Stadtoldendorf (Niedersachsen)

Reliefkarte Alfeld Umgebung.pngDatei:Stadtoldendorf in HOL.svg Stadtoldendorf ist eine Kleinstadt mit derzeit ca. 5.600 Einwohnern und der Verwaltungssitz der Samtgemeinde Eschershausen-Stadtoldendorf im Landkreis Holzminden – ca. 40 Kilometer südwestlich von Hildesheim gelegen (Reliefkarte 'Weser-Leine-Bergland', 2010, aus: commons.wikimedia.org, GFDL und Kartenskizze 'Landkreis Holzminden', Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

                           Oldendorf "in alter Zeit" (Merian-Stich, Abb. aus: wikipedia.org, CCO)

 

Urkundlich erstmalig erwähnt werden jüdische Familien in Stadtoldendorf und im Umland zu Beginn des 18.Jahrhunderts.

In napoleonischer Zeit wurde ihnen Freizügigkeit gewährt, weswegen sie oft ihren Wohnsitz verlegten. Um 1810 siedelten sich Juden auch in Arholzen und Golmbach an. Eine jüdische Gemeinde in Stadtoldendorf gründete sich zu Beginn des 19.Jahrhunderts; einer ihrer Gründer und späterer Vorsteher war Ephraim Rothschild.

Anm.: Die Familie Rothschild hatte in Merxhausen einen Garnhandel betrieben, der bis zu 300 Menschen (Spinnern) Arbeit gab. Als das Warenlager und Wohnhaus der Familie R. durch ein Schadensfeuer vernichtet wurde (1814), verlegten sie ihre geschäftlichen Aktivitäten nach Stadtoldendorf. Hier in der Stadt betrieben die Rothschilds dann ein expandierendes Unternehmen, das Textilien, Eisenwaren und Leinsamen verkaufte.

Gottesdienste wurden zunächst in einem Betraum eines Gebäudes an der Ecke Försterstieg/Hagenturm abgehalten. Auf Initiative der Familie E. Rothschild wurde 1855 in der Kuhstraße, nahe des Camphofes, eine eigene Synagoge gebaut und im selben Jahre durch den Landesrabbiner Dr. Herzfeld eingeweiht.

Über das Gemeindeleben der jüdischen Religionsgemeinschaft von Stadtoldendorf ist kaum etwas überliefert. In den 1880/1890er Jahren gab es in Stadtoldendorf eine jüdische Elementarschule mit zwei Klassen; in den Jahrzehnten zuvor hatte ein Schulverband mit den Juden aus Deensen bestanden, der die Besoldung des jüdischen Lehrers sicherstellte.

Mehr als vier Jahrzehnte lang – von 1893 bis 1936 – übte Salomon Braun (geb. 1855 in Sohren/Krs. Zell, gest. 1940 in Hannover) das Amt des Lehrers/Kantors bei der jüdischen Gemeinde Stadtoldendorf aus.

 Salomon Braun, langjähriger Lehrer/Kantor in Stadtoldendorf (Aufn. Privatbesitz Ute Siegeler)

Die Stadtoldendorfer Gemeinde besaß vermutlich seit den 1840er Jahren einen kleinen Friedhof in der Gemarkung „Über den Rennebäumen”.

Der dem Landrabbinat Braunschweig zugeordneten Synagogengemeinde Stadtoldendorf gehörten die Orte Arholzen, Golmbach und Wangelnstedt an.

Auch in diesen genannten Orten wurden kleinere jüdische Friedhöfe angelegt; in Wangelnstedt gab es einst zwei jüdische Friedhöfe.

Juden in Stadtoldendorf:

         --- 1871 .......................... 53 Juden,

    --- 1885 .......................... 78   “  ,

    --- 1895 .......................... 83   “  ,

    --- 1913 .......................... 57   “  ,

    --- 1931 .......................... 71   “  ,

    --- 1933 .......................... 56   “  ,

    --- 1939 (Jan.) ................... 41   “  ,

             (Dez.) ................... 23   “  ,

    --- 1942 (Apr.) ................... 10   “  ,

    --- 1943 ..........................  2   “  .

Angaben aus: Christoph Ernesti, Sie waren unsere Nachbarn

und                 R.Kröger (Bearb.), Stadtoldendorf, in: H. Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen ..., Bd. 2, S. 1424

 

Der wirtschaftliche Aufschwung des Ackerbaustädtchens begann Anfang der 1860er Jahre mit der Anbindung des Ortes an den Neubau der Eisenbahnstrecke Kreiensen - Altenbeken; damit verbunden war eine deutlicher Anstieg der Bevölkerung.

