Sennheim (Elsass)
Das im Oberelsass gelegene Sennheim mit derzeit ca. 12.000 Einwohnern ist das französische Cernay - 18 Kilometer nordwestlich von Mülhausen/Mulhouse am Ostabhang der Vogesen gelegen (Ausschnitt aus hist. Landkarte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei).
Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts erreichte die israelitische Gemeinde mit mehr als 300 Angehörigen ihren personellen Zenit.
Die in Sennheim lebenden jüdischen Familien hatten schwer unter den Verfolgungen von 1309, 1338 und 1348/1349 zu leiden. Trotz Mord und Vertreibung siedelten sich einige jüdische Familien bereits in den 1370er Jahren wieder in Sennheim nieder. Im 15.Jahrhundert gab es in Sennheim nachweislich eine „Judengasse“ - sie lag im südlichen Teil der Stadt nahe der Mauer - und eine Synagoge.
Altes Stadttor in Sennheim (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Um 1470 mussten die Juden Sennheim erneut verlassen; Mitte des 16.Jahrhunderts wurden erneut jüdische Familien aufgenommen, allerdings nur sehr wenige. Die Wurzeln der neuzeitlichen jüdischen Gemeinde in Sennheim liegen Ende des 17./Anfang des 18. Jahrhunderts. Um 1750/1755 ließ die Gemeinde eine Synagoge erbauen, die 1846 abgebrochen wurde. Wegen der wachsenden Zahl der Gemeindemitglieder wurde an der Haffnerstraße ein Synagogenneubau errichtet.
Synagoge in Sennheim (Aufn. aus: judaisme.sdv.fr, um 1900)
Seitens der Gemeinde war ein Religionslehrer angestellt, der neben der religiösen Unterweisung der Kinder auch als Vorbeter und Schochet tätig war.
Nach Auflösung des Rabbinats in Uffholtz (1878) war bis 1910 Sennheim dann neuer Rabbinatssitz. Rabbiner war in den folgenden Jahrzehnten seines Bestehens der das Gemeindeleben prägende Salomo Bamberger (ein Sohn des Würzburger Raw Seligmann Bär Bamberger).
Salomon Bamberger und seine Frau Léa (Aufn. aus: judaisme.sdv.fr)
aus: „Frankfurter Israelitische Gemeindezeitung" vom 27.3.1918
Bereits seit dem späten Mittelalter existierte am Nordrande Sennheims ein jüdischer Friedhof; dieser wurde auch nach der Vertreibung der Juden aus Sennheim weiterhin benutzt. Innerhalb des kommunalen Friedhofs entstand im 19.Jahrhundert ein neues Begräbnisareal, das durch eine Mauer vom christlichen Bereich abgetrennt war.
Juden in Sennheim (Cernay):
--- 1784 ......................... 30 jüdische Familien (ca. 140 Pers.),
--- 1849 ......................... 340 Juden,
--- 1861 ......................... 291 “ ,
--- 1900 ......................... 122 “ ,
--- 1910 ......................... 113 “ ,
--- 1936 ......................... 41 “ .
Angaben aus: Michel Rothé/Max Warschawski, Les synagogues d’Alsace et lieur histoire, S. 49
Aus den ersten Monaten des Ersten Weltkrieges ist der folgende Artikel des „Frankfurter Israelitischen Familienblatt“ vom 6. Nov. 1914 überliefert:
Der Rabbiner als Geisel. In Sennheim i. Els. hatten der Bürgermeister und ein Stadtrat Verrat geübt und waren sofort erschossen worden. Der deutsche Kommandant vermutete, daß sich noch zahlreiche Verräter im Orte befinden und wollte deshalb den ganzen Ort einäschern. Da begab sich der 75jährige Rabbiner Bamberger, ein Sohn des großen Würzburger Rabbiners Seligmann Bär Bamberger s. A., zu dem Kommandanten und bot sich als Geisel an. Er wies dabei auf die Fürbitte Abrahams, als Gott ihm seine Absicht, Sodom zu vernichten, mitteilte, hin. ‚Wenn nur zehn Gerechte inmitten der Stadt sind, schone sie’ habe Abraham gesagt, und so sage er auch jetzt zu dem Kommandanten. Der Kommandant nahm von seinem Beschlusse Abstand, verzichtete jedoch dankend auf das Anerbieten des heldenhaften greisen Rabbis, sich als Geisel zu stellen.
Die Synagoge in der Haffnerstraße wurde im Ersten Weltkrieg zerstört.
Das „Frankfurter Israelitische Familienblatt” berichtete am 5.3.1915 über deren Zerstörung wie folgt:
Sennheim (Ober-Elsaß). Infolge der vor zwei Monaten befohlenen Räumung unseres Ortes hat auch die israelitische Gemeinde zu bestehen aufgehört. Die Gemeindemitglieder haben sich nach allen Richtungen zerstreut; die meisten suchten in der Schweiz Zuflucht. Der 80jährige Rabbiner H. S. Bamberger wollte bis aufs äußerste ausharren. Vor einigen Wochen mußte er jedoch mitten im Kugelregen in einem Wagen geholt werden, den der Rabbiner des benachbarten Bollweiler, Dr. J. Weil schickte, um den wegen seiner tiefen Frömmigkeit und bewundernswerten Thoragelehrsamkeit verehrten Rabbiner in Sicherheit zu bringen. Bald darauf eilte dessen Familie herbei, um ihn bei sich aufzunehmen. Jetzt ist auch die Synagoge verschwunden: sie ist vorige Woche samt ihren 14 Thorarollen verbrannt.
Mitte der 1920er Jahre bezog die Gemeinde ein anderes Gebäude, um hier Gottesdienste abzuhalten; zu diesem Zeitpunkt bestand die israelitische Gemeinschaft bereits nur noch aus sehr wenigen Familien. Die Ortsbewohner hatten Sennheim wegen der Kriegsereignisse 1915 verlassen müssen; die meisten jüdischen Familien hatten in der Schweiz Zuflucht gesucht.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem kamen während der NS-Okkupationszeit 15 in Cernay/Sennheim gebürtige bzw. länger dort lebende jüdische Bewohner gewaltsam ums Leben (namentliche Nennung der betreffenden Personen siehe: alemannia-judaica.de/cernay_synagogue.htm).
Nach dem Zweiten Weltkrieg lebten in der Stadt keine Juden mehr.
Der jüdische Friedhof in Sennheim wurde während der deutschen Besatzungszeit völlig zerstört; bis auf den heutigen Tag hat sich an diesem Zustand kaum etwas geändert.
Jüdisches Begräbnisgelände in Cernay (Aufn. J. Hahn, 2004, aus: alemannia-judaica.de)
Der zuletzt von der Gemeinde genutzte Betsaal ist baulich erhalten geblieben; er wird derzeit als Getreidelager benutzt.
Synagogenraum (Aufn. Base Mémoire, aus: synagogo.blogg.org, 2008)
Weitere Informationen:
Michel Rothé/Max Warschawski, Les synagogues d’Alsace et lieur histoire, Jerusalem 1992
Germania Judaica, Band III/2, Tübingen 1995, S. 1365 - 1367
Gerd Mentgen, Studien zur Geschichte der Juden im mittelalterlichen Elsaß - Forschungen zur Geschichte der Juden, in: "Schriftenreihe der Gesellschaft zur Erforschung der Geschichte der Juden e.V.", Verlag Hahnsche Buchhandlung, Hannover 1995
Cernay, online abrufbar unter: judaisme-sdv-fr.translate.goog/synagog/hautrhin/a-f/cernay.htm
Cernay, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)