Vallendar/Rhein (Rheinland-Pfalz)
Die rechtsrheinisch gelegene Kleinstadt Vallendar mit derzeit ca. 9.200 Einwohnern liegt im äußersten Nordosten des Landkreises Mayen-Koblenz - nur wenige Kilometer von Koblenz rheinabwärts (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org CCO und Kartenskizze 'Kreis Mayen-Koblenz', Hagar 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).
In den Jahrzehnten um 1900 besaß die jüdische Gemeinde Vallendar ihren personellen Höchststand mit maximal 200 Angehörigen.
In der ersten Hälfte des 14.Jahrhunderts wird erstmals ein Jude in Vallendar urkundlich erwähnt; ab dann liegen für längere Zeit keinerlei Belege für jüdisches Leben in Vallendar vor. Zu Beginn des 16.Jahrhunderts lebten acht jüdische Familien am Ort, die unter Schutz und Geleit der Trierer Erzbischöfe standen. In den beiden folgenden Jahrhunderten soll ihre Anzahl konstant geblieben sein; erst zu Beginn des 19.Jahrhunderts verzeichnete die Gemeinde einen evidenten Zuwachs; dieser Zuzug muss in Zusammenhang mit der damaligen Wirtschaftsentwicklung der Stadt gesehen werden. Vallendar entwickelte sich zum„Tor zum südlichen Westerwald“ und konzentrierte den Viehhandel der Region auf sich. Dieser Viehhandel, teilweise in Verbindung mit dem Schlachtgewerbe oder Fellhandel betrieben, war auch primär die Lebensgrundlage der in Vallendar ansässigen jüdischen Familien; von den elf jüdischen Familien 1807 lebten allein sieben vom Viehhandel.
Innerhalb der Vallendarer Judenschaft - sie bildete lange Zeit keine offizielle Gemeinde - soll es oft Konflikte gegeben haben; so schrieb z.B. 1818 der Vallendarer Bürgermeister: „ ... Die hiesige Judenschaft ist seit langem unter sich wegen der Beiträge zur Unterhaltung der Reisenden und der Schuld ihrer gebauten Synagoge uneinig. Keiner will dem Andern folgen und daher immer Disput und am Ende Zank und Unordnung. Besonders scheinen sie die dahin angenommenen Fremden zurücksetzen zu wollen. ...” Längere Auseinandersetzung ergaben sich auch über die Frage eines Aus- oder Neubaus des Betraumes; schließlich einigte man sich auf einen Neubau, der teilweise durch Umlagen unter den Gemeindeangehörigen finanziert wurde. Das bis dato genutzte „Synagogenlocal“ wurde als „feucht und in einem schlechten, für ein Gotteshaus wenig würdigen Zustand [empfunden und war] dabei für die jüdische Population auch kaum räumlich mehr ausreichend.” Auch der Bürgermeister Vallendars unterstützte die hier lebenden Juden bei ihrem Bauvorhaben, wie in einem Briefe von 1853 an seine vorgesetzte Behörde deutlich wurde: „Von dem Grundsatz ausgehend, daß wir alle Brüder sind, ermutigte ich die Juden, und ich machte ihnen Vorschläge und das Resultat lieferte das Zustandekommen des anliegenden Beschlusses vom 21.Nov. 1852, wonach die armen Juden sich anheischig machten, zur Erbauung einer kleinen Synagoge ... In Rücksicht der Armut der hiesigen Israeliten war ich über die Bereitwilligkeit nicht wenig erstaunt, weil der aufzubringende Betrag die jährliche Klassensteuer derselben übersteigt.”
Bei der Grundsteinlegung im April 1856 wurde ein Schriftstück mit folgendem Text verfasst und am künftigen Eingang der Synagoge vergraben:
„ Durch Hülfe und zur Verehrung Gottes hat die aus 21 unbemittelten Familien bestehende israelitische Gemeinde zu Vallendar theils aus eigenen Mitteln, theils von einem von Herrn Alexander Bender hier aufgenommenen Passiv-Kapital und theils aus dem Ertrage eines bei den Israeliten der Rheinprovinz bewilligten Collecte auf dem von Mathias Rauffauf gekauften Bauplatz in der Eulsgasse zu Vallendar eine neue Synagoge begründet, zu deren Entstehung der zeitliche Bürgermeister Johann Friedrich Schmitz von Vallendar und der israelitische Vorstand Bermann Scheye, David Götz und Joseph Loeb durch Beistand Gottes thätig mitwirkten. Möge das Unternehmen dem Allmächtigen wohlgefällig sein und den himmlischen Segen erhalten, um welchen wir alle demütigst bitten ...”
