Strakonitz (Böhmen)
Die südböhmische Stadt Strakonitz - die Ursprünge der Siedlung lagen nahe einer großen Burganlage - ist das heutige tschechische Strakonice mit derzeit ca. 23.000 Einwohnern westlich von Pisek gelegen (Strakonitz am unteren Kartenrand - Ausschnitt aus einer hist. Landkarte, aus: wikipedia.org/wiki/Böhmische_Westbahn, gemeinfrei und Kartenskizze 'Tschechien' mit Strakonice rot markiert, K. 2006, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Im 16.Jahrhundert entwickelte sich in Strakonitz eine jüdische Gemeinschaft, die - mit kurzen Unterbrechungen - bis in die deutsche Okkupationszeit Bestand hatte. Eine erste schriftliche Erwähnung stammt aus dem Jahr 1509. Durch Zuzüge jüdischer Familien erlebte die Gemeinde in Strakonitz im 17.Jahrhundert eine erste Blüte. Ihre Angehörigen lebten ghettoartig beieinander.
hist. Ansicht/Stadtplan von Strakonitz (aus: strakonice.eu)
In der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts erreichte die Gemeinde ihren zahlenmäßigen Höchststand; wesentliche Ursache für das Anwachsen der Judenschaft in Strakonitz war die Anbindung des Ortes an die Haupteisenbahnlinie, die die wirtschaftlichen Perspektiven des Ortes verbesserte. Bereits seit 1810 gab es in der Stadt eine von einem Juden geschaffene Manufaktur, die orientalische Feze herstellte; danach gründeten sich weitere industriell betriebene Textilunternehmen.
Das älteste Bethaus brannte 1741 ab; der Nachfolgebau stürzte 1858 ein. Um 1860 ließ die jüdische Gemeinde einen Synagogenneubau erstellen, der den gewachsenen Ansprüchen der Gemeinde entsprach.
Synagogenfront (hist. Aufn., um 1930) und Innenraum (hist. Aufn., Ch., aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Neben der Synagoge stand das Gemeindehaus. Wurde die jüdische Schule in ihren Anfängen als einklassige Privatschule geführt, wuchs die Schülerzahl in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts deutlich; fortan war sie dann zweiklassig und auch öffentlich.
Die älteste jüdische Begräbnisstätte war um 1700 westlich der Stadt angelegt worden; der älteste Grabstein trägt die Jahreszahl 1736. Eine Beerdigungsbruderschaft bestand seit 1807. Zur Gemeinde zählten auch jüdische Familien aus Dörfern der Umgebung
Taharahaus (Aufn. Czeva 2012, aus: jewiki.net)
Juden in Strakonitz:
--- 1724 ............................ 12 jüdische Familien,
--- um 1835 ......................... 25 “ “ ,
--- 1878 ............................ 95 “ “ ,* * incl. Umland
--- 1890 ............................ 326 Juden (ca. 4% d. Bevölk.),
--- 1900 ............................ 194 “ ,* * andere Angabe: 281 Pers.
--- 1910 ............................ 136 " ,
--- 1922 ............................ 192 " ,** ** incl. umliegender Dörfer
--- 1930 ............................ 95 “ ,
--- 1942 ............................ 82 “ ,
--- 1943 ............................ keine.
Angaben aus: Institut Terénzinké initiativy
und The Jewish Community of Strakonice, Hrg. Beit Hatfutsot - The Museum of the Jewish People
Mit der Verschleppung der jüdischen Bewohner aus Strakonitz endete 1942/1943 die jüdische Geschichte der südböhmischen Kleinstadt. Im Laufe des Zweiten Weltkriegs wurde das Synagogengebäude als Lagerraum und seit 1951 als ein Bethaus von der Brüderkirche benutzt. Der letzte jüdische Gottesdienste wurde von US-Soldaten an Rosch Haschana am 9.9.1945 gefeiert.
Der jüdische Friedhof und Relikte des jüdischen Wohnviertels sind bis auf den heutigen Tag erhalten geblieben.
Eingangstor zum jüdischen Friedhof - einige markante Grabsteine (Aufn. Jitka Erbenová, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Das Synagogengebäude wurde Mitte der 1970er Jahre abgerissen.
