Wächtersbach (Hessen)

Jüdische Gemeinde - Hanau/Main (Hessen)Main-Kinzig-Kreis Karte Wächtersbach ist eine Kleinstadt mit derzeit ca. 12.500 Einwohnern im hessischen Main-Kinzig-Kreis unweit der Städte Gelnhausen und Bad Orb bzw. etwa 50 Kilometer nordöstlich von Frankfurt/Main (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Main-Kinzig-Kreis', aus: ortsdienst.de/hessen/main-kinzig-kreis).

 

Der erste Hinweis auf die Existenz eines Juden in Wächtersbach stammt aus einem Schreiben aus dem Jahre 1643; hierin bat der Jude Hiskias die gräfliche Herrschaft um deren Schutz, der ihm dann auch gewährt wurde. Weitere Angaben, dass Juden sich in Wächtersbach aufgehalten bzw. hier gelebt haben, stammen aus der Mitte des 18.Jahrhunderts. Eine Gemeinde bildete sich vermutlich in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts; sie umfasste zu keinem Zeitpunkt mehr als 70 Angehörige.

Ein Synagogenneubau in der Bleichgartenstraße ist aus den 1890er Jahren belegt; er wurde 1895 von dem Provinzialrabbiner Dr. Koreff aus Hanau eingeweiht. Seit Ende des 17.Jahrhunderts hielten die jüdischen Familien von Wächtersbach ihre gottesdienstlichen Zusammenkünfte in Privathäusern ab. Um 1750 erwarb die Gemeinde ein Nebengebäude des Schlosses, in dem sie ihre Synagoge, die Schule und die Lehrerwohnung einrichtete.

links: Rekonstruktionsskizze der Synagoge (Th. Altaras) – rechts: Synagoge am rechten Bildrand (hist. Aufn. um 1900, aus: gudrun-kauck.de)

  Anzeigen von 1922 und 1930

Gemeinsam mit den Juden aus dem benachbarten Aufenau legte die Wächtersbacher Judengemeinde um 1805 auf dem Gebiet von Aufenau einen kleinflächigen Friedhof an; dieser entwickelte sich zu einem Bezirksfriedhof, der auch von Juden aus Wittgenborn, Schlierbach, Hesseldorf und Orb (bis in die 1920er Jahre) genutzt wurde. Zuvor waren Wächtersbacher Juden vermutlich in Birstein oder Gelnhausen beerdigt worden.

Grabsteine/-relikte (Aufn. H. Hausmann, 2004/2005)

Die jüdische Gemeinde Wächtersbach unterstand dem Provinzialrabbinat Hanau.

Juden in Wächtersbach:

         --- 1827 ........................... 70 Juden (ca. 6% d. Bevölk.).

--- 1835 ........................... 62   “  ,

--- 1854 ........................... 67   "  ,

    --- 1861 ........................... 49   “    (ca. 5% d. Bevölk.),

    --- 1871 ........................... 27   “  ,

    --- 1885 ........................... 54   “  ,

    --- 1895 ........................... 65   “  ,

    --- 1905 ........................... 62   “  ,

    --- 1938 (Dez.) .................... keine.

Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 2, S. 334

 

Im 19.Jahrhundert arbeiteten die hiesigen Juden als Kleinhändler und Metzger. Das Synagogengebäude wurde 1938 von dem letzten Vorsitzenden der Gemeinde verkauft; noch im gleichen Jahre verließ er als letzter jüdischer Einwohner Wächtersbach. Der von den Wächtersbacher Juden bis 1932 belegte Friedhof in Aufenau wurde in der NS-Zeit als „Steinbruch“ benutzt: dabei diente die Friedhofsmauer als Material für den Straßenbau, Grabmale wurden zum Hausbau zweckentfremdet.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind 17 aus Wächtersbach stammende jüdische Bewohner Opfer der NS-Verfolgung geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/waechtersbach_synagoge.htm).

 

Nach Kriegsende wurde auf Veranlassung der Militärregierung der Aufenauer Judenfriedhof wieder hergerichtet; dabei mussten diejenigen, die die Zerstörungen begangen hatten, die Anlage wieder in einen vorzeigbaren Zustand bringen.

