Treis a.d. Lumda (Hessen)

Bildergebnis für kreis gießen ortsdienst karte Die derzeit ca. 2.200 Einwohner zählende Ortschaft Treis gehört seit 1974 zur Stadt Staufenberg im Nordteil des mittelhessischen Kreises Gießen – ca. 15 Kilometer nordöstlich von Gießen gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Gießen', aus: ortsdienst.de/hessen/landkreis-giessen).

 

Gegen Ende des 16. Jahrhunderts sind erstmals jüdische Bewohner im Ort urkundlich nachweisbar. In dem bis 1866 zu Kurhessen gehörenden Dorf Treis a.d. Lumda bildete sich gegen Mitte des 18.Jahrhunderts eine jüdische Gemeinde; diese erreichte ihren zahlenmäßigen Höchststand Ende des 19.Jahrhunderts. Der hiesigen Juden - mehrheitlich fristeten sie ein recht ärmliches Leben - standen unter dem Schutz des Landgrafen von Hessen-Darmstadt; dieser ließ sein ‚Schutzrecht’ von den Amtmännern des Oberfürstentums Gießen verwalten. Über die Höhe der Abgaben, die die in Treis lebenden Juden zahlen mussten, liegt der folgende Vermerk aus dem Jahre 1726 vor: ... Jährlich Juden Schutz Sambt Urären Jahrgeld, denen anjezo 7 sind, und ein Jeder 9 gulden, Eine Jüdin aber 5 Gulden gibt, macht jährlich in deme der Juden 5. Jüdinen 2 macht 55 Gulden zur Hauptsumme 1375 Gulden. Ferner wird von den Juden, sowohl Frembden, Kindern als Eltern, so sie begraben werden, geben 2 Gulden, Jährlich nur 2 gerechnet thut 4 Gulden, jährlich 1/2 Gulden vor dem Orth wo sie hingelegt werden, macht 112 1/2 Gulden ...

Seit 1829 stand den Gemeindeangehörigen ein neues Synagogengebäude in der Hauptstraße zur Verfügung; es war ein schlichtes Fachwerkhaus. Der Betsaal besaß etwa 65 Plätze, auf den Emporen fanden etwa 45 Frauen Platz.

                   Synagoge in Treis (hist. Aufn., 1929)

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20194/Treis%20Lumda%20Israelit%2010061868.jpg https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20137/Treis%20Lumda%20Israelit%2017061889.jpg

Ausschreibungen der Lehrerstelle in Treis, aus: "Der Israelit" vom 10.6.1868 und 17.6.1889

Anlässlich des 100jährigen Bestehens der Synagoge ließ die jüdische Gemeinde das Gebäude vollständig renovieren. Bei der anschließenden Einweihungsfeierlichkeit war die gesamte „Ortsprominenz“ erschienen. Eine nur wenige Jahre existierende jüdische Elementarschule in der Hauptstrasse wurde 1870 geschlossen; im gleichen Gebäude befand sich auch eine Mikwe.

Wenige Schritte vom Dorfe entfernt befand sich der im 18.Jahrhundert angelegte Friedhof der jüdischen Gemeinde.

Juden in Treis:

         --- 1667 ......................  25 Juden,

    --- 1690 ......................  44   “  ,

    --- 1726 ......................   7 jüdische Familien,

    --- 1782 ......................  16     “       “    ,

    --- 1834 ......................  54 Juden,

    --- 1850 ......................  75   "  ,

    --- 1861 ......................  72   “  (ca. 6% d. Bevölk.),

    --- 1880 ......................  77   "  ,

    --- um 1890 ............... ca. 100   “  (in 22 Familien),

    --- 1910 ......................  70   "  (ca. 6% d. Bevölk.)

    --- um 1930 ............... ca.  50   “  ,

    --- 1942 (Dez.) ...............  keine.

Angaben aus: Paul Arnsberg, Jüdische Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 2, S. 306

und                 Volker Hess, Geschichte der Juden in den heutigen Ortsteilen Staufenbergs: Daubringen, ... und Treis, S. 5 (Tab. 1)

 

Die jüdischen Dorfbewohner verdienten ihren oft kärglichen Lebensunterhalt als Vieh- und Kleinhändler, später auch als Handwerker; zu Beginn des 20.Jahrhunderts gab es am Ort auch größere, von Juden geführte Geschäfte. Zu Beginn der 1930er Jahre lebten in Treis etwa 15 jüdische Familien, die sich nach der NS-Machtübernahme 1933 verstärkt öffentlichen Anfeindungen und Schmähungen ausgesetzt sahen; Sprachrohr für die antijüdische Hetze war die „Oberhessische Tageszeitung”. Auch physische Attacken von ortsansässigen SA-Leuten gegenüber einzelnen sind für das Jahr 1935 belegt.