Das lokale Museum informiert in seinen Ausstellungsräumen auch über einstiges jüdisches Leben der Stadt. Seit 2007 erinnert ein bescheidenes Denkmal in Form eines Davidsterns an die ehemalige jüdische Gemeinde und ihre Synagoge, die in den 1970er Jahren abgerissen wurde.
Erinnerung an die Synagoge (Aufn. W. 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY 3.0)
Mehrere Thora-Rollen der ehemaligen jüdischen Gemeinde Strakonitz befinden sich heute in Synagogen in Kalifornien (USA).
Unlängst wurde ein künstlerisch gestaltetes Mahnmal in Form einer Menora eingeweiht, das den Holocaust-Opfern von Strakonitz gewidmet ist.
Holocaust-Mahnmal (Aufn. W. 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)
In Strakonitz wurde 1867 der Physiologe und Biochemiker Otto von Fuerth geboren. Seit 1905 war er Leiter des Physiologischen Institut der Universität Wien und hatte dort auch einen Lehrstuhl für Medizin inne. Er war maßgeblich an der Adrenalinsynthese beteiligt und erforschte als einer der ersten die Hormone. Nach dem sog. „Anschluss“ wurde v. Fuerth aus dem Universitätsdienst entlassen; er verstarb noch im gleichen Jahr.
In Slatina, einem Dörfchen westlich von Strakonitz, wurden jüdische Familien um 1700 durch den dortigen Gutsherrn angesiedelt. Dieser stellte ihnen - gegen finanzielle Leistungen - Grund und Boden für die Errichtung eigener Häuser zur Verfügung; das war der Ursprung des Slatiner Ghettos. Die Juden des Dorfes trieben Hausierhandel und waren als Vieh- und Getreidehändler tätig. Um 1850 lebten in den „Ghettohäusern“ ca. 20 Familien, etwa ein Drittel der Dorfbevölkerung. Eine kleine Gemeinde muss bereits um 1720 bestanden haben; denn die Anlage eines eigenen Friedhofs zu dieser Zeit spricht für diese Annahme; auf dem Gelände fanden fortan auch verstorbene Juden aus dem ländlichen Umland die letzte Ruhe (zur Slatiner jüdischen Gemeinde gehörten mindestens zwölf weitere Dörfer). Eine ursprünglich aus Holz gebaute Synagoge wurde um 1850 (oder 1870) durch einen Steinbau ersetzt wurde. Eine jüdische Schule bestand bis in die 1890er Jahre. Abwanderung führte dazu, dass die jüdische Gemeinde gegen Ende des 19.Jahrhunderts sich in Auflösung befand; die letzte Familie verließ 1917 das Dorf.
Kirche u. Synagoge in Slatina (hist. Aufn., um 1920) - Ehem. Synagogengebäude in Slatina (Aufn. G. Denik, 2014)
Nur wenige Grabsteine bzw. -relikte, die von einer inzwischen zerfallenen Friedhofsmauer umgeben sind, erinnern noch an die einstige Begräbnisstätte.
In Blatná – einer kleinen Ortschaft südöstlich von Strakonitz – lebten seit dem Ende des 17.Jahrhunderts nur vereinzelt jüdische Bewohner. Um am Ort verbleiben zu können, sollen einige Juden zum Christentum konvertiert sein (?). Gegen 1890 erreichte die Zahl der jüdischen Bewohner mehr als 100 Personen, ging danach aber deutlich zurück. Die hiesige Judenschaft verfügte über ein Bet- bzw. Versammlungshaus, nutzte aber den Friedhof im östlich gelegenen Mirotitz (Mirotice).
Die Anfang der 1940er Jahre hier noch 26 ansässigen Juden wurden deportiert; nur ein einziger soll überlebt haben.
Nach dem Krieg wurde das jüdische Bethaus als Polizeigebäude genutzt.
