Stammheim/Wetterau (Hessen)
Stammheim ist ein von derzeit ca. 1.600 Personen bewohnter Ortsteil der Großgemeinde Florstadt im hessischen Wetteraukreis – ca. 30 Kilometer nördlich von Hanau/Main bzw. östlich von Bad Nauheim entfernt (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905 ohne Eintrag von Stammheim/Florstadt, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze aus: ortsdienst.de/hessen/wetteraukreis).
Die erste Ansiedlung von Juden in Stammheim lässt sich in der Mitte des 18.Jahrhunderts nachweisen. Zu Beginn des 19.Jahrhunderts - inzwischen lebten im Dorf etwa sechs bis acht Familien - bestritten die Juden Stammheims ihren Lebenserwerb vom Vieh- und Schlachtgewerbe; sie waren aber auch als Landproduktenhändler tätig. Über eigene gemeindliche Einrichtungen verfügte die Judenschaft Stammheims nicht; so wurden gottesdienstliche Zusammenkünfte mit den Juden Stadens in deren Synagoge abgehalten; auch die religiöse Unterweisung ihrer Kinder erfolgte im Stadener Schulhaus in der damaligen Schulgasse; im gleichen Gebäude gab es auch eine Mikwe.
Verstorbene Stammheimer Juden wurden auf dem Friedhof in Staden beerdigt.
Juden in Stammheim:
--- 1818 ...................... ca. 50 Juden,
--- 1845 .......................... 22 “ ,
--- 1860 ...................... ca. 40 “ (in 8 Familien),
--- 1881 .......................... 19 “ ,
--- 1913 .......................... 11 “ ,
--- 1933 .......................... 9 “ (in 3 Familien),
--- 1939 .......................... 5 “ ,
--- 1942 .......................... keine.
Angaben aus: Adressbücher des Krs. Friedberg und Die Kirche im Dorf. Dokumentation zur Stammheimer Kirche, S. 107
Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts ging die Zahl der Juden in Stammheim stark zurück; zumeist waren die Familien nach Nordamerika ausgewandert.
Die drei zu Beginn der 1930er Jahre noch im Dorfe lebenden jüdischen Familien betrieben hier Kleinhandel. Mit dem Boykott jüdischer Geschäfte nach der NS-Machtübernahme wurde den Händlerfamilien ihre wirtschaftliche Basis entzogen.
Während des Novemberpogroms von 1938 wurden die jüdischen Einwohner von Friedberger SA-Angehörigen im Spritzenhaus eingesperrt; unterdessen plünderte man ihre Anwesen und warf das Mobiliar auf die Straße.
J-Kennkarte von Leopold Kahn aus Stammheim (ausgestellt in Friedberg, 1939)
Mitte des Jahres 1942 wurden die wenigen noch in Stammheim lebenden Juden auf einen Lastwagen verladen und vermutlich nach Theresienstadt verschleppt; von den Deportierten kehrte eine einzige Jüdin lebend zurück.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind neun aus Stammheim stammende Personen mosaischen Glaubens Opfer des Holocaust geworden; aus Staden wurden nachweislich 14 Personen Opfer der "Endlösung" (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/staden_synagoge.htm).
Am einstigen Standort des Hauses der Eheleute Isaak und Betty Kahn ließ die Großgemeinde Florstadt im November 2004 einen schwarzen Felsblock aufrichten, der eine Gedenktafel mit folgender Inschrift trägt:
Zum Gedenken an die während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft
verfolgten, vertriebenen und ermordeten jüdischen Stammheimer/innen.
(es folgen neun Namen)
Durch Flucht ins Ausland konnten ihr Leben retten:
(es folgen 3 Namen)
“Ein Mensch ist erst dann tot, wenn auch die Erinnerung an ihn gestorben ist.”
(Aus dem Talmud)
Wir trauern um die Ermordeten und das Leid der Verfolgten
Die Gemeinde Florstadt im Jahr 2004
Der 2013 gegründete Arbeitskreis „Jüdisches Leben in Florstadt“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, die jüdische Geschichte der einzelnen Stadtteile zu dokumentieren.
Auch in anderen Ortsteilen von Florstadt, so in Nieder-Florstadt, Nieder Mockstadt und Staden, gab es jüdische Gemeinden.
[vgl. Nieder-Florstadt, Nieder Mockstadt und Staden (Hessen)]
Weitere Informationen:
Rudolf H. Lummitsch, Stammheim in der Wetterau 1244 bis 1994 - Werdegang eines Dorfes’, Hrg. Gemeindevorstand Florstadt, Florstadt 1994/1995, S. 94 - 97
Die Kirche im Dorf. Dokumentation zur Stammheimer Kirche (anläßlich der 250-Jahr-Feier), o.O. 2000, S. 107 - 112 (Kapitel: ‘Das Schicksal der Juden in Stammheim’)
Ulrich Schütte (Hrg.), Kirchen und Synagogen in den Dörfern der Wetterau, in: "Wetterauer Geschichtsblätter. Beiträge zur Geschichte und Landeskunde", Band 53, Friedberg/Hessen 2004
Eine Tafel setzt Zeichen ‘wieder das Vergessen’. Gedenkstein erinnert 66 Jahre nach der Reichspogromnacht an das Schicksal der jüdischen Bürger, in: "Wetterauer Zeitung (Oberhessischer Anzeiger)" vom 11.11.2004
Staden mit Stammheim, in: alemannia-judaica.de
Hedi Strauss/Johanna Voß, Mein immergrünes Dorf. Vom Schicksal der Juden aus Stammheim in der Wetterau, Hrg. Gemeinde Florstadt, Selbstverlag, 2004