Stade (Niedersachsen)
Stade mit derzeit ca. 48.000 Einwohnern ist die Kreisstadt des gleichnamigen niedersächsischen Landkreises – ca. 35 Kilometer nordwestlich von Hamburg gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von ca. 1650, aus: genwiki.genealogy.net und aktuelle topografische Karte 'Niedersachsen', aus: niedersachsen.de).
Spätestens ab dem 14.Jahrhundert soll in Stade eine kleine jüdische Gemeinschaft beheimatet gewesen sein; 1344 wird erstmals die Existenz eines Juden erwähnt; weitere Angaben liegen aber nicht vor. Auf Grund des wirtschaftlichen Niedergangs von Stade sollen die wenigen Juden im 15.Jahrhundert die Stadt verlassen haben.
Die Stadt Stade – Stich um 1640 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Erst zu Beginn des 17.Jahrhunderts müssen sich wieder einige Juden in Stade angesiedelt haben; dabei handelte es sich wohl um sephardische Juden. Der Rat der Stadt erlaubt ihnen, in Stade ihren religiösen und rituellen Gewohnheiten nachzugehen; außerdem stellte die Stadt diesen Juden ein Gebäude als Synagoge unentgeltlich zur Verfügung. Ebenfalls wurde sechs jüdischen Familien ein befristetes Niederlassungsrecht in Stade zugestanden - gegen finanzielle Abgaben. Mitte des 17.Jahrhunderts sollen die allermeisten Juden Stade wieder verlassen haben. Allerdings hielten sich „wandernde Juden“ regelmäßig während der Stader Jahrmärkte hier auf; außerhalb der Markttage war ihr Bleiberecht - laut der Polizeiverordnungen - auf 24 Stunden begrenzt; sog. „Betteljuden“ war der Aufenthalt gänzlich verboten.
Anfang des 18.Jahrhunderts ließen sich erneut einige wenige Juden in der Stadt nieder; sie waren im Besitz von Schutzbriefen; allen Juden ohne Schutz- und Geleitbrief war der Aufenthalt in den Herzogtümern verboten. Während der französischen Herrschaftsepoche entstand in Stade eine kleine jüdische Gemeinde; da sich diese aber keine Synagoge leisten konnte, wurden die Gottesdienste in einer Privatwohnung abgehalten.
Die Jahrzehnte nach 1815 waren von starken Spannungen zwischen christlichen und jüdischen Händlern und Kaufleuten gekennzeichnet. Neue Konzessionen an jüdische Geschäftsleute in Stade waren stets vom Misstrauen der „anderen Seite“ begleitet.
Zwei Geschäftsanzeigen
Mitte des 19.Jahrhunderts war ein Raum für Gottesdienste dauerhaft angemietet worden; etwa 20 Jahre später befand sich dieser nachweislich in einem Hinterhaus der Hökerstraße 26. Allerdings fanden Gottesdienste nur sehr unregelmäßig statt, weil „wegen des mangelhaften Besuchs von Seiten mehrerer Gemeinde-Glieder oft gar nicht der Gottesdienst in der Synagoge zu Stande kommen könne”. Die Besetzung einer Lehrerstelle für die sehr wenigen jüdischen Kinder in Stade führte jahrelang zu Querelen zwischen den jüdischen Familien; zeitweilig war diese Stelle in Kooperation mit der Nachbargemeinde Horneburg besetzt. Seit Ende des 19.Jahrhunderts wurde kein jüdischer Religionslehrer mehr beschäftigt.
Vermutlich nach 1770 war den jüdischen Bewohnern der Stadt auf einem Teil des Stader Garnisonsfriedhofes eine Begräbnisstätte zugewiesen worden. Zunächst diente das kleine Areal nur der Stader Familie Lefmann Meyer als Beerdigungsplatz. Innerhalb von zwei Jahrhunderten fanden hier ca. 70 Verstorbene ihre letzte Ruhe.
Für die Juden im Landkreis Stade gab es einen Friedhof im Neukloster Forst; dieser Begräbnisplatz war in den 1830er Jahren von der Synagogengemeinde Horneburg erworben worden.
