Walldorf (Baden-Württemberg)

Jüdische Gemeinde - Rohrbach (Baden-Württemberg)  Walldorf ist eine Kleinstadt im Süden des Rhein-Neckar-Kreises mit derzeit knapp 15.000 Einwohnern – ca. 15 Kilometer südwestlich von Heidelberg gelegen (Kartenskizze 'Rhein-Neckar-Kreis', aus: ortsdienst.de/baden-wurttemberg/heidelberg).

 

Ein Jude in Walldorf wird erstmals um 1470 erwähnt. Anfang des 18.Jahrhunderts lebten die ersten jüdischen Familien dauerhaft in dem damals unter pfälzischer Herrschaft stehenden Walldorf; ein erster urkundlicher Nachweis stammt aus dem Jahre 1712. Ihre Zahl nahm bis Mitte des 19.Jahrhunderts relativ stark zu, um dann nach 1900 wieder deutlich abzufallen.

Gottesdienste fanden zunächst in einem privaten Betraum in der Hauptstraße statt. 1860 wurde die Pfarrkirche der reformierten Gemeinde an die Judenschaft veräußert, in der diese ihre Synagoge einrichtete. Diese wurde 1861 feierlich eingeweiht: In seiner Festpredigt bezog sich Rabbiner Salomon Fürst aus Heidelberg auf den Portalstein mit der Inschrift aus 1. Mose 28,17: „Dieses ist nichts anderes als ein Gotteshaus und hier ist die Pforte des Himmels“:

„ ... Wie alles auf Erden dem Wechsel unterworfen ist, so war es auch die Bestimmung dieses Hauses. Als evangelische Kirche wurde es erbaut, bestimmt und eingeweiht. Dieses Haus war nichts anderes als ein Gotteshaus und die Himmelspforte. Oder wie? Sollte der Israelit dieses Haus, als es noch eine Kirche war, nicht als ein Gotteshaus betrachtet haben, weil unser Aller Vater auf eine andere Weise darin verehrt wurde, wie Israel ihn in der Synagoge verehrt? Dieses Haus war als Kirche nichts anderes als ein Gotteshaus und die Himmelspforte, worin Gott der Vater aller Menschenkinder verehrt und zu ihm gefleht wurde. Es gereicht der hiesigen israelitischen Gemeinde zur Ehre, dass sie dieses Haus, früher ein Gotteshaus, eine Himmelspforte, als nunmehr ihr Gotteshaus und ihre Himmelspforte erworben. Dieses Haus ist auch jetzt nichts anderes als ein Gotteshaus. Die so zahlreiche Teilnahme ehrenwerter Nichtisraeliten an der Feier dieser Synagogenweihe bezeigt auf die herzlichste und erfreulichste Weise, dass sie alle in der Synagoge nichts anderes als eine Himmelspforte erkennen ..." ().

                                                Synagogengebäude (hist. Aufn., um 1930)     

Erstmals wird 1771 mit Joseph Moyses ein jüdischer „Schulmeister“ genannt, der neben der religiösen Unterweisung der Kinder auch die rituellen Besorgungen der Gemeinde verrichtete. Eine eigene Elementarschule existierte seit 1830 und diente etwa vier Jahrzehnte den jüdischen Dorfkindern als Bildungseinrichtung.

                 Stellenangebot aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 18.April 1884

Der jüdische Friedhof in Walldorf wurde erst in den 1880er Jahren angelegt; er grenzte unmittelbar an den allgemeinen Friedhof an. Zuvor waren Verstorbene auf dem "Judengottesacker" in Wiesloch beerdigt worden.

Die Walldorfer Kultusgemeinde war seit den 1820er Jahren dem Rabbinatsbezirk Heidelberg unterstellt.

Juden in Walldorf:

         --- 1722 ...........................   2 jüdische Familien,

    --- 1743 ...........................   7     “       “    ,

    --- 1825 ........................... 128 Juden (ca. 8% d. Bevölk.),

    --- 1834 ........................... 151   “  ,

    --- 1852 ........................... 169   “   (7,5% d. Bevölk.),

    --- 1865 ........................... 153   “   (ca. 5% d. Bevölk.),

    --- 1875 ........................... 138   “  ,

    --- 1885 ........................... 160   “  ,

    --- 1900 ........................... 138   “   (ca. 4% d. Bevölk.),

    --- 1925 ...........................  67   “   (1,5% d. Bevölk.),

    --- 1933 ...........................  53   “  ,

    --- 1940 (Aug.) ................ ca.  20   “  .

