Weingarten (Baden)
Das badische Weingarten ist eine von derzeit ca. 10.500 Menschen bewohnte Kleinstadt im Landkreis Karlsruhe - zwischen Bruchsal und Karlsruhe am Rande des Kraichgaus zum Übergang in die Rheinebene (nur wenige Kilometer nordöstlich von Karlsruhe) gelegen (Ausschnitt aus topografischer Karte 'Region Karlsruhe - Heidelberg- Heilbronn' ohne Eintrag von Weingarten, K.Jähne 2006, aus: wikipedia.org, CCO und Kartenskizze 'Landkreis Karlsruhe', Lencer 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
1525 werden erstmals einige jüdische Familien im zunächst badischen, später kurpfälzischen Dorfe Weingarten genannt; dabei handelte sich zunächst um nur sehr wenige Juden, denen auf begrenzte Zeit Schutzbriefe ausgestellt worden waren. Erst um 1700 lässt sich dann eine dauerhafte Ansässigkeit jüdischer Familien nachweisen, die alsbald hier eine Gemeinde gründeten. Eine erste Synagoge gab es bereits im 18.Jahrhundert in der Kirchstraße; wegen Baufälligkeit wurde das zweistöckige Gebäude abgerissen und durch einen neuen Synagogenbau an der Ecke Kirchstraße/Keltergasse ersetzt, der 1840 einweiht wurde. Zur Finanzierung des Gebäudes – es stand in unmittelbarer Nähe der beiden christlichen Kirchen - musste ein Kredit aufgenommen werden; zudem erbrachte die Versteigerung des Synagogengestühls aus der alten Synagoge einen schmalen Erlös.
Synagoge und -portal in Weingarten (hist. Aufn., W. Steinert, Weingarten)
Das im neoislamischen Stile errichtete Gebäude war das erste seiner Art in Baden; als Vorbilder galten die Synagogen im pfälzischen Ingenheim und die 1837 in Speyer erbaute Synagoge; die Keltergasse hieß von nun an bis 1933 Synagogengasse. Neben der Synagoge befand sich das Haus des jüdischen Lehrers. Eine eigene jüdische Schule gab es in Weingarten bis Anfang des 19.Jahrhunderts; danach besuchten die jüdischen Kinder die katholische Volksschule am Ort.
aus: "Großherzoglich Badisches Anzeige-Blatt für den See-Kreis" vom 21.Nov. 1855
Als Begräbnisstätte nutzten die Juden Weingartens den Verbandsfriedhof bei Obergrombach; bis etwa 1630 war der Friedhof in Worms Begräbnisstätte. Ab den 1830er Jahren verfügte die jüdische Gemeinde über einen eigenen Friedhof im Gewann „Effenstiel“.
Juden in Weingarten:
--- 1525 ........................... eine jüdische Familie,
--- 1722 ........................... 5 “ " n,
--- 1775 ........................... 40 Juden,
--- 1801 ........................... 68 “ ,
--- 1825 ........................... 125 “ (ca. 4% d. Bevölk.),
--- 1836 ........................... 155 “ ,
--- 1864 ........................... 183 “ ,
--- 1871 ........................... 177 " ,
--- 1880 ........................... 155 “ (ca. 4,5% d. Bevölk.),
--- 1900 ........................... 150 “ ,
--- 1910 ........................... 110 “ (ca. 2% d. Bevölk.)
--- 1925 ........................... 72 “ ,
--- 1933 ....................... ca. 60 “ (ca. 1% d. Bevölk.),
--- 1936 (Okt.) .................... 41 “ ,
--- 1940 (Okt.) .................... 23 “ ,
(Nov.) .................... keine.
Angaben aus: Jürgen Stude, Geschichte der Juden im Landkreis Karlsruhe, S. 383
Zu Beginn des 19.Jahrhunderts lebten die Weingartener Juden über den Ort verteilt. Spannungen zwischen jüdischen und christlichen Bewohnern - vermutlich wegen der wirtschaftlich starken Stellung der Juden im Dorf - hatten im März 1848 beinahe zu gewaltsamen Auseinandersetzungen in Weingarten geführt; doch der ‚freiwillige’ Verzicht der Juden auf alle ihre Rechte führte zu einer Beruhigung der Lage. Erst nach der endgültigen rechtlichen Gleichstellung 1862 entspannte sich das Zusammenleben.
Ihren Lebensunterhalt bestritten die meisten Juden von Weingarten im Handel; eine Statistik aus dem Jahre 1848 ergab folgendes Berufsbild: zehn Handelsmänner, vier Kaufleute, fünf Metzger, zwei Lumpensammler und ein Gastwirt. Zur Zeit der Weimarer Republik waren die hier ansässigen Juden vor allem im Viehhandel und Metzgerhandwerk tätig; so versorgten die beiden Großschlachtereien Adolf Bär und Max Fuchs die nahe Großstadt Karlsruhe. Auch eine Zweigniederlassung der großen Textilfirma Hermann Moos war in Weingarten angesiedelt.
Bahnhofstraße - hist. Ansichtskarte (Abb. aus: akpool.de)
Nach der NS-Machtübernahme 1933 blieb das Verhältnis zwischen jüdischer und nichtjüdischer Bevölkerung Weingartens zunächst noch gut; dies zeigte sich auch am Tage des reichsweit durchgeführten Boykotts, der in Weingarten nur wenig Resonanz fand. Die jüdischen Geschäftsleute wurden in den folgenden Jahren kaum in der Ausübung ihrer Gewerbe behindert; doch ab 1936/1937 änderte sich die Situation. Auf Grund der sich ausweitenden antijüdischen Maßnahmen verzog bzw. emigrierte bis 1937 fast die Hälfte der zu Beginn der NS-Zeit in Weingarten lebenden Juden.