Eines der erfolgreichsten Unternehmen in Stadtoldendorf war das der jüdischen Familie Abraham J. Rothschild & Söhne, die eine „Mechanische Weberei, Bleicherei, Färberei und Appretur-Anstalt” betrieb. Kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges beschäftigte das Unternehmen über 900 Arbeitskräfte.

Visitenkarte - undatiert Abb. aus: jens-m-std.jimdo.com/umbenennung-des-teichtorplatzes/

Der zweite Großbetrieb waren die Gips- und Sandsteinwerke der Gebrüder Ullmann. In die kleinstädtische Gesellschaft Stadtoldendorfs waren die jüdischen Familien weitestgehend integriert. Kapitalkräftige jüdische Familien zeigten auch soziales Engagement: Max Levy stiftete ein komplett ausgestattetes Krankenhaus, das „Charlottenstift”, und einen Kindergarten. Doch lebten in Stadtoldendorf auch eine Reihe sozial schwach gestellter jüdischer Familien, die vorwiegend vom ambulanten Kleinhandel mit Baumwoll- und Kurzwaren und Kleinutensilien ihren Lebensunterhalt bestritten.

Bis zur NS-Machtübernahme 1933 hatten in Stadtoldendorf keine antisemitischen Ausschreitungen bzw. Boykottmaßnahmen stattgefunden Zur ersten „Aktion“ gegen Stadtoldendorfer Juden kam es am 21.März 1933, als die NSDAP vor den „Volksgenossen“ ihre Macht demonstrieren wollte.

                 Die Lokalzeitung „Täglicher Anzeiger Holzminden” berichtete in ihrer Ausgabe am 23.März 1933:

... Drei Direktoren der Firma A.J.Rothschild Söhne wurden am Dienstag auf kurze Zeit in Schutzhaft genommen. Die nationalen Einwohner unserer Stadt waren empört darüber, daß den Arbeitern der Firma Rothschild die angeordnete Freischicht von einigen Stunden aus Anlaß des National-Feiertages nicht gewährt werden sollte. Nachdem die Direktoren sich bereit erklärt hatten, den Feierabend entsprechend früher zu legen, wurden sie wieder in Freiheit gesetzt.

Am 1. April 1933, dem reichsweit angeordneten Boykotttag, nahmen auch in Stadtoldendorf SA-Angehörige vor jüdischen Geschäften Aufstellung und beschmierten die Schaufenster mit antijüdischen Parolen. Allerdings schien der Boykott hier wenig erfolgreich gewesen zu sein, denn Kaufwillige ließen sich vom Betreten der Geschäfte kaum abhalten. - 1935 wurden in Stadtoldendorf jüdische Geschäfte erneut boykottiert; wiederholt wurden Schaufensterscheiben gezielt zertrümmert. Folge dieser Maßnahmen war die Aufgabe von Geschäften und die Auswanderung ihrer jüdischen Besitzer; nur das Schuhgeschäft Lichtenstein existierte noch bis Ende 1938.

Die „Judenaktion” im November 1938 wurde in Stadtoldendorf vom hier ansässigen Sturmbannarzt Dr. Bahrs geleitet. Am 9./10.November plünderten und zerstörten NS-Anhänger die bereits nicht mehr zu Gottesdiensten benutzte Synagoge. Auch das Schuhhaus Lichtenstein war von Plünderung betroffen.

                 Im Lokalblatt war am 11.11.1938 folgende kurze Notiz zu lesen:

Der Judentempel ausgeräumt

Die Synagoge vor dem Camphof wurde gestürmt und der Babel den hellauflodernden Flammen übergeben. Zahlreiche Juden mußten in Schutzhaft genommen werden.

        Demoliertes Synagogengebäude Nov. 1938 (Aufn. Stadtarchiv)

Anm.: Die Thorarollen waren zuvor in Sicherheit gebracht worden; sie überdauerten die NS-Zeit auf dem Speicher der damaligen Bürgerschule. 1958 wurden sie an den Landesverband Jüdischer Gemeinden Niedersachsen zurückgegeben.

Neun jüdische Männer waren von lokaler SA ins Gerichtsgefängnis nach Holzminden gebracht und von dort ins KZ Buchenwald eingewiesen worden. Die ausgebrannte Synagogenruine wurde auf Abbruch verkauft und Ende 1939 abgerissen.

Im Januar 1939 meldete der Bürgermeister Sünnemann dem Landratsamt in Holzminden, dass in Stadtoldendorf nun keine jüdischen Betriebe mehr beständen.

