Wiener Neustadt (Österreich)
Wiener Neustadt ist mit derzeit ca. 43.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt in Niederösterreich; sie liegt ca. 50 Kilometer südlich Wiens (Kartenskizzen 'Österreich' mit Niederösterreich/Wiener Neustadt, Abb. aus: plz-suche.org und 'Niederösterreich mit Bez. Wiener Neustadt' dunkel markiert, A. 2016, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Nach Wien und Krems war in Neustadt - der Zusatz „Wiener” erfolgte erst im 17.Jahrhundert - im späten Mittelalter bzw. in der frühen Neuzeit die älteste und bedeutendste jüdische Gemeinde in Österreich beheimatet. Bis zum sog. „Anschluss“ (1938) hatte sich die israelitische Kultusgemeinde zur drittgrößten Niederösterreichs entwickelt.
Nach Vertreibung und Vernichtung der Wiener Juden 1420 wurde Neustadt, ein verkehrsgünstig gelegener Ort in Niederösterreich, zum Zentrum des österreichischen Judentums; doch schon etwa ab 1230 - kurz nach der Stadtgründung - sollen hier jüdische Familien ansässig gewesen sein, wie ein im Laufe des 13.Jahrhunderts außerhalb der Ummauerung angelegter Friedhof belegt; auch einen Betraum in einem Hause in der Judenschulgasse (heute Allerheiligenplatz) soll es damals schon gegeben haben. Die erste Information über Juden in der Neustadt stammt aus dem Jahre 1239, als Herzog Friedrich II. den Bürgern im sog. „Großen Mautprivileg“ gewisse Zugeständnisse auf Kosten der Juden machte. Die Juden zu Wiener Neustadt hatte es dem Herzog Albrecht II. zu verdanken, dass sie von den Verfolgungen zur Zeit des Schwarzen Todes verschont blieben.
Anmerkung: Die Zerstörung der Wiener Gemeinde im Rahmen der sog. „Wiener Gesera“ (1420/1421) blieb ohne Auswirkung auf die Neustadt; nunmehr war aber die Neustadt größte jüdische Gemeinde und nahm eine "Sonderrolle" als „einziges geistiges jüdisches Zentrum im Gebiete des heutigen Österreich“ ein. So nahm nach 1420 die Zahl der jüdischen Familien deutlich zu und erreichte um 1500 mehr als 300 Personen.
Nach 1420 nahm die Zahl der jüdischen Familien hier deutlich zu und erreichte um 1500 mehr als 300 Personen. Als Kaiser Friedrich III. (1439-1493) Neustadt zu seiner Residenz gemacht hatte, bediente er sich zunehmend jüdischer Kaufleute, die fast die gleichen ökonomischen Privilegien wie die christlichen Kaufleute genossen. Juden waren in der Neustadt im 15. Jahrhundert primär im Geldverleih und im Handel, insbesondere mit Getreide, Vieh, Wein, Stoffen, Öl und anderem, erfolgreich tätig. Dies führte aber auch dazu, dass Juden seitens der christlichen Konkurrenz stets beargwöhnt wurden. Doch der kaiserliche Schutz sorgte dafür, dass es in der Stadt über einen längeren Zeitraum hinweg zu keinen Verfolgungen jüdischer Bewohner kam. Die Wiener Neustädter Judengemeinde war damals nicht nur wegen ihrer Größe und ihres Reichtums, sondern auch wegen der hier als Rabbiner wirkenden Gelehrten im ganzen Land berühmt. Der bekannteste von ihnen war Rabbi Israel bar Petachja, genannt Isserlein, der seit etwa 1430 an der Spitze der Wiener Neustädter Judengemeinde gestanden hat; er starb 1460.
Das jüdische Wohnviertel lag zwischen Langer Gasse und Hagenmüllergasse; dort befanden sich Synagoge, Schule, eine "Frauenschul" und das "Judenspital". Zeitweilig war das Viertel durch Tore abgeriegelt.
