Sennfeld (Baden-Württemberg)

Physische Karte des Baulands Naturraum Nr. 128 (braun umrandet)Datei:Adelsheim in MOS.svg Seit 1975 ist das Dorf Sennfeld (derzeit ca. 1.200 Einwohner) ein Stadtteil von Adelsheim im Neckar-Odenwald-Kreis; das im Seckachtal liegende Sennfeld ist jeweils ca. 35 Kilometer nördlich von Heilbronn bzw. nordöstlich von Mosbach entfernt (topografische Karte des Baulands, Abb. K. Jähne 2009, aus: wikipedia.org gemeinfrei  und  Kartenskizze 'Neckar-Odenwald-Kreis', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Juden hatten sich in Sennfeld oder Umgebung vermutlich bereits im 14.Jahrhundert niedergelassen, als die Freiherren von Adelsheim vom Kaiser Ludwig d. Bayer das Judenregal erhielten. Eine neuzeitliche jüdische Gemeinde in Sennfeld entstand im Laufe des 17.Jahrhunderts. Derzeit waren sieben Juden den Herren von Berlichingen schutzgeldpflichtig. Vieh-, Pferde- und Getreidehandel waren alleinige Grundlagen ihres Lebensunterhalts.

1835/1836 ließ die jüdische Gemeinde Sennfeld in der Dorfmitte einen massiven Synagogenbau errichten, in dem neben einem Betraum auch ein Schulraum und eine oder zwei Mikwe(n) untergebracht waren.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2014/Sennfeld%20Synagoge%20104.jpghttp://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2014/Sennfeld%20Synagoge%20103.jpg Aufn. J. Hahn, 1985, aus: alemannia-judaica.de

Die Verrichtung religiös-ritueller Aufgaben übernahm ein von der Gemeinde angestellter Lehrer; hier eine Anzeige im „Großherzoglich Badischen Anzeige-Blatt für den See-Kreis“ vom 16. Febr. 1850:

              

Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 3.Nov. 1875 http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20149/Sennfeld%20Israelit%2003111875.jpg

Seit Mitte der 1870er Jahre hatte in besonderer Weise der Lehrer Nathanael Wolf das Gemeindeleben der Sennfelder Juden geprägt; mehr als drei Jahrzehnte war er für die Gemeinde tätig gewesen.

1882 legte die jüdische Gemeinde einen eigenen Friedhof in einem Waldgebiet nordöstlich von Sennfeld im Gewann „Berglesrain“ an, auf dem auch Verstorbene aus Adelsheim und Korb beerdigt wurden; zuvor hatten Begräbnisse auf dem großen jüdischen Verbandsfriedhof in Bödigheim stattgefunden.

Sennfeld-Judenfriedhof-28.JPG

Jüdischer Friedhof in Sennfeld (Aufn. P. Schmelzle, 2012, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0  -  Doppelgrabstein für Lehrer Nathanael Wolf u. Frau (Aufn. J. Hahn, 2003)

Ab 1903 gehörten auch die wenigen Juden der inzwischen aufgelösten israelitischen Gemeinde Korb der Sennfelder Gemeinde an. 

Die Sennfelder Kultusgemeinde unterstand seit 1827 dem Rabbinatsbezirk Merchingen.

Juden in Sennfeld:

         --- 1718 ...........................   7 jüdische Familien,

    --- 1825 ...........................  96 Juden (ca. 10% d. Dorfbev.),

    --- 1855 ...........................  94   “  ,

    --- 1875 ........................... 121   “  ,

    --- 1895 ........................... 124   “   (ca. 10% d. Dorfbev.),

    --- 1900 ........................... 114   “  ,

    --- 1925 ...........................  72   “   (ca. 7% d. Bevölk.),

    --- 1933 ...........................  56   “  ,

    --- 1940 ...........................  22   “  ,

    --- 1941 ...........................  ein  “ (),

    --- 1944 ...........................  keine.

Angaben aus: R. Lochmann, Jüdische Gemeinde Sennfeld

und                 F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden - Denkmale, ..., S. 259

 

Ihren Lebensunterhalt bestritten die Juden Sennfelds zumeist im Vieh- und Landesproduktenhandel.

Zwei Jahre nach der NS-Machtübernahme 1933 wurden am Ortseingang und -ausgang Schilder mit der Aufschrift „Juden sind in Sennfeld nicht mehr erwünscht” aufgestellt.

