Waidhofen/Thaya (Österreich)

Datei:Karte A Noe WT 2017.svg Waidhofen - an der Grenze zu Böhmen gelegen - war bis 1848 eine ‘landesfürstliche Stadt’ und nach Krems wichtigste Gewerbestadt des Waldviertels. Mit derzeit ca. 5.200 Einwohnern ist Waidhofen heute die nördlichste Bezirkshauptstadt Österreichs (Kartenskizze 'Niederösterreich' mit Bez. Waidhofen dunkel markiert, A. 2016, aus: commons.wikimedia.org CC BY-SA 3.0).

 

Die Vertreibungen von 1420/1421 besiegelten das Ende jüdischer Gemeinden in Niederösterreich für lange Zeit; bis Ende des 16.Jahrhunderts lebten nur einzelne Juden in der Region. Erst in den beiden ersten Jahrzehnten des 17.Jahrhunderts kam es verstärkt zu Zuwanderungen, die zur Bildung einzelner Gemeinden führten; eine dieser jüdischen Gemeinden war die Gemeinde in Waidhofen a.d.Thaya. Hinweise, dass sich zeitweilig Juden in Waidhofen aufgehalten haben, stammen bereits aus der ersten Hälfte des 15.Jahrhunderts.

Waidhofen an der Thaya, Lower Austria Georg Mätthaus Vischer.png "Statt Waidthofen" um 1670 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

Doch erst seit Anfang des 17.Jahrhundert ließen sich wenige Juden dauerhaft in der Vorstadt Niederthal, zwischen Stadtmauer und dem Flüsschen Thaya gelegen, nieder. Um 1650 sollen in dieser Siedlung etwa 100 Juden gelebt haben, die unter dem Schutz der Schlossherrschaft standen. Diese sollten nach dem Willen der Landesherrschaft die von der Pest betroffene Ortschaft wieder mit Leben füllen und die Kriegsschäden des Dreißigjährigen Krieges beheben.

Die etwa 20 um 1650/1660 in der Stadt Waidhofen ansässigen jüdischen Familien verdienten ihren Lebensunterhalt mit Handel, so mit „Silbergeschmeide, goldenen Ringen, Seidenwaren, Kleinodien, Schmuck und Perlen, Zeug, Tüchern, Leinwand und Kleidern, Spitzen und Borten, Garn und Flachs, Schmalz, gearbeitetem und ungearbeitetem Leder, Honig, Wachs, Zinn, Messing, Kupfer und Eisengeschirr, Wein, Bier und Branntwein.” Diese breite Handelspalette war nur möglich, weil die Juden den uneingeschränkten Schutz der Schlossherrschaft genossen. Die christlichen Bevölkerung betrachtete die Juden deshalb stets misstrauisch und sah sie als unliebsame Konkurrenten im Handel an. Über die berufliche Tätigkeit der Waidhofener Juden wurde um 1650 berichtet:„ .. Auch kaufen sie mattes und halbtotes Vieh ‘um einen Spott’ und hacken das schädliche Fleisch sehr wohlfeil aus; bis Sonnenuntergang warten sie an den Stadttoren und Gassen auf die Landleute, um ihnen die Lebensmittel abzukaufen, nehmen auch entfremdete Sachen, handeln mit Getreide und Körnern und schädigen die Stadt an Maut und Zoll. ..”

Zu dieser Zeit sollen auch eine Synagoge und ein eigenes Friedhofsgelände nahe des herrschaftlichen Meierhofes bestanden haben.

Mit dem allgemeinen Ausweisungsbefehl Kaiser Leopold I. von 1670 endete auch das jüdische Leben in Waidhofen; die Ausgewiesenen zogen vermutlich nach Böhmen und Mähren. Bis ins frühe 19.Jahrhundert haben keine Juden in der Stadt Waidhofen gelebt; nur auf ihren Handelsreisen kamen jüdische Kleinhändler in die Stadt.

Mit der Anfang des 19.Jahrhunderts beginnenden Liberalisierung und dem wirtschaftlichen Aufschwungs der Ackerbürgerstadt - ab etwa 1850/1860 - zogen wieder jüdische Familien zu.