Als nach dem Tode Friedrich III. (1493) die Neustadt nun nicht mehr Residenzstadt war und zudem ein großer Stadtbrand gewütet hatte (1494), trübte sich das Verhältnis zwischen Juden und Christen ein; Interessen der Landstände und des Adels gegenüber der Landesherrschaft spielten hier wohl eine wichtige Rolle. Dem Drängen gab Maximilian I. nach, indem er 1496 die Vertreibung der Juden aus der Neustadt anordnete. Diese Ausweisung auf "ewige Zeiten" fand nicht in Form eines Pogroms statt; zuvor durften sie noch ihren Besitz veräußern; ihre bewegliche Habe konnte mitgenommen werden. Damit die zum Verlassen der Stadt genötigten Juden mit ihren „weibern und kindern in der kelten nicht auf dem velde beleiben und verderben“, wurde die Frist vom Heiligendreikönigstag 1497 letztlich bis auf den 23. April 1498 verlängert. Zu antijüdischen Gewalttätigkeiten kam es in diesem Zusammenhang aber nicht. Die an den Landesfürsten gefallene Synagoge schenkte Maximilian I. der Stadt, die das Gebäude in eine Kirche (Allerheiligen-Kapelle) umwandelte. Der südlich der Stadtmauer sich befindende Judenfriedhof blieb zunächst unbenutzt, ehe auf dem Areal gegen Mitte des 16. Jahrhunderts die „Kapuzinerbastei“ errichtet wurde.
Ziel der heimatlos gewordenen Juden waren die Städte Eisenstadt und Marchegg, die ihnen auf Anweisung Maximilians I. Aufnahme gewähren mussten.
Im 16./17. Jahrhundert gab es Bemühungen jüdischer Familien, sich wieder in Neustadt ansässig zu machen – allerdings ohne andauernden Erfolg. Lediglich tagsüber war ihnen zu Handelszwecken der Aufenthalt in der Stadt erlaubt.
Teilansicht von Wiener Neustadt vor 1768 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Erst Anfang des 18.Jahrhunderts durften sich wieder jüdische Familien in Wiener Neustadt niederlassen; sie wurden aber von einem Teil der Bevölkerung nicht toleriert; die antijüdische Haltung von Kirchenkreisen und der Kaufmannschaft zeigte sich in gewalttätigen Angriffen auf jüdische Bewohner. 1708 kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Juden und Christen in Wiener Neustadt; ein Jahr später mussten die Juden auf kaiserlichen Befehl hin „binnen drei Tagen mit Weib und Kind“, die Stadt verlassen. 1713 wurden dann sämtliche jüdischen Bewohner wegen der Pest in der Stadt endgültig ausgewiesen; die meisten ließen sich anschließend in Eisenstadt und Mattersdorf nieder. Einige Jahre später wurden ihnen der kurzzeitge Aufenthalt in Wiener Neustadt zu Handelszwecken erlaubt. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts durften sich Juden erneut hier ansiedeln; nach 1850 entwickelte sich wieder eine kleine jüdische Gemeinde, deren Angehörige zu diesem Zeitpunkt vornehmlich aus Hausierern und Produktenhändlern bestand. Der erste jüdische Einwohner war 1848 der Archäologe Hermann Friedenthal; ihm und anderen jüdischen Intellektuellen verdankte die Israelitische Kultusgemeinde Wiener Neustadt ihre formelle Konstituierung im Jahre 1871; ihr gehörten neben dem politischen Bezirk Wiener Neustadt auch die Bezirke Gutenstein und Ebreichsdorf an.
Erste Gottesdienste wurden zunächst in Privatwohnungen – so z.B. in einem Wohnhaus von Moses Rosenberger in der Pognergasse) - abgehalten; später mietete die Gemeinde für diese Zwecke einen Raum im Gasthof „Zur ungarischen Krone“ an. Ein zu einem Betraum umgebauter Schuppen einer ehemaligen Schmiede diente ab den 1870er Jahren für mehr als drei Jahrzehnte als Synagoge. 1902 ließ die weiter angewachsene Gemeinde am Baumkirchnerring, neben der alten Synagoge, einen Neubau im maurisch-orientalischen Stil errichten, der innerhalb eines halben Jahres erstellt wurde. Die Pläne für die Wiener Neustädter Synagoge stammten vom damals sehr bedeutenden und angesehenen Architekten Wilhelm Stiassny (1842-1910).
Synagoge am Baumkirchnerring (hist. Aufn. 1910, Stadtarchiv Wiener Neustadt)
Zeitgleich mit dem Neubau führte man einige Neuerungen im gottesdienstlichen Ablauf ein, was aber nicht bei allen Gemeindemitgliedern Zustimmung fand. Dieser Richtungsstreit innerhalb der Kultusgemeinde führte dazu, dass sich in der Zeit des Ersten Weltkrieges eine kleine orthodoxe Gemeinde um die Familie Koppel begründete (Anm. A.Eleasar Koppel war aus Mattersdorf gekommen); ein Betsaal in der Haidbrunngasse diente diesen strenggläubigen Mitgliedern der „Koppel-Gemeinde“ als gottesdienstlicher Mittelpunkt.
