Tauberrettersheim (Unterfranken/Bayern)

Datei:Tauberrettersheim in WÜ.svg Das Pfarrdorf Tauberrettersheim a.d. Tauber – unmittelbar an der Grenze zu Württemberg gelegen - ist mit seinen derzeit kaum mehr als 800 Einwohnern ein Teil der Verwaltungsgemeinschaft Röttingen im Landkreis Würzburg (Kartenskizze 'Landkreis Würzburg', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Erste urkundliche Nachweise über Ansiedlungen von Juden in Tauberrettersheim stammen aus der Zeit um 1700. Der damalige Zehntamtsherr von Tauberrettersheim erlaubte Juden die Ansiedlung in seinem Freihof; auch dessen Amtsnachfolger hielten daran fest, da ihnen dadurch nicht unerhebliche Einkünfte zuflossen. Neben den Zahlungen für die Erteilung des Schutzbriefes hatten die Juden jährlich weitere festgelegte Gebühren zu entrichten, z.B. das sog. "Neujahrsgeld". Nach dem bayrischen Judenedikt von 1813 war es den bis dahin ausschließlich auf dem adeligen Freihof lebenden Juden auch gestattet, sich im Dorf niederzulassen. Ihren Lebenserwerb bestritten die in Tauberrettersheim lebenden jüdischen Familien durch ‚Handelsgeschäfte’ im nahen Umland; sie handelten mit Vieh, verkauften aber vor allem Textilien an die ländliche Bevölkerung.

1845 (oder 1851) errichtete die Gemeinde eine neue Synagoge im Judenhof. Ab den 1830er Jahren gab es in Tauberrettersheim eine Religionsschule; der Lehrer übte zugleich auch die Funktion des Vorsängers aus.

         eine „ungewöhnliche“ Anzeige (aus: „Der Israelit“ vom 28.2.1872)

Um die Jahrhundertwende wurde die Schule wegen Schülermangels geschlossen.

Verstorbene Gemeindeangehörige wurden auf den jüdischen Bezirksfriedhöfen in Allersheim und Weikersheim beerdigt.

Die Gemeinde Tauberrettersheim unterstand dem Distriktrabbinat Kitzingen.

Juden in Tauberrettersheim:

         --- um 1800 ..................... 12 jüdische Familien,

    --- 1816 ........................ 50 Juden (in 14 Familien),

    --- 1830 ........................ 65   “  ,

    --- 1842 ........................ 72   "  ,

    --- 1848 ........................ 58   "   (in 12 Familien),

    --- 1867 ........................ 63   “   (ca. 9% d. Dorfbev.),

    --- 1880 ........................ 42   “  ,

    --- 1900 ........................ 38   “  ,

    --- 1910 ........................ 32   “   (ca. 5% d. Dorfbev.),

    --- 1925 ........................ 21   “  ,

    --- 1933 ........................ 10   “  ,

    --- 1936 ........................  2 jüdische Familien,

    --- 1942 (April) ................  keine.

Angaben aus: Ortschronik von Tauberrettersheim (aus der NS-Zeit)

und                 Jutta Sporck-Pfitzer, Die ehemaligen jüdischen Gemeinden im Landkreis Würzburg, S. 76

                        Europäischer Kulturweg Tauberrettersheim-SchäftersheimTauberrettersheim um 1900

          

                  Auszüge aus einer in der NS-Zeit verfassten Chronik:

... Im Viehhandel sahen auch die Tbrh.er Juden das geeignetste Mittel zum baldigen Reichwerden. Es war auch ein beliebter und einträglicher Trick der Viehjuden, dem Bauernschuldner im Herbst ein Rindviehgespann auf Kredit in den Stall zu stellen. der Bauer fütterte die Tiere den ganzen Winter hindurch und wenn er dann im Frühjahr nicht zahlen konnte, nahm ihm der Jude das Vieh kurzerhand wieder weg. Er hatte damit das Winterfutter gespart.

Viel Geld trugen die Juden, namentlich die auswärtigen, aus dem Dorf durch das Geschäft der Güterzertrümmerung. Sie kauften die durch Todesfall, Wegzug, Konkurs oder sonstwie freiwerdenden Grundstücke zusammen und legten sie auf den Strick (Versteigerung) mit Zielfristen. In Notjahren blieb der kleine Bauer ... mit seinen Ratenzahlungen und Zinsen im Rückstand, dann war der Schuldner dem Juden verfallen, oft jahrzehntelang. Erst durch die segensreiche Tätigkeit des Tbrh.er Darlehenskassenvereins wurde seit 1880 diesen jüdischen Machenschaften ein Ende bereitet. Nun war den Juden das Handwerk in Tbrh. gelegt.Ihre Zahl nahm ständig ab. ... Sie verzogen in die Judenstädte des Frankenlandes, nach Aub, Mergentheim, Würzburg und Frankfurt, wo ihren ‘kaufmännischen Talenten’ ein aussichtsreicherer Spielraum geboten war. ...

Nach 1900 nahm die Zahl der in Tauberrettersheim lebenden Juden stetig ab; sie zogen in größere Städte, die ihnen bessere wirtschaftliche Perspektiven und sozialen Aufstieg versprachen.