Ende März 1942 wurden 13 jüdische Bürger Stadtoldendorfs und des Umlands deportiert, nachdem Tage zuvor ein Schreiben des Landrates Holzminden den Ortsbürgermeister erreicht hatte:

...

Betr.: Abschiebung der Juden

Die nachstehend aufgeführten Juden werden nach Trawniki bei Lublin zum Arbeitseinsatz abgeschoben. Zu diesem Zweck sind die namentlich aufgeführten Juden festzunehmen und am 25.3.1942 in der Zeit von 19 - 20 Uhr in die Gastwirtschaft Adolf Hesse, Holzminden, Obere Straße No. 43 zu überstellen. ....

Nur zwei „in Mischehe“ lebende Jüdinnen blieben zunächst von einer Deportation verschont. Insgesamt fielen 31 ehemalige Stadtoldendorfer Gemeindeangehörige der „Endlösung“ zum Opfer.

 

Am Standort der ehemaligen Synagoge in der Kuhstraße ließ die Stadtverwaltung einen Gedenkstein mit folgender Inschrift aufstellen:

Wäre doch mein Kopf ein Gewässer, und meine Augen ein Tränenquell,

daß ich beweinen könnte Tag und Nacht die Erschlagenen meines Volkes.

Jer. 8,23

Gewidmet von der Stadt Stadtoldendorf im Jahre 1980

Datei:Synagogenmahnmal Stadtoldendorf.jpg

Synagogen-Gedenkstein (Aufn. J. Stubenitzky, 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0  und  Aufn. aus: rundgang-stadtoldendorf.de)

Direkt daneben informiert eine Tafel: „Synagogengedenkstein. Zum Gedenken an das Schicksal der jüdischen Mitbürger; seit 1855 stand hier eine Synagoge, die am 9.November 1938 geplündert und später abgerissen wurde.“

Der unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges wieder instandgesetzte Friedhof (Deenser Straße), wobei die anfallenden Kosten von den drei bekannten Grabschändern eingefordert wurden (!) - weist heute noch ca. 50 Grabsteine auf; der älteste datiert von 1846.

Jüd. Friedhof Stadtoldendorf (Aufn. Dehio, 2008, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Seit 2007 wurden in Stadtoldendorf - auf private Initiative hin - die ersten sog. „Stolpersteine“ verlegt; inzwischen sind im Laufe der Jahre weitere hinzugekommen, so dass gegenwärtig mehr als 30 dieser Gedenktäfelchen im Stadtgebiet anzutreffen sind (Stand 2022).

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 Fünf "Stolpersteine" in der Deenser Straße (Aufn. G., aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Stolperstein in Stadtoldendorf für Hermann Löwenstein.jpgStolperstein in Stadtoldendorf für Grete Löwenstein.jpgStolperstein in Stadtoldendorf für Ernst Löwenstein.jpgStolperstein in Stadtoldendorf für Margot Löwenstein.jpgStolperstein in Stadtoldendorf für Helmut Löwenstein.jpg

verlegt für Angehörige der Familie Löwenstein, Neue Straße (Aufn. G., 2020, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Im Jahre 2015 wurde der Synagogenplatz (Teichtorplatz) nach Ephraim Rothschild benannt.

Der 1901 im hohen Alter von 92 Jahren in Stadtoldendorf verstorbene Ephraim Rothschild war eine prägende Persönlichkeit der Stadt; mit seinen unternehmerischen Aktivitäten beeinflusste er in der Gründerzeit entscheidend den wirtschaftlichen Aufstieg Stadtoldendorfs.

 

 

 

In Arholzen – heute Samtgemeinde Eschershausen-Stadtoldendorf – befindet sich ein kleiner jüdischer Friedhof, der von 1852 bis 1927 belegt wurde. Nur wenige Grabsteine, die Mitgliedern der Familie Rothenberg zugeschrieben werden, sind erhalten geblieben, Die Juden Arholzens gehörten der Synagogengemeinde Stadtoldendorf an.