Nach 1917 wurden Gottesdienste in der Synagoge wieder nach „traditioneller Art“ begangen.
Obgleich die Kultusgemeinde sich bald zu einer der größten Niederösterreichs entwickelte hatte, gab es bis in die späten 1880er Jahre keine Möglichkeit, Verstorbene vor Ort zu bestatten. Die Toten wurden traditionell in die Gemeinden ihrer Vorfahren gebracht und dort begraben oder es wurde ein Friedhof im weiteren Umland, so z.B. in Baden, benutzt. Um dieser missliche Situation abzuhelfen, beantragte die Kultusgemeinde bei der Kommune, ihr ein Grundstück als Begräbnisgelände zu überlassen. Diesem Antrag wurde stattgegeben: Ab 1888/1889 stand nun der israelitischen Gemeinde ein eigenes Friedhofsgelände am nördlichen Stadtrand in der Reichsstraße (später Wiener Straße) zur Verfügung.
Juden in Wiener Neustadt:
--- um 1708 ...................... ca. 540 Juden (fast 50% d. Einw.),
--- 1715 - 1848 ...................... keine “ ,
--- 1870 ......................... ca. 200 “ ,
--- 1880 ............................. 309 “ (ca. 1% d. Bevölk.),
--- um 1920/25 ................... ca. 1.200 “ ,* * Gemeindebezirk mit Oberwaltersdorf, Ebreichsdorf, Erlach, Katzelsdorf, Pernitz u.v.a. Dörfer
--- um 1930 ...................... ca. 1.300 “ ,*
--- 1934 ............................. 685 “ ,
............................. 886 “ ,*
--- 1936 ......................... ca. 820 " ,*
--- 1938 März .................... ca. 870 “ ,*
Okt. .................... ca. 450 " ,*
--- 1940 ............................. 5 " .
Angaben aus: Gertrud Gerhartl, Juden in Wiener Neustadt
und juedische-gemeinde-wn.at
Während des Ersten Weltkrieges erreichte viele jüdische Flüchtlinge aus Galizien und Russland die Stadt. Zu Beginn der 1930er Jahre zählte die Kultusgemeinde Wiener Neustadt etwa 1.300 Angehörige und war zahlenmäßig damit die viertgrößte in Österreich; zahlreiche Vereine standen den Gemeindeangehörigen offen.
Ihren Lebensunterhalt bestritten die hiesigen jüdischen Familien vor allem im Handel, so mit Gemischtwaren, Textilien und Wein; mehr als ein Drittel aller Weinhandlungen hatte jüdische Eigentümer. Neben einigen anderen Unternehmen in jüdischer Hand stellten besonders die Papierfabrik Salzer und die Spinnerei u. Weberei Pick & Co zahlreiche Arbeitsplätze zur Verfügung. Auch in freien Berufen waren Juden überrepräsentiert; allein 16 Ärzte (von insgesamt ca. 50) waren mosaischen Glaubens.
In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg waren auch in Wiener Neustadt antisemitische Provokationen zu verzeichnen, die aber zumeist gewaltfrei verliefen; Teile der christlichen einheimischen Bevölkerung vermied es aber, in Geschäften jüdischer Eigentümer einzukaufen.
Unmittelbar nach dem sog. „Anschluss“ an das Deutsche Reich 1938 begann die systematische Verfolgung: es kam zu Demütigungen und Misshandlungen jüdischer Bewohner, zum Boykott jüdischer Geschäfte und zu „wilden Arisierungen“, zu Berufsverboten und Amtsenthebungen; mehr als 200 Personen sollen genötigt worden sein, umgehend die Stadt zu verlassen.
Bereits im März 1938 war versucht worden, die Synagoge in Brand zu setzen. Nur Proteste benachbarter Hausbesitzer, die ein Übergreifen des Feuers auf ihre Häuser befürchteten, verhinderten die Brandlegung. Ende April 1938 wurde der heimische Viehmarkt als „judenfrei” gemeldet, nachdem jüdische Viehhändler ausgebootet worden waren. Für alle sichtbar setzte sich nun die gesellschaftliche Ausgrenzung und wirtschaftliche Ausschaltung der hier lebenden jüdischen Familien fort. Nach der NSDAP-Veranstaltung „zu Ehren des 9.November 1923“ zogen die Teilnehmer vor die Synagoge am Baumkirchnerring; die Inneneinrichtung wurde zertrümmert, das Gebäude aber wegen in der Nähe stehender anderer Häuser nicht in Brand gesetzt. Der an der Fassade angebrachte große Davidstern wurde mit Hämmern zertrümmert.