In den Morgenstunden des 10.November 1938 wurde auch die Synagoge in Weingarten verwüstet; so sollen zwei Lehrer der Ortsschule mit ihren Klassen in das Gebäude gezogen sein und dort die Schüler zur Schändung und Zerstörung der Kultgegenstände getrieben haben; die zerrissenen Schriften wurden danach in einen nahen Bach geworfen. Wenige Tage später wurde das Synagogengebäude auf Anweisung der NSDAP-Leitung abgerissen und die Steine als Baumaterial verwendet. Das nebenstehende Haus des jüdischen Lehrers blieb unversehrt.
Die 23 noch in Weingarten wohnenden Juden wurden in den Oktobertagen 1940 nach Gurs/Südfrankreich deportiert.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind insgesamt 61 aus Weingarten stammende bzw. längere Zeit hier ansässig gewesene jüdische Bewohner Opfer der NS-Gewaltherrschaft geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/weingarten_synagoge.htm).
Eine 1985 angebrachte bronzene Gedenktafel an der katholischen Kirche - gegenüber dem Standort der ehemaligen Synagoge - erinnert heute an die einstige jüdische Gemeinde.
Auf dem gegenüberliegenden Grundstück befand sich die Synagoge der jüdischen Gemeinde von Weingarten.
Sie wurde 1840 erbaut und am 9./10.November 1938 (‘Reichskristallnacht’) zerstört.
Bemerkenswert an ihrer Lage war die Nachbarschaft zu den zwei christlichen Kirchen.
2014 wurden hier zusätzlich zwei großformatige Fotographien angebracht.
Eine weitere Gedenktafel war bereits 1993 am Wartturm hinzugefügt worden.
2013 begann man mit der Verlegung von sog. „Stolpersteinen“; derzeit findet man an sechs Standorten mehr als 20 dieser messingfarbenen Gedenkquader (Stand 2024).
"Stolpersteine" in Weingarten (Aufn. Bl., 2014, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Ein auf die ehemalige jüdische Gemeinde Weingarten verweisendes Denkmal auf dem Gelände des "Okumenischen Denkmalprojektes zur Deportation badischer Juden nach Gurs" in Neckarzimmern vermisst man bislang allerdings noch.
Der kleine, versteckt liegende jüdische Friedhof ist das einzige baulich erhaltene Zeugnis jüdischer Geschichte Weingartens; er weist heute noch ca. 35 Grabsteine auf.
Jüdischer Friedhof (Aufn. LigaDue, 2022, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0) und ungewöhnlicher Grabstein als Baumstumpf gestaltet (Aufn. J. Hahn, 2009)
Hinweis: Im gleichnamigen oberschwäbischen Weingarten hat es zu keiner Zeit eine organisierte jüdische Gemeinde gegeben. Immigranten aus den ehemaligen GUS-Staaten bilden hier seit den 1990er Jahren eine kleine jüdische Gemeinschaft.
Eine sog. „Stolperschwelle“ und ein „Stolperstein“ erinnern in der Kleinstadt an nicht-jüdische Opfer des Nationalsozialismus.
Weitere Informationen:
F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden - Denkmale, Geschichte, Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Band 19, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1968, S. 287 - 289
Werner Heinz, Altdorf Weingarten 1805 - 1945. Industrialisierung, Arbeitswelt und politische Kultur, Verlag Wilfried Eppe, Bergatreute o.J., S. 271 f.
Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 299 - 302
Hayo Büsing, Die Geschichte der Juden in Weingarten (Baden) von den Anfängen im Mittelalter bis zum Holocaust, Seminararbeit, Theologische Fakultät Universität Heidelberg 1982/83 (1991 veröffentlicht)
Monika Preuß (Bearb.), Der jüdische Friedhof in Weingarten, Unveröffentlichte Grunddokumentation des Landesdenkmalamtes Baden-Württemberg, 1993
Jürgen Stude, Geschichte der Juden im Landkreis Karlsruhe, Hrg. Landratsamt Karlsruhe, Karlsruhe 1997, S. 383 ff.
Wilhelm Kelch, Die Weingartener israelitische Gemeinde und ihre Synagoge, Maschinenmanuskript, o.O. o.J.
Weingarten, in: alemannia-judaica.de (mit einigen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie und zahlreichen Aufnahmen vom jüdischen Friedhof)
Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 507 - 509
Daniel Drescher (Red.), Stolpersteine erinnern an Nazi-Terror. Grauen in Weingarten soll nicht in Vergessenheit geraten, in: „Schwäbische Zeitung“ vom 17.4.2013
Stolpersteine in Weingarten, in: ka.stadtwiki.net (mit Personendaten)
Auflistung der in Weingarten (Baden) verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: commons.wikimedia.org/wiki/Category:Stolpersteine_in_Weingarten_(Baden)
Marianne Lother (Red.), Verborgene Grabstätte in Weingarten: Der jüdische Friedhof ist kaum bekannt, in: „Badische Neueste Nachrichten“ vom 1.11.2021
Werner Breitenstein (Red.), Weingarten hatte einst eine rege jüdische Gemeinde, in: „Badische Neueste Nachrichten“ vom 24.8.2023