Juden in Stade:
--- 1830 .......................... 4 jüdische Familien,
--- 1845 .......................... 40 Juden,
--- 1864 .......................... 50 “ ,
--- 1871 .......................... 47 “ ,
--- 1884 .......................... 41 “ ,
--- 1895 .......................... 26 “ ,
--- 1905 .......................... 29 “ ,
--- 1925 .......................... 19 “ ,
--- 1933 .......................... 15 “ ,
--- 1939 .......................... 11 “ .
Angaben aus: Jürgen Bohmbach (Bearb.), in: H. Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen ..., Bd. 2, S. 1405
am Hansehafen von Stade um 1895 (Aufn. aus: genwiki.genealogy.net)
In den Jahren der Weimarer Republik umfasste die jüdische Gemeinde von Stade wieder knapp 20 Gemeindemitglieder. Zu Beginn der NS-Zeit existierten in Stade drei jüdische Unternehmen - ein Bankhaus und zwei Viehhandlungen.
Bankhaus Ahron Leeser (hist. Aufn., Stadtarchiv)
Der Boykotttag am 1.4.1933 soll auch in Stade durchgeführt worden sein, allerdings von Seiten der Bevölkerung wenig Beachtung gefunden haben. So hatten die beiden jüdischen Viehhändler bis 1938 kaum Geschäftseinbußen zu verzeichnen.
Während des Novemberpogroms 1938 wurden im Bankhaus Friedlaender & Wertheim Fenster eingeschlagen und ein Teil der Inneneinrichtung demoliert. Vier Stader Juden wurden kurzzeitig inhaftiert.
Auf Anordnung des damaligen Bürgermeisters Carl Nörtemann wurde der jüdische Friedhof im Juli 1940 geschändet: 30 Grabsteine und mehrere Grabhügel wurden eingeebnet, die restlichen Steine abgeräumt und auf dem damaligen Bauhof (am Salztor) gelagert. Das Friedhofsgelände ging anschließend ins Eigentum der Kommune über.
Die wenigen in Stade verbliebenen Juden wurden in den Kriegsjahren deportiert. Noch im Herbst 1944 wurden vier Stader „Halbjuden“ und zwei mit einer Jüdin verheiratete „Arier“ verhaftet und ins Arbeitslager Lenne bei Stadtoldendorf abtransportiert; dort wurden sie von alliierten Truppen im Frühjahr 1945 befreit. Von den 16 Juden, die im März 1939 in Stade wohnten, überlebten nur vier den Holocaust.
Über Jahrzehnte hinweg blieb der jüdische Friedhof (Ecke Albert-Schweitzer-Straße/Horststraße) vergessen; erst gegen Ende der 1990er Jahre erinnerte man sich wieder an diesen Begräbnisplatz und ließ in „gärtnerisch umgestalten“. Ein Granitblock mit einer Schriftplatte weist auf den Friedhof hin (übersetzt aus dem Hebräischen: „Friedhof der jüdischen Gemeinde Stade - eingeweiht im Jahr 5586 und von Fremden zerstört im Jahr 5700“). Heute erinnern eine Gedenktafel und drei Namensstelen auf dem Gelände an den ehemaligen Friedhof der jüdischen Gemeinde von Stade und die hier begrabenen Personen.
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Friedhofsgelände mit Namensstelen (Aufn. G. Fahrenhorst, 2019) - Stein für Frieda u. Louis Freudenstein (Aufn. U. Heinsohn, 2016, aus: wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)
Eine Tafel am Friedhof informiert wie folgt:
" JÜDISCHER FRIEDHOF Hier am Rande des Garnisonsfriedhofs befand sich seit dem 18.Jahrhundert der Begräbnisplatz der damals einzigen Stader Schutzjudenfamilie Lefmann Meyer. Nach 1800, als sich weitere Juden in Stade niederließen, wurde die kleine Begräbnisstätte zum Friedhof der sich bildenden Jüdischen Gemeinde Stade erweitert, auf dem auch Verstorbene aus Assel, Dornbusch, Freiburg, Hagenah, Himmelpforten, Horneburg, Oldendorf, Wischhafen beigesetzt wurden. Etwa 200 Jahre lang sind hier fast 70 Menschen begraben worden. 1940 wurde der Friedhof auf Anordnung des nationalsozialistischen Bürgermeisters aufgehoben und eingeebnet, die Grabsteine beseitigt, Friedhof und Gräber als Grünfläche bepflanzt. ... Erst 1953 wurde der Friedhof an die Jewish Trust Corporation und dann an den Landesverband der Jüdischen Gemeinden zurückgegeben. … " (auszugsweise)
Inmitten der Altstadt – zwischen Rathaus und historischem Hafen – liegt das denkmalgeschützte Gebäude Hökerstraße, in dessen Hinterhaus sich von 1873 bis 1908 die Synagoge befand.