Synagoge im November 1938 (Aufn. Stadtarchiv Wiener Neustadt)
Während der „Aktion“ waren zahlreiche Juden in der Synagoge eingesperrt, während Nationalsozialisten die Ritualgegenstände wegschleppten und draußen verbrannten. Die jüdischen Männer verbrachte man alsbald in das städtische Gefängnis des Kreisgerichts. Spätestens drei Tage nach der „Reichskristallnacht“ waren Frauen und Kinder ebenfalls dorthin gebracht worden, wo sie einige Tage verblieben. Dann wurde der Großteil der festgesetzten Juden mit Zügen, ein Teil mit Autobussen, nach Wien „verfrachtet“, wo man alle „aussetzte“. Hab und Gut hatten die Verschleppten zurücklassen müssen. Während der Kriegsjahre wurde der entweihte Synagogenbau als Magazin verwendet. Das gegen Kriegsende schwer durch Bombenangriffe beschädigte Gebäude wurde dann 1952/1953 völlig abgetragen.
Bis Kriegsbeginn konnten sich die allermeisten Juden aus Wiener Neustadt noch ins Ausland retten, zumeist in die USA und nach Palästina. Dem Holocaust sollen etwa 30 bis 40 Wiener Neustädter Juden zum Opfer gefallen sein.
Kriegszerstörte Synagoge (Stadtarchiv Wiener Neustadt)
Anm.: In Wiener Neustadt bestanden 1944/1945 mehrere „Judenlager“; dabei handelte es sich um Lager für ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter. Hatte man die einst ansässige jüdische Bevölkerung fast vollständig vertrieben bzw. deportiert, so wurden 1944 wieder Juden in die Stadt transportiert, wo sie vor allem zu Räumarbeiten eingesetzt wurden. Zu diesen Lagern zählten in Wiener Neustadt das Lager Gymelsdorferstraße (Schlachthof), Richtergasse, Pottendorferstraße (Gustloff-Werke) und Stampfgasse (Firma Salzer). - Ähnliche Lager bestanden auch in Felixdorf („Engelmühle“) und Lichtenwörth.
An die einst blühende spätmittelalterliche jüdische Gemeinde erinnern heute nur sechs in die Stadtmauer eingelassene Grabsteine mit hebräischen Inschriften; diese wurden bei Abtragungsarbeiten der Kapuzinerabtei gefunden; der älteste Stein stammt aus dem Jahre 1252.
einer der mittelalterlichen Grabsteine (Abb. aus: ojm.at)
Am ehemaligen Standort der ehemaligen Synagoge wurde eine Gedenktafel mit der Inschrift aufgestellt:
Im Jahre 1902 errichtete die israelitische Kultusgemeinde Wiener Neustadt an dieser Stelle nach Plänen des Wiener Architekten Wilhelm Stiassny eine repräsentative Synagoge im maurischen Stil. Ähnlich wie viele andere Synagogen des Landes ist auch die Wiener Neustädter Synagoge am 9.November 1938 von Nationalsozialisten devastiert und entweiht worden. Durch die darauffolgende gewaltsame Vertreibung aller Juden aus der Stadt hörte die Israelitische Kultusgemeinde Wiener Neustadt zu bestehen auf.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die bombengeschädigte ehemalige Synagoge abgetragen.
Seit 2010 wurden in mehreren Verlege-Aktionen in die Gehwege der Stadt sog. „Stolpersteine“ eingefügt; inzwischen sind es an 58 Verlegeorten ca. 130 Steine (Stand 2023), die an Opfer der NS-Herrschaft erinnern sollen; die meisten davon sind ehemaligen jüdischen Bewohnern gewidmet.