1857 weihte die Vallendarer Judenschaft - unter Leitung des Kölner Oberrabbiners und unter Beteiligung der Honoratioren der Stadt - ihre neue Synagoge in der Eulsgasse, der heutigen Eulerstraße, ein; zuvor waren die Thorarollen in einem Festzug durch die Straßen der Stadt getragen worden.
Modell der Synagoge von Vallendar (Hermann Orthey, 2015) und Synagogenruine nach 1945 (Landesamt für Denkmalpflege)
Seit den 1850er Jahren kann Vallendar als eine selbstständig verwaltete Synagogengemeinde bezeichnet werden; die Statuten wurden aber erst 1865 endgültig beschlossen und genehmigt.
Zu den rituellen Einrichtungen der recht konservativen Gemeinde zählte auch eine Mikwe, die anfänglich im Keller eines Hauses in der Löhrgasse und danach in der neuen Synagoge untergebracht war. Über eine eigene Elementarschule verfügte die Gemeinde seit Mitte der 1850er Jahre; doch bereits etwa 30 Jahre später wurde der Schulbetrieb wieder eingestellt; die jüdischen Kinder suchten fortan wieder die christliche Volksschule auf, erhielten aber daneben Religionsunterricht durch den Vorsänger.
Stellenausschreibungen (1853) (1878)
(1911) (1921)
Verstorbene Juden aus Vallendar wurden lange Zeit auf einem Gelände in der Gemarkung Weitersburg begraben; erst später nutzte man ein ortsnäheres Friedhofsareal „in der Kirchhohl“.
älterer Teil des Friedhofs (Aufn. Reinhardhauke, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Juden in Vallendar:
--- 1512 .......................... 8 jüdische Familien,
--- um 1730/60 .................... 8 - 10 “ “ ,
--- 1811 .......................... 59 Juden,
--- 1822 .......................... 81 “ ,
--- 1842 .......................... 140 “ ,
--- 1853 .......................... 128 “ (in 23 Familien),
--- 1885 .......................... 196 “ (in ca. 40 Familien),
--- 1905 .......................... 167 “ ,
--- 1912 .......................... 151 “ ,
--- 1925 .......................... 141 “ ,
--- 1931 .......................... 120 “ ,
--- 1938 .......................... 15 jüdische Familien,
--- 1941 (Dez.) ............... ca. 40 Juden,
--- 1942 (Dez.) ................... keine.
Angaben aus: Josef Schmidt, Die jüdische Gemeinde Vallendar, S. 90
und Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff, Synagogen. Rheinland-Pfalz und Saarland, S. 373
Blick auf Vallendar, hist. Ansicht um 1920 (Abb. aus: akpool.de)
Um 1880/1905 erreichte die Vallendarer Gemeinde mit knapp 200 Angehörigen ihren personellen Höchststand. Immer noch waren viele in Vallendar lebende Juden im Vieh- und Fellhandel tätig - zeitweilig sollen sieben (!) der insgesamt 14 Metzgereien in jüdischem Besitz gewesen sein. Allerdings arbeiteten seit der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts mehr Juden nun als Fabrikanten, Kaufleute und Kleinunternehmer als in den traditionellen Berufen; einige Familien wurden recht wohlhabend. Die Juden in Vallendar, die um 1900 weitestgehend in die Gesellschaft des Ortes integriert war, waren für die Wirtschaft der Kleinstadt von großer Bedeutung, zumal auch einige größere Betriebe, z.B. die Zigarrenfabriken Loeb und Adler, für Arbeitsplätze sorgten.
Mit der NS-Machtübernahme 1933 wurde auch in Vallendar der Antisemitismus offizielle Politik; beim Boykott jüdischer Geschäfte von Vallendar vom 1.4.1933 sollen SA-Angehörige Plakate mit sich geführt haben, wie „ Wer den Juden kennt, kennt den Teufel! Der Jude lebt von der Lüge und stirbt mit der Wahrheit! Wer vom Juden frißt, stirbt daran!” Zwei Jahre später beschloss die Stadtverwaltung, jeden Zuzug von Juden nach Vallendar zu verbieten, jegliche Geschäftsbeziehungen zu untersagen den Juden die Benutzung der Kuranlagen der Stadt nicht mehr zu gestatten. Die meisten Vallendarer Juden verließen in den 1930er Jahre ihren Heimatstadt und konnten zumeist durch Emigration ihr Leben retten.