Ehem. Synagogengebäude (Aufn. Sascha, aus: panoramio.com, 2009 und Ulf Heinsohn, 2016, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)
Am ehemaligen Synagogengebäude ist eine Tafel angebracht (Aufn. Ulf Heinsohn, 2016, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0), die unter einem Davidstern und einer hebräischen Inschrift den knappen Text trägt:
In diesem Gebäude befand sich die Synagoge,
das Gotteshaus der jüdischen Gemeinde in unserer Stad
Mit Unterstützung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD) soll das ehemals die Synagoge beherbergende Wohn- u. Geschäftshaus Hökerstraße 25 einer Sanierung unterzogen werden (Stand 2023).
Am Sande-Platz und an der St. Wilhadi-Kirche erinnern Stelen an die Mitglieder der ehemaligen jüdischen Gemeinde.
Gedenkstelen am Sande (Aufn. Ulf Heinsohn, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)
Seit 2020 gedenkt die Stadt Stade mit drei massiven Stelen vor der St. Wilhadi-Kirche namentlich an die Opfer des NS-Regimes.
Bereits seit 2010 beteiligt sich Stade am sog. „Stolperstein“-Projekt; seitdem sind im Stadtgebiet ca. 25 Steine verlegt worden, die an jüdische und nicht-jüdische Opfer der NS-Gewaltherrschaft erinnern (Stand 2024).
"Stolpersteine" Bremervörder Straße - Klaus-Groth-Straße - Teichstraße - Salzstraße (Aufn. Elbregion, 2014, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0
In Osten (Oste) – etwa 20 Kilometer nördlich von Stade – wurden 2018 vier sog. „Stolpersteine“ verlegt, die an Angehörige der Familie Philippsohn erinnern.
Aufn. R.B., 2018, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0 d
In Neukloster – heute ein Stadtteil von Buxtehude – gab es einen jüdischen Begräbnisplatz, der für Verstorbene aus der Region um Stade als „Guter Ort“ benutzt wurde. Der im Neukloster Forst gelegene Begräbnisplatz war in den 1830er Jahren von der Synagogengemeinde Horneburg erworben worden. Bis in die Gegenwart sind noch ca. 35 Grabsteine erhalten.
Jüdischer Friedhof (Aufn. R2., 2021, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
vgl. Horneburg (Niedersachsen)
Weitere Informationen:
Jürgen Bohmbach, Die Juden im alten Regierungsbezirk Stade, in: "Stader Jahrbuch", No. 67/1977, S. 31 - 75
Zvi Asaria, Die Juden in Niedersachsen - Von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, Verlag Gerhard Rautenberg, Leer/Ostfriesland, 1979, S. 179 ff.
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945, Band I: Niedersachsen (Regierungsbezirke Braunschweig und Lüneburg), Pahl-Rugenstein Verlag, Köln 1985, 102 f.