Im Jahre 1936 konnte noch das hundertjährige Bestehen der Synagoge gefeiert werden; ein Artikel in der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 7. Mai 1936 berichtete darüber:

Sennfeld (Baden), 5. Mai. Unsere Gemeinde beging am vorletzten Sonntag das hundertjährige Jubiläum ihrer Synagoge mit einer würdigen Feier. Zahlreiche nordbadische und württembergische Gemeinden waren vertreten. Ein vom zuständigen Lehrer, Herrn Moritz Bloch, Adelsheim, gut eingeübter Kinderchor eröffnete mit dem japhetischen Ma Towu die Feier. Anschließend rezitierte Herr Lehrer Bloch einen Psalm. Eine Schülerin trug einen von Frl. Milka Kälbermann, Großeicholzheim, verfaßten Prolog vor, worauf mit dem Ausheben der Thorarollen und den üblichen Umzügen die eigentliche Feier begann. ... Herr Vorsteher Levi entbietet den zahlreich Erschienenen die Grüße der Festgemeinde. Der Vertreter des Oberrats der Israeliten Badens, Herr Prof. K. Darmstädter, Mannheim, übermittelt die Grüße und Wünsche des Oberrats. Für die Bezirkssynagoge Merchingen, zu der die Jubelgemeinde gehört, spricht Herr Synodalabgeordneter Bezirksältester Moritz Rosenbaum, Hainstadt. Sodann überbringt Herr Synodalabgeordneter Bezirksältester David Rothschild, Mosbach,, die Glückwünsche der Bezirkssynagoge Mosbach und schildert in längeren Ausführungen die Gemeindetraditionen ... Bezirksältester Leopold Cahn, Wertheim, übermittelt durch Herrn Bezirksrabbiner Greilsheimer, Mosbach, die Glückwünsche der Bezirkssynagoge Wertheim am Main. Es sprach nun Herr Samuel Jesselsohn, Neckarbischofsheim, einer der gesetzestreuen Pioniere Badens, sinnige Thoraworte. Herr Hauptlehrer Kaufmann, Mannheim, der jahrelang in Sennfeld segensreich gewirkt hatte, richtete markige Worte an die Festversammlung. ... Von größter Wirksamkeit war die Festpredigt unseres Raw, Herrn Bezirksrabbiner Greilsheimer, Mosbach. ... In tiefster Dankbarkeit gedenkt Redner des ersten Vorstehers, Herrn Moses Hamburger, Carl Reis u.a., sowie der amtierenden Lehrer bis auf den derzeitigen zuständigen Lehrer Moritz Bloch, Adelsheim und aller für die Gemeinde verdiente Männer. Anschließend daran trug Herr Lehrer D. Scheuermann, Großeicholzheim, das Mincha-Gebet vor. Mit Psalmgesängen, warm vorgetragen von Herrn Lehrer Baracker, Mosbach, schließt die denkwürdige Feier. Br. 

In den Jahren 1936/1938 wurde auf drei bäuerlichen Anwesen ein Ausbildungslager für auswanderungswillige junge Juden eingerichtet, die ihre Zukunft in Palästina sahen. Neben theoretischen und praktischen Kenntnissen in der Landwirtschaft wurde ihnen u.a. auch Hebräisch-Unterricht erteilt.

Während des Novemberpogroms von 1938 wurde die Synagoge durch ein auswärtiges SA-Kommando verwüstet, dem sich auch einige Sennfelder NSDAP-Angehörige angeschlossen hatten; die Inneneinrichtung und die Kultgegenstände wurden zerstört; auch mehrere Wohnungen jüdischer Familien wurden demoliert.

Anm.: Das 1940 in Kommunalbesitz gelangte ehemalige Synagogengebäude diente danach u.a. als Unterkunft für KZ-Häftlinge, als Kirchenraum, als Sport- und Gymnastikraum und als Sitzungsraum des Rates.

Auch das landwirtschaftliche Lehrgut war im November 1938 Ziel gewaltbereiter SA-Angehöriger; diese wurde danach geschlossen. Etwa 30 jüdischen Bewohnern Sennfelds gelang bis 1940 eine Emigration. Ende Oktober 1940 wurden die letzten 21 Sennfelder Juden ins Internierungslager nach Gurs/Südwestfrankreich deportiert, eine noch im Dorfe lebende Jüdin 1944 nach Theresienstadt verschleppt.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 28 aus Sennfeld stammende jüdische Bewohner Opfer der Shoa (namentliche Nennung der Opfer siehe: alemannia-judaica.de/sennfeld_synagoge.htm).

