Waldbreitbach/Wied (Rheinland-Pfalz)

 Jüdische Gemeinde - Neuwied/Rhein (Rheinland-Pfalz) Ortsvereine Waldbreitbach ist heute eine kleine Kommune mit derzeit ca. 1.900 Einwohnern im Landkreis Neuwied und Sitz der Verbandsgemeinde Rengsdorf-Waldbreitbach - etwa 20 Kilometer nördlich der Kreisstadt gelegen (Ausschnitt aus hist Karte ohne Eintrag von Waldbreitbach, aus: wikipedia.org, CCO und Kartenskizze 'Landkreis Neuwied', aus: kv-neuwied.drk.de).

 

Im ehemaligen Amt Neuerburg lebte Ende des 18.Jahrhunderts eine kleine jüdische Minderheit, die unter dem Schutz der Grafen zu Wied standen. Haupterwerbstätigkeit war bis ins 20.Jahrhundert der Viehhandel im Breitbacher Land.

Gegen Mitte der 1820er Jahre existierte in Waldbreitbach bereits eine Synagoge. 

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20187/Waldbreitbach%20Synagoge%20110.jpg https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20187/Waldbreitbach%20Synagoge%20111.jpg

Waldbreitbach um 1890 - Ausschnittvergrößerung des Synagogengebäudes (Abb. aus: alemannia-judaica.de)

Innerhalb der kleinen Gemeinde kam es häufig zu Streitigkeiten, die im wesentlichen um die Frage nach der "richtigen" Abhaltung des Gottesdienstes kreisten. Ende der 1840er Jahre wurde eine für alle Gemeindemitglieder maßgebliche Gottesdienstordnung erlassen.

Zur Verrichtung gemeindlicher religiöser Aufgaben war im 19. Jahrhundert zeitweise ein Lehrer angestellt (erstmals 1823 genannt).  

                http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20465/Waldbreitbach%20Israelit%2018990807.jpgStellenangebot aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7.8.1899

Verstorbene Waldbreitbacher Juden fanden zunächst auf dem jüdischen Friedhof in Oberbieber ihre letzte Ruhe; ab ca. 1830 stand am Ort ein eigenes Beerdigungsareal zur Verfügung.

Juden in Waldbreitbach:

         --- 1806 .......................... 21 Juden,

    --- 1817 .......................... 44   “  ,*    * im Amt Neuerburg

    --- 1833 ..........................  5 jüdische Familien,

    --- 1854 .......................... 33 Juden,

    --- 1864 .......................... 48   “  ,

    --- 1897 .......................... 50   "  ,

    --- um 1910 .......................  8 jüdische Familien,

    --- 1924 .......................... 41 Juden (ca. 4% d. Bevölk.),

    --- um 1930 ................... ca. 10 jüdische Familien,

    --- 1938 (Dez.) ............... ca. 20 Juden,

    --- 1942 (Dez.) ................... keine.

Angaben aus: Jüdisches Leben im Breitbacher Land, in: A. Hardt (Hrg.), Im Lande der Neuerburg a. d. Wied, S. 108 f.

 

Die über Generationen hinweg hier lebenden jüdischen Bewohner waren weitgehend in die dörfliche Gemeinschaft integriert: sie gehörten dem Schützenverein und der Freiwilligen Feuerwehr an und nahmen an dörflichen Festen teil.

    http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20465/Waldbreitbach%20Israelit%20Famblatt%2019250625.jpg  https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20465/Waldbreitbach%20Israelit%20Famblatt%2019350530.jpg

Kleinanzeigen vom Juni 1925 und 1935

Von den um 1930 im Dorf lebenden jüdischen Familien trugen sechs den Namen „Levy“, die anderen sechs den Namen „Jonas“. Neben dem traditionellen Viehhandel führten einige Familien zu Beginn des 20.Jahrhunderts auch kleinere Einzelhandelsgeschäfte (Max Levy - Schuhgeschäft; Hann’chen Levy - Krämerladen; Albert Levy - Spielwaren, Gemischtwaren, Textil; Wolf Levy – Metzgerei; Benny Levy - Metzgerei und Blondine Levy - Putzmachergeschäft).

Mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus änderte sich im Dorf zunächst nur wenig; die jüdischen Bewohner fühlten sich in der dörflichen Gemeinschaft sicher, zumal „arische“ Dörfler die alten persönlichen Kontakte aufrecht erhielten. Doch mit der zunehmenden NS-Propaganda gerieten auch die Waldbreitbacher Juden bald ins gesellschaftliche Abseits. Als „betrügerische Viehjuden” und „Schädlinge der deutschen Wirtschaft” an den Pranger gestellt, wurden die offenen Kontakte untereinander immer weniger, zumal die Dorfbewohner mehr und mehr staatlich überwacht wurden. NS-Parolen und offene Anfeindungen zielten darauf hin, die „Volksgenossen“ auf Parteilinie einzuschwören.

