Vacha/Werra (Thüringen)

Stadtgliederung Vacha.png Vacha ist eine aus zahlreichen Ortsteilen bestehende Kleinstadt mit derzeit ca. 5.000 Einwohnern im Westen des thüringischen Wartburgkreises - direkt an der Landesgrenze zu Hessen (Kartenskizzen 'Ortschaften im Wartburgkreis', H. 2018, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0  und  'Stadtgliederung von Vacha', Metilsteiner 2014, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0).

Ansicht von Vacha – Stich M. Merian, um 1655 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

Die ersten Juden siedelten sich Mitte des 13.Jahrhunderts in Vacha an. Sie standen unter der Schirmherrschaft der Fuldaer Äbte; aus dieser Zeit ist die Existenz einer „Judengasse“, der heutigen Braugasse, belegt. Diese kleine mittelalterliche Gemeinde fand 1349 ihr Ende; ob die Juden aus Vacha während des Pestpogroms vertrieben oder getötet wurden, ist unbekannt. In der Folgezeit hielten sich nur wenige Juden zeitweilig in Vacha auf.

Ob es in Vacha einen spätmittelalterlichen jüdischen Friedhof gegeben hat, kann nicht eindeutig beantwortet werden; doch die in einer Urkunde von 1425 verwendete Bezeichnung “Judenhauck“ könnte dafür sprechen.

Nennenswerte Zuwanderung lässt sich erst wieder nach 1600 feststellen; 1630 soll eine Anzahl jüdischer Steuerzahler in der Kleinstadt gelebt haben; doch gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges hatte sich die Einwohnerzahl von Vacha - auch die der Juden - erheblich verringert. In einer Stadtstatistik aus dem Jahre 1652 wird nur noch ein Jude erwähnt. Jahrzehnte danach lebten wieder einige jüdische Familien in Vacha; diese waren aber sehr arm und konnten nicht einmal die herrschaftlichen Schutzgelder an den hessischen Landgrafen regelmäßig aufbringen. Das Gründungsjahr der jüdischen Gemeinde von Vacha datierte im Jahre 1777.

Nach vorübergehender französischer Besatzung gehörte Vacha zum Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach; 1823 erließ der neue Landesherr eine „Judenordnung“, in der die Juden zwar allen übrigen Untertanen gleichgestellt, doch nach wie vor zu Schutzgeldzahlungen verpflichtet waren. Erst ab der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts fielen alle Schranken; Vachaer Juden eröffneten nun Ladengeschäfte und übten verschiedene Berufe aus.

Um 1780 bestand ein Vacha ein Betsaal; zuvor hatten die wenigen Juden an Gottesdiensten im benachbarten Schenklengsfeld teilgenommen. In unmittelbarer Nähe des Betraumes befand sich die nach 1700 angelegte Mikwe. Ein erstmals im Jahre 1792 genannter „Judenschulmeister“ übte neben der religiösen Unterweisung der Kinder wohl auch die Tätigkeit des Vorbeters und Schächters aus.

Siegel der israelitischen Gemeinde von Vacha  

      Angebot für eine Lehrerstelle aus: „Der Israelit“ vom 9.6.1921

Der jüdische Friedhof wurde am südöstlichen Ortsrand nachweislich Anfang des 18. Jahrhunderts angelegt; die Flurbezeichnung „Judenhauck“ deutet darauf hin, dass die Begräbnisstätte wesentlich älter sein könnte. Der älteste noch vorhandene Grabstein trägt die Jahreszahl 1718.

Anm.: Noch vor der NS-Zeit wurde der jüdische Friedhof mehrfach geschändet.

Seit 1903 gehörten die wenigen verbliebenen Angehörigen der aufgelösten jüdischen Gemeinde Völkershausen zur Kultusgemeinde Vacha, zuvor bereits die wenigen Familien aus Heringen

Die Vachaer Gemeinde gehörte zum Landesrabbinat des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach.

Juden in Vacha:

         --- um 1630 ........................  10 jüdische Familien,

    --- 1652 ........................... eine    “       “  (),

    --- um 1690 ........................   7     “       “    ,

    --- um 1750 .................... ca.   5     “       “    ,

    --- 1823 ...........................  57 Juden (ca. 3% d. Bevölk.),

    --- 1841 ...........................  68   “  ,

    --- 1910 ........................... 106   “  ,

    --- 1913 ........................... 121   “  ,

    --- 1933 ........................... 113   “  ,*  *andere Angabe: 71 Pers.

    --- 1939 ...........................  24   “  ,          

            (Nov.) .....................  keine. 

