Weisenau (Rheinland-Pfalz)
Weisenau ist seit 1930 der Stadt Mainz eingemeindet (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905 ohne Eintrag von Weisenau, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Stadtteile von Mainz', TUBS 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 2.0).
Die jüdische Gemeinde Weisenau bei Mainz gehörte zu den ältesten und bis Ende des 18.Jahrhunderts zu den größten im Mainzer Kurbistum.
Im südlich von Mainz gelegenen Dorf Weisenau siedelten sich vermutlich schon frühzeitig jüdische Familien an, die von den Vorteilen der nahen Handelsfernstraße profitierten. Die älteste Nachricht von einem in Weisenau ansässigen Juden stammt aus dem Jahre 1444. Da die Juden hier als Geldverleiher und Händler tätig und als Steuerzahler gern gesehen waren, hatten die geistlichen Ortsherrschaften erheblichen Nutzen von ihrer Ansässigkeit.
Anm.: Damals gab es drei Ortsherrschaften in Weisenau: nämlich den Isenburgischen und den kurfürstlich-mainzischen Herrschaftsbereich, zudem noch den Bereich des St. Viktorstiftes; alle drei Ortsherren hatten Juden im Ort angesiedelt. Als der Isenburgische Anteil 1702 an den Kurstaat Mainz gefallen war, gab es dann nur noch zwei Ortsherrschaften und demzufolge zwei jüdische Gemeinden im Ort.
Nach der Vertreibung der Frankfurter Juden in Folge des sog. „Fettmilch-Aufstandes“ von 1613 konnten sich in Weisenau zahlreiche jüdische Familien niederlassen. Ihren Lebensunterhalt verdienten sie ab Ende des 18.Jahrhunderts vor allem als Trödler und Viehhändler; manche handelten mit gebrauchten Eisenwaren, wieder andere waren als Metzger tätig. Insgesamt lebten sie in recht ärmlichen Verhältnissen.
Bis gegen Ende des 18.Jahrhunderts war die Judenschaft - auf Grund der unterschiedlichen Herrschaftsverhältnisse der Ortschaft - ebenfalls gespalten; aus diesem Grunde gab es auch zwei Synagogen. Nachdem 1784 dann die Herrschaft über die gesamte Ortschaft an Kur-Mainz gefallen war, gab es nur noch eine israelitische Gemeinde in Weisenau.
Die 1737/1738 auf alten Grundmauern neu errichtete Synagoge - am Nordrand der damaligen Gemarkung gelegen - war ein kleines Bauwerk des Spätbarock. Dessen Erstellung war nur möglich gewesen, dass der Mainzer Domherr und Propst zu St. Viktor der Judenschaft ein Darlehen gewährt hatte. Bei der Belagerung von Mainz 1793 wurde das Gebäude stark beschädigt, aber nicht vollkommen zerstört. Erst zwei Jahrzehnte später konnte wurde das Gotteshaus wieder eingeweiht werden.
Während des Neubaus der Mainzer Synagoge 1846/1853 suchten die Mitglieder der Mainzer Kultusgemeinde das Weisenauer Gotteshaus auf.
In unmittelbarer Nähe zur Synagoge befand sich seit den 1760er Jahren ein Gemeindehaus mit einer Mikwe, die von einer Quelle am Berghang gespeist wurde.
Stellenangebote für Religionslehrer/Vorbeter 1869/1891
Verstorbene der jüdischen Gemeinde Weisenau wurden zunächst in Mainz beerdigt; ein eigenes Begräbnisgelände wurde im 19. Jahrhundert angelegt und bis in die 1930er Jahre genutzt.
Aufn. N., 2014, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0
Die Weisenauer Kultusgemeinde gehörte zum Rabbinatsbezirk Mainz.
Juden in Weisenau:
--- um 1610* ....................... ca. 25 jüdische Familien, * in allen drei Herrschaftsbereichen
--- um 1780* ....................... ca. 250 Juden (mehr als 20% d. Dorfbev.),
--- 1801/04 ........................ ca. 150 “ ,
--- 1808 ........................... ca. 120 “ (in 36 Familien),
--- 1822 ........................... ca. 90 “ (ca. 8% d. Bevölk.),
--- 1855 ............................... 122 “ ,
--- 1900/05 ............................ 62 “ ,
--- 1925 ............................... 30 “ ,
--- 1932 ............................... 22 “ ,
--- 1938 ............................... 4 jüdische Familien,
--- 1942 ............................... 8 Juden,
--- 1943 (Dez.) ........................ keine.
Angaben aus: Friedrich Schütz, Die Jüdische Gemeinde Weisenau bei Mainz, S. 133/134
Eine Folge der französischen Belagerung der Festung Mainz 1793 war die fast totale Zerstörung der Ortschaft Weisenau und der Wegfall der Lebensgrundlage ihrer Bewohner. Zahlreiche jüdische Familien versuchten in Mainz unterzukommen; aber erst um 1800 gelang es etwa 35 jüdischen Familien aus Weisenau, sich in Mainz Wohnung und Arbeit zu besorgen. Im Laufe des 19.Jahrhunderts schrumpfte die israelitische Gemeinde in Weisenau immer mehr, weil die jüngeren Menschen in die Städte abwanderten.