Im Jahre 1882 wurde in Waidhofen eine Kultusgemeinde gegründet, die auch die politischen Bezirke Gmünd, Pöggstall und ab 1892 auch Zwettl umfasste. Die „Statuten für die israelische Cultusgemeinde in Waidhofen an der Thaya” stammten aus dem Jahr 1896. Ihre in einem Hause in der Niederleuthnerstraße untergebrachte Synagoge wurde im gleichen Jahre eingeweiht.

Etwa zeitgleich mit der Gründung der Gemeinde wurde in Waidhofen auch ein israelitischer Friedhof angelegt.  

Juden in Waidhofen:

         --- um 1650 .................... ca.   20 jüdische Familien (ca. 100 Pers.),

    --- nach 1670 ......................   keine,

    --- um 1880 ........................   79    “  ,

    --- 1890 ...........................   55    “  ,

    --- 1900 ...........................   57    “  ,

    --- 1910 ...........................   46    “  ,

    --- um 1920 ........................  300    “  ,*    * gesamte Synagogengemeinde

    --- 1934 ....................... ca.   80    "  ,

    --- 1938 (Herbst) ..................    keine.

Angaben aus: Stadtchronik von Waidhofen a.d.Thaya

Foto: Stadtmuseum Hauptplatz in Waidhofen (Abb. Stadtarchiv)

Der besonders im Waldviertel antisemitische Rosenauer Schlossherr Georg Ritter von Schönerer verfügte auch in Waidhofen über eine deutsch-nationale Anhängerschaft; zu seiner Klientel zählten hier ansässige Müller und Bäcker, die sich von jüdischen Getreide- und Mehlhändlern in ihrer Existenz bedroht sahen. Diese antijüdische Stimmung hielt auch nach Ende des Ersten Weltkrieges an, als ab 1919 die Deutschnationale Partei im Waidhofener Stadtrat über die Mehrheit verfügte. Unmittelbar nach dem sog. „Anschluss” an das Deutsche Reich 1938 wurden die hiesigen jüdischen Geschäfte gesperrt und unter Bewachung gestellt. Über das weitere Schicksal der jüdischen Bewohner ist kaum etwas bekannt. Vermutlich mussten die Waidhofener Juden auf Drängen der NSDAP-Kreisleitung noch im Sommer 1938 die Stadt verlassen.

Zwischen Juli 1944 und April 1945 soll sich in Waidhofen ein „Judenlager“ befunden haben. Hier waren knapp 500 aus Ungarn verschleppte jüdische Männer, Frauen und Kinder untergebracht, die in der Forstwirtschaft und in vier Industriebetrieben Zwangsarbeit leisten mussten.

 

Nur der jüdische Friedhof mit seinen ca. 170 Gräbern erinnert heute noch an die frühere Existenz einer jüdischen Gemeinde in Waidhofen. Das ca. 1.300 m² umfassende Gelände - gegenüber dem Kommunalfriedhof gelegen und seit 2009 unter Denkmalschutz stehend - wurde vom Verein „Schalom“ und von der hiesigen Landjugend in Zusammenarbeit mit der Stadtgemeinde Waidhofen gepflegt.


Jüdischer Friedhof (Aufn. K., 2012, und  S. Swoboda, 2012, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)

2022 wurde mit einer grundlegenden Sanierung des Begräbnisgeländes begonnen; ein Jahr später konnte dann das mit erheblichen finanziellen Mitteln geförderte Sanierungsprojekt abgeschlossen werden.

 

 

 

In Gmünd - ca. 30 km westlich von Waidhofen mit derzeit ca. 5.000 Einwohnern - hat es zu keiner Zeit eine autonome jüdische Kultusgemeinde gegeben. Die wenigen jüdischen Familien, die seit der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts in Gmünd lebten, gehörten seit 1890 der Kultusgemeinde Waidhofen/Thaya an. Die Gmünder Juden waren in ihrer Mehrzahl gut situiert; sie waren vor allem im Textilhandel tätig. Als „Stammvater des Judentums in Gmünd“ ist Juda Schwarz zu nennen, der eine ca. ein Jahrhundert wirkende ‚Kaufmanns-Dynastie‘ in Gmünd etablierte.

