Lapidarium auf dem ehemaligen Friedhof zusammengefügt werden.

In Xions/ Ksiaz Wielkopolski) wurde der Theologe und Historiker Heinrich Graetz 1817 als Sohn eines Schächters geboren. Während seiner Ausbildung führte ihn sein Weg über Oldenburg, Breslau und Jena wieder zurück nach Breslau, wo er 1853 an das neu gegründete Jüdisch-Theologische Seminar berufen wurde. Von 1869 bis 1887 gab Graetz die „Monatzeitschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums“ heraus. Seine elfbändige „Geschichte der Juden von den Anfängen bis auf die Gegenwart“ ist das erste moderne jüdische Geschichtswerk des späten 19. Jahrhunderts und wurde in sechs Sprachen übersetzt. Heinrich Graetz starb 1881 in München.

 

 

 

In der Ortschaft Borken (poln. Borek Wielkopolski, derzeit ca. 2.500 Einw.) - wenige Kilometer östlich von Gostyn - sollen die Anfänge jüdischer Ansiedlung bis ins frühe 15.Jahrhundert zurückreichen. Ab Ende des 18. bis Mitte des 19.Jahrhunderts besaß Borken in der Region prozentual den höchsten Anteil jüdischer Bevölkerung; diese konzentrierte sich in einem besonderen Stadtteil. Handel und vor allem Handwerk waren die wirtschaftliche Basis der Familien. Zu den gemeindlichen Einrichtungen gehörten eine Synagoge, ein Friedhof (weit außerhalb des Ortes), ein Badehaus und seit dem 19.Jahrhundert auch eine Schule; letztere wurde infolge der Abwanderung im Jahre 1910 geschlossen.

Juden in Borken:

    --- 1674 ..........................  21 jüdische Familien,

    --- um 1795 ................... ca. 450 Juden (ca. 34% d. Bevölk.),

--- 1840 ...................... ca. 590   "   (ca. 33% d. Bevölk.),

    --- 1871 ...................... ca. 380   “   (ca. 19% d. Bevölk.),

    --- 1895 ...................... ca. 150   “   (ca. 7% d. Bevölk.),

    --- 1903 ...................... ca. 120   “   (ca. 6% d. Bevölk.),

    --- um 1935 ................... ca.  10   “  .

Angaben aus: Borek Wielkopolski, in: sztetl.org.pl

Mit der Neuschaffung des polnischen Staates nach dem Ersten Weltkrieg und der damit im Zusammenhang stehenden Abwanderung der allermeisten jüdischen Familien löste sich die Gemeinde auf; ihr Besitz ging an die Lissaer Gemeinde über. Das Synagogengebäude wurde Mitte der 1930er Jahre verkauft.

 

 

In weiteren Ortschaften der Region südlich von Schrimm existierten im 19./beginnenden 20.Jahrhundert sehr kleine jüdische Gemeinden, so in Kriewen (poln. Krzywin), in Kröben (Krobia) und in Punitz (Poniec).

 

 

 

Weitere Informationen:

A.Heppner/J.Herzberg, Aus Vergangenheit und Gegenwart der Juden und der jüdischen Gemeinden in den Posener Landen, Koschmin - Bromberg 1909, S. 949 – 955

Hermann Schreiber, Schrimmer Jugenderinnerungen, hrg. vom Verein der Schrimmer, Berlin 1927

Louis Lewin, Zwei Kapitel aus der Geschichte der Juden in Schrimm, in: "Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums", Heft 1/1937, S. 168 ff.

Krzysztof Budzyn, Dr. Hermann Schreiber. Rabin w Poszdamie. Wspomina mlodosc w Sremie, in: "Sremski Notatnik Historyczny", No. 2, Srem Grudzien, 2008

K. Bielwaski (Bearb.), Jüdischer Friedhof in Srem, online abrufbar unter: cmentarze-zydowskie.pl/srem.htm

Jewish Families connected to Srem Schrimm, Poland, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-Families-connected-to-Srem-Schrimm-Poland/33181

obig aufgeführte jüdische Gemeinden, in: sztetl.org.pl

Jüdischer Friedhof in Książ, online abrufbar unter: cmentarz-zydowski.gminaksiaz.pl