Jüd. Friedhof in Arholzen (Aufn. Dehio, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

 

 

 

In Merxhausen - heute ein Ortsteil von Heinade/Samtgemeinde Eschershausen-Stadtoldendorf – sind zu Beginn des 19.Jahrhunderts drei jüdische Familien nachweisbar; ursprünglich in ärmlichen Verhältnissen lebend sollen sie durch den Leinenhandel zu Wohlstand gekommen sein. Die Familie Rothschild vertrieb - zunächst nur in ganz Norddeutschland - diverse Leinenwaren, die mehrere hundert einheimische Garnspinner und Weber herstellten. In Stadtoldendorf gründete die Familie im Jahre 1869 die „Mechanische Weberei A.J. Rothschild“,die zeitweise bis zu 900 Arbeitskräfte beschäftigte und über weltweite Handelsbeziehungen verfügte. In der NS-Zeit wurde die Firma „arisiert“.

Nordwestlich von Merxhausen befindet sich an der Alten Einbecker Heerstraße ein jüdischer Friedhof. Auf dem in der Zeit von 1867 bis 1934 belegten Gelände sind heute noch 15 Grabsteine erhalten geblieben.

 Bildergebnis für Merxhausen jüdisch

Jüdischer Friedhof Merxhausen (Aufn. Dehio, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0  und aus: fotocommunity.de) 

 

 

 

Auf einem der ehemaligen jüdischen Friedhöfe in Wangelnstedt (heute zur Samtgemeinde Eschershausen-Stadtoldendorf gehörig) - kurz vor dem Ortsausgang Richtung Lüthorst in der Bauernstraße - wurde 1965 ein Gedenkstein aufgestellt. Grabsteine sind allerdings hier nicht mehr vorhanden.

Anm.: Während einer der Friedhöfe - laut einer Akte des Landkreises von 1939 – eingeebnet wurde, sollte der andere mit Bauschutt zugedeckt werden.

 

 

 

Weitere Informationen:

Jutta Henze/Günther Lilge, Der jüdische Friedhof und die Familie Rothschild in Merxhausen, in: „Jahrbuch für den Landkreis Holzminden", Band 7/1989, S. 139 - 148

Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus - Eine Dokumentation I, Hrg. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1995, S. 465

J.Mitzkat/A.Schäfer, Jüdische Friedhöfe im Landkreis Holzminden ... daß ihr leben werdet ..., in: "Schriftenreihe des Heimat- und Geschichtsvereins Holzminden", 9/1996, Holzminden 1996

Christoph Ernesti, Sie waren unsere Nachbarn. Die Geschichte der Juden in Stadtoldendorf - Ein Gedenkbuch, Hrg. Stadt Stadtoldendorf, Verlag J.Mitzkat, Holzminden 1996

Rüdiger Kröger (Bearb.), Stadtoldendorf, in: Herbert Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Bd. 2, S. 1424 – 1432

Topographie der Erinnerung: Samtgemeinde Stadtoldendorf: Jüdisches Leben und Verfolgung, in: erinnernsuedniedersachsen.de

Jens Meier (Red.), Stolpersteine in Stadtoldendorf, 2011, online abrufbar unter: erinnernsuedniedersachsen.de/initiativen/stolpersteine-stadtoldendorf

Auflistung der in Stadtoldendorf verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Stadtoldendorf

Jens Meier, Jüdisches Leben in Stadtoldendorf. Erinnern – Gedenken – Mahnen. Stolpersteine & mehr, Stadtoldendorf (Anm. enthält diverse Informationen zur jüdischen Lokalgeschichte, online abrufbar unter: jens-m-std.jimdo.com/)

Rede zur Benennung des Synagogenplatzes nach Ephraim Rothschild: 9. November 2015, online abrufbar unter: jens-m-std.jimdo.com/rede-zur-benennung-des-synagogenplatzes-nach-ephraim-rothschild-2015/

N.N. (Red.), Jüdisches Leben in Stadtoldendorf – Die Familie Rothschild und deren Nachfahren, in: „Weser-Ith-News. Das Online-Nachrichten Portal“ vom 20.11.2019

rus (Red.), Über 200 Jahre alt und dennoch fast vergessen: Der jüdische Friedhof in Stadtoldendorf, in: „Weser-Ith-News. Das Online-Nachrichten Portal“ vom 8.12.2019

Klaus A.E.Weber/Rolf Clauditz (Bearb.), Jüdisches Leben in Merxhausen, Hrg. Heimat- u. Geschichtsverein für Heinade-Hellental-Merxhausen e.V., 2020

Klaus Kiekbusch, „Außerhalb der Volksgemeinschaft“ - Formen der Verfolgung während des Nationalsozialismus im Kreis Holzminden, Verlag Jörg Mitzkat, 2020

Aus dem Jahr 1989/1990 liegt eine Dokumentation des jüdischen Friedhofs durch Landesverband/Zentralarchiv vor (mit Fotos und Übersetzungen aller Steine)