Um Gottesdienste abhalten zu können, mussten später sogar Männer aus Mainz „ausgeliehen“ werden (Minjan!). 1930 wurde dann die Weisenauer Gemeinde offiziell aufgelöst, ihre wenigen Angehörigen der Mainzer Kultusgemeinde angeschlossen.
Kleinanzeigen jüdischer Gewerbetreibender aus Weisenau:
von 1900 und 1903
Anfang der 1930er Jahre lebten nur noch wenige jüdische Bewohner im Ort.
In der Pogromnacht vom November 1938 wurde die bereits 1917 geschlossene Synagoge geplündert, aber nicht in Brand gesteckt; Grund dürfte die unmittelbare Nähe zu anderen Wohngebäuden und Scheunen gewesen sein, zum anderen auch die Tatsache, dass das kleine Gebäude recht versteckt lag. 1939/1940 mussten die Weisenauer Juden unter dem Zwang der Verhältnisse das Synagogengrundstück zu einem Preis von 350 RM verkaufen. In der Nachkriegszeit diente das Gebäude dann als Schuppen bzw. Stallung.
Die Wohnungen der vier noch in Weisenau lebenden jüdischen Familien wurden während der Novembertage 1938 durchwühlt und verwüstet, einzelne Bewohner festgenommen.
J-Kennkarten gebürtiger Juden aus Weisenau – ausgestellt in Mainz 1939
Einigen Weisenauer Juden gelang noch die Emigration. 1942/1943 wurden die letzten acht jüdischen Bewohner deportiert.
Namentlich sind zehn aus Weisenau stammende bzw. hier längere Zeit ansässig gewesene jüdische Bewohner bekannt, die Opfer der NS-Verfolgung geworden sind (Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/weisenau_synagoge.htm).
Zur Erinnerung an das Ende der jüdischen Gemeinde Weisenau (es war der Tag der Deportation am 10. Februar 1943) weist eine Stele mit Gedenkinschrift auf die im Sept.1942 geborene Chana Kahn und ihre Familie hin.
Aufn. Michael Ohmsen
Der Platz vor dem Gymnasium am Kurfürstlichen Schloss wurde am 4. Juli 2013 in "Leo-Trepp-Platz" umbenannt; Leo Trepp besuchte hier das Gymnasium von 1922 bis 1931; er verstarb 2010 in San Franzisko. (Hinweis: Weitere Informationen zu Leo Trepp siehe unter: Oldenburg/Niedersachsen)
Informationstafel "Leo Trepp" (Aufn. Stefan Haas)
Heute erinnern nur noch der Friedhof an der Portlandstraße und die ehemalige Synagoge an die lange Geschichte der jüdischen Kultusgemeinde Weisenau. Das völlig verwahrloste und in Vergessenheit geratene ehemalige Synagogengebäude - es war in der Kriegs- und Nachkriegszeit als Stallung und Holzschuppen benutzt worden, wurde 1984 unter Denkmalschutz gestellt und gelangte 1987 aus Privatbesitz in das Eigentum der Stadt Mainz. Da wesentliche Teile der Innenausstattung wie Thoraschrein, Almemor und die Frauenempore noch erhalten geblieben waren, ging man daran - unter aktiver Beteiligung eines Fördervereins -, den eingeschossigen Steinbau aufwändig zu restaurieren. Das Datum der Wiedereröffnung war mit Bedacht gewählt worden: Am Pfingstmontag 1996 jährte sich zum 900. Mal der Tag, an dem die blühende jüdische Gemeinde „Magenza“ ausgelöscht worden war.
Ehem. Synagogengebäude vor und nach der Sanierung, Aufn. Landesamt für Denkmalpflege Rheinland/Pfalz (1989) u. Hof-Barocke, 2015, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 2.0)
Innenraum vor und nach der Sanierung (Aufn. Landesamt für Denkmalpflege, 1989 und Aufn. J. Hahn, 2010, aus: alemannia-judaica.de)
Im Dachstuhl des Gebäudes fanden sich noch Relikte einer Genisa, deren Benutzung vermutlich bis ins beginnende 20.Jahrhundert andauerte. Als museale Objekte in der Judaica-Ausstellung des Landesmuseums dienen heute u.a. auch zwei Wimpel und ein Beschneidungstuch aus Weisenau.
Vor der Weisenauer Synagoge wurde 2018 eine bronzene Büste des Rabbiners Leo Trepp enthüllt. Unter dessen Beisein war 1996 die Synagoge als Begegnungsstätte zwischen Juden und Christen wieder eingeweiht worden.
