Sontra (Hessen)

 Rotenburg in Hessen-Nassau - Europa1900Datei:Sontra ESW.svg Sontra ist heute eine Kleinstadt mit derzeit ca. 7.500 Einwohnern im südlichen Teil des hessischen Werra-Meißner-Kreises südwestlich von Eschwege (Ausschnitt aus hist. Landkarte von 1905, aus: europe1900.eu  und  Kartenskizze 'Werra-Meißner-Kreis', TUBS 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

Sontra um 1655 - Stich M. Merian (Abb. aus: wikipedia.org, CCO)

 

Erste urkundliche Hinweise auf die Existenz von Juden im Raume Sontra stammen aus der zweiten Hälfte des 13.Jahrhunderts, dann erst wieder aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges; von da an gab es eine kontinuierliche Ansässigkeit jüdischer Familien in und um Sontra. Anhand der Steuerkataster um 1770 lassen sich Rückschlüsse auf die Berufsstruktur der jüdischen Familien ziehen; demnach lebten damals zwölf Gewerbetreibende, zumeist Händler, in der Kleinstadt. Die Konkurrenz zu christlichen Metzgern und Viehhändlern brachte oft Schwierigkeiten. Alle bis 1810 in Sontra lebenden Juden waren „Schutzjuden“ und lebten vom „Handel und Wandel und kauff und verkauffen allerhand Waaren”.

Ein Bethaus gab es in Sontra bereits seit etwa 1750. Ab der Mitte des 19.Jahrhunderts verfügte die kleine, konservativ eingestellte jüdische Gemeinschaft über ein neues, schmuckloses Synagogengebäude, das in der Ortsmitte am Mühlenweg stand. Ab den 1850er Jahren gab es auch eine jüdische Elementarschule, die aus der schon mehr als ein Jahrhundert bestehenden Religionsschule hervorgegangen war; sie bestand bis 1932. Danach beschäftigte die Gemeinde noch für wenige Jahre einen Religionslehrer (siehe Anzeige), der auch die religiös-rituellen Besorgungen verrichtete.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20149/Sontra%20Israelit%2013061935.jpg Stellenanzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 13.Juni 1935

Der relativ große, alte jüdische Friedhof am Steilhang des Quesselsberges war um 1710 angelegt worden. Er diente auch Verstorbenen umliegender kurhessischer Orte als Beerdigungsstätte (so aus Richelsdorf, Solz, Wichmannshausen u. Herleshausen), bis diese Gemeinden eigene Friedhöfe besaßen. In den 1920er Jahren wurde dann dieser alte Sontraer Friedhof geschlossen und ein anderes Gelände - es befand sich gegenüber dem bisherigen - in Nutzung genommen.

Die Gemeinde gehörte zum Rabbinatsbezirk Niederhessen mit Sitz in Kassel.

Juden in Sontra:

         --- um 1700 .........................   5 jüdische Familien,

    --- 1728 ............................  14     “       “    ,

    --- 1750 ............................  61 Juden,

    --- 1827 ............................  70   “  ,

    --- 1861 ............................  73   “   (ca. 4% d. Bevölk.),

    --- 1871 ............................  61   “  ,

    --- 1885 ............................ 114   “   (ca. 6% d. Bevölk.),    

    --- 1905 ........................ ca. 100   “  ,

    --- 1925 ............................  94   “  ,    

    --- 1933 ............................  76   “  ,

    --- 1942 (Dez.) .....................  keine.  

Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 2, S. 261   

und                 Ilse Gromes, Spuren einer Minderheit - Juden in Sontra 1267 - 1942

Ansicht von Sontra um 1860 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

Einige Juden Sontras waren im 19.Jahrhundert im Handwerk oder Textilhandel tätig; ansonsten bestritten sie ihren Lebensunterhalt als Vieh- und Pferdehändler; insgesamt soll die wirtschaftliche Lage der jüdischen Familien relativ gut gewesen sein.