verlegt für Fam. Buxbaum, Gröhrmühlgasse und Fam Hirsch, Haggenmüllergasse (alle Abb. Chr. Michelides, aus: wikipedia.org, CCO)
verlegt für Familie Pollak, Lederer Gasse
verlegt für Kinder/Jugendliche
Die letzte Stätte, die auf die Präsenz einer großen jüdischen Gemeinde in Wiener Neustadt hinweist, ist der jüdische Friedhof. Während der NS-Zeit blieb das Gelände nahezu unangetastet; auch von Kriegsschäden blieb es verschont. In den Folgejahrzehnten nach Kriegsende geriet der jüdische Friedhof dann fast völlig in Vergessenheit. Überwuchernde Vegetation, zerfallende Grabsteine/Friedhofsmauer und eine Vermüllung des Geländes brachten den Historiker Werner Sulzgruber dazu, das Projekt „Aktion Kulturdenkmal Jüdischer Friedhof“ ins Leben zu rufen, um auf die Missstände hinzuweisen und diese abzustellen. So wurde das mit ca. 250 Grabsteinen besetzte Beerdigungsgelände an der Wiener Straße in dem 2007 durchgeführten Projekt des Bundesrealgymnasiums Gröhrmühlgasse wieder in einen vorzeigbaren Zustand versetzt.
Seit 2010 gibt es die „Lern- und Gedenkstätte Jüdischer Friedhof Wiener Neustadt“; die Historie des jüdischen Friedhofs ist inzwischen dokumentiert und die Biografien der hier Begrabenen aufgezeichnet.
Jugendliche bei Pflegearbeiten (Aufn. W. Sulzgruber) und Teilansicht des jüdischen Friedhofs (Aufn. Museum Wiener Neustadt)
Im Fundus des hiesigen Stadtmuseums wurde 2016 eine aus dem Jahre 1932 stammende Thora-Krone entdeckt, die nun eines der wertvollsten Ausstellungsstücke des Museums darstellt.
Thora-Krone (Aufn. aus: erinnern.at/bundeslaender/niederoesterreich)
Weiterhin verfügt das Museum über acht Urkunden aus der Zeit vor 1500, die Auskunft über den damaligen Alltag der jüdischen Bevölkerung geben. Ein Steinrelief – es wurde an einem Gebäude (Hauptplatz) aufgefunden – zeigt die herabwürdigende Spottdarstellung der Juden.
Kalksandsteinrelief der "Judensau" in Wiener Neustadt (Abb. Stadtmuseum Wiener Neustadt)
Im Rahmen des 2021 durchgeführten Gedenkprojektes „150 Jahre Israelitische Kultusgemeinde Wiener Neustadt“ erinnern am Standort der ehemaligen Synagoge am Baumkirchnerring etwa fünf Meter hohe Lichtskulpturen.
In Ebenfurth - ca. 15 Kilometer nordöstlich von Wiener Neustadt (Abb. Merian-Stich von ca. 1650, aus: wikipedia.org, gemeinfrei) - gab es in der frühen Neuzeit eine jüdische Gemeinde, die damals mit mehr als 40 Familien eine der bedeutendsten Siedlungen ihrer Art in Österreich unter der Enns war. Die jüdische Lokalgeschichte reicht aber bereits bis ins 14.Jahrhhundert zurück; denn eine aus dem Jahre 1244 stammende „Judenordnung“ von Friedrich d. Streitbaren ermöglichte die Ansiedlung jüdischer Familien in den Babenberger Besitzungen, zu denen auch Ebenfurth gehörte. Aus der spätmittelalterlichen jüdischen Gemeinde sollen bekannte Gelehrte und Intellektuelle hervorgegangen sein. Die israelitische Gemeinde hatte über eine Synagoge in der Annagasse (angrenzend an die Stadtmauer, mitten im Ghetto) und einen Friedhof verfügt.
Gegen Mitte des 17.Jahrhunderts besaß Ebenfurth mit ca. 25 jüdischen Familien die damals größte Gemeinde in der Region unter der Enns; das ghettoartige Wohngebiet befand sich um den Annaplatz. In den Folgejahrzehnten soll die jüdische Bevölkerung weiter angewachsen sein und etwa ein Viertel der Gesamteinwohnerschaft ausgemacht haben. Mit der Vertreibung der Juden (1670/71) durch Maria Theresia wurde die jüdische Gemeinde aufgelöst.
Bei Abrissarbeiten wurde in den 1990er Jahren das Eingangsportal der ehemaligen Synagoge aufgefunden; es steht heute als Erinnerungszeichen nahe seines einstigen Standortes.
Aufn. P. Lauppert, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0 at
Im Jahre 2020 wurden bei Restaurierungsarbeiten im Schloss ca. 30 jüdische Grabsteine aus dem 17.Jahrhundert entdeckt, die als Fundamente einer Befestigungsmauer gedient hatten. Künftig sollen die mehrere Jahrhunderte alten Steine entweder einen eigens dafür bestimmten Museumsraum im Schloss bekommen oder nahe dem Synagogentor in Ebenfurth ausgestellt werden.
