Wachenheim a.d. Pfrimm (Rheinland-Pfalz)
Wachenheim im Zellertal ist ein Weindorf mit derzeit ca. 700 Einwohnern im rheinland-pfälzischen Landkreis Alzey-Worms; es gehört der Verbandsgemeinde Monsheim an - ca. 15 Kilometer westlich von Worms gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905 ohne Eintrag von Wachenheim, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Alzey-Worms', Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Im Laufe des 18.Jahrhunderts bildete sich im Dorf Wachenheim eine kleine israelitische Gemeinde heraus; vereinzelte Hinweise auf jüdisches Leben stammen bereits aus dem 16.Jahrhundert (1534 wurde der erste Wachenheimer Jude urkundlich erwähnt). Der älteste erhaltene Schutzbrief – ausgestellt von den Grafen von Leiningen – datiert von 1537.
Als Wachenheim als Teil des Départements Mont-Tonnerre und des Arrondissements Pfeddersheim zu Frankreich gehörte, wurden Ende 1808 auf Grund eines napoleonischen Dekrets in französischer Sprache die neuen Vor- und Familiennamen der in Wachenheim an der Pfrimm lebenden 62 Juden registriert; die Namensdeklarationen mussten als Anerkenntnis von den erwachsenen Juden unterzeichnet werden. (vgl. dazu: Bernhard Kukatzki, Krautkopf und Kehr, Hausmann und Fittler. Neue Namen für die Juden von Wachenheim an der Pfrimm im Jahr 1808; online abrufbar)
Die Zahl der Gemeindeangehörigen blieb in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts mit 50 bis maximal 80 Personen nahezu konstant; jeder 10. Dorfbewohner gehörte damals dem mosaischen Glauben an.
1830 ließ die Gemeinde eine Synagoge in der Sackgasse, der heutigen Schmiedgasse, errichten, die einen älteren Betraum ablöste. Nach einer umfassenden Renovierung des Synagogengebäudes wurde dieses 1892 erneut eingeweiht.
Wachenheim. (Kreis Worms). Heute Erew Schabbat Paraschat Sachor fand dahier die feierliche Einweihung der restaurirten Synagoge statt. Nachdem um 4 1/2 Uhr im israelitischen Schulsaale der Mincha-Gottesdienst stattgefunden, begaben sich die Festtheilnehmer an die Wohnung des Vorstandsmitgliedes, Herrn Fittler, woselbst sich ein stattlicher Festzug ordnete. Unter den Klängen der Musik bewegte sich derselbe durch die mit Fahnen geschmückten Ortsstraßen zur Synagoge. Daselbst angekommen, übergab ein 9jähriges Mädchen Herrn Rabbiner Dr. Stein aus Worms mit passender Ansprache den Schlüssel. Sofort füllte sich das Gotteshaus bis zum letzten Platz. Nachdem die vorgeschriebenen sehr präzis und hübsch vorgetragenen Gesänge unter Leitung des Herrn Lehrers Levy aus Göllheim verklungen waren, hielt Herr Dr. Stein in bekannter Meisterschaft die Predigt über Tora, Awoda und Gemilut Chasodim.
(aus: „Der Israelit” vom 21.3.1892)
Einer kleinen Religionsschule stand der jüdische Lehrer vor, der auch die Funktionen des Vorbeters und des Schächters der Gemeinde inne hatte.
Stellenanzeige in der Zeitschrift „Der Israelit” vom 12.März 1903
In einem Artikel der „Israelitischen Wochenschrift für die religiösen und socialen Interessen des Judentums“ vom 14.4.1905 wird aus Wachenheim berichtet, dass mehrere Gemeindeangehörige wegen Störung des Gottesdienstes unter Anklage standen; sie hatten sich öffentlich darüber beschwert, dass angeblich der Ritus beim Gottesdienst nicht beachtet worden wäre. Die Beklagten wurden schließlich freigesprochen.