Anzeigen jüdischer Gewerbetreibender in Sontra (um 1890/1900):

 

Die Emigration Sontraer Juden setzte bereits Ende der 1920er Jahre ein; Zielländer waren vor allem die USA, Südafrika und die Niederlande.

Das Synagogengebäude in Sontra überstand die Pogromnacht vom November 1938 unbeschadet; die Kultgegenstände waren zuvor nach Rotenburg/Fulda ausgelagert worden, wurden allerdings dort vernichtet. Unmittelbar danach löste sich die jüdische Gemeinde auf. Die 15 in Sontra zurückgebliebenen Juden wurden im Laufe des Jahres 1942 deportiert.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind nachweislich 31 gebürtige bzw. längere Zeit in Sontra lebende Personen mosaischen Glaubens Opfer des Holocaust geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/sontra_synagoge.htm).

                                ehem. Synagogengebäude (Aufn. J. Hahn, 2009)

                 Gegenüber der ehemaligen Synagoge erinnert eine Gedenktafel mit den Worten:   http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20205/Sontra%20Synagoge%20174.jpg

2015 wurden in Sontra die ersten sieben sog. „Stolpersteine“ verlegt; diese erinnern an Angehörige der jüdischen Familie Plaut, die in einem Haus in der Niederstadt gewohnt hatten.

Vom alten jüdischen Friedhof am Quesselsberg sind heute noch etwa 120 Grabsteine erhalten; vermutlich wegen seiner schwer zugänglichen Lage war dieses Areal während der NS-Zeit nicht zerstört worden.

  

Jüdischer Friedhof von Sontra am Quesselsberg (Aufn. Heinz K., 2007, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0  und  J. Hahn, 2009)

Aus mehreren Grabsteinen des jüngeren jüdischen Friedhofes wurde in Sontra eine Art Mahnmal errichtet.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20205/Sontra%20Friedhof%20270.jpgzusammengestellte Grabsteine (Aufn. J. Hahn, 2009)

 

Im Sontraer Ortsteil Diemerode gab es auch eine jüdische Gemeinde, die um 1850/1860 etwa 100 Angehörige umfasste und damals etwa ein Drittel der Dorfbevölkerung stellte.

[vgl. Diemerode (Hessen)]

 

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen, Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 2, S. 260 f.

Ilse Gromes, Der Judenschafft zu Sontra Besitz, in: Werratalverein Eschwege e.V. (Hrg.), "Das Werraland", Heft 3, Eschwege 1976, S. 33 - 35

Willy Katz, Ein jüdisch-deutsches Leben 1904 - 1939 - 1979, Katzmann-Verlag, Tübingen 1981

Ilse Gromes, Spuren einer Minderheit - Juden in Sontra 1267 - 1942, Hrg. Magistrat der Stadt Sontra, Heft 7, 1981 (mit Anhang)

Thea Altaras, Synagogen in Hessen - was geschah seit 1945 ?, Verlag K.R. Langewiesche Nachf. Hans Köster Verlagsbuchhandlung, Königstein (Taunus) 1988, S. 78

Studienkreis Deutscher Widerstand (Hrg.), Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945, Hessen II Regierungsbezirke Gießen und Kassel, 1995, S. 234 - 236

K.Kollmann/Th.Wiegand, Spuren einer Minderheit - Judenfriedhöfe und Synagogen im Werra-Meißner-Kreis, Verlag Jenior & Pressler, Kassel 1996, S. 104 f.

Sontra, in: alemannia-judaica.de (mit diversen, zumeist personenbezogenen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Lasse Deppe (Red.), In Sontra wird erstmals mit Stolpersteinen der jüdischen Vertriebenen gedacht, in: „WR - Werra-Rundschau“ vom 12.6.2015

Lasse Deppe (Red.), Sontra mahnt mit Stolpersteinen, in: „WR - Werra-Rundschau“ vom 17.6.2015

Ludger Arnold, Anmerkungen zur Geschichte der jüdischen Minderheit in Sontra und zur Entstehung einer Erinnerungskultur, in: “Eschweger Geschichtsblätter”, Heft 31/2020