Schwersenz (Posen)
Schwersenz, seit 1638 mit Stadtrechten versehen, liegt etwa zehn Kilometer östlich der Stadt Posen/Poznan (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Polen' mit Swarzędz rot markiert, Y. 2006, aus: wikivoyage.org, CC BY-SA 3.0). Während der Jahre 1940-1945 trug die Ortschaft den Namen "Schwaningen". Die Stadt mit derzeit ca. 30.000 Einwohnern heißt heute Swarzędz (Woiwodschaft Poznan).
Während des größten Teils seiner Geschichte stellten in der Stadt Schwersenz/Swarzędz die jüdischen Familien einen zahlenmäßig bedeutenden Anteil an der Einwohnerschaft - zeitweise mehr als 50%.
Das Dorf Schwersenz stand unter direkter Herrschaft adliger Familien. Die Juden in Schwersenz bildeten ursprünglich eine Filialgemeinde der Gemeinde Posen; denn als nach einem Großbrand im Judenviertel von Posen 1590 die obdachlos gewordenen jüdischen Familien die Wut der christlichen Bevölkerung fürchteten, verließen sie die Stadt Posen und ließen sich vorübergehend in Schwersenz - unter dem Schutz des hiesigen Grundherrn - nieder. Nach Jahren kehrte ein Teil der Juden wieder nach Posen zurück; der andere Teil bildete den Grundstock der neuen jüdischen Gemeinde von Schwersenz. Zu Beginn des 17.Jahrhunderts zogen erneut jüdische Familien aus Posen nach Schwersenz; der Grundherr hatte für die neuen jüdischen Ansiedler Häuser errichten lassen, die er gegen „mäßigen Grundzins” an sie vermietete; zudem überließ er den Juden in vertraglicher Form Grund und Boden. Die Grundherrschaft sicherte den Schwersenser Juden auch eine Betätigung in allen Handwerken und Gewerben zu; nur die Tuchmacherei war ihnen verwehrt.
Als Schwersenz 1638 Stadtrechte erhielt, waren fast alle Einwohner Juden. Erst um 1640 ließen sich protestantische Christen hier nieder; auf Grund ihrer Interventionen beim Stadtherrn wurden von nun an vor allem der wirtschaftliche Spielraum der Juden immer mehr eingeengt.
Die jüdische Gemeinde verfügte zwar über alle notwendigen Gemeindeeinrichtungen wie Synagoge, Schul- und Rabbinerhaus, Mikwe, Schlachthaus und einen großen Friedhof an der Posener Straße; doch blieb sie der Posener Kultusgemeinde unterstellt.
So hieß es in einem 1774 erlassenen Dekret:
„ ... Auf Grund der Macht, welche die Posener Judenschaft über die Schwersenser Juden seit dem Anfang der Etablirung der Schwersenser Synagoge fortwährend hat, daß nämlich die Schwersenser Judenschaft der Posener Judenschaft in keinem Falle bei harter Strafe und bei dem bann sich widersetzen soll, verleihen wir der Posener Judenschaft die Macht, in Fällen, wo Ungehorsam gezeigt wird, die Schwersenser Judenältesten oder andere Juden mit dem Bann oder mit einer schimpflichen Strafe zu belegen. ...”
1810 wurde an der Stelle der alten Synagoge ein Neubau fertiggestellt; daneben gab es in der Stadt zahlreiche kleinere Betlokale.
Synagoge in Schwersenz (hist. Zeichnung)
Seit Mitte der 1820er Jahre bestand in Schwersenz eine zweiklassige jüdische Schule, die zunächst in Privaträumen untergebracht war; erst ab 1837 besaß die Gemeinde ein eigenes Schulgebäude, in dem anfangs etwa 250 Kinder beschult wurden. 1910 waren es nur noch 40 Schüler.
Juden in Schwersenz:
--- 1705 ....................... ca. 1.500 Juden,
--- 1794 ........................... 1.373 Juden (ca. 55% d. Bevölk.),
--- um 1810 ........................ 1.560 “ ,
--- 1837 ........................... 1.596 “ ,
--- 1849 ........................... 1.383 “ ,
--- 1860 ....................... ca. 900 “ ,
--- 1871 ........................... 779 “ ,
--- 1880 ........................... 611 “ ,
--- 1890 ........................... 574 “ (ca. 120 Familien),
--- 1901 ........................... 392 “ ,
--- 1905 ........................... 320 “ ,
--- 1921 ........................... 61 “ (ca. 2% d. Bevölk.),
--- 1927 ........................... 25 " ,
--- 1933 ........................... 18 " (in 4 Familien).
