Sternberg (Mecklenburg-Vorpommern)

Jüdische Gemeinde - Wismar (Mecklenburg-Vorpommern) Jüdische Gemeinde - Parchim (Mecklenburg-Vorpommern)Sternberg ist eine Kleinstadt im NO des Landkreises Ludwigslust-Parchim mit derzeit ca. 4.000 Einwohnern – zwischen Schwerin (im Westen) und Güstrow (im Osten) gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: euope1900.eu  und  Kartenskizze 'Kreis Ludwigslust-Parchim', aus: ortsdienst.de/mecklenburg-vprpommern/ludwigslust-parchim).

 

Die Verfolgung der Juden in Mecklenburg, die bereits um 1325/1330 einen ersten Höhepunkt erreicht hatte, kulminierte nochmals 1492, als Juden des „Hostienfrevels“ schuldig gesprochen und daraufhin vor den Toren des kleinen Städtchens Sternberg auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden. Der Legende nach erhielt der Jude Eleasar von einem Sternberger Messpriester geweihte Hostien. Diese sollen bei einer Hochzeit in der Judengemeinde mit Nadeln zerstochen worden sein, wodurch Blut aus den Hostien floss: das ‚Heilige Blut’ von Sternberg. Als Eleasars Frau versucht haben soll, die Hostien ins Wasser zu werfen, sei sie mit beiden Füßen in einen Stein gesunken. Dieses ‚Beweisstück’ für die Schuld der Juden ist auch heute noch zu sehen - eingemauert in der Wand der heiligen Blutskapelle.

                                       Die Hostienschändung zu Sternberg - Holzschnitt 1492 

   Hostienfrevel zu Sternberg (Luzerner Bilderchronik um 1500)         

Verbrennung der Juden in Sternberg (aus: Nikolaus Marschalks Mecklenburgische Reimchronik)

Anm.: Die Kleinstadt Sternberg druckte nach dem Ersten Weltkrieg sog. Notgeldscheine, auf denen die angebliche Hostienschändung aus Jahre 1492 aabgebildet war..

Alle mecklenburgischen Juden sollen damals inhaftiert worden sein; unter Folter bekannten sich zahlreiche Juden der Hostienschändung oder der Beihilfe zu ihr schuldig. Nach Urteilsspruch wurden am 24.Oktober 1492 25 jüdische Männer und zwei Frauen auf einer Anhöhe vor dem Luckower Tor verbrannt, alle übrigen des Landes verwiesen. Ihr Vermögen wurde zugunsten der Herzöge eingezogen. Auf Beschluss von Bischof und Domkapitel zu Schwerin wurde an die Sternberger Dorfkirche die sog. „Heiligenblut-Kapelle“ angebaut. Die Einnahmen an den Prozessionen zu dieser Kapelle waren genau geregelt: so profitierten neben der Pfarrei von Sternberg auch die Geistlichkeit zu Rostock und der Bischof von Schwerin.

Als Folge der Ereignisse wurde 1504 ein Kloster der Augustiner-Eremiten in der Stadt eingerichtet, das aber etwa 20 Jahre später - als Folge der lutherischen Reformation - wieder aufgegeben wurde. Ausgehend von dem angeblichen Hostienfrevel in Sternberg wurden in der Folgezeit in Mecklenburg und Pommern keine Juden mehr geduldet; das Niederlassungsverbot galt fast zwei Jahrhunderte!

Erst Ende des 18.Jahrhunderts lassen sich wieder einzelne jüdische Familien in Sternberg urkundlich nachweisen; der erste Sternberger Jude, der Textilhändler Simon Nathan, erhielt 1777 für sich und seine Familie einen herzoglichen Schutzbrief; ihm folgten weitere Familien nach.

Spätestens mit Beginn des 19. Jahrhunderts kann von einer funktionierenden jüdischen Gemeinde in Sternberg gesprochen werden. Um 1800 richtete die hiesige Judenschaft eine Synagoge ein; wenig später erstellte man eine Mikwe. Etwa ein halbes Jahrhundert später weihte die jüdische Gemeinde auf dem Großen Spiegelberg weihte die Gemeinde im Beisein des Landesrabbiners Dr. Baruch Lipschütz - ihre neue Synagoge ein.

