Wagenfeld (Niedersachsen)
Wagenfeld ist heute eine im Süden des Landkreises Diepholz gelegene Einheitsgemeinde mit derzeit ca. 7.300 Einwohnern in den beiden Ortsteilen Wagenfeld und Ströhen - ca. 45 Kilometer nordöstlich von Osnabrück gelegen (Kartenskizze 'Landkreis Diepholz', TUBS 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
In der bis 1807 zum Kurfürstentum Hessen gehörenden Ortschaft lebten um 1730 drei jüdische Familien, denen die übrigen Dorfeinwohner nicht immer freundlich begegneten; so soll es mehrfach zu Handgreiflichkeiten gekommen sein. Mitte des 19.Jahrhunderts bestand die jüdische Gemeinde Wagenfeld aus acht Familien. In dieser Zeit (1850/1851) wurde auch ein Synagogengebäude in der Hauptstraße errichtet, was die kleine jüdische Gemeinschaft finanziell stark belastete. Die Einweihung nahm der Landesrabbiner Samuel Meyer vor; in einem seiner Inspektionsberichte wurde die Synagoge als „besonders groß und schön“ bezeichnet.
Synagoge in Wagenfeld - Zeichnung und hist. Aufnahme (Synagoge rechts im Bild)
Vermutlich um 1850 wurde für die wenigen jüdischen Kinder eine Elementarschule geschaffen, die aber nur zwei Jahrzehnte Bestand hatte. Im Jahre 1854 wurde die Schule von zwölf Kindern besucht; gegen Ende der 1860er Jahre muss die Schule wegen Schülermangels aufgegeben worden sein.
Der Friedhof „Vor den Quellen“ (ca. drei Kilometer nördlich des Wagenfelder Ortskerns, an der Barver Straße) muss in der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts angelegt worden sein; der älteste noch vorhandene Grabstein trägt die Jahresangabe 1811.
Jüdischer Friedhof Wagenfeld (Aufn. B., 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Der Wagenfelder Gemeinde, die dem Landrabbinat Hannover unterstand, waren die Juden aus Ströhen angeschlossen.
Juden in Wagenfeld:
--- um 1720/30 ..................... 3 jüdische Familien,
--- 1848 ........................... 62 Juden (in 8 Familien),
--- 1854 ........................... 42 " ,
--- 1871 ........................... 18 “ ,
--- 1885 ........................... 21 “ ,
--- 1905 ........................... 16 “ ,
--- 1925 ........................... 21 “ ,
--- 1933 ....................... ca. 20 “ ,
--- 1939 ........................... keine.
Angaben aus: A. Lessing (Bearb.), Wagenfeld, in: H. Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen ..., Bd. 2, S. 1524
Straßenzug in Wagenfeld, um 1910 (Aufn. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Einer der ersten Industriebetriebe am Ort ging in den 1870er Jahren auf eine Gründung jüdischer Einwohner (Mendel Behrens Blumenthal) zurück; aus einem Woll- und Garnhandel entwickelte sich eine kleine Spinnerei, die von den Landwirten des Umlandes mit Wolle versorgt wurde. Nach 1900 wurde der Betrieb durch die Gebrüder Heilbrunn noch erweitert. In den 1920er Jahren beschäftigte das Unternehmen, das nun auch die Tuchproduktion aufgenommen hatte, etwa 80 Arbeitskräfte und war für Wagenfeld ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.
Bereits um 1895 sollen in Wagenfeld antisemitische Töne laut geworden sein, die von einer am Ort gegründeten, antisemitischen Organisation (um den Kaufmann Franz Pohlmann) verbreitet wurden.
Über die innergemeindliche Entwicklung bis in die 1930er Jahre liegen kaum Informationen vor.
Im Sommer 1937 ging das oben genannte Spinnerei/Tuchunternehmen in „arische“ Hände über.
1937/1938 löste sich die jüdische Gemeinde Wagenfeld auf, nachdem zuvor die allermeisten Angehörigen emigriert waren. Die letzten vier verbliebenen jüdischen Bewohner von Wagenfeld verließen alsbald den Ort; von ihren neuen Wohnorten wurden sie dann ab Ende 1941 deportiert; alle vier gelten als „verschollen“.
Bereits 1937 war das Synagogengebäude verkauft worden. Ein Jahr später wurde der jüdische Friedhof eingeebnet.
Gegen Ende der 1950er Jahre ließ man den jüdischen Friedhof an der Barver Straße wieder herrichten; auf dem ca. 650 m² großen Areal befinden sich heute 28 Grabsteine, der älteste datiert von 1811.
einzelne Grabsteine (Aufn. B., 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)
Seit Sept. 2008 erinnert in Wagenfeld eine Gedenktafel an die Opfer der Shoa; sie trägt die Inschrift:
IN STILLER ERINNERUNG AN DIE WAGENFELDER OPFER VON
DISKRIMINIERUNG, ENTRECHTUNG, WILLKÜR, DEPORTATION UND GEWALTSAMEM TOD
(es folgen nun die Namen der zwölf Opfer)
Weitere Informationen:
Julius Hummel, Chronik der Gemeinde Wagenfeld und des Amtes Auburg, Wagenfeld 1972
Wilhelm Falldorf, Wagenfeld. Wagenfeld und Ströhen - ein geschichtlicher Überblick, Wagenfeld 1988
Harald Storz, Namensliste und Abschrift einzelner Steine vom jüdischen Friedhof in Wagenfeld (Manuskript 1998)
Almuth Lessing (Bearb.), Wagenfeld, in: Herbert Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Band 2, S. 1524 – 1527
Timo Friedhoff, Wagenfelder Fragmente: Die Geschichte der jüdischen Gemeinde Wagenfeld vom 18. bis zum 20.Jahrhundert, Geest-Verlag, Vechta-Langförden 2008 (u.a. jüdischer Friedhof S. 111 - 160)
Ulrich Knufinke, Stätten jüdischer Kultur und Geschichte in den Landkreisen Diepholz und Nienburg, hrg. vom Landschaftsverband Weser-Hunte e.V, Nienburg 2012, S. 35 - 37