Wachenbuchen (Hessen)

Jüdische Gemeinde - Hanau/Main (Hessen) Main-Kinzig-Kreis Karte Wachenbuchen - seit 1974 eingemeindet - ist heute der kleinste Stadtteil von Maintal im hessischen Main-Kinzig-Kreis – wenige Kilometer nordwestlich von Hanau/Main gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905 ohne Eintrag von Wachenbuchen, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Main-Kinzig-Kreis', aus: ortsdienst.de/hessen/main-kinzig-kreis).

 

Das Alter der jüdischen Gemeinschaft von Wachenbuchen kann nicht genau bestimmt werden; sicher ist, dass hier Mitte des 18.Jahrhunderts einige wenige jüdische Familien gelebt haben. Erst zu Beginn des 19.Jahrhunderts treten sie auch namentlich in Erscheinung. Bis Anfang der 1850er Jahre gehörte die Judenschaft Wachenbuchens zur jüdischen Gemeinde von Hochstadt. Mit der Einrichtung eines eigenen Betraumes 1852 gründete sich hier eine kleine autonome Gemeinde. Seit 1880 besaß die religiös-konservative Gemeinde ein aus Bruchsteinen gemauertes Synagogengebäude in der Hauptstraße, das insgesamt über etwa 80 Plätze verfügte; ein außen angebauter Treppenaufgang führte zur Frauenempore.

                   Ehem. Synagoge in Wachenbuchen (Aufn. um 1965, aus: P. Arnsberg)

                                    Stellenanzeige aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 31.3.1875  

Obwohl die hiesige Judenschaft zahlenmäßig stets klein blieb, gab es in Wachenbuchen auch eine jüdische Elementarschule. Zu Beginn der 1930er Jahre wurde die Schule geschlossen; von da an diente das Gebäude noch wenige Jahre als Religionsschule. Im Schulgebäude war vermutlich auch eine Mikwe untergebracht.

Als Begräbnisplatz nutzten die Wachenbucher Juden den jüdischen Friedhof in Hanau; mehrfache Versuche, eine Begräbnisstätte am Orte anzulegen, schlugen fehl. Allerdings ist 1835 urkundlich die Existenz eines jüdischen Friedhofs in Wachenbuchen belegt; doch dessen Standort ist bislang unbekannt geblieben.

Zur jüdischen Gemeinde von Wachenbuchen gehörten in den 1930er Jahren auch die Juden aus Hochstadt und Dörnigheim mit Bischofsheim. 

Juden in Wachenbuchen:

         --- um 1630 .......................   2 jüdische Familien,

    --- 1726 ..........................   3     “       “    ,

    --- um 1755 .......................  13 Juden,

    --- 1835 ..........................  39   “   (ca. 7% d. Bevölk.),

    --- 1861 ..........................  90   “   (ca. 12% d. Bevölk.),

    --- 1871 ..........................  97   “  ,

    --- 1885 .......................... 108   “   (ca. 13% d. Bevölk.),

    --- 1905 .......................... 120   “  ,

    --- 1925 .......................... 108   “  ,

    --- 1933 (Jan.) ...................  86   “  ,

    --- 1938 (Sept.) ..................  38   “  ,

    --- 1939 (Mai) ....................  13   “  ,

    --- 1940 (Juli) ...................  keine.

Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 2, S. 332

und                 Die (nicht) vergessenen Wachenbucher: Die Jüdische Gemeinde, in: P. Heckert, Liebenswertes Wachenbuchen

 

Die jüdischen Bewohner Wachenbuchens, die vor allem in der Kleinen Hainstraße wohnten, waren kleine und mittlere Geschäftsleute, Viehhändler und Metzger.

Verkaufsanzeigen der Mazzenbäckerei in Wachenbuchen von 1919 und 1921:

                             

1937/1938 verließen die meisten jüdischen Familien den Ort und übersiedelten vor allem nach Frankfurt/M.; einige wenige emigrierten.

Während des Novemberpogroms von 1938 - hier begannen die Ausschreitungen bereits am 8. November - wurden die Inneneinrichtung der Synagoge und das jüdische Schulhaus vom Mob vollkommen zerstört; der jüdische Lehrer des Ortes wurde tätlich angegriffen, gedemütigt und aus dem Ort getrieben. Hauptverantwortlich für diese ‚Aktion’ waren SA-Angehörige, denen Hunderte Schaulustiger beiwohnten.

Anm.: Das Synagogengebäude blieb erhalten und diente während der Kriegsjahre zeitweilig als evangelische Kirche, da diese durch Bomben zerstört worden war. Danach wurde das Gebäude als Werkstatt und Wohnung genutzt.