Verstorbene Gemeindeangehörige wurden auf dem jüdischen Friedhof in Dalsheim begraben.
Auch die in Mölsheim lebenden Juden gehörten zur Wachenheimer Gemeinde, die dem Rabbinat Worms unterstand.
Juden in Wachenheim/Pfrimm:
--- um 1770 ....................... 10 jüdische Familien,
--- 1800 .......................... 47 Juden,
--- 1808 .......................... 14 jüdische Familien,
--- 1824 .......................... 60 Juden,
--- 1838 .......................... 81 “ ,
--- 1861 .......................... 58 “ ,
--- 1885 .......................... 41 “ ,
--- 1900 .......................... 49 “ ,
--- um 1925 ................... ca. 30 “ (und 10 Pers. aus Molsheim),
--- 1933 .......................... 27 " .
Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 2, S. 324
und Bernhard Kukatzki, Krautkopf und Kehr, Kehr, Hausmann und Fittler. Neue Namen für die Juden von Wachenheim an der Pfrimm im Jahr 1808 (online abrufbar)
Die jüdischen Familien lebten bis weit ins 19. Jahrhundert hinein überwiegend vom Viehhandel und vom Handel mit Waren des alltäglichen Bedarfs. Später gab es mehrere für das wirtschaftliche Leben des Ortes wichtige Betriebe, so eine Frucht-, Wein-, Kohlen- und Holzhandlung.
Zu Beginn der 1930er Jahre lebten in Wachenheim noch etwa 30 Bewohner israelitischen Glaubens. Auf Grund der zunehmenden Repressalien und der Folgen des wirtschaftlichen Boykotts emigrierten die meisten von ihnen in den folgenden Jahren oder verzogen in größere Orte innerhalb Deutschlands. Die letzten sechs jüdischen Bewohner Wachenheims - darunter zwei Kinder im Alter von drei u. vier Jahren - wurden im Frühjahr 1942 deportiert.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sollen 18 gebürtige bzw. längere Zeit in Wachenheim ansässig gewesene Juden der Shoa zum Opfer gefallen sein (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/wachenheim_az_synagoge.htm).
Nach 1945 wurde das ehemalige Synagogengebäude abgetragen und das Gelände anschließend überbaut. Heute erinnert hier eine von der Kommune angebrachte Tafel an die ehemalige Synagoge.
Hinweistafel (Aufn. B. Kukatzki)
2017 wurde auf dem Friedhof ein Gedenkstein aufgestellt, der die Inschrift trägt: "Wir gedenken unserer jüdischen Mitbürger aus Wachenheim, die während der nationalsozialistischen Diktatur gedemütigt, verfolgt, vertrieben und ermordet wurden. Stellvertretend seien hier Kurt Eckhaus, geb. 1908, Antonie Klara Eckhaus, geb. 1914, Lothar Eckhaus, geb. 1938, Mirjam Eckhaus, geb. 1939, Max Löb, geb. 1909 und Theodor Löb, geb. 1877 genannt, die 1942 in das Ghetto Piaski deportiert und ermordet wurden."
Hinweis: Im gleichnamigen Wachenheim an der Weinstraße gab es auch eine israelitische Kultusgemeinde.
Weitere Informationen:
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 2, S. 333/334
Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “. Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 376
Bernhard Kukatzki, Krautkopf und Kehr, Hausmann und Fittler. Neue Namen für die Juden von Wachenheim an der Pfrimm im Jahr 1808 (Aufsatz online abrufbar)
Wachenheim an der Pfrimm, in: alemannia-judaica.de (mit einigen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Kommune Wachenheim im Zellertal (Red.), Mahnmal zur Erinnerung an die Wachenheim Juden, in: wachenheim-zellertal.de/juedischer-gedenkstein/ (2017)
Helmut Weick (Red.), Erinnerung an ermordete Juden – Gedenkstein in Wachenheim enthüllt, in: „Wormser Zeitung“ vom 13.6.2017