Angaben aus: F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden, Denkmale, ..., S. 282

                            hist. Postkarte aus Walldorf (Abb. aus: jump-walldorf.de)

 

Im März des Revolutionsjahres 1848 kam es in Walldorf zu Ausschreitungen gegen die jüdischen Bewohner, denen die Fenster ihrer Wohnungen eingeworfen wurden. Ab Mitte des 19.Jahrhunderts entspannte sich das Zusammenleben zwischen den Konfessionen; so waren jüdischer Einwohner Mitglieder in den lokalen Vereinen und im Bürgerrat. Im Wirtschaftsleben Walldorfs spielten Juden für eine längere Zeit eine wichtige Rolle; so wurde fast der gesamte Hopfen-, Tabak- und Viehhandel des Ortes von ihnen betrieben; die Inhaber der Zigarrenfabriken waren fast ausnahmslos Juden.

                           Geschäftsanzeige von 1904

Ende der 1920er Jahre gab es in Walldorf noch eine Zigarrenfabrik, drei Tabakhandlungen und mehrere Einzelwarengeschäfte in jüdischem Besitz (Einzelnennung siehe: Walldorf, in: alemannia-judaica.de).

Mit Beginn der NS-Zeit gerieten diese Unternehmen in wirtschaftliche Not: Zwei von ihnen mussten bis 1937 aufgeben, die anderen konnten sich gerade noch über Wasser halten.

Während des Novemberpogroms von 1938 wurde die Inneneinrichtung der Synagoge zertrümmert; NS-Anhänger demolierten auch Wohnungsmobiliar der wenigen noch in Walldorf lebenden Juden und verbrannten es auf der Straße. Einige Männer wurden verhaftet, ins KZ Dachau verschleppt und erst nach Wochen wieder freigelassen.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20242/Walldorf%20SLevi%20010.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20388/Walldorf%20KK%20MZ%20Levi%20Sali.jpg Dr. Sali Levi  (geb. 1883 in Walldorf) erhielt seine Ausbildung am Rabbinerseminar in Breslau; nach seinem Wirken als Feldrabbiner während des Ersten Weltkrieges war sein Wirkungskreis die jüdische Gemeinde in Mainz, 1940/1941 auch in Darmstadt, Worms, Bingen und Gießen. Bis zu seinem Tode setzte er sich für eine baldige Ausreise der noch in Deutschland verbliebenen Glaubensgenossen ein. Während seiner eeigenen Ausreisevorbereitungen verstarb er in Berlin im April 1941.

Diejenigen jüdischen Bewohner, die in Walldorf geblieben waren, pferchte man in wenigen Häusern zusammen, wo sie - isoliert von der übrigen Bevölkerung - bis zu ihrer Deportation nach Gurs im Oktober 1940 ein armseliges Leben fristeten. Von der Deportation waren 19 jüdische Bewohner Walldorfs betroffen; über ihr Schicksal ist kaum etwas bekannt.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sollen 39 gebürtige bzw. längere Zeit in Walldorf ansässig gewesene Bürger mosaischen Glaubens dem Holocaust zum Opfer gefallen sein (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/walldorf_synagoge.htm).

 

Das ehemalige Synagogengebäude dient seit den 1950er Jahren der Neuapostolischen Gemeinde als Gottesdienstraum. Am Gebäude erinnert eine Inschriftentafel an die Geschichte des Hauses.

             http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20198/Walldorf%20Synagoge%20657.jpg Informationstafel (Aufn. J. Hahn, 2009)

Im Jahre 2002 wurde das Gebäude umfassend renoviert; so wurde u.a. die Nachbildung des früheren Portalsteines mit der deutschen und hebräischen Inschrift „Dies ist nichts anderes denn ein Gotteshaus, und hier ist die Pforte des Himmels“ wieder angebracht. 


Ehem. Synagogengebäude (Aufn. M. Ohmsen 2010)       -       Portalinschrift (Aufn. J. Hahn, 2008)

Auf dem ca. 1.250 m² großen Gelände des jüdischen Friedhofs in Walldorf findet man heute 88 Grabstätten; die ältesten Gräber stammen aus der Zeit der Anlegung des Bestattungsgeländes.