Das jüdische Schulhaus wurde hingegen wenige Tage nach dem Pogrom völlig niedergerissen.

Die letzten in Wachenbuchen lebenden Juden verließen bis zum Sommer 1940 den Ort. Die meisten der nach Frankfurt/M. übergesiedelten Wachenbucher Juden wurden 1941/1942 ins besetzte Osteuropa - vor allem nach Minsk - deportiert.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind nachweislich insgesamt 48 gebürtige bzw. längere Zeit in Wachenbuchen wohnhaft gewesene Juden Opfer des Holocaust geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/wachenbuchen_synagoge.htm).

Nach Kriegsende standen 15 Wachenbuchener Einwohner wegen ihrer aktiven Teilnahme an den „Aktionen“ des Novembers 1938 vor Gericht; 13 Angeklagte wurden wegen Landfriedensbruch und teils auch wegen Körperverletzung zu Haftstrafen verurteilt.

 

Seit 1984 hängt - auf Initiative einer Stadtverordneten - eine kleine Gedenktafel am ehemaligen Synagogengebäude; die Inschrift lautet:

Dieses Gebäude diente als Synagoge für die jüdische Gemeinschaft von Wachenbuchen,

später auch Bischofsheim, Dörnigheim und Hochstadt.

Sie wurde 1880 erbaut und zerstört am 9.November 1938.

Zum Andenken an die während der nationalsozialistischen Zeit

umgebrachten und vertriebenen Juden aus Wachenbuchen, Hochstadt und Dörnigheim.

Gewidmet von der Stadt Maintal 1984

Obige Tafel wurde 1999 durch eine neue ersetzt, die einen etwas abgeänderten Text trägt: http://www.gedenken-in-hessen.de/wp-content/uploads/Bild_2.jpg aus: gedenken-in-hessen.de

Jüngst wurde ein Bauplan der Israelitischen Schule Wachenbuchens aus dem Jahre 1882 aufgefunden.

 

 

In den Ortsteilen von Maintal - in Bischofsheim, Dörnigheim, Hochstadt und Wachenbuchen - erinnern derzeit insgesamt ca. 80 sog. „Stolpersteine“ an Angehörige der einst hier lebenden jüdischen Familien, die Opfer der NS-Herrschaft geworden sind; allein im Stadtteil Wachenbuchen sind bislang ca. 35 Steine in die Gehwegpflasterung eingelassen worden (Stand 2022) - so etliche für Angehörige der Familien Burg, Kleine Hainstraße (vormals Reinhardtstr.) und Stern/Herlitz, Hauptstraße.

                    Datei:Wachenbuchen, Alt Wachenbuchen 40, Stolpersteine Strauss.jpg verlegt für Fam. Strauss (Aufn. K. Ratzke, 2022, aus: wikipedia.org, CCO)

 

[vgl. Hochstadt (Hessen)]

 

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 2, S. 332/333

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Bilder - Dokumente, Eduard Roether Verlag, Darmstadt 1973, S. 194

Thea Altaras, Synagogen in Hessen - Was geschah seit 1945 ?, Verlag K.R.Langewiesche Nachfolger Hans Köster, Königstein/T. 1988, S. 161/162

Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945, Hessen I, Regierungsbezirk Darmstadt, VAS-Verlag, Frankfurt/M. 1995, S. 217 f.

Die (nicht) vergessenen Wachenbucher: die Jüdische Gemeinde, in: Peter Heckert, Liebenswertes Wachenbuchen, Hrg. Magistrat der Stadt Maintal, Hanau 1997, S. 205 - 214

Wachenbuchen, in: alemannia-judaica.de (mit meist personenbezogenen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Peter Heckert, Die jüdischen Gemeinden in den früheren Orten der Stadt Maintal (Dörnigheim, Hochstadt, Wachenbuchen, Bischofsheim), online abrufbar unter: peterheckert.org

Jörg Andersson (Red.), Maintal: Erinnerungen die Verfolgten, in: „Frankfurter Rundschau“ vom 26.1.2010

N.N. (Red), Jetzt 77 „Stolpersteine“ in Maintal, in: vorsprung-online.de vom 29.6.2017

Auflistung der im Stadtgebiet von Maintal verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Maintal_(Hessen)

N.N. (Red.), Sensationsfund in Wachenbuchen: Bauplan von 1938 zerstörter jüdischer Schule aufgetaucht, in: op-online.de vom 19.11.2020