Am 10.November 1938 drangen SA-Angehörige während des Morgengottesdienstes in die Synagoge ein und zwangen die dort anwesenden Männer die 15 Thorarollen zum Polizeipräsidium zu bringen. Zwei Tage später wurde die Synagoge samt Mikwe in Brand gesteckt; da die Feuerwehr am Löschen des Feuers gehindert wurde, brannte das Gebäude bis auf die Grundmauern ab. Die 15 Thorarollen waren zuvor ins Feuer geworfen worden; die silbernen Ritualien wurden von der Gestapo beschlagnahmt. Fast alle von jüdischen Familien bewohnte Häuser in Vallendar wurden demoliert.
Nach 1939 wurden alle jüdischen Bewohner in mehrere „Judenhäuser“ einquartiert; zudem mussten einige Männer Zwangsarbeit in einer nahen Kiesgrube leisten. Die verbliebenen Juden Vallendars wurden im Laufe des Jahres 1942 deportiert; der letzte Transport mit alten Menschen ging Ende Juli 1942 nach Theresienstadt. Alle deportierten Juden aus Vallendar sollen in den NS-Vernichtungslagern ums Leben gekommen sein. Der letzte „in Mischehe“ lebende Jude Vallendars verstarb im September 1942; die Kleinstadt galt nun als „judenrein”.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ sind nahezu 100 aus Vallendar stammende bzw. längere Zeit hier ansässig gewesene jüdische Bewohner Opfer der NS-Gewaltherrschaft geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/vallendar_synagoge.htm).
Das einstige Synagogengrundstück ging nach 1945 in die Hände eines hiesigen Handwerksbetriebes; an die baulich teilweise erhaltengebliebene Ostfassade des Synagogengebäudes wurde später ein Wohnhaus mit Werkstatt angebaut.
Ostfassade der ehem. Synagoge (Aufn. R. Hauke, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Seit 1987 befindet sich am Standort der ehemaligen Synagoge eine Gedenktafel mit folgender Inschrift:
Zum Gedenken
an die früheren jüdischen Mitbürger und an die hier befindliche Synagoge.
Im Jahr 1987 Stadt Vallendar
Gedenktafel (Aufn. J. Hahn, 2006, aus: alemannia-judaica.de)
1993 wurde unterhalb der katholischen Pfarrkirche ein Mahnmal für die verfolgten und ermordeten Juden von Vallendar eingeweiht.
Zum Gedenken an die in der NS-Zeit verfolgten Juden Vallendars wurden in bislang drei Verlegeaktionen sog. „Stolpersteine“ in die Gehwegpflasterung Vallendarer Straßen eingefügt; derzeit zählt man ca. 25 dieser messingfarbenen Gedenkquader (Stand 2024).
Vier „Stolpersteine“ Hellenstraße (Aufn. M. Brand, aus: blick-aktuell)
in der Heerstraße Abb. S. 2023, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0
Weitere Informationen:
Josef Schmidt, Die jüdische Gemeinde Vallendar, aus: 125 Jahre Stadt Vallendar, S. 90/91
Ernst Greve, Die Synagoge in Vallendar, in: "Heimat-Jahrbuch Kreis Mayen-Koblenz 1985", S. 160 - 166
Bertram Resmini, Die jüdische Gemeinde in Vallendar vor dem Aufkommen des Nationalsozialismus, in: "Beiträge zur jüdischen Geschichte in Rheinland-Pfalz", 3 (1993), Heft 5, S. 52 - 56
Hildburg-Helene Thill, Der Untergang der jüdischen Gemeinde Vallendar, in: "Beiträge zur jüdischen Geschichte in Rheinland-Pfalz", 3 (1993), Heft 5, S. 57 – 61
Germania Judaica, Band III/2, Tübingen 1995, S. 1528/1529
Jochen Puttrich, Die nationalsozialistische Judenverfolgung der Jahre 1933 bis 1942 in Vallendar/Rhein. Facharbeit in Geschichte am Johannes-Gymnasium Lahnstein, Lahnstein 1996
Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “. Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 373/374
Ursula Reuter, Jüdische Gemeinden vom frühen 19. bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts, Bonn 2007, S. 87
Vallendar, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Dokumenten zur jüdischen Ortsgeschichte)
Winfried Scholz (Red.), Stolpersteine erinnern an jüdische Schicksale, in: „Rhein-Zeitung“ vom 24.2.2014
Winfried Scholz (Red.), Vallendar: Stolpersteine für jüdische Bürger, in: „Rhein-Zeitung“ vom 15.4.2015
Stadt Vallendar (Hrg.), Das besondere Objekt: Das Modell der ehemaligen Vallendarer Synagoge, online abrufbar unter: vallendar-rhein.de/virtuelles-museum/
Auflistung der Stolpersteine in Vallendar, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Vallendar