In jüngster Vergangenheit wurde auch der Standort zweier Mikwen wieder aufgefunden; diese Kellerbäder (Grundwassermikwen) waren zugeschüttet worden, nachdem der Rheinspiegel abgesunken und damit das Bad als solches trockengefallen war. 2015 konnten die beiden Bäder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, nachdem der Förderverein Synagoge und die Deutsche Stiftung Denkmalschutz Finanzmittel für deren Restaurierung dafür bereit gestellt hatte.
Abgang zur Kellermikwe (Aufn. aus: seniorenunion-mainz.de)
Der Rabbiner Isaak Ben Jacob Bernays (genannt Chacham) wurde 1792 in Weisenau geboren. Nach dem Besuch der Jeschiwa in Würzburg wurde er 1821 als Oberrabbiner an die deutsch-israelitische Gemeinde nach Hamburg berufen und bekleidete dieses Amt bis zu seinem Tode 1849. Bernays galt als einer der Vorreiter der modernen jüdischen Orthodoxie und war ein entschiedener Vertreter des sich entwickelnden Reformjudentums. In Hamburg führte er die deutsch-sprachige Predigt ein. Auf dem jüdischen Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf erinnert eine Grabplatte an ihn.
Weitere Informationen:
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 2, S. 356/357
Weisenauer Synagoge wiederentdeckt, in: "Allgemeine Zeitung" vom 10.11.1978
Friedrich Schütz, Skizzen zur Geschichte der jüdischen Gemeinde in Weisenau bei Mainz. Mit einer besonderen Würdigung der Familie Bernays, in: "Mainzer Zeitschrift. Mittelrheinisches Jahrbuch für Archäologie, Kunst und Geschichte", Jg. 92/1987, Mainz 1987, S. 151 - 179
Friedrich Schütz, Die Jüdische Gemeinde Weisenau bei Mainz, in: Anton Keim (Hrg.), Als die letzten Hoffnungen verbrannten - 9./10.November 1938 - Mainzer Juden zwischen Integration und Vernichtung, Verlag Hermann Schmidt, Mainz 1988, S. 131 ff.
Hannelore Künzl, Kleinod mit schlichtem Außenbau. Synagoge in Mainz-Weisenau, in: "Allgemeine Zeitung" vom 12.9.1994
Germania Judaica, Band III/2, Tübingen 1995, S. 1566/1567
Ingrid Scheurmann/Katja Hoffmann, Sakralbauten - Kulturerbe bewahren, Förderprojekte der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, Bonn 2001, S. 2000
Weisenau (Stadt Mainz), in: alemannia-judaica.de (mit diversen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “. Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 258 - 262
Dieter Krienke (Red.), Weisenau - Synagoge und Mikwen. "Wiederentdeckung" und Rettung der Weisenauer Synagoge, in: Sonderheft der Mainzer Geschichtsblätter: Die Mainzer Synagogen. Ein Überblick über die Mainzer Synagogenbauwerke, mit ergänzenden Beiträgen über bedeutende Mainzer Rabbiner, das alte Judenviertel und die Bibliotheken der jüdischen Gemeinden, hrg. von Hedwig Brüchert im Auftrag des Vereins für Sozialgeschichte Mainz e.V., Mainz 2008
Friedrich Schütz (Red.), Die jüdische Gemeinde Weisenau, hrg. vom Förderverein Synagoge Mainz-Weisenau e.V., online abrufbar unter: förderverein-synagoge-mainz-weisenau.de/geschichte
Andreas Lehnhardt (Bearb.), Geniza-Projekt Weisenau, hrg. von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (Juni 2012)
Andreas Lehnardt (Bearb.), Die Geniza der Synagoge Weisenau: verborgenes jüdisches Erinnerungsgut wiederentdeckt, in: Joachim Schneider (Hrg.), Verborgen – Verloren – Wiederentdeckt: Erinnerungsorte in Mainz von der Antike bis zum 20.Jahrhundert, 2012, S. 84 - 95
Ralf Keinath (Red.), Weisenau und das jüdische Erbe, online abrufbar unter: merkurist.de/mainz/synagoge-weisenau vom 12.5.2015
Heinrich Schreiner (Red.), Die Geschichte der Synagoge in Weisenau, hrg. vom Förderverein Synagoge Mainz-Weisenau e.V., online abrufbar unter: förderverein-synagoge-mainz-weisenau.de/geschichte
Synagoge in Weisenau, online abrufbar unter: mainz.de/tourismus/sehenswertes/synagoge
Bernd Funke (Red.), Dem Verfall entrissen: Synagoge Weisenau wurde vor 200 Jahren geweiht, in: „Allgemeine Zeitung – Ausgabe Mainz“ vom 27.1.2018
Michael Heinze (Red.), Ein Rabbiner aus Bronze, in: "Allgemeine Zeitung" vom 10.9.2018
swr -Mediathek, Zukunftsideen für Synagoge in Mainz (Weisenau) vorgestellt, Sendung vom 31.3.2019
Ilka Heiles (Red.), Weisenauer Synagoge mit Geschichte und Zukunft, in: "Allgemeine Zeitung" vom 27.5.2021