Solothurn (Schweiz)
Solothurn ist eine Kommune mit derzeit ca. 16.500 Einwohnern und Hauptort des Kantons Solothurn – ca. 40 Kilometer nördlich von Bern (Kartenskizze der Schweiz, Kanton Solothurn rot eingefärbt, TUBS 2011, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Noch mehr als in anderen Schweizer Kantonen blieben die Juden im Kanton Solothurn eine verschwindend kleine Minderheit.
Ende des 13.Jahrhunderts wird erstmals ein jüdischer Bewohner der Reichsstadt Solothurn urkundlich erwähnt. In den folgenden Jahrzehnten müssen weitere Familien hier gelebt haben; in einem der ältesten Stadtteile lag die „Judengasse“ mit der „Judenschul“. Beim Pestpogrom im November 1348 sollen die in Solothurn lebenden Juden auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden sein. Etwa drei Jahrzehnte später durften sich wieder zwei jüdische Familien in der Stadt niederlassen, deren Lebenserwerb der Geldhandel war. Im Jahre 1409 erlaubte König Ruprecht der Stadt Solothurn, für die kommenden vier Jahrzehnte Juden den Aufenthalt in der Stadt zu gestatten. Nach 1456 war Solothurn dann für etwa 400 Jahre „judenfrei“.
Eine neuzeitliche Gemeinde gründete sich in Solothurn offiziell erst Anfang der 1860er Jahre, als das bis dahin gültige Niederlassungsverbot gelockert bzw. aufgehoben worden war; Bemühungen jüdischer Kaufleute in den 1830er Jahren, sich in Solothurn niederzulassen, waren bei den politischen Gremien stets auf Ablehnung gestoßen.
vom März 1838
Über die Gemeindebildung und die ersten Jahre ihres Bestehens berichtete die „Allgemeine Zeitung des Judentums“ im Februar 1882 folgt:
Solothurn (Schweiz), eine kleine Stadt von 7 - 8.000 Einwohner, hielt vor ungefähr 22 Jahren noch am alten Zopfe fest. Es war noch so großes Rischuß [Antijudaismus] da, daß keinem Israeliten die Niederlassung gestattet wurde, und folglich auch nicht geduldet, daß einer in der Stadt wohnen durfte. Seit 20 Jahren ist aber eine andere Wendung eingetreten. Es wurde den Israeliten gestattet, sich hier frei niederzulassen, in Folge dessen hat sich hier eine kleine Gemeinde gebildet, die keine Kosten gescheut, Einrichtungen zu treffen, wie in den größten jüdischen Gemeinden; nämlich: ein Gebetlokal, eine Mikwa, eine Armenkasse, um an durchreisende Arme eine milde Gabe verabfolgen zu können. Von Rischuß ist Gottlob nichts zu sehen. Am 8. Januar letzthin wurde einem hiesigen jungen Israeliten, dem Herrn Simon Braunschweig das Staatsbürgerrecht – und zwar auf Antrag der Kommission vom Gemeinderath einstimmig – ertheilt. Welcher Unterschied von früher und jetzt ! Gegenüber den traurigen Verfolgungen, die unsere unglücklichen Brüder in Russland zu erdulden haben, ist das Benehmen der hiesigen Behörde sehr lobenswerth.
Erst seit den 1860er Jahren war jüdische Ansiedlung wieder erlaubt. In der Folgezeit ließen sich jüdische Pferde- und Viehhändler - vor allem aus dem Elsass (zumeist aus Hegenheim) - in der Aare-Stadt nieder (zu den ersten Viehgroßhändlern gehörten die Gebrüder Braunschweig) und bildeten in der sog. Vorstadt ein kleines ‚Judenviertel’, in der auch ein Bethaus eingerichtet wurde. Jahre später eröffneten Textilhändler ihre Läden in der Altstadt: Adler in der Gurzelngasse und Levy-Picard am Dornacherplatz waren die bekanntesten. Das Warenhaus von Léon Nordmann gehörte wohl zu den bedeutendsten jüdischen Geschäften in der Stadt.
Ansicht von Solothurn um 1900 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Um 1910 setzte sich die „Israelitische Cultusgenossenschaft Solothurn“ aus etwa 160 Mitgliedern zusammen; etwa die Hälfte besaß die schweizerische Staatsangehörigkeit, die anderen galten als „Ausländer“.
Der Betsaal der Gemeinde war in einem Privathause untergebracht. Neben einem eigenen Rabbiner besaß die kleine Gemeinde auch einen Kantor, der zugleich auch als Lehrer und Schochet tätig war.