Gmünd war - neben Krems - das Zentrum des Nationalsozialismus im oberen Waldviertel; schon frühzeitig hatten sich hier die Nationalsozialisten organisiert. Nach dem sog. „Anschluss“ 1938 wurden in Gmünd alle jüdischen Geschäfte als solche gekennzeichnet. Diejenigen „Volksgenossen“, die trotzdem weiterhin hier ihre Einkäufe tätigten, wurden öffentlich gemaßregelt bzw. diffamiert. Am 20.Sept. 1938 berichtete der „Völkische Beobachter”: „ ... fast sämtliche Juden aus Gmünd verschwunden und in die Tschechoslowakei ausgewandert ...” Zwei Tage später mussten dann die noch verbliebenen jüdischen Bewohner Gmünd verlassen. Mehrere jüdische Bewohner Gmünds kehrten nach dem Kriege in ihre Heimatstadt zurück.

 

„Judenlager“ im oberen Waldviertel: Im Frühsommer 1944 traf erstmals ein Transport von ungarischen Juden in Gmünd ein; die Verschleppten mussten hier Zwangsarbeit leisten. Etwa 1.700 Juden gelangten am 22.Dezember 1944 in Viehwaggons nach Gmünd; sie lebten in einem Getreidespeicher der Stadt unter erbärmlichsten Umständen; fast 500 Menschen gingen hier elendig zugrunde. Die überlebenden ungarischen Juden wurden anschließend nach Theresienstadt abtransportiert.

 

 

 

In Heidenreichstein – ca. 15 Kilometer nordwestlich von Waidhofen – wurde 2018 ein Gedenkstein errichtet, der dem „ehrenden Gedenken an die jüdischen Bürgerinnen und Bürger der Stadt Heidenreichstein, die während der Jahre 1938 – 1945 verfolgt und Opfer des Holocaust wurden“ gewidmet ist.

 

 

Die im Landkreis Waidhofen gelegene Ortschaft Piesling, die heute in Tschechien liegt und Pisecné heißt, besaß auch eine kleine jüdische Kultusgemeinde.

[vgl. Piesling (Mähren)]

 

[vgl. Zwettl (Österreich)]

 

 

 

Weitere Informationen:

Heinrich Rauscher, Juden in Waidhofen an der Thaya, in: "Das Waldviertel", 3/1930, Heft 5

Leo Böhm (Bearb.), Waidhofen an der Thaya, in: Hugo Gold (Hrg.), Geschichte der Juden in Österreich. Ein Gedenkbuch, Tel Aviv 1971, S. 89/90

Harald Hitz (Hrg.), Waidhofen an der Thaya - Werden und Wandel einer Stadt, Waidhofen/Thaya 1980

Friedrich B. Polleroß, 100 Jahre Antisemitismus im Waldviertel, in: "Schriftenreihe des Waldviertler Heimatbundes", Band 25/1983, Krems 1983

Pierre Genée, Synagogen in Österreich, Löcker Verlag, Wien 1992, S. 82

Gerhard Eberl/Pierre Genée, Jüdische Baudenkmäler in Waidhofen an der Thaya, in: “DAVID - Jüdische Kulturzeitschrift", 6/1994, No. 23, S. 24 f.

Friedrich Polleroß (Hrg.), “Die Erinnerung tut zu weh” - Jüdisches Leben und Antisemitismus im Waldviertel, in: "Schriftenreihe des Waldviertler Heimatbundes", Heft 37, Horn/Waidhofen 1996, S. 145 – 156 (Waidhofen)

E.Führer/H.Hitz (Bearb.), Juden in Waidhofen an der Thaya, in: Friedrich Polleroß (Hrg.), “Die Erinnerung tut zu weh” - Jüdisches Leben und Antisemitismus im Waldviertel, aus: "Schriftenreihe des Waldviertler Heimatbundes", Band 37/1995, Horn/Waidhofen 1996, S. 301 – 342