Angaben aus: Heppner/J.Herzberg, Aus Vergangenheit und Gegenwart der Juden und der jüdischen Gemeinden .., S. 975 f.
Viele Schwersenzer Juden verdienten ihren Lebensunterhalt in der Ausübung eines Handwerks. Laut einer schriftlichen Überlieferung sollen Ende des 18.Jahrhunderts in der Stadt u.a. 85 jüdische Schneider, 23 Kürschner, fünf Barbiere, zwei Glaser und zwei Posamentiers gelebt haben. Zumeist betrieben sie aber überregional Handel, z.B. mit Tabak.
Ab den 1840er Jahren setzte eine Abwanderungsbewegung von Juden aus Schwersenz ein; etwa 50 Jahre später betrug ihre Anzahl nur noch etwa 350 Personen. In den 1920er Jahren lebten nur noch wenige jüdische Familien in Schwersenz; die meisten waren zuvor in größere Städte (insbesonders nach Berlin) abgewandert, nachdem die Stadt auf Grund des Versailler Vertrages an den neu gegründeten polnischen Staat gefallen war.
1933 wurde die jüdische Gemeinde dann offiziell aufgelöst - zu einer Zeit, als nur noch vier Familien mosaischen Glaubens in der Stadt lebten; ihre Angehörigen wurden der jüdischen Gemeinde Posen angeschlossen.
Durch einen Brand wurde das Synagogengebäude im Frühjahr 1934 völlig eingeäschert – vermutlich ein Werk von Brandstiftern. Während der NS-Zeit wurde der jüdische Friedhof komplett zerstört. Das Areal ging später in das Eigentum einer Möbelmanufaktur über. Gegenwärtig gibt es Bemühungen, hier einen Park anzulegen, auf dem ein Denkmal an alle Opfer der NS-Gewaltherrschaft erinnert.
Mindestens 159 gebürtige bzw. über einen längeren Zeitraum in Schwersenz lebende jüdische Bewohner sollen Opfer der Shoa geworden sein; die meisten hatten zuletzt in Berlin gelebt.
An den einstigen Standort der Synagoge erinnert heute nicht mehr.
Weitere Informationen:
A.Warschauer, Die Entstehung einer jüdischen Gemeinde, in: "Zeitschrift für die Geschichte der Juden in Deutschland", Jg. 1890, Heft (1890), S. 170 - 181
A.Heppner/J.Herzberg, Aus Vergangenheit und Gegenwart der Juden und der jüdischen Gemeinden in den Posener Landen, Koschmin - Bromberg 1909, S. 971 - 984
Saul Kaatz, Zur Geschichte der Gemeinde Schwersenz, in: "Menorah - Illustrierte Monatsschrift für die jüdische Familie", No. 11/Nov. 1925, Wien/Frankfurt a.M. 1925
A. Małyszka, Jüdischer Friedhof in Swarzędz, in: "Miasteczko Poznań", No. 4/2004, S. 10 - 13 bzw. Arkadiusz Małyszka (Red.), SWARZĘDZ – czmentarze zydowskie polsce, in: kirkuty.xip.pl
Anna Michałowska-Mycielska, The Jewish community: authority and social control in Poznan and Swarzedz 1660 – 1793, Wroclaw 2008
Swarzędz, in: sztetl.org.pl
Jewish families of Swarzedz (formely Schwersenz, Posen), online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-Families-of-Swarz%25C4%2599dz-formerly-Schwersenz-Posen/18255
Władysław Białek, Swarzedz 1638 - 1988, online abrufbar unter: mojswarzedz.pl/zydzi-w-swarzedzu (auch in deutscher Übersetzung mit zwei Abschnitten über die ehem. jüdische Gemeinde)
Anna Michalowska, The Jewish Community: Authority and Social Control in Poznan und Swaredz 1650 – 1793, Warschau 2015