Stellenanzeigen in der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 24.10.1904 und vom 18.11.1909
Juden in Solothurn:
--- 1377 .................... 2 jüdische Familien,
--- nach 1460 ............... keine,
--- 1850 .................... 21 Juden,
--- 1870 .................... 92 “ ,
--- 1888 .................... 145 “ ,
................... 53 " ,* *nur die Stadt Solothurn
--- 1900 ................... 83 " ,*
--- 1910 .................... 168 “ ,
--- 1930 .................... 155 “ ,
--- 1941 .................... 166 “ ,
--- 1950 .................... 105 “ ,
--- 1970 .................... 65 “ ,
--- 1990 .................... 68 “ ,
--- 2000 .................... 91 “ . Angaben beziehen sich auf den Kanton Solothurn
Angaben aus: Historische Statistiken eidgenössischer Volkszählungen
Mitte der 1980er Jahre wurde der Betsaal „Am Oberen Winkel“ aufgegeben; das komplette Inventar (Bänke, Thoraschrank und Kultusgegenstände u.a.) wurde damals als Leihgabe dem Jüdischen Museum in Basel übergeben. Eine der Thorarollen erhielt die Gemeinde Bern.
Thoraschrank mit Gebotstafeln (Abb. JGS Solothurn und H. Grunert, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
In Solothurn leben auch heute noch alteingesessene Bürger mit jüdischem Hintergrund, doch eine eigene Gemeindestruktur gibt es aber auf Grund der geringen Mitgliederzahl schon längere Zeit nicht mehr.
Dornach - im Kanton Solothurn - war eines der wenigen Dörfer, in denen Juden nach ihrer allgemein verfügten Ausweisung aus der Eidgenossenschaft (1493) vermutlich noch eine Zeitlang leben konnten. In der Zeit des 30jährigen Krieges lassen sich vereinzelt Juden in Dornach nachweisen, dabei handelte es sich wohl um Kriegsflüchtlinge; dabei mussten sie jederzeit mit ihrer Ausweisung rechnen. Eine sich in der zweiten Hälfte desim 17.Jahrhunderts hier gebildete, nur aus einer überschaubaren Anzahl Familien bestehende kleine Gemeinschaft konnte bis ins frühe 18.Jahrhundert in Dornach leben. Ihre Angehörigen, die zumeist von Handels- u. Kreditgeschäften lebten, mussten an den Vogt individuell festgelegte sog. „Schirmgelder“ (Schutzgelder) entrichten. Nach acht Jahrzehnten Duldung wurden die jüdischen Familien im Jahre 1736 ausgewiesen. Anlass für diese Entscheidung waren von der Gemeinde Dornach vorgebrachte Beschwerden gegen die „allhiessige fast täglich sich vermehrende sehr arme Judenschaft“, die sich angeblich des "Holzfrevels" schuldig gemacht hatte. Vermutlich suchten die vertriebenen Familien dann im Elsass oder in Süddeutschland eine neue Bleibe.
Weitere Informationen:
Die jüdische Gemeinde in Solothurn/Schweiz, in: alemannia-judaica.de (Internet-Präsentation)
Germania Judaica, Band III/2, Tübingen 1995, S. 1378/1379
Anna C. Fridrich, Juden in Dornach – Zur Geschichte einer Landjudengemeinde im 17. und frühen 18.Jahrhundert, im „Jahrbuch für Solothurnische Geschichte“ Band 69/1996 (auch als PDF-Datei abrufbar)
Karin Huser, Vom Vieh- und Pferdehandel: jüdisches Leben in Solothurn um 1900, in: „Jahrbuch für solothurnische Geschichte“, Band 78/2005, S. 325 ff.
Karin Huser, Vieh- und Textilhändler an der Aare. Geschichte der Juden im Kanton Solothurn vom Mittelalter bis heute, in: "Beiträge zur Geschichte und Kultur der Juden in der Schweiz – Schriftenreihe des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes", Band 12, Zürich 2007
Rolf Löffler, geduldet, vertrieben, toleriert – Buchvernisage zu Juden im Kanton Solothurn, in: „Berner Zeitung“ vom 19.6.2007
Peter Abelin, „Wo in Solothurn einst gebetet wurde“, Hrg. Jüdische Gemeinde in Bern, in: "JGB Forum", No. 85/März 2009, S. 10 - 13
Karin Huser, Jüdisches Leben in Solothurn, in: „Kirchenblatt für röm.-kath. Pfarreien im Kanton Solothurn", Ausg. 2/2020
Silvia Rietz (Red.), Auf den Spuren der jüdischen Gemeinde der Stadt Solothurn: Ein Blick in die Vergangenheit, in: „Solothurner Zeitung“ vom 20.9.2023
Silvia Rietz (Red.), Vom Rampenlicht ins Solothurner Lehrerzimmer: Die Geschichte zweier Pianistinnen, die vor dem Naziregime flüchteten, in: „Solothurner Zeitung“ vom 13.11.2023