Westerburg/Westerwald (Rheinland-Pfalz)

Bildergebnis für westerwaldkreis ortsdienst karte Westerburg ist eine Kleinstadt mit derzeit ca. 5.800 Einwohnern im Westerwaldkreis und Verwaltungssitz der gleichnamigen Verbandsgemeinde – ca. 50 Kilometer nordöstlich von Koblenz bzw. nördlich von Limburg gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905 mit W. am oberen Kartenrand, aus: wikipedia.org, gemeinfrei  und  Kartenskizze 'Westerwaldkreis', aus: ortsdienst.de/rheinland-pfalz/westerwaldkreis).

 

Vermutlich waren einzelne jüdische Familien bereits in der ersten Hälfte des 14.Jahrhunderts in Westerburg - seit 1292 mit Stadtrechten ausgestattet – ansässig; denn im Jahre 1328 findet ein „Judenbürger von Westerburg“ in Frankfurter Dokumenten Erwähnung. Für die folgenden Jahrhunderten liegen keinerlei schriftliche Hinweise auf die Existenz bzw. Aufenthalt von Juden in Westerburg vor. Erst ab Mitte des 17.Jahrhunderts werden jüdische Einwohner in Westerburg namentlich erwähnt; so stellte Graf Georg Wilhelm z.B. im Jahre 1655 einen Schutzbrief für „Abraham Juden sambt seyn Wibundt Kindern“ aus. Diese „Schutzjuden“ bildeten später dann die Wurzeln der neuzeitlichen Gemeinde.

'Westerburg nach einem alten Bilde', erstellt um 1910 (aus: commons.wikimedia.org gemeinfrei)

Anfang des 18.Jahrhunderts fassten jüdische Familien erstmals dauerhaft in Westerburg Fuß; zunächst wurden sie - wie überliefert wurde - von der Kleinstadt abgewiesen und lagerten vor den Mauern, ehe sie schließlich doch Einlass erhielten. Eine selbstständige jüdische Gemeinde bildete sich um das Jahr 1800 heraus. Im Laufe des 19.Jahrhunderts lag die Zahl ihrer Angehörigen meist zwischen 100 und 150 Personen.

Über die jüdische Gemeinde in Westerburg ist in einer Beschreibung des Lehrers J. Gabriel in der Zeitzschrift "Jeschurun" vom Sept. 1857 zu lesen:

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20135/Westerburg%20Jeschurun%20091857a.jpg

Das erste Bethaus in Westerburg existierte ab Mitte des 18.Jahrhunderts am Hergenröther Tor; nach dessen Zerstörung durch einen Brand in der Oberstadt (1819) richtete man 1824 einen neuen Betsaal ein, der mehr als 50 Männer- und ca. 35 Frauenplatz besaß und fast 90 Jahre lang genutzt wurde. Dieses Gebäude wurde wegen Baufälligkeit dann aufgegeben und 1910 an gleicher Stelle (Ecke Wilhelmstraße/Schaumgasse) eine neue Synagoge erbaut, die unter großer Beteiligung der Westerburger Bevölkerung eingeweiht wurde. Ein kurzer Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 15.Juli 1910 berichtete darüber wie folgt: „Westerburg. Die Einweihung unserer neuen Synagoge wurde getragen von dem harmonischen Einvernehmen zwischen der hiesigen christlichen und jüdischen Bevölkerung. Die gesamte christliche Bevölkerung – einschließlich der Honoratioren - nahm freudigen Anteil an dem Feste der jüdischen Gemeinde, Vereine mit ihren Fahnen waren im Festzuge, und der Landrat hielt eine Rede, die ein Ehrenzeugnis war für das Ansehen der hiesigen Juden. Die offizielle Einweihung vollzog Bezirksrabbiner Dr. Landau-Weilburg.“

                 Ehem. Synagogengebäude in Westerburg (Aufn. Landesamt, um 1985)

Eine Religionsschule, eine Mikwe und ein eigenes Begräbnisgelände vervollständigten die gemeindlichen Einrichtungen.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20135/Westerburg%20Israelit%2022021900.jpg     aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 9.7.1879, vom 22.2.1900 und vom 5.12.1907

Der um 1860 angelegte zweite jüdische Friedhof wurde wohl um 1890 aufgegeben und eine neue Begräbnisstätte - neben dem christlichen Friedhof am Wipper Weg - angelegt. Der jüdischen Gemeinde Westerburg waren – z.T. nur zeitweilig - die Ortschaften Neunkirchen, Pottum, Rennerod, Weltersburg und Willmenrod angeschlossen.

Die Gemeinde gehörte zum Rabbinatsbezirk Weilburg bzw. nach Zusammenlegung der Rabbinate Ems und Weilburg zum Rabbinat Ems-Weilburg.