                Skizze der ehemaligen Synagoge in Sternberg (unbekannter Zeichner)

Trotz aufgebrachter Spenden für den Synagogenbau verschuldete sich die Gemeinde.

Bereits 1804 war dem Schutzjuden David Israel auf dessen Antrag hin der Bau eines kleinen Badehauses gestattet worden. Die vom Grundwasser gespeiste Mikwe (genauer Standort unbekannt) wurde bis mindestens 1843 genutzt.

1846 erließ der Großherzog Friedrich Franz II. eine „Gemeindeordnung für die Israelitische Gemeinde Sternberg”, die eine Jahre zuvor von der Gemeinde abgefasste ersetzte.

Der jüdische Friedhof in Sternberg – das Gelände war per Erbpachtvertrag von der Kommune zur Nutzung bereit gestellt worden - wurde etwa 1825 nördlich des Ortes, am Fuße des „Judenberges“ angelegt, dort, wo vor mehr als 300 Jahren die „Hostienfrevler“ verbrannt worden waren. In der NS-Zeit wurde der etwa ein Jahrhundert lang genutzte Friedhof zerstört.

Juden in Sternberg:

         --- um 1780 ....................... eine jüdische Familie,

    --- 1826 ..........................  7       “       “   n,

    --- um 1850 ................... ca. 50 Juden,

    --- um 1910 ....................... 12   “  ,

    --- 1933 ..........................  2   “  ,

    --- 1940 ..........................  keine.

Angaben aus: Die Israelitische Gemeinde (Manuskript) erstellt von der Stadtverwaltung Sternberg, o.J.

  Marktplatz in Sternberg (hist. Postkarte, Lithographie, aus: lexikus.de)

Durch Abwanderung schmolz die schon ohnehin geringe Zahl der Gemeindeangehörigen noch weiter, sodass schon um 1910 in der Sternberger Synagoge keine Gottesdienste mehr abgehalten werden konnte. 1924 war bereits die Auflösung der Gemeinde ins Auge gefasst; doch kurzzeitig ließen junge Juden aus Osteuropa, die am Sternberger Technikum ihre Ausbildung machten, das gemeindliche Leben wieder aufleben, was aber die endgültige Auflösung der Gemeinde nur verzögerte. 1937 veräußerte die Gemeinde das Synagogengebäude an die Kommune, die es teilweise abreißen ließ. Kurz darauf verstarb der Kaufmann Hermann Kychenthal, der als letzter Sternberger Jude auf dem israelitischen Friedhof begraben wurde.*    *Anm.: Noch Ende der 1920er Jahre war das knapp 200m² große Begräbnisgelände von der Kommune an die jüdische Gemeinde in Erbpacht gegeben worden.

Mit dem Wegzug der letzten älteren Menschen 1940 galt Sternberg als „judenfrei“.

 

1958 ließ die Jüdische Landesgemeinde Mecklenburg auf dem Areal des israelitischen Friedhofs in Sternberg einen Gedenkstein aufstellen. Nachdem die Grabstätte in den 1980er Jahren geschändet worden war, wurde diese 1992 als Gedenkstätte hergerichtet.

In der Stadtkirche findet sich ein Holzrelief aus dem 16.Jahrhundert, das die Verbrennung von Juden in Sternberg von 1492 darstellt.

In der Inflationszeit verausgabte die Stadt Sternberg einen Notgeldschein, der auf die Judenverbrennung des Jahres 1492 Bezug nahm.

       Notgeldschein der Stadt Sternberg von 1922 (Aufn. E., 2012, aus: wikipedia.org)

 

 

 

In Warin – wenige Kilometer nordwestlich von Sternberg – gab es eine kleine jüdische Gemeinde, deren Wurzeln vermutlich gegen Mitte des 18.Jahrhunderts gelegt wurden. Ob aber in den Folgejahrzehnten dauerhaft Juden in Warin gelebt haben, kann nicht belegt werden. Erst um 1810 sind vier „Schutzjuden“ mit ihren Familien urkundlich in Warin nachweisbar. Ende der 1860er Jahre soll die Gemeinde mit ca. 50 Angehörigen ihren personellen Höchststand gehabt haben. In der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts beschäftigte die Gemeinde zeitweise einen jüdischen Lehrer, der für die religiös-rituellen Belange zuständig war; die Besetzung der Stelle soll einem ständigen Wechsel unterworfen gewesen sein.