Angaben aus: Olaf Ditzel, Chronik jüdischen Lebens in Vacha

      Vacha.jpg Blick auf Vacha um 1840 (Abb. aus: commons.wikimedia.org, CCO)

 

Anfang der 1930er Jahre setzte sich die Vachaer Synagogengemeinde aus mehr als 100 Angehörigen zusammen. Mehrheitlich bestritten die jüdischen Familien ihren Lebenserwerb als Kleinkaufleute und Viehhändler.

Anzeigen jüdischer Geschäftsleute in Vacha:   

 

Den ersten antisemitischen Anschlag gab es bereits 1924, als die Wände der Synagoge mit Hakenkreuzen beschmiert worden waren; eine Suchanzeige der israelitischen Gemeinde nach den Tätern - verbunden mit einer Belohnung - blieb erfolglos. Mit den Schändungen des jüdischen Friedhofs (1929 und 1932) setzten sich diese Angriffe fort.

Schon vor dem reichsweit angeordneten Boykott jüdischer Geschäfte am 1.4.1933 wurden in Vacha gezielt Übergriffe auf jüdische Bewohner inszeniert; es gab Hausdurchsuchungen und ein jüdisches Stadtratsmitglied musste seinen Rücktritt erklären. In den folgenden Jahren verließen die allermeisten jüdischen Bewohner den Ort.

In den frühen Morgenstunden des 10.Oktober 1938 - vier Wochen vor dem reichsweiten Pogrom - wurde die Inneneinrichtung der Vachaer Synagoge von Unbekannten“ zerstört; drei Tage später veräußerte die Gemeinde ihr Gotteshaus an die Kommune. Vier Wochen später mussten dann die noch in Vacha verbliebenen Juden miterleben, wie am 9. November 1938 die Gewalt erneut eskalierte. Aus einem Polizeibericht von Mitte Nov. 1938: „ ... Bei den gegen 9.00 Uhr abends durchgeführten Aktionen der hiesigen Bevölkerung gegen die Juden wurden lediglich bei dem Kaufmann Hermann Strauß, Steinweg, die Haustür eingedrückt und in die Wohnung eingedrungen. Frau Strauß wurde geschlagen, während der Mann sich auf dem Boden versteckt hielt und so nicht gefunden werden konnte. Darüber hinaus wurden bei dem Viehhändler Robert Hecht und bei dem Kaufmann Schön Scheiben eingeschlagen. Hermann Goldschmidt, Ludwig Baumgart,Theobald Speyer und Hermann Strauß wurden in Schutzhaft genommen und am nächsten Tag in das Konzentrationslager Buchenwald transportiert. ...  1939 hatten alle jüdischen Bewohner Vacha endgültig verlassen. Am 27.Oktober 1939 berichtete die „Rhön-Zeitung” in einer Kurznotiz:"Gestern abend verließen die beiden letzten jüdischen Familien unsere Stadt. Vacha ist damit - Gott sei Dank ! - endlich auch judenfrei geworden.” Die Schicksale der meisten Vachaer Juden sind ungeklärt.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ sind 29 aus Vacha stammende bzw. längere Zeit hier ansässig gewesene jüdische Bewohner Opfer der NS-Gewaltherrschaft geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/vacha_synagoge.htm).

 

Mitte der 1950er Jahre ging das Synagogengebäude in Privathand über; wenig später wurde es abgerissen.

An die einstige jüdische Gemeinde Vachas erinnert heute noch der großflächige Friedhof, der auf einer Anhöhe in der Flur Völkershausen liegt. Heute findet man auf dem Areal noch ca. 65, teils stark verwitterte Grabmale. In den Jahrzehnten zuvor war es hier mehrfach zu Grabschändungen gekommen.

WAK Vacha 165.jpgWAK Vacha 166.jpg

Teilansichten des jüdischen Friedhofs (Aufn. Metilsteiner, 2012, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)

Im Jahre 1998 wurde auf dem jüdischen Friedhof ein Gedenkstein gesetzt; die an einem Findling angebrachte Inschriftentafel trägt die Worte: " Zur Erinnerung an die ehemalige jüdische Gemeinde in der Stadt Vacha und ihrer Opfer in der Zeit der Verfolgung in Deutschland 1933-1945" ; unter dem in hebräisch Sprache abgefassten Zitat aus Jesaija 57,2 folgt die Widmungsinschrift: "Herr und Frau Louis B. Schien und Emilie, Nachkommen der Vachaer Familien Schön, Gans und Bachrach."  "

                Gedenkstein auf dem Friedhofsgeländehttps://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20207/Vacha%20Friedhof%20171.jpg (Aufn. J. Hahn, 2009)

Zudem gehört eine 1998 wiederentdeckte Mikwe - sie stammt wohl aus der Zeit um 1700 - zu den baulichen Relikten des jüdischen Kultus in Vacha (Abb. aus: thueringen.info/vacha); dieses Baudenkmal wurde bei einem Erweiterungsbau der Vitus-Grundschule in die Kellerräume integriert.