In der Marktgemeinde Bad Erlach im Bezirk Wiener Neustadt-Land - etwa zehn Kilometer südlich von Wiener Neustadt - ist im Frühjahr 2019 das „Jüdische Museum für Zeitgeschichte“ eröffnet worden. Gezeigt wird hier eine Dauerausstellung zur jüdischen Regionalgeschichte, die sich im sog. Hacker-Haus* befindet. Dabei wird an Leben und Schicksal von jüdischen Bewohnern in 21 niederösterreichischen Gemeinden der Region Bucklige Welt-Wechselland erinnert.
*Die jüdische Familie Theresia und Max Hacker - sie zählte zu den Opfern der Shoa - betrieb hier ehemals ein Textilgeschäft.
Vor allem jüdische Kaufleute, Kleinhändler und Hausierer aus Westungarn ließen sich ab Mitte des 19.Jahrhunderts in den kleinen Orten in der Buckligen Welt und im Wechselland nieder. Ihren Lebensunterhalt bestritten diese „Landjuden“ im allgemeinen, meist ambulanten Handel, indem sie die dort ansässige Bevölkerung vor allem mit Lebensmitteln versorgten. Auch einige wohlhabende Industrielle bauten in der Region Unternehmen auf. Zahlreiche der hier ankommenden Familien brachten ihren streng-orthodoxen Glauben mit und versuchten diesen hier auszuüben; dies manifestierte sich auch in der Errichtung von privaten Synagogen in Erlach und Krumbach. Gegen Mitte der 1930er Jahre lebten in der Region etwa 150 jüdische Personen. Nach dem sog. „Anschluss“ setzte dann deren Entrechtung und Vertreibung ein. Nur jeder 5. jüdische Bewohner aus der Buckligen Welt und dem Wechselland hat den Holocaust überlebt
In der Marktgemeinde Bad Erlach ist 2019 im "Hacker-Haus" ein neues Museum für Zeitgeschichte eröffnet worden, das als Zentrum der Erinnerung an ca. 25 niederösterreichische Gemeinden, in denen vor 1938 Juden lebten, sich darstellt.
Weitere Informationen:
Ferdinand Karl Boeheim, Chronik von Wr. Neustadt, Hrg. Wendelin Boeheim, Wien 1863
Josef Mayer, Geschichte von Wiener Neustadt, Hrg. Stadtgemeinde Wiener Neustadt 1924 (4 Bände)
Max (Miksa) Pollak, Die Juden in Wiener Neustadt - Ein Beitrag zur Geschichte der Juden in Österreich, Jüdischer Verlag, Wien 1927
“Unsere Neustadt” - Blätter des Vereins zur Pflege der Kunstdenkmäler in Wiener Neustadt (verschiedene Ausgaben der Jahre 1956 - 1970)
Friedrich Kozak, Der mittelalterliche Judenfriedhof in Wiener Neustadt, in: "Unser Neustadt - Blätter des Wien-Neustädter Denkmalschutzvereins", Sept. 1966
Germania Judaica, Band II/2, Tübingen 1968, S. 903/904 und Band III/2, Tübingen 1995, S. 1619 - 1641
Gertrud Gerhartl (Bearb.), Juden in Wiener Neustadt, in: H. Gold (Hrg.), Geschichte der Juden in Österreich - ein Gedenkbuch, Tel Aviv 1971, S. 91 - 100
Ewalda Schneider, Die jüdische Bevölkerung von Wiener Neustadt seit der Gründung der Stadt. Hausarbeit zur Erlangung des Lehramtes an Hauptschulen im Fach Geschichte, 1975
Karl Flanner, Widerstand im Gebiet Wr. Neustadt 1938 - 1945, Europa-Verlag, o.J.
Pierre Genée, Synagogen in Österreich, Löcker Verlag, Wien 1992, S. 76 ff.
Klaus Lohrmann, Die Wurzeln lebendiger Tradition - Niederösterreich im Spiegel jüdischer Friedhöfe, in: Mahnmale - Friedhöfe in Wien, Niederösterreich und Burgenland, Wien 1992, S. 73 f.