                 Aus einem Schreiben der Waldbreitbacher Amtsverwaltung vom 18. Jan. 1938:

“ ... Hier sind noch einige jüdische Schulkinder. Dieselben besuchen keine Schule mehr. Es liegt hier nicht die Möglichkeit vor, den Kindern außerhalb der Volksschule eine Unterrichtung zu Teil werden zu lassen. Die Eltern dieser Judenkinder werden demnächst auswandern. Bemühungen um die Unterbringung dieser Kinder in eine Schule würden erfolglos sein, sind auch im Hinblick auf den Umstand des baldigen Fortzugs unnötig. ...”

 

Während des Novemberpogroms von 1938 wurde die Waldbreitbacher Synagoge in Brand gesetzt. Schüler marschierten dann anschließend mit ihren Lehrern geschlossen zur Brandstelle. Das Eigentum der wenigen jüdischen Familien wurde aber verschont - vermutlich deshalb, weil sie zuvor gewarnt worden waren und ihren Besitz gesichert hatten. Mehrere jüdische Männer wurden „in Schutzhaft“ genommen und nach Neuwied abtransportiert. In einem Vermerk der Amtsbehörde vom 25.11.1938 hieß es: „ ... Es ist damit zu rechnen, daß in nächster Zeit der gesamte jüdische Besitz in andere Hände übergeht. “ Zu diesem Zeitpunkt war bereits mehr als die Hälfte der jüdischen Bewohner aus Waldbreitbach und Niederbreitbach abgewandert und zumeist in Städte innerhalb Deutschland verzogen.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind 22 aus Waldbreitbach und fünf aus Niederbreitbach stammende jüdische Bewohner Opfer der NS-Verfolgung geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/waldbreitbach_synagoge.htm).

 

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20447/Waldbreitbach%2020200623_174756.jpg Seit 1988 erinnert eine Gedenktafel am Gebäude der früheren Dorfschmiede - unweit der einstigen Synagoge - an die ehemaligen jüdischen Bewohner Waldbreitbachs (Aufn. Klara Strompf, 2020); diese trägt die folgenden Worte:

Zum Gedenken an die jüdischen Mitbürger, die ein Opfer wurden der Verfolgung in der Zeit des Nationalsozialismus 1933 bis 1945.

Seit ca. 1825 befand sich in Nähe dieses Platzes die jüdische Synagoge, die am 10.November 1938 geschändet und zerstört wurde.

Gemeinde Waldbreitbach Nov. 1988

 

 WaldbreitbachJuedischerFriedhof4.jpgWaldbreitbachJuedischerFriedhof5.jpg

Auf dem ca. 1.400 m² unter Denkmalschutz stehenden jüdischen Friedhofsgelände in Waldbreitbach findet man derzeit noch ca. 45 Grabsteine; der um 1830 auf abschüssigem Gelände angelegte Begräbnisplatz – er wurde bis 1940 belegt – ist weitgehend von Vegetation überwuchert (Aufn. LigaDue, 2021, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0).

Eine Verlegung von sog. „Stolpersteinen“ ist jüngst vom Ortsgemeinderat abschlägig beschieden worden (2023); stattdessen soll die Gedenktafel am Ort der früheren Synagoge überarbeitet und ausgetauscht werden.

 

 

 

 

Weitere Informationen:

Albert Hardt/Richard Schicker, Jüdisches Leben im Breitbacher Land, in: Albert Hardt (Hrg.), Im Lande der Neuerburg an der Wied, Waldbreitbach 1987, S. 107 – 132 (Anm.: mit zahlreichen biographischen Angaben)

Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “. Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 377

Waldbreitbach mit Niederbreitbach, in: alemannia-judaica.de (mit Passfotos einiger jüdischer Bewohner)

Willy Schmitz/Gerhard Rams (Bearb.), Jüdisches Leben im Breitbacher Land, in: "Altes Waldbreitbach – Bilder aus vergangenen Zeiten", online abrufbar unter: altes-waldbreitbach.de/juedisches-leben/ (Anm. Text basiert auf der Publikation von Albert Hardt)

Daniel Dresen (Red.), Keine Stolpersteine für Waldbreitbach: Wie die Ortsgemeinde den NS-Opfern stattdessen gedenken möchte, in: „Rhein-Zeitung“ vom 21.1.2024