Juden in Westerburg:

         --- 1683 ............................   2 jüdische Familien,

    --- 1750 ........................ ca.  60 Juden,

    --- 1807 ............................  95   “  (in 16 Familien),

    --- 1843 ............................ 112   “  ,

    --- 1870 ........................ ca. 140   “  (ca. 9% d. Bevölk.),

    --- 1913 ............................ 108   “  ,

    --- 1924 ............................  92   "  ,

    --- 1932 ............................ 106   “  ,

    --- 1936 ............................  90   “  ,

    --- 1938 ............................  55   “  ,

    --- 1939 ............................  36   “  ,

    --- 1941 (Sept.) ....................  24   “  ,

    --- 1942 (Sept.) ....................  keine.

Angaben aus: Stadt Westerburg - eine Betrachtung der Gemeinde, S. 331

 

Anfang des 19.Jahrhunderts verdienten die hiesigen jüdischen Familien ihren Lebenserwerb zumeist im Viehhandel und Handel mit Ellenwaren; sie waren aber auch als Makler tätig. Einige als ‚Betteljuden’ bezeichnete Familien lebten in bitterster Armut. Im Laufe der Zeit verbesserte sich insgesamt die ökonomische Situation der in Westerburg lebenden jüdischen Familien. Mehrere Läden/Gewerbebetriebe konnten am Ort eröffnet werden, die für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt von gewisser Bedeutung waren; allerdings zeigten sich weiterhin erhebliche Unterschiede hinsichtlich ihres Besitzes; so wurde von den Gebrüdern Fuld zeitweise im Ort eine Zigarrenfabrik betrieben.

Postkarte: Westerburg um 1900 (aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

Anfang der 1930er Jahre setzte sich die israelitische Gemeinde Westerburgs aus etwa 100 Angehörigen zusammen.

Hatte zunächst der am 1.April 1933 angekündigte reichsweite Boykott jüdischer Geschäfte in Westerburg kaum Folgen gezeigt, gingen in den kommenden Jahren die Einnahmen der am Ort bestehenden jüdischen Geschäfte kontinuierlich zurück. Mitte April 1933 wurde ein Schächtverbot ausgesprochen; damit wurde den jüdischen Metzgern die wirtschaftliche Grundlage entzogen; gleichzeitig mussten die religiös-streng ausgerichteten Gemeindemitglieder auf importiertes, teures koscheres Fleisch zurückgreifen. Auch die Handelstätigkeit der jüdischen Viehhändler musste 1937 eingestellt werden. Zwischen 1935 und 1938 wanderten zahlreiche Familien aus, vor allem in die USA und nach Argentinien.

Höhepunkt antijüdischer Maßnahmen bildete auch in Westerburg die „Reichskristallnacht“ vom November 1938. Die noch hier lebenden Juden wurden zur Synagoge getrieben und im Gebäude eingesperrt; dann wurden die Fensterscheiben eingeschlagen. Inventar und Kultgeräte landeten auf der Straße; unter dem Gejohle der Menge wurden diese dann verbrannt. Das Synagogengebäude wurde nicht in Brand gesteckt, aus Furcht, die nahestehenden Häuser „arischer“ Besitzer könnten in Mitleidenschaft gezogen werden. Auch der jüdische Friedhof wurde geschändet. Am nächsten Morgen wurden die Juden Westerburgs in einem Fabrikgebäude gefangengesetzt, einige Männer von hier nach Limburg gebracht, bald aber wieder auf freien Fuß gesetzt. Wenige Monate später musste das Synagogengebäude für einen Spottpreis an die Stadt Westerburg veräußert werden; es wurde während des Krieges von der Wehrmacht genutzt.

Mit der Deportation der letzten neun jüdischen Bewohner im August 1942 war Westerburg ‚judenfrei‘.

1941/1942 sind insgesamt mindestens 35 Juden aus Westerburg deportiert und später in den Ghettos bzw. Vernichtungslagern Osteuropas ermordet worden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/westerburg_synagoge.htm).

 

Nach 1945 dient das ehemalige Synagogengebäude Wohnzwecken; noch heute erinnern Rundbogenfenster des Gebäudes an dessen frühere Bestimmung.

Wenige Jahre nach Kriegsende wurde auf dem Stadtfriedhof ein Gedenkstein für die einst im Ort lebenden jüdischen Bewohner aufgestellt; seine Inschrift lautet:

Zum Andenken an die hier beerdigten und zur Erinnerung an die während der Nazizeit

in den Lagern umgekommenen jüdischen Mitbürger unserer Stadt.

An der Mauer des Kleinen Kirchplatzes vor der Schlosskirche wurde 1988 eine bronzene Gedenktafel mit folgender Inschrift angebracht:

Vor 50 Jahren wurden die Einrichtung und die Fenster der Synagoge in Westerburg zerstört.

Vor den Augen der zusammengetriebenen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger wurden die Kultgeräte auf der Straße verbrannt. Anschließend wurden die Juden in die Zigarrenfabrik “Fuld” geführt, am nächsten Morgen erfolgten die ersten Verhaftungen.