Martha Keil, Der Liber Judeorum von Wr. Neustadt (1453 - 1500) - Edition, in: M.Keil/K.Lohrmann (Hrg.), Studien zur Geschichte der Juden in Österreich, Band 1, Wien/Köln 1994, S. 41 - 99
Beatrix Bastl, Die Juden in Wiener Neustadt, Wiener Neustadt 1995
Anton Philapitsch, Juden in Ebenfurth, in: "David - Jüdische Kulturzeitschrift", 7. Jg., No. 26/Sept. 1996
Martha Keil, Juden in Grenzgemeinden: Wiener Neustadt und Ödenburg im Spätmittelalter, in: M.Keil/E.Lappin (Hrg.), Studien zur Geschichte der Juden in Österreich, Band 2, Bodenheim/Mainz 1997, S. 9 - 34
Karl Flanner, Die Wiener Neustädter Synagoge in der Pogromnacht 1938. Dokumentation des ‘Industrieviertel-Museums’, Wiener Neustadt 1998
Martha Keil, “ vormals bey der Judenn Zeitt” - Studien zur Geschichte der jüdischen Gemeinde Wiener Neustadt im Spätmittelalter, Dissertation, Wien 1998
Verein Schalom (Hrg.), Wegweiser für Besucher der jüdischen Friedhöfe und Gedenkstätten in Wien, Niederösterreich, Burgenland, Steiermark und Kärnten, Wien 1999
Walter Baumgartner/Robert Streibel, Juden in Niederösterreich: ‘Arisierungen’ und Rückstellungen in den Städten Amstetten, ....Horn, Korneuburg, Krems, Neunkirchen ... und Wiener Neustadt, in: "Veröffentlichungen der österreichischen Historikerkommission", Band 18, Wien 2004
Christoph Lind, “Der letzte Jude hat den Tempel verlassen ...” Juden in Niederösterreich 1938 - 1945, Mandelbaum-Verlag, Wien 2004, S. 232 - 243
E. Brugger/B. Wiedl, Zwischen Privilegierung und Verfolgung. Jüdisches Leben im Mittelalter in Niederösterreich, in: "DAVID - Jüdische Kulturzeitschrift", Heft 64/2005
Werner Sulzgruber, Die jüdische Gemeinde Wiener Neustadt. Von ihren Anfängen bis zu ihrer Zerstörung, Mandelbaum-Verlag, Wien 2005
Werner Sulzgruber, Die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Wiener Neustadt, in: "DAVID - Jüdische Kulturzeitschrift", Heft 68/2006, S. 20 – 27
Werner Sulzgruber, Aktion Kulturdenkmal Jüdischer Friedhof Wiener Neustadt: Zur Geschichte des jüdischen Friedhofs in Wiener Neustadt, in: "David – Jüdische Kulturzeitschrift", Heft ?, 2008
N.N. (Red.), Sensationeller Fund auf dem jüdischen Friedhof: Mittelalter-Grabsteine restauriert, in: "Amtsblatt Wiener Neustadt", Dez. 2009
Werner Sulzgruber, Das jüdische Wiener Neustadt. Geschichte und Zeugnisse jüdischen Lebens vom 13. bis ins 20.Jahrhundert - Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung im Stadtmuseum, Mandelbaum-Verlag Wien 2010/2011
Christoph Lind (Bearb.), Die Zerstörung der jüdischen Gemeinden Niederösterreichs 1938 – 1945, in: H. Arnberger/C. Kuretsidis-Haider (Hrg.), Gedenken und Mahnen in Niederösterreich. Erinnerungszeichen zu Widerstand, Verfolgung, Exil und Befreiung, Mandelbaum-Verlag, Wien 2011, S. 46 ff.