In den 1950er-Jahren erwarb die Raiffeisengenossenschaft das ehemalige Synagogengebäude und das Schulhaus der Gemeinde; letzteres wurde abgebrochen und mit einem Neubau überbaut. Das einstige Synagogengebäude – jahrzehntelang als Lagerräume benutzt – wurde Anfang der 1980er Jahre zu einem Bürohaus der Raiffeisenbank umgebaut und mit dem daneben bestehenden Bankgebäude baulich verbunden.

 

stark umgestaltetes ehem. Synagogengebäude (Aufn. R. Hauke, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0) 

Seit 1983 weist eine Tafel am Gebäude Bleichgartenstraße 8 darauf hin, dass hier von 1895 bis 1938 die Synagoge Wächtersbachs stand.

1998 wurde eine Tafel mit folgenden Text erstellt:

            File:Wächtersbach Synagoge 30.JPG Aufn. R. Hauke, 2012, in: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0

 

 

 

Die sehr kleine jüdische Gemeinde Aufenau – sie hatte sich im Laufe des 17.Jahrhunderts gebildet - löste sich um 1850/1860 auf. Zu den gemeindlichen Einrichtungen gehörte neben einem Betraum auch ein um 1805 gemeinsam mit den Wächtersbacher Juden angelegtes Begräbnisgelände; es stand auch Verstorbenen aus Hesseldorf, Schlierbach und Wittgenborn zur Verfügung, Jahrzehnte später dann auch aus Orb. Nach der Auflösung der israelitischen Gemeinde Aufenau waren fortan die Synagogengemeinden Wächtersbach und Orb die Träger des Friedhofes, bis die Juden von Bad Orb in den 1920er-Jahren einen eigenen Friedhof anlegten. 

Die letzte Beerdigung auf dem Aufenauer Friedhof fand 1932 statt. 1939 wurde die Friedhofsmauer abgebrochen und das Material zum Straßenbau benutzt; Grabmale wurden umgeworfen und für den Wegebau freigegeben. Nach Kriegsende wurde die Wiederherstellung des Friedhofs und seiner Grabstätten eingeleitet.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20197/Aufenau%20Friedhof%20143.jpg

Aufn. Reinhardhauke, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0  und   J. Hahn, 2009

(weitere Aufnahmen vom jüdischen Friedhof Aufenau: siehe oben)

 

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 51 (Aufenau) und Bd. 2, S. 334/335 (Wächtersbach)

Jürgen Ackermann, 1768 - 1935: Die Wächtersbacher Viehmärkte, in: "Sammlungen zur Geschichte von Wächtersbach 3", 8/1984

Jürgen Ackermann, 1690 - 1750: Die Judenschule in Wächtersbach, in: "Sammlungen zur Geschichte von Wächtersbach 4a", 8/1984

Jürgen Ackermann, 1816 - 1866: Die Judenschule in Wächtersbach in kurhessischer Zeit, in: "Sammlungen zur Geschichte von Wächtersbach 4b", 8/1984

Jürgen Ackermann, Geschichte der jüdischen Gemeinde Wächtersbach, in: "Sammlungen zur Geschichte von Wächtersbach", Wächtersbach 1984

Jürgen Ackermann, Die Wächtersbacher Synagoge, in: "Sammlungen zur Geschichte von Wächtersbach 28", Wächtersbach 1986

Jürgen Ackermann, Haus der Ewigkeit - Vom jüdischen Totenhof in Aufenau, in: Zwischen Vogelsberg und Spessart, Gelnhäuser Heimatbuch 1988

Jürgen Ackermann, Die Taufe eines „Judenmädgens“ in Wächtersbach, in: "Sammlungen zur Geschichte von Wächtersbach 77", Wächtersbach 1989

Jürgen Ackermann, Von Juden und Hofjuden in dem Wächtersbacher Ländchen, in: "Heimatjahrbuch des Kreises Gelnhausen 2003"

Jürgen Ackermann, Synagoge und Judenschule in Wächtersbach. Das wechselvolle Schicksal zweier Gebäude, in: "Sammlungen zur Geschichte von Wächtersbach 269", Wächtersbach 2003

Wächtersbach, in: alemannia-judaica.de (mit diversen, meist personenbezogenen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Aufenau, in: alemannia-judaica.de (betr. jüdischer Friedhof)

N.N. (Red.), Stolperstein-Verlegung für Opfer des Nationalsozialismus, in: „Vorsprung - Nachrichten aus der Region Main-Kinzig““ vom 18.9.2022 (betr. Salmünster)