Sickenhofen (Hessen)
Sickenhofen ist heute ein Stadtteil von Babenhausen im äußersten Nordosten des hessischen Landkreises Darmstadt-Dieburg - ca. 20 Kilometer westlich von Aschaffenburg gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905 ohne Eintrag von Sickenhofen, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Darmstadt-Dieburg', Hagar 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).
In der Ortschaft Sickenhofen, die den Freiherren Groschlag zu Dieburg unterstand, sind Ansiedlungen von Juden seit Beginn des 17.Jahrhunderts nachweisbar; allerdings durften hier anfangs nur einzelne Familien leben. Seit Beginn der 1840er Jahre besaß die kleine Gemeinde in der Wacholdergasse eine neue Synagoge, die einen älteren Bau ablöste.
öffentliche Ausschreibung für den Bau der Synagoge (1841)
Zeitweilig hatte die kleine Gemeinde einen Lehrer unter Vertrag, der die Kinder in der Religionsschule unterrichtete und für die Besorgung der rituellen Aufgaben zuständig war.
aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 19.6.1876
Östlich des Dorfkerns hatte die Grundherrschaft der Sickenhofener Judenschaft gegen entsprechende finanzielle Leistungen ein Beerdigungsgelände zur Verfügung gestellt. Angelegt wurde der Friedhof vermutlich schon im 17.Jahrhundert; der älteste noch vorhandene Grabstein trägt die Jahreszahl 1741. Auf dem Friedhofsgelände wurden auch verstorbene Juden aus Hergershausen beerdigt.
Die kleine Gemeinde unterstand dem orthodoxen Rabbinat Darmstadt II, später dann dem Rabbinat Offenbach/Main.
Juden in Sickenhofen:
--- um 1730 ....................... 4 jüdische Familien,
--- um 1760 ....................... 8 “ “ ,
--- 1815 .......................... 10 “ “ ,
--- 1829/30 ....................... 71 Juden (ca. 15% d. Dorfbev.),
--- 1855 .......................... 82 “ ,
--- 1867 .......................... 71 “ ,
--- 1880 .......................... 79 “ (ca. 14% d. Bevölk.),
--- 1892/93 ....................... 11 jüdische Familien,
--- 1900 .......................... 15 Juden,* * andere Angabe: 33 Pers.
--- 1910 .......................... 23 " (ca. 5% d. Bevölk.),
--- 1925 .......................... 14 “ ,
--- 1933 .......................... 8 “ (in 2 Familien),
--- 1939 (Mai) .................... 4 “ .
Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 2, S. 253
und Thomas Lange (Hrg.), ‘L’chajim’ - Die Geschichte der Juden im Landkreis Darmstadt-Dieburg, S. 26
Gegen Ende des 19.Jahrhunderts ging die Zahl der Mitglieder der Sickenhofener Judengemeinde durch Abwanderung stark zurück. Als die eigene Synagoge nicht mehr genutzt wurde, verkauften 1935 die letzten noch am Ort lebenden Juden das Gotteshaus.
aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 16.5.1935
J-Kennkarten von zwei Jugendlichen aus Sickenhofen – ausgestellt 1939 in Dieburg
Bei Kriegsbeginn sollen noch vier Juden in Sickenhofen gelebt haben; drei von ihnen wurden deportiert.
Von den gebürtigen bzw. länger im Ort lebenden jüdischen Bewohnern wurden nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem insgesamt 14 Personen Opfer der NS-Gewaltherrschaft. (namentliche Nennung der Opfer siehe: alemannia-judaica.de/sickenhofen_synagoge.htm)
Nach 1945 wurde das ehemalige Synagogengebäude zeitweilig als Turnhalle benutzt; Mitte der 1950er Jahre kam es in Privatbesitz und wurde zu einem Wohnhaus umgebaut; an die einstige Nutzung erinnert heute nichts mehr.
2014 wurden in Sickenhofen acht sog. "Stolpersteine" zur Erinnerung an die Angehörigen der beiden jüdischen Familien Frank und Kahn verlegt; jeweils vier Steine wurden in die Gehwege vor den beiden Häusern in der Sachsenhäuser Str. und Hergershäuser Str. eingelassen.
Aufn. Roland Merier, 2020, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0
Derzeit wird angedacht, eine „Gedenkstation“ in zentraler Lage Sickenhofens zu errichten, um die jüdische Geschichte des Ortes und die Schicksale ehemaliger hiesiger jüdischer Bewohner mehr in den Focus zu rücken.
Auf dem jüdischen Friedhof von Sickenhofen haben etwa 140 Grabsteine die Zeiten überdauert; der älteste Stein datiert von 1741.
Jüdischer Friedhof in Sickenhofen (Aufn. J. Hahn, 2007, aus: alemannia-judaica.de und M. 2022, aus: commons.wikimedia.org CC BY-SA 4.0)
[vgl. Babenhausen (Hessen)]
Weitere Informationen:
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 2, S. 252 f.
Thea Altaras, Synagogen in Hessen. Was geschah seit 1945? , o.O. 1988, S. 135/136
K.Lötzsch/G.Wittenberger, Die Juden von Babenhausen. Beiträge zur Geschichte der jüdischen Gemeinden von Babenhausen, Langstadt, Sickenhofen und Hergershausen, in: Babenhausen einst und jetzt (Beiheft 1), hrg. vom Heimat- und Geschichtsverein Babenhausen e.V., Babenhausen 1988
Thea Altaras, Das jüdische Rituelle Tauchbad. Was geschah seit 1945, Teil II, o.O. 1994, S. 116
Studienkreis Deutscher Widerstand (Hrg.), Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945, Hessen I Regierungsbezirk Darmstadt, 1995, S. 31/32
Thomas Lange, ‘L’chajim’ - Die Geschichte der Juden im Landkreis Darmstadt-Dieburg, hrg. vom Landkreis Darmstadt-Dieburg, Reinheim 1997, S. 99/100 und S. 133/134
Sickenhofen, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortsgeschichte und diversen Aufnahmen vom Friedhof)
Ursula Friedrich (Red.), Stolpersteine in Sickenhofen: Gedenken an die Familien Frank und Kahn, in: "Babenhäuser Zeitung“ vom 5.6.2014
Stefan Scharkopf (Red.), Erinnerung an Schicksal jüdischer Mitbürger – Mehr als nur Info-Tafeln in Sickenhofen, in: „Offenbacher Post“ bzw. op-online vom 24.6.2015