Obwohl die Synagoge bereits seit 1936 nicht mehr genutzt wurde, demolierten SA-Angehörige aus Aub und Allersheim während der „Kristallnacht“ im November 1938 die Fenster und die Inneneinrichtung des Gebäudes. Die meisten Ritualien befanden sich zu diesem Zeitpunkt bereits beim Verband Israelitischer Gemeinden in München. Auch ein von einer jüdischen Familie bewohntes Haus wurde von Nationalsozialisten verwüstet und die Bewohner in Angst und Schrecken versetzt.

Wenig später ging das Synagogengebäude in kommunale Hände über. - Anfang 1942 lebten noch zwei ältere jüdische Frauen am Ort; sie wurden im März 1942 in das Würzburger Altersheim eingewiesen und von dort aus nach Izbica bei Lublin bzw. ins Ghetto Theresienstadt deportiert.

„ Seit 1942 ist Tauberrettersheim gänzlich judenfrei. Nur der Name ‘Judenhof’ hält die Erinnerung an ihre einstige Existenz in Tbrh. noch aufrecht. Hoffentlich erfährt der leerstehende Synagogenbau recht bald eine gemeinnützige Verwendung !”

(aus einer Zeitungsmeldung, 1942)

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 17 aus Tauberrettersheim  stammende bzw. längere Zeit hier ansässig gewesene Juden deportiert und Opfer der „Endlösung(namentliche Nennung der Opfer siehe: alemannia-judaica.de/tauberrettersheim_synagoge.htm).

Im Jahre 1949 standen drei Männer vor Gericht, die an den Ausschreitungen während des Novemberpogroms in Aub und Tauberrettersheim beteiligt gewesen sein sollen; nur einer wurde verurteilt; zu den Übergriffen in Tauerrettersheim konnten keine definitiven Hinweise erbracht werden.

 

Das ehemalige Synagogengebäude dient - nach mehrfachen Umbauten - heute Wohnzwecken. Auch wenige andere Gebäude, die auf die jüdische Geschichte des Ortes hindeuten, sind noch im Judenhof erhalten geblieben.

 

 Im nur wenige Kilometer entfernten Röttingen (Abb. hist. Stich von Röttingen, aus: roettingen.de) war bis ins 14.Jahrhundert eine jüdische Gemeinde beheimatet. Eine angebliche Hostienschändung löste im Frühjahr 1298 unter Führung des Ritters Rindfleisch einen Pogrom aus, der die Judengemeinde Röttingen auslöschte. Von hier aus schwappte die Verfolgung nach ganz Franken und weit darüber hinaus, insgesamt wurden mehr als 140 jüdische Gemeinden durch die „Judenschläger“ vernichtet. Zwar konnte sich in Röttingen Jahre später wieder eine Gemeinde bilden; doch die sog. „Armleder-Unruhen“ von 1336 besiegelten schließlich das Ende der jüdischen Gemeinde. Seitdem gab es keine jüdischen Einwohner mehr im Ort; nur die „Judengasse“ erinnert noch an die ferne jüdische Vergangenheit. In der katholischen Pfarrkirche wurde bis Ende der 1980er Jahre ein Gemälde gezeigt, das unter der Inschrift: „Der gestraften Bosheit. Dieses geschah in Röttingen im Jahre 1298” die Hostienschändung in sechs Einzelbildern als historische Wahrheit wiedergab.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2035/Roettingen%20Bild%2008.jpg  

     Diebstahl der Hostie   -   Verkauf der Hostie an einen Juden   -   Juden bei der Hostienschändung (Aufn. J. Hahn, 1986)

 

 

Weitere Informationen:

Georg Simon Fries, Dorfchronik von Tauberrettersheim (unveröffentlichtes Maschinenmanuskript aus der NS-Zeit), Kap. VII: Die Juden in Tauberrettersheim

Baruch Z.Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945, Oldenbourg-Verlag, München 1979, S. 407/408

Friedrich Lotter, Die Judenverfolgung des 'König Rintfleisch' in Franken um 1298. Die endgültige Wende in den christlich-jüdischen Beziehungen im deutschen Reich des Mittelalters, in: "Zeitschrift für Historische Forschung", 4/1988, S. 385 - 422

Jutta Sporck-Pfitzer, Die ehemaligen jüdischen Gemeinden im Landkreis Würzburg, Hrg. Landkreis Würzburg, Würzburg 1988, S. 75/76

gle (Red.), „Kirchliche Judenhetze“ - Umstrittenes Ölbild in Röttinger Pfarrkirche war Stein des Anstoßes, in: „Fränkische Nachrichten“ vom 22.10.1988

Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 117 und S. 125

Tauberrettersheim, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Röttingen, in: alemannia-judaica.de

Hilde Zeh, Juden in Tauberrettersheim, Weikersheim 2005 (Maschinenmanuskript)

Dirk Rosenstock (Bearb.), Die unterfränkischen Judenmatrikeln von 1817, in: "Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg", Band 13, Würzburg 2008, S. 232

Cornelia Berger-Dittscheid (Bearb.), Tauberrettersheim, in: W.Kraus/H.-Chr.Dittscheid/G.Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine ... Synagogen-Gedenkband Bayern, Band III/1 (Unterfranken), Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2015, S. 806 - 818