Susanne Schwarz, Virtuelle Rekonstruktion der Synagoge in Wiener Neustadt, Diplomarbeit Technische Universität Wien, 2011
Susanne Schwarz, Virtuelle Rekonstruktion der Synagoge in Wiener Neustadt, in: "David – Jüdische Kulturzeitschrift", Heft 89/2011 (Titelthema)
B.Haberstroh/M.Huber/M.Rosecker (Hrg.), Stolpersteine Wieder Neustadt – Stadtführer des Erinnerns, Verein Alltag Verlag, Wiener Neustadt 2011
Sandra Glatz, Synagogen des Mittelalters und der frühen Neuzeit im Raum Niederösterreich. Virtuelle Rekonstruktion der Synagogen in Oberwaltersdorf und Ebenfurth. Diplomarbeit an der TU Wien, Wien 2013, S. 61 - 73
Wiederentdeckung eines Kulturschatzes der Stadt Wiener Neustadt, in: juedische-gemeinde-wn.at/pages/Friedhof/SteineMittelalter.aspx
Werner Sulzgruber, Lebenslinien. Jüdische Familien und ihre Schicksale. Eine biografische Reise in die Vergangenheit von Wiener Neustadt, Wien/Horn 2013
Werner Sulzgruber, Novemberpogrom 1938. Die "Reichskristallnacht" in Wiener Neustadt und der Region. Hintergründe - Entwicklungen - Folgen, Horn 2013
Werner Sulzgruber, Erinnerungsarbeit in Wiener Neustadt, in: "David – Jüdische Kulturzeitschrift", Heft 97/2013
E.Brugger/M.Keil/A.Lichtblau/Chr.Lind/B.Staudinger, Geschichte der Juden in Österreich, Verlag Carl Ueberreuter, Wien 2013, S. 172 – 178 u.a.
Sandra Glatz, Synagogen des Mittelalters und der frühen Neuzeit im Raum Niederösterreich. Virtuelle Rekonstruktion der Synagogen in Oberwaltersdorf und Ebenfurth, Diplomarbeit an der Technischen Universität Wien, Wien 2013 (auch online abrufbar unter: publik.tuwien.ac.at)
Sensationsfund in Wr. Neustadt: Torahkrone entdeckt, in: „NÖN - Niederösterreichische Nachrichten“ vom 14.12.2016
Werner Sulzgruber (Red.), Die Geheimnisse hinter der gefundenen Thora-Krone von Wiener Neustadt. Fakten aus der Forschung, in: „Unser Neustadt – Blätter des Wiener Neustädter Denkmalschutzvereines“, Folge 1/2017
Stolpersteine Wiener Neustadt, online abrufbar unter: stolpersteine-wienerneustadt.at (Dokumentation)
Auflistung aller in Wiener Neustadt verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Niederösterreich (mit biografischen Daten der betroffenen Personen)
N.N. (Red.), Verschollener Grabstein wieder entdeckt, in: "NÖN - Niederösterreichische Nachrichten" vom 14.8.2017
Cornelia Rehberger (Red.), Über den „Judensteig“ in die Bucklige Welt, in: „Bote aus der Buckligen Welt“ vom 26.4.2018
APA (Red.), Jüdisches Museum für Zeitgeschichte eröffnet in Niederösterreich, in: „Tiroler Tageszeitung“ vom 17.3.2019
J.Hagenhofer/G.Dressel/W.Sulzgruber (Hrg.), Eine versunkene Welt – Jüdisches Leben in der Region Bucklige Welt – Wechselland, Kral-Verlag Berndorf 2019
Marta Halpert (Red.), Das Hacker Haus in Bad Erlach, in: "WINA – das jüdische Stadtmagazin", Aug. 2019
Redaktion Burgenland des ORF, Jüdische Grabsteine aus dem 17.Jahrhundert, online abrufbar unter: burgenland.orf.at vom 19.6.2020
Philipp Hacker-Walton (Red.), Allerheiligenplatz – Ein Stück Mittelalter im Herzen von Wiener Neustadt, in: „NÖN - Niederösterreichische Nachrichten“ vom 2.7.2020
Kristina Veraszto (Red.), Schloss Ebenfurth: 28 Grabsteine gefunden, in: "NÖN – Niederösterreichische Nachrichten“ vom 8.7.2020
Stadt Wiener Neustadt (Hrg.), Wiener Neustadt: 150. Jahrestag der Gründung der ‚Israelitischen Kultusgemeinde‘ - Die Stadt erinnert mit 5 Meter hohen Lichtskulpturen, online abrufbar unter: wn24.at/kultur/wiener-neustadt/
Anton Philapitsch (Bearb.), Jüdischer Friedhof in Ebenfurth, in: „DAVID – Jüdische Kulturzeitschrift“ Heft 131/Dez. 2021
Ilan Beresin (Red.), Jüdische Bevölkerung in der Buckligen Welt und im Wechselland, in: „DAVID – Jüdische Kulturzeitschrift“, Heft 134/Sept. 2022
Brigitte Steinboch (Red.), Arbeit gegen das Vergessen am Jüdischen Friedhof Wiener Neustadt, in: „NÖN – Niederösterreichische Nachrichten“ vom 23.8.2024
Hinweis: zahlreiche Informationen zur jüdischen Geschichte der Region findet man unter: juedische-gemeinde-wn.at