Walldorf Jüdischer Friedhof Tor1.JPGWalldorf Jüdischer Friedhof Grabsteine.JPG

Zugangstor/ehem. Taharahaus und Grabstelen mit Namensplatten (Aufn. Oliver Abels, 2013, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Gedenktafeln an der neuen Friedhofshalle erinnern seit 1985 an das Schicksal der Angehörigen der jüdischen Gemeinde des Ortes:

Unseren ehemaligen jüdischen Mitbürgern.

Jahrhunderte lebten und arbeiteten auch in Walldorf Deutsche jüdischen Glaubens. Sie waren Fabrikanten, Kaufleute, Lehrer und Arbeiter und suchten wie wir das Glück.  Es waren noch 53, als 1938 der Judenhass Programm einer deutschen Regierung wurde. Allzu viele beteiligten sich daran, ihre jüdischen Mitbürger zu demütigen, sie aus ihrer Synagoge und ihren Häusern zu vertreiben. Wer nicht rechtzeitig auswandern konnte, wurde nach Dachau, Buchenwald, Gurs und Auschwitz verschleppt und mit Millionen anderen getötet.
Wir verneigen uns vor den Opfern des Hasses und sehen des Leid, das Menschen einander zufügen können.  Vergessen wir nicht, was möglich war, in Deutschland, in Walldorf, fast 2000 Jahre nach Christi Geburt. 
Das Schicksal unserer jüdischen Mitbürger mahnt zu Brüderlichkeit, Toleranz und Frieden. Erstellt von der Stadt Walldorf und eingeweiht anlässlich des Besuchs ehemaliger jüdischer Mitbürger im April 1985.

Gedenkstein in Walldorf Ein von Kindern/Jugendlichen erstellter Memorialstein auf dem Walldorfer Friedhof wurde im Rahmen des landesweiten ökumenischen Projektes zur Erinnerung an die Deportation badischer Juden aufgestellt. Ein identischer Stein befindet sich seit 2005 auf dem Gelände der zentralen Gedenkstätte in Neckarzimmern (Abb. aus: mahnmal-neckarzimmern.de).

2010 wurden an sechs Standorten im Zentrum der Stadt Walldorf insgesamt ca. 20 sog. „Stolpersteine“ verlegt.

verlegt in der Hauptstraße (Aufn. M. Ohmsen) http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20276/Walldorf%20Sto%20940a.jpg

Stolperstein für Hilda BärStolperstein für Sigmund BärStolperstein für Amanda BroderStolperstein für Salomon BroderStolperstein für Alice Klein

in der Apothekenstraße (aus: Th., 2015, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Im Eingangsbereich der ehemaligen Synagoge wurde eine aus Schiefer bestehende Tafel angebracht, die Angaben über das ehemalige Gotteshaus macht und das Gedenken an ehemalige jüdische Bürger wachhält.

Aufn. Stadt Walldorf, 2022

 

 

Hinweis: Im thüringischen Walldorf gab es ehemals auch eine jüdische Gemeinde, zudem war auch im hessischen Mörfelden-Walldorf eine Kultusgemeinde beheimatet.

siehe:  Walldorf (Thüringen) und Mörfelden-Walldorf (Hessen)

 

 

 

Weitere Informationen:

Mathias Heß, Unser Walldorf - Heimatbuch der Stadt Walldorf, Walldorf 1950

F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Band 19, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1968, S. 282/283

Dieter Herrmann, Geschichte und Schicksal der Walldorfer Juden, o.O. 1985

Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 490 f.

Monika Preuß (Bearb.), Der jüdische Friedhof in Walldorf, Unveröffentl. Grunddokumentation des Landesdenkmalamtes Baden-Württemberg, 1992

Walldorf/Baden-Württ., in: alemannia-judaica.de (mit diversen Text- u. Bilddokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 495 - 497

Erinnerung an ehemalige jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger (betr. „Stolpersteine“), in: walldorf.de (siehe unter: Stadtgeschichte)

Auflistung der in Walldorf verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Walldorf_(Baden)

Sophia Stoye (Red.), Als es noch jüdisches Leben in Walldorf gab, in: „Rhein-Neckar-Zeitung“ vom 24.10.2020

Stadt Walldorf (Hrg.), Gedenktafel für die deportiertenWalldorfer Juden an der ehemaligen Synagoge angebracht, in: Internetzeitung „WiWa-lokal.de“ vom 30.1.2022