Artur Lanc, Das Schicksal der ungarischen Juden in Gmünd 1944/45, in: Friedrich Polleroß (Hrg.), “Die Erinnerung tut zu weh” - Jüdisches Leben und Antisemitismus im Waldviertel, aus: "Schriftenreihe des Waldviertler Heimatbundes", Band 37/1995, Horn/Waidhofen 1996, S. 373 – 383

Szabolcs Szita, Ungarische Zwangsarbeit im Waldviertel 1944/45, in: "Das Waldviertel. Zeitschrift für Heimat- und Regionalkunde des Waldviertels und der Wachau", No.4/1997

Szita Szabolcs, Verschleppt - verhungert - vernichtet. Die Deportation von ungarischen Juden auf das Gebiet des annektierten Österreichs 1944 - 1945, Wien 1999

Walter Baumgartner/Robert Streibel, Juden in Niederösterreich: ‘Arisierungen’ und Rückstellungen in den Städten Amstetten, .... Krems, Neunkirchen, ... Waidhofen a.d.Thaya und Wiener Neustadt, "Veröffentlichungen der österreichischen Historikerkommission", Band 18, Wien 2004

Christoph Lind, “Der letzte Jude hat den Tempel verlassen ...” - Juden in Niederösterreich 1938 - 1945, Mandelbaum-Verlag, Wien 2004, S. 219 - 231

Barbara Staudinger, ‘Gantze Dörffer voll Juden’. Juden in Niederösterreich 1496 - 1670, Mandelbaum-Verlag, Wien ?

Johannes Kammerstätter, Heimat trotz alledem - Unsere jüdischen Landsleute und ihr tragbares Vaterland, Band 1, papercomm verlag, Wieselburg 2012

Johannes Kammerstätter, Heimat zum Mitnehmen - Unsere jüdischen Landsleute und ihr tragbares Vaterland, Band 2, papercomm verlag, Wieselburg 2012

Johannes Kammerstätter, Tragbares Vaterland - Unsere jüdischen Landsleute und ihr tragbares Vaterland, Band 3, papercomm-verlag, Wieselburg 2012

Johannes Kammerstätter, Das Erbe lebt - Trotz traumatisierter Familien und deformierter Geschichtsbilder, Band 4, papercomm verlag, Wieselburg

René Denk (Red.), Waidhofen an der Thaya: Jüdischer Friedhof ist verwahrlost, in: „NÖN - Niederösterreichische Nachrichten“ vom 9.11.2016

Friedrich Polleroß (Hrg.), Jüdische Familien im Waldviertel und ihr Schicksal, in: "Schriftenreihe des Waldviertler Heimatbundes", No. 58, Waidhofen a.d.Thaya 2018

Markus Lohninger (Red.), Die „Entjudung“ & Gmünd, in: "NÖN – Niederösterreichische Nachrichten“ vom 26.5.2018

Bettina Talkner (Red.), Heidenreichstein gedenkt verfolgten und ermordeten Juden, in: meinbezirk.at vom 19.11.2018

Peter Zellinger (Red.), Jüdischer Friedhof: „So geht man nicht mit Toten um !“, in: meinbezirk.at vom 17.7.2019

René Denk (Red.), Jüdischer Friedhof: Sanierung endlich “in Arbeit“, in: „Kronen-Zeitung“ vom 29.8.2021

Michael Schwab (Red.), Waidhofen/Thaya. Jüdischer Friedhof: Sanierung startet am 4.April, aus: "NÖN - Niederösterreichische Nachrichten" vom 1.4.2022

Fonds zur Instandsetzung der jüdischen Friedhöfe in Österreich (Hrg.), Jüdischer Friedhof Waidhofen an der Thaya, online abrufbar unter: friedhofsfonds.org/detailansicht/43

Monika Freisel (Red.), Saniert: Jüdischer Friedhof an Stadtgemeinde Waidhofen/Th. Übergeben, in: „NÖN – Niederösterreichische Nachroichten“ vom 19.3.2023