 

 http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2054/Sennfeld%20Synagoge%20212.jpg  

Ehem. Synagogengebäude (Eingang zur Straße) und Ostseite (Aufn. J. Hahn, 2005)       

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2032/Sennfeld%20Synagoge%20156.jpg Seit 1991 weist eine Gedenktafel (Aufn. J. Hahn, 2003) auf die ehemalige Bestimmung des Gebäudes hin und erinnert an die 21 Sennfelder Juden, die nach Gurs deportiert wurden; die Inschrift lautet:

Dieses historische Gebäude war von 1836 bis 1938

die SYNAGOGE der jüdischen Gemeinde in Sennfeld, die seit dem 17.Jahrhundert hier bestand.

Unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wurde die Inneneinrichtung 1938 vollständig zerstört.

1940 wurden die letzten 21 jüdischen Bürger nach Gurs deportiert.

Ihnen zum Gedächtnis - uns zur bleibenden Mahnung, dem Unrecht zu wehren und die Würde des Menschen zu achten.

Das einstige Synagogengebäude dient heute als Heimatmuseum und als Gedenkstätte; in einem Raum befinden sich Dokumente und Objekte aus dem Besitz der ehemaligen jüdischen Gemeinden Sennfeld und Adelsheim. Künftig soll das Gebäude zu einem Ort der Dokumentation für jüdische Geschichte im gesamten Neckar-Odenwald-Kreis werden.

         Gedenkstein in Sennfeld Im Rahmen des landesweiten ökumenischen Jugendprojektes – Erinnerung an die Deportation der badischen Juden im Oktober 1940 nach Gurs – wurnde von vier Mädchen der hiesigen Kirchengemeinde in Sennfeld die beiden Memorialsteine geschaffen, der wie mehr als 100 ähnlicher „Objekte“ auf der zentralen Gedenkstätte in Neckarzimmern steht (Abb. aus: mahnmal-neckarzimmern.de); der Vor-Ort-Stein hat seinen Platz 2014 auf einer Grünfläche in der Bahnhofstraße gefunden.

2014 wurden in der Kirchgasse von Sennfeld drei sog. „Stolpersteine“ verlegt.

Datei:Stolpersteine in Sennfeld.jpg Aufn. Granpar, 2020, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0

Bei Renovierungsarbeiten in den 1990er Jahren wurden zwei Mikwen und eine Genisa gefunden.

die freigelegte Mikwe (Aufn. Förderverein)

                              Fundstücke aus der Genisa (Aufn. R. Lochmann) Objekte aus verborgenem Ort

 

[vgl. Adelsheim (Baden-Württemberg)]

 

 

 

Weitere Informationen:

F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden - Denkmale, Geschichte, Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1968, S. 259/260

Wilhelm Wetterauer, Die ehemalige Synagoge Sennfeld, Hrg. ‘Ehemalige Synagoge Sennfeld’ (1985)

Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 377/378

Wilhelm Wetterauer, Das ehemalige landwirtschaftliche jüdische Lehrgut in Sennfeld, Manuskript, o.J.

Rüdiger Scholz, Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde in Sennfeld, in: "Unser Land", Jg. 1994, S. 45 - 49

Reinhart Lochmann, Jüdische Gemeinde Sennfeld, Sennfeld 1997 (Manuskript)

Sennfeld, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Reinhart Lochmann, Die Ehemalige Synagoge Sennfeld: Gedenkstätte für die jüdischen Gemeinden Sennfeld u. Adelsheim, in: Orte des Gedenkens und Erinnerns in Baden-Württemberg, Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, 2007, S. 39 - 42

Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 7 – 9

Rudolf Landauer/Reinhart Lochmann, Spuren jüdischen Lebens im Neckar-Odenwald-Kreis, hrg. vom Landratsamt Neckar-Odenwald-Kreis, 2008

Daniela Käflein (Red.), Die Menschen sind hier nicht vergessen, in: fnweb.de/region/neckar-odenwald/ vom 19.5.2012

Sabine Braun (Red.), Objekte aus verborgenem Ort, in: fnweb.de/region/neckar-odenwald/ vom 16.8.2012

N.N. (Red.), Aus der Mitte der Gesellschaft herausgerissen - „Stolpersteine“ in Sennfeld verlegt, in: „Fränkische Nachrichten“ vom 8.12.2014

Wolfgang Wüst, Die fränkischen Reichsdörfer Sennfeld und Gochsheim zwischen alter und neuer Lehre – Religions- und Konfessionspolitik im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. Schweinfurt 2016

Andreas Hanel (Red.), Erinnerung soll in Sennfeld wachgehalten werden, in: „Rhein-Neckar-Zeitung“ vom 9.11.2018

Reinhart Lochmann, Jüdisches Leben in Sennfeld, Verlag Laub GmbH, 2020

Sabine Braun (Red.), Reinhart Lochmann stellt in Sennfeld sein „Abschlusswerk“ vor, in: „Fränkische Nachrichten“ vom 3.1.2022