Hinweis auf die ehem. MikweGedenktafel Vacha Schulstraße Mikwe.jpg(Aufn. Gmbo, 2021, aus: commons.wikimedia.org, CCO)

Im Frühjahr 2014 wurden in Vacha die ersten sog. „Stolpersteine“ verlegt; sie sollen an Angehörige der beiden jüdischen Familien Nußbaum und Strauß erinnern. 2018 kamen weitere messingfarbene Gedenkquader hinzu.

Stolperstein Vacha Steinweg 2 Jette Strauss.jpgStolperstein Vacha Steinweg 2 Hermann Strauss.jpgStolperstein Vacha Steinweg 2 Berta Strauss.jpgStolperstein Vacha Steinweg 2 Susan Strauss.jpgStolperstein Vacha Steinweg 2 Brunhilde Strauss.jpg am Steinweg/Ecke Wackergasse

Stolperstein Vacha Markt 41 Adolf NussbaumStolperstein Vacha Markt 41 Martha NussbaumStolperstein Vacha Markt 41 Ilse Nussbaum  Stolperstein Vacha Sandweg 1 Louis Bachrach.jpgStolperstein Vacha Sandweg 1 Meta Bachrach.jpgStolperstein Vacha Sandweg 1 Enny Bachrach.jpg

verlegt am Markt  und  im Sandweg (alle Aufn. Gmbo, 2021, aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

 

 

Im nahen Dorfe Völkershausen sollen um 1600 wenige jüdische Familien gelebt haben. Um die Mitte des 19.Jahrhunderts erreichte die Zahl der hier lebenden jüdischen Familie mit etwa 16 Familien ihren Höchststand. 1903 löste sich die Gemeinde auf.

[vgl. Völkershausen (Thüringen)]

 

 

 

 

Weitere Informationen:

M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg, Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), in: "Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum", Hrg. Peter v.d.Osten-Sacken, Band 22, Berlin 1994, S. 648/649

Germania Judaica, Band III/2, Tübingen 1995, S. 1528

Olaf Ditzel (Bearb.), Chronik jüdischen Lebens in Vacha, in: Hans Nothnagel (Hrg.), Juden in Südthüringen geschützt und gejagt. Jüdische Gemeinden in der Vorderrhön, Verlag Buchhaus Suhl, Suhl 1999, S. 206 - 241

Ulrike Schramm-Häder (Bearb.), Jeder erfreuet sich der Gleichheit vor dem Gesetze, nur nicht der Jude. Die Emanzipation der Juden in Sachsen-Weimar-Eisenach (1823 - 1850), in: "Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Kleine Reihe", Band 5, Verlag Urban & Fischer, München/Jena 2001, S. 193 - 200

Gabriele Olbrisch (Bearb.), Landrabbinate in Thüringen 1811 - 1871. Jüdische Schul- und Kulturreform unter staatlicher Regie, in: "Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen - Kleine Reihe", Band 9, Böhlau Verlag, Köln - Weimar - Wien 2003, S. 55

Monika Gibas (Hrg.), Quellen zur Geschichte Thüringens: ‘Arisierung’ in Thüringen (1.Halbband) - Entrechtung, Enteignung und Vernichtung der jüdischen Bürger Thüringens 1933 - 1945, Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Erfurt 2006, S. 92 – 94

Israel Schwierz, Zeugnisse jüdischer Vergangenheit in Thüringen. Eine Dokumentation, hrg. von der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Sömmerda 2007, S. 253 - 256

Vacha, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Vacha - das Tor zur Rhön, in: gewerbeverein-vacha.de (enthält auch historische Aufnahmen)

N.N. (Red.), Stolpersteine: Vacha erinnert an jüdisches Leben, in: insuedthueringen.de vom 7.11.2013

Auflistung der in Vacha verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Vacha

Gerhild Elisabeth Birmann-Dähne, Vacha (Thüringen), in: Jüdische Friedhöfe in der Rhön. Haus des ewigen Lebens, Michael Imhof Verlag, Petersberg 2019, S. 96 - 101

Rhönkanal (Red.), Mikwe in der Vitus-Grundschule in Vacha, online abrufbar unter: rhoenkanal.de vom Aug. 2024