Hartmut Lohmann, Von der Ausgrenzung zur Deportation. Zum Schicksal der Juden im Landkreis Stade, Stade 1989
Hartmut Lohmann, Zum Schicksal der Juden im Landkreis Stade, in: H. Lohmann, “Hier war doch alles nicht so schlimm”. Der Landkreis Stade in der Zeit des Nationalsozialismus, Stade 1991, S. 287 - 330
Jürgen Bohmbach, “Unser Grundsatz war, Israeliten möglichst fernzuhalten”. Zur Geschichte der Juden in Stade, in: "Veröffentlichungen aus dem Stadtarchiv", Band 15, Stade 1992
Lühning, Der jüdische Friedhof in Neukloster, Manuskript (um 1995)
Jürgen Bohmbach, Sie lebten mit uns. Juden im Landkreis Stade vom 18. bis 20.Jahrhundert, in: "Veröffentlichungen aus dem Stadtarchiv", Band 21, Stade 2001/2002
Jürgen Bohmbach, Eine Begräbnisstätte auf ewige Zeiten. Der jüdische Friedhof in Stade, in: "Veröffentlichungen aus dem Stadtarchiv", Band 22, Stade 2002
Jürgen Bohmbach (Bearb.), Zwischen Duldung und Paternalismus. Die jüdischen Gemeinden des Landdrosteibezirks Stade im 19.Jahrhundert, in: H.Obenaus (Hrg.), Landjuden in Nordwestdeutschland. Vorträge des Arbeitskreises Geschichte der Juden in der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, Hannover 2005, S. 93 - 131
Jürgen Bohmbach (Bearb.), in: H. Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Bd. 2, S. 1404 – 1414
Nina Dobratz (Red.), Gedenksteine für den Jüdischen Friedhof, in: „Hamburger Abendblatt“ vom 27.11.2008
Jürgen Bohmbach, Gedenken ist eine Verbeugung in Demut - Stolpersteine in Stade: Die Menschen und ihre Geschichte, hrg. von der Hansestadt Stade, Stade 2010
fms (Red.), In Stade erinnern 21 Stolpersteine an die Opfer der NS-Zeit, in: “Hamburger Abendblatt“ vom 3.1.2012
Auflistung der Stolpersteine in Stade, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Stade
Stolpersteine in der Region Stade – Zur Geschichte der Stolperstein-Verlegung in Stade, online abrufbar unter: stolpersteine-stade.de/?p=region
Ernst Beplate, Die Susmanns und andere Israeliten in Freiburg/Elbe, in: "Stader Jahrbuch 2012", S. 95 - 128
Arbeitskreis Stolpersteine (Bearb.), Jüdische Gemeinde zu Stade, in: stolpersteine-in-stade.de
Jürgen Bohmbach (Bearb.), STADE – Novemberpogrome 1938 in Niedersachsen, Hrg. Stiftung niedersächsischer Gedenkstätten, online abrufbar unter: pogrome1938-niedersachsen.de/stade/
Auflistung der in Osten (Oste) verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Osten_(Oste)
Tom Kreib (Red.), Der pensionierte Pastor Martin Engelhardt arbeitet gegen das Vergessen: „Jüdischer Friedhof ist ein Stück deutscher Kultur“, in: „Kreiszeitung – Wochenblatt“ vom 12.1.2020
Martin Engelhardt, Ewige Ruhestätte der heiligen Gemeinde zu Stade, Stade 2020 (detaillierte Dokumentation in Text und Bild)
Lars Strüning (Red.), Die versteckte Synagoge in der Altstadt, in: „Stader Tageblatt“ vom 27.7.2020
Jaana Bollmann (Red.), Geschichte bewahren. Daten zum jüdischen Friedhof in Stade gesammelt, in: „Kreiszeitung – Wochenblatt“ vom 1.9.2020
Jaana Bollmann (Red.), Gedenkstelen für NS-Opfer an Stader St. Wilhadi-Kirche aufgestellt, in: „Kreiszeitung – Wochenblatt“ vom 17.11.2020
Hansestadt Stade (Pressemitteilung), Datenbank über die Opfer des Nationalsozialismus wurde an die Stadtverwaltung Stade übergeben, Stade vom 8.5.2021
N.N./Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Sanierung der ehemaligen Synagoge in Stade kann beginnen, in: Deutsche Stiftung Denkmalschutz, 23.12.2022
Jörg Dammann (Red.), Als es in Stade noch eine Synagoge gab, in: „Kreiszeitung - Wochenblatt“ vom 7.2.2023