Während des Novemberpogroms von 1938 blieb die Synagoge von einer Brandschatzung verschont; allerdings zerstörten hiesige SA- und HJ-Angehörige die Inneneinrichtung, schleppten diese aus dem Gebäude und verbrannten sie vor dem Treiser Rathaus. Etwa der Hälfte der jüdischen Bewohner gelang die Emigration zumeist nach Übersee; die anderen verzogen in andere Orte innerhalb Deutschlands bzw. wurden von Treis aus im September 1942 - via Gießen und Darmstadt - ins besetzte Polen bzw. nach Theresienstadt verschleppt. Von den deportierten Treiser Juden soll keiner überlebt haben.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 27 aus Treis stammende jüdische Bewohner Opfer der "Endlösung" (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/treis_lumda_synagoge.htm).

 

Das Synagogengebäude, das wenige Monate nach dem Novemberpogrom 1938 von einem Nachbarn erworben worden war, diente zunächst als Remise bzw. Scheune und wurde Ende der 1950er Jahre abgerissen. Am einstigen Standort der Synagoge steht heute ein Gedenkstein.

http://staufenberg.de/eigene_dateien/gesellschaft-soziales/stolpersteine/2011_bildinternet1.gif In Treis wird mit sog. Stolpersteinen in der Hauptstraße an Löb Wetzstein, Moses und Rosa Hammerschlag und die Witwe Rosi Wolff und ihre Kinder Liesel und Bernd erinnert (Aufn. Barbara Wagner).

Das "Auf dem Weinberg" befindliche Begräbnisareal der ehemaligen jüdischen Gemeinde weist auf einer Fläche von ca. 1.700 m² heute noch etwa 80 Grabsteine auf.

File:Treis an der Lumda - Juedischer-Friedh (1).jpg

jüdischer Friedhof (Aufn. G. Rosenberg, 2014, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Gedenkstein (Aufn. G. Rosenberg, 2014, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0) Treis an der Lumda - Juedischer-Friedh (2).jpg

Auf dem jüdischen Friedhof, der inzwischen mitten im bebauten Gebiet liegt, erinnert seit 1978 der obig abgebildete Gedenkstein an die ermordeten jüdischen Bewohner des Ortes.

 

 

Auf dem heutigen Stadtgebiet von Staufenberg haben sich einige wenige jüdische Familien im Kernort selbst wie in den ehemaligen Dörfern Daubringen und Mainzlar angesiedelt.

Auf dem alten jüdischen Friedhof in Staufenberg, unterhalb der Burg gelegen, mussten alle im Gericht Lollar wohnenden Juden ihre Toten begraben. Von der Begräbnisstätte finden sich heute keine Spuren mehr.

[vgl. Mainzlar (Hessen)]

 

 

 

Weitere Informationen:

Synagogen-Hundertjahrfeier in Treis a.d.Lda., in: "Gießener Anzeiger" vom 16.9.1929

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 2, S. 306/307

Thea Altaras, Synagogen in Hessen. Was geschah seit 1945?, Königstein i.Ts.1988, S. 88/89 und Teil II (1994), S. 73/74

Volker Hess, Geschichte der Juden in den heutigen Ortsteilen Staufenbergs: Daubringen, Mainzlar, Staufenberg und Treis, unveröffentlichtes Manuskript (Stadtarchiv Staufenberg), 1990

Volker Hess, Die jüdische Bevölkerung in Daubringen und Mainzlar, in: Daubringen - Mainzlar. Geschichte zweier oberhessischer Dörfer und ihrer Bevölkerung, Staufenberg 1993, S. 233 - 257

Treis a.d.Lumda, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Volker Hess, Firma Isaak Kahn Söhne - Stationen einer jüdischen Familiengeschichte zwischen Emanzipation, Assimilation, Vertreibung und Vernichtung, o.O. 2006

Stolpersteine“ werden in Staufenberg verlegt, in: „Gießener Allgemeine“ vom 23.9.2011

Stadt Staufenberg (Hrg.), Treis an der Lumda, Hauptstraße 85 – Stolperstein für Löb Wetzstein, in: staufenberg.de vom 25.2.2013 (Pressemitteilung)

Barbara Wagner (Bearb.), Juden in Staufenberg – Stolpersteine gegen das Vergessen Stolpersteine für Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft aus Staufenberg und den Ortsteilen Daubringen, Mainzler, Treis an der Lumda. Eine Dokumentation, Hrg. Ernst- Ludwig Chambré-Stiftung in Lich, 2022