In Horaschdowitz (tsch. Horažďovice, derzeit ca. 5.500 Einw.), einer Kleinstadt westlich von Strakonitz, gab es eine jüdische Gemeinde, deren Anfänge bis ins 17.Jahrhundert zurückreichen. Juden in der Ortschaft sind aber bereits seit deren Gründung im 13.Jahrhundert dokumentiert. In den 1720er Jahren lebten in der Stadt 13 jüdische Familien, im Jahre 1839 waren es 21 Familien. Ihren Lebensunterhalt verdienten die hier lebenden Juden im Handel mit Landesprodukten. Zu den gemeindlichen Einrichtungen gehörten eine Synagoge und ein Friedhof. Auf dem in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts angelegten Begräbnisareal befinden sich auch Grabsteine aus dem 17. Jahrhundert, die von einem alten, aufgegebenen Friedhof stammen (angelegt vermutlich schon im 15.Jahrhundert).
Mit dem Anschluss von Horaschdowitz an das Eisenbahnnetz Ende des 19.Jahrhunderts wuchs die Zahl der jüdischen Familien deutlich an; diese bildeten - zusammen mit Juden aus den Nachbardörfern, so z.B. aus Rábí - eine Gemeinde; um 1920 gehörten der Gemeinde fast 200 Personen an; 1939 waren es noch mehr als 100. 1942 wurden die hier lebenden jüdischen Bewohner nach Theresienstadt und von dort aus zumeist in die Vernichtungslager deportiert.
Das marode Synagogengebäude - lange Jahre als Speicher benutzt - wurde um 1980 abgerissen. Eine Gedenkplatte erinnert heute an die während der deutschen Okkupation teilzerstörte Synagoge.
Am nördlichen Stadtrand liegt der jüdische Friedhof, der noch relativ viele (auch sehr alte) Grabsteine aufweist.
Alte Grabsteine und eine ungewöhnliche Grabstele (Aufn. Jitka Erbenová, 2012, aus: commons.wikimedia.org CC BY-SA 3.0)
In den Gehwegen des Ortes sind in den Jahren 2014/2016 eine Reihe von sog. „Stolpersteinen“ verlegt worden.
Stolpersteine, die Angehörigen zweier Familien gewidmet sind (Aufn. Chr. Michelides, 2016, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Weitere Informationen:
Josef Havrda (Bearb.), Strakonitz, in: Hugo Gold (Hrg.), Židé a židovské obce v Cechách v minulosti a prítomnosti, Židovské nakladatelství, Brno - Praha 1934, S. 613 (in englischer Übersetzung "The History of the Jews in Strakonice", abrufbar unter: jewishgen.org/yizkor/bohemia/boh613.html)
Jiří Fiedler, Jewish Sights of Bohemia and Moravia, Prag 1991, S. 166/167 (Slatina und Strakonitz)
Robert Ehrmann, Strakonictí souverci, in: "Židovská rocenka", Jg. 1992-1993, S. 171 – 185
The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust, New York University Press, Washington Square, New York 2001, Vol. 1, S. 525 (Horaschdowitz)
The Jewish Community of Strakonice (Strakonitz), Hrg. Beit Hatfutsot – The Museum of the Jewish People, online abrufbar unter: dbs.bh.org.il/place/strakonice
Jewish Families from Strakonice (Strakonitz), Bohemia, Czech Republic, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-Families-from-Strakonice/15363
Josef Smitka (Bearb.), Jewish cultural heritage in Slatina, online abrufbar unter: synagoga.obec-slatina.eu/en
Jewish families of Slatina (Prachen District), Bohemia, Czech Republic, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-Families-of-Slatina-Prachen-District-Bohemia/25202
The Jewish Community of Blatnà (Blatna), Hrg. Beit Hatfutsot -The Museum of the Jewish People, online abrufbar unter: dbs.bh.org.il/place/blatna
The Jewish Community of Horazdovice (Horaschdowitz), Hrg. Beit Hatfutsot – The Museum of the Jewish People, online abrufbar unter: dbs.bh.org.il/place/horazdovice
Tina Walzer, Vom Böhmerwald aus in die Welt: Einblicke in die Geschichte der Familie Fürth, in: "DAVID - Jüdische Kulturzeitschrift", Heft 67/2005
Auflistung der Stolpersteine in Horažďovice, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_im_Plzeňský_kraj
Remembering thr Jewish community in Blatná vom 25.Nov. 2014), online abrufbar unter: woodfordliberal.wordpress.com/2014/11/25/blatna_remembered/