Ende 1942 waren alle Westerburger Juden geflohen, vertrieben, deportiert oder umgebracht.

Die Fabrik stand früher an diesem Platz.

Das Gebäude der ehemaligen Synagoge ist erhalten und befindet sich in der Wilhelm-Straße 4.

Nach einem ökumenischen Gottesdienst in der Schloßkirche wird heute diese Gedenktafel angebracht.

“ Wir alle, ob schuldig oder nicht, ob alt oder jung, müssen die Vergangenheit annehmen. Wir alle sind von ihren Folgen betroffen und für sie in Haftung genommen.” (Bundespräsident Richard von Weizsäcker)

Die Ereignisse am 9./10.November 1938 in Westerburg mahnen:

So etwas darf sich in unserer Stadt nie mehr ereignen.

Im Jahre 2019 wurde an der ehemaligen Synagoge in der Westerburger Oberstadt (Ecke Wilhelmstraße/Schaumgasse) eine Stele aufgestellt, die über die Geschichte dieses historischen Gebäudes und das Schicksal der jüdischen Gemeinde informiert.

Auf dem ca. 2.700 m² großen jüdischen Begräbnisgelände, das bis in die 1920er Jahre belegt wurde, befinden sich heute noch ca. 60 Grabsteine.


 Blick auf die (zweite) jüdische Begräbnisstätte (Aufn. Stadt Westerburg, 2010 und LigaHue, 2020, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Ein älterer Friedhof, der vom 17. Jahrhundert bis Ende der 1880er Jahre belegt wurde, befindet sich in einem Waldgelände auf dem Weg zum Katzenstein; das ca. 300 m² große Gelände diente auch den in Gemünden und Rennerod ansässigen Juden zur Bestattung ihrer verstorbenen Glaubensgenossen. Auf diesem Friedhof sind heute aber keine Grabsteine mehr vorhanden.

Bislang waren Überlegungen zur Verlegung von sog. „Stolpersteinen“ von der Kommunalvertretung abschlägig behandelt worden. Jüngst wurde bekannt, dass Westerburg einen "eigenen zeitgemäßen Weg in der Erinnerungskultur" beschreiten will (Stand 2022).

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 2, S. 360 - 363

H.-J. Hucke/K. Dahlem/D. Schmidt (Bearb.), Juden im Westerwald - Texte und Quellen - zusammengestellt vom Arbeitskreis 'Heimatgeschichte' der Kreis - VHS Westerwald, Montabaur 1988

Uli Jungbluth, Nationalsozialistische Judenverfolgung im Westerwald, Verlag Dietmar Fölbach, 2.Aufl., Koblenz/Föllbach 1994

Joachim Jösch/Uli Jungbluth/u.a., Juden im Westerwald - Leben, Leiden und Gedenken. Ein Wegweiser zur Spurensuche, Montabaur 1998, S. 44 f., S. 71 und S. 229 ff.

Juden im Westerwald - Leben, Leiden und Gedenken. Ein Wegweiser zur Spurensuche, o.O. 1998

Karl Greiff, Westerburg – Stadt seit 1292, hrg. von der Stadt Westerburg, Westerburg 1999, S. 330 ff.

Karlf Greiff, Die jüdische Gemeinde Westerburg von 1818 – 1942 nach den Eintragungen im Personenstands- und Standesamtsregister (unveröffentliches Manuskript)

Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “. Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 385/386

Westerburg/Westerwald mit Pottum, Stahlhofen am Wiesensee, Weltersburg und Willmenrod, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Pressestelle des Evang. Dekanats Westerwald (Hrg.), Nicht die Erinnerung, sondern das Vergessen ist in Gefahr, in: „Waeller Journal“ vom 10.11.2018

Ulrike Preis (Red.), Westerburg. Zur Erinnerung: Stele an der alten Synagoge aufgestellt, in: „Rhein-Zeitung“ vom 24.3.2019

Maria Meurer, "VERFOLGT - VERTRIEBEN - VERNICHTET". Die Lebensgeschichten von 140 Opfern des Naziregimes. Erinnerungen an das Schicksal der Westerburger Juden, Gardez-Verlag, Lüttinghausen 2019

Michael Wenzel (Red.), Zur Erinnerung an Nazi-Opfer: Braucht Westerburg Stolpersteine ? in: „Westerwälder Zeitung“ vom 21.5.2022

Michael Wenzel (Red.), Keine Stolpersteine: Stadt Westerburg geht alternativen Weg, in: „Westerwälder Zeitung“ vom 4.6.2022

Michael Wenzel (Red.), Westerburger Jüdin erhängt sich im August 1942: Vor Deportation in den Freitod geflüchtet, in: „Westerwälder Zeitung“ vom 27.8.2022

Angela Baumeier (Red.), Westerburger Synagoge war eine Zierde der Stadt, in:“Westerwälder Zeitung“ vom 9.8.2023