1824 wurde vor dem Städtchen ein jüdischer Friedhof angelegt. Seit ca. 1860 besaß die Gemeinde einen Betraum in einem Wohnhaus in der Fischerstraße, der aber bereits um die Jahrhundertwende aufgegeben wurde, da die Zahl der Gemeindeangehörigen keine Gottesdienste mehr zuließ. Nach 1933 lebten nur noch drei Jüdinnen in Warin.

In den Novembertagen 1938 wurde der jüdische Friedhof von SA-Angehörigen geschändet und fast vollständig zerstört.

Am 16. Februar 1942 wurde Warin - nach NS-Sprachregelung - als „judenfrei“ gemeldet, obwohl hier schon einige Jahre zuvor keine jüdischen Einwohnern mehr gelebt hatten.

Seit 1961 erinnert nur ein Gedenkstein an den ehemaligen jüdischen Friedhof.

Vorschaubild Gedenkstein (Aufn. aus: stadt-warin.eu)

 

 

 

Weitere Informationen:

Georg Christian Friedrich Lisch, Hauptbegebenheiten in der älteren Geschichte der Stadt Sternberg. Das Heilige Blut zu Sternberg, in: „Jahrbücher des Vereins für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde“, Band 12/1847, S. 207 ff.

Leopold Donath, Geschichte der Juden in Mecklenburg von den ältesten Zeiten (1266) bis auf die Gegenwart (1874), Leipzig 1874, S. 50 ff.

A.F.Bard, Die Geschichte der Stadt Sternberg, Sternberg, o.J., S. 70 - 113 („Die Judenverbrennung“ und „Das Heilige Blut“)

Fritz Backhaus, Die Hostienschändungsprozesse von Sternberg (1492) und Berlin (1510) und die Ausweisung der Juden aus Mecklenburg und der Mark Brandenburg, in: "Jahrbuch für Brandenburgische Landesgeschichte", 39/1988, S. 7 - 26

M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg, Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), in: "Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum", Hrg. Peter v.d.Osten-Sacken, Band 22, Berlin 1994, S. 619/620

Germania Judaica, Band III/2, Tübingen 1995, S. 1413/1414

Stadt Sternberg, 750 Jahre Stadt Sternberg, Sternberg 1998, S. 85 - 90 („Die Judenverbrennung im Jahr 1492“, ‘Sternberg als Wallfahrtsort’)

Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus - Eine Dokumentation II, Hrg. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1999, S. 471

Die Israelitische Gemeinde, Manuskript erstellt von der Stadt Sternberg, o.J.

Michael Bischof, Geschichtsbilder zwischen Fakt und Fabel: Nikolaus Marschalks Mecklenburgische Reimchronik und ihre Miniaturen, Lemgo 2006

Volker Honemann, Die Sternberger Hostienschändung und ihre Quellen, in: Martin Gosman/ Volker Honemann (Hrg.), Literaturlandschaften, Schriften zur deutschsprachigen Literatur im Osten des Reiches, Frankfurt am Main/u.a. 2008, S. 187 - 216

Jürgen Gramenz/Sylvia Ulmer, Die jüdische Geschichte der Stadt Sternberg (Mecklenburg), Hamburg 2015

Jürgen Gramenz/Sylvia Ulmer, Ehemaliges jüdisches Leben in Sternberg, in: Geschichte der Juden in Mecklenburg, Aufsatz vom 21.9.2015, in: juden-in-mecklenburg.de/Orte/Sternberg

Jürgen Gramenz/Sylvia Ulmer, Ehemaliges jüdisches Leben in Warin, in: Geschichte der Juden in Mecklenburg, Aufsatz vom 16.10.2016, in: juden-in-mecklenburg.de/Orte/Warin

Jürgen Gramenz/Sylvia Ulmer, Synagoge Warin, in: Geschichte der Juden in Mecklenburg, Aufsatz vom 16.10.2016, in: juden-in-mecklenburg.de/Synagoge/Warin

Udo Roll (Red.), Gewaltorgien im ganzen Land, in: "Schweriner Volkszeitung" vom 